Erschienen in Ausgabe: No 66 (8/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Christian J. Grothaus
Mancher Feuilletonleser wurde in letzter Zeit vielleicht auf
den Film „The Tree of Life“ aufmerksam, der mit den
Hollywoodgrößen Brad Pitt, Sean Penn und Jessica Chastain auch recht prominent
besetzt ist. Aber die Stars des Streifens sind in diesem Fall nicht das
Interessante, sondern sein Regisseur, der in diesem Fall auch das Drehbuch geschrieben
hat. Terrance Malick gilt nämlich als Philosoph und Poet in seiner Branche,
deren Medienrummel er sich üblicherweise konsequent entzieht. Und nicht nur
das, er hat sich an einer Promotion versucht über Wittgenstein und Heidegger
und übersetzte 1969 auch dessen Aufsatz Vom
Wesen des Grundes (1929) ins Englische.
Ganz so katholisch hat man „The Tree of Life“ nicht
erwartet, denn die Protagonisten des Films stellen eine bibeltreue Kleinfamilie
dar, die der Predigt in der Sonntagsmesse lauscht und Tischgebete spricht. Die
von Nonnen erzogene Mutter agiert im Gegensatz zu einem Vater, der als
Ingenieur für Montantechnologie ein Paradebeispiel des ‚Homo faber‘ ist.
Dazwischen drei heranwachsende Söhne, von denen der mittlere verstirbt. Hier
der weibliche Weg der Gnade, dort der männliche der Natur. Der Definition der
Protagonistin nach steht die Natur dabei für den Kampf, die Strenge und die
Eigensucht. Sie selbst symbolisiert Mitleid, Empathie, Verständnis und Trost.
Auf den ersten Blick ein dürftiger wie klischeehafter
Handlungsstrang. Nach gut 2 h Laufzeit jedoch, macht nicht nur alles Sinn,
sondern es breitet sich eine Art ruhende Fülle oder bergende Weite in einem
aus. Wieso das? Weil Terrance Malick versucht, eine katholisch geprägte
Familiengeschichte aus den 1950er Jahren parallel zu den ältesten Themen zu
denken. Jenen nämlich, die z.B. auch schon dem Vorsokratiker Heraklit auf der
Zunge lagen: „So vieler Worte ich gehört habe, keiner kommt so weit zu
erkennen, dass das Weise etwas von allem Getrenntes ist (ab-solutum)“(1).
Gott ist tot, aber nicht das Denken über das Göttliche.
Wie wäre es also, „The Tree of Life“ als Versuch zu sehen, sich des Lebendigen
im Kleid der christlichen Religion zu vergegenwärtigen? Wie wäre es weiter,
Gott und Leben gleichzusetzen. Ein Gleichsetzen, das den bereits von Heraklit
erkannten Webfehler einer reflexiven Reduktion (s.o.) vermeidet und stattdessen
offen bleibt für die größte Mannigfaltigkeit. Eine andauernde und nie enden
wollende, ekstatische Meditation und eine Ode an die Lebendigkeit – das wäre
ein solches Offenbleiben und das sind auch die Prinzipen, mit dem Terrance
Malick in immer neuen Variationen den Zuschauern ein Gemälde aus Bildern,
Klängen und Musik malt.
Die Lebendigkeit zeigt sich in allem, sie ist das
verbindende Element. Sie ist bedingungslos und zeitlich, wandert von innen nach
außen, durchdringt alles Feste, Flüssige oder Flüchtige. Die Lebendigkeit ist
nicht nur beim Menschen. Sie kennt keinen Anthropozentrismus. Sie war vor und
wird auch nach dem Humanum sein. Sie ist das eigentlich Ewige, wobei Ewigkeit
hier Wandel darstellt und nicht Starre. Einige zeitgenössische Denker, darunter
Michel Serres, haben noch dieses ‚heraklitische Verständnis‘ vom Ursprung:
„Zwischen einer Erde, die durch eine vermutete oder erwünschter Ordnung
bestimmt ist, und einem Planeten- oder Sonnensystem, das sich in einem
metastabilen Gleichgewicht befindet, lassen die meteorologischen Erscheinungen,
von der Theorie vergessen, eine prachtvolle Unordnung sichtbar werden“(2).
Diese Art „vom Denken vergessene Meterologie“ durchzieht
den Film als roter Faden. Er windet sich um die Fragen der Protagonisten herum,
verlässt aber auch die Leinwand und schwebt durch den Kinosaal, bevor er die
Zuschauer einwickelt in ihren Versuchen, mit der Bilderflut fertig zu werden.
Selten geworden ist es nämlich, dass ein Sitznachbar aufhört, sein Popcorn zu
kauen und dass er sich sogar bemüht, leise zu atmen. All das, um sich andächtig
den Wirkungen hinzugeben von ätherischen Lichtfiguren, tanzenden Algenwäldern,
leuchtenden Sternenhaufen, fernen Galaxien, Vulkanausbrüchen, meterhohen
Brechern an steilen Küsten oder fluktuierenden Wolkenformationen.
Ehrfurcht breitet sich aus und auch Trost im Angesicht
der Möglichkeit zu solcher Mannigfaltigkeit - Möglichkeit, an der der Mensch
Teil hat. Nicht nur die Unendlichkeit ist es also, die den Atem stocken lässt,
sondern das Leben, das sich eben gerade auch in seiner Endlichkeit, seinem
Verfall und seiner Destruktion darstellt. Martin Heidegger zeigt in den
Vorlesungen aus dem Wintersemester 1929/30 Die
Grundbegriffe der Metaphysik. Welt - Endlichkeit – Einsamkeit in einer an
die romantischen Bilder Caspar David Friedrichs erinnernden Klarheit, dass die
o.g. Erfurcht (hier Ergriffenheit genannt) im Angesicht des Existierenden über
eine grundlegende Stimmung motiviert ist: „Was da in diesem Fragen und Suchen,
in diesem Hin-und-her geschieht, ist die Endlichkeit
des Menschen. Was sich in dieser Verendlichung vollzieht, ist eine letzte Vereinsamung des Menschen, in der jeder
für sich wie ein Einziger vor dem Ganzen steht“(3).
Lebendigkeit, Endlichkeit, Tod. Diese Trias ist auch in
„The Tree of Life“ im Motiv des gestorbenen Sohnes manifestiert. Die gläubige
Mutter will das Opfer nicht verstehen, das ihr abverlangt wird, kann den Tod
nicht in Verbindung bringen mit dem Weg der Gnade, den sie doch immer gegangen
ist. Und auch der Vater fragt sich, warum die entrichteten Zehnten, regelmäßige
Kirchgänge und fester Glaube nicht ausreichen für ein sorgenarmes Leben.
Das sind Fragen an die Religion, die ein jeder
Kinobesucher nachvollziehen kann. Terrance Malick zeichnet eine Antwort, indem
er klarmacht, dass es diese nicht geben kann. Sein ganzer Film zeigt, dass die
Lebendigkeit selbst die Perspektive auf das freigibt, was Göttlichkeit sein
kann. Schwerlich könnte diese in der menschlichen Sprache antworten, wohl aber
in einer umfassenderen, deren Vokabeln wie Grammatik auch schon im Menschen
sind. Die Rede ist vom Logos, so wie Heidegger ihn definiert: „Existieren als
Mensch heißt schon: das Waltende zum Ausspruch bringen. Zum Ausspruch wird
gebracht das Walten des waltenden Seienden, d.h. seine Ordnung und Satzung, das
Gesetz des Seienden selbst“(4).
Der Logos ist also schon Bestandteil vom Menschen,
allerdings erfordert er ein spezielles Hören, denn seine Sätze sind die Zeit,
seine Buchstaben sind das Werden. Seine ‚Antwort‘ im Sinne des waltenden
Seienden wäre nicht getrennt von der Frage, sie wäre keine Betrachtung eines
Problems, denn wie sollte ein Gefüge, das die Identität von Sein, Vorstellung
und Wirklichkeit ist, überhaupt ein solches ‚bemerken‘? Hierzu noch einmal der
Vorsokratiker Heraklit, dem das offensichtlich schon klar war:
„Zusammensetzungen sind Ganzes und Nichtganzes, Einträchtig-Zwieträchtiges,
Einstimmend-Mißstimmendes, und aus Allem Eins und aus Einem Alles“(5).
Es ist in „The Tree of Life“ gelungen, das Poetische zu
berühren. Die Bilder des Films erschlagen nicht, sie öffnen. Sie geben dem
Zuschauer Zeit und nehmen sie ihm nicht. Sie lassen ihm Weite, damit er in das
Eindringen kann, was sie nicht zeigen. Terrance Malick versucht immer wieder,
die Beschränktheit des Films zu überwinden, in die Nähe zu gelangen, die
Oberflächen zu durchstoßen. Damit meidet er den Geburtsfehler des modernen,
apparategesteuerten Bildes, nämlich eine Fokussierung, die Manifestation der
Einzelheit, das Streben nach der scharfen Abbildung. Um diese geht es eben
gerade nicht, sondern vielmehr um das Vermengen und Verschwimmen. Mit der
Poesie kann das Bild gerettet werden, indem es besiegt wird, in dem der Mensch
über es hinweg und durch es hindurch steigt.
Die Natur, die Sterblichen und in gewisser Weise das
Göttliche sind nach Heidegger gefügt in der physis
und diese bedeutet das Wachsende: „Physis
meint dieses ganze Walten, von dem der Mensch selbst durchwaltet und dessen er
nicht mächtig ist, das aber gerade ihn durch- und umwaltet, ihn, den Menschen,
der sich darüber immer schon ausgesprochen hat. Was er versteht - so rätselhaft
und dunkel es im Einzelnen sein mag -, er versteht es, es naht ihm, trägt und
erdrückt ihn als das, was ist: physis,
das Waltende, das Seiende, das ganze Seiende“(6). Man könnte also noch viel
schreiben über diesen Film. Besser ist es jedoch, ihn sich anzusehen und sich
von den großen Fragen durchwirken zu lassen. Im Vollzug dieser Wirkungen
nämlich findet das statt, was im Film thematisiert wird.
Link u.a. zum Trailer: http://www.tree-of-life-film.de
Link zu Malick: http://en.wikipedia.org/wiki/Terrence_Malick
Anm:
1. Heraklit: Fragmente;
hrsg. von Snell, Bruno; München/Zürich 1995 [1989]; 33
2. Serres, Michel: Hermes IV. Verteilung;
Berlin 1993 [frz. 1977]; 7
3. Heidegger, Martin: Die Grundbegriffe
der Metaphysik. Welt - Endlichkeit – Einsamkeit; Vorlesungen aus dem
Wintersemester 1929/30; in: Gesamtausgabe Bd. 29/30; FaM 2004 [1983]; 12
4. ebd.; 40
5. Heraklit: a.a.O.;9
6. Heidegger, Martin: a.a.O.;39
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