Erschienen in Ausgabe: No 67(9/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
War Petrus nicht der Substanzlose? Nein, er war wie wir. Eine Kontrastfigur zu Jesus. Petrus wurde zum Hirten bestellt, weil sich die schwachen Schafe in ihm wiedererkennen können. Die Kirche sollte Volkskirche werden, nicht ein elitärer Club
von Klaus Berger
Petrus wird mit rundem Vollbart dargestellt, wie Kaiser und
Könige und wie – wenn es um den Himmel geht – Gott Vater. Paulus dagegen hat
einen spitzen Bart wie die Philosophen, in der einen Hand ein Buch, in der
anderen das Schwert. Das Buch hat Paulus, weil er so wunderbare Briefe
geschrieben hat. Petrus dagegen hält in den Händen einen oder zwei Schlüssel
und im Übrigen ein Kreuz, denn wie sein Herr wurde er gekreuzigt, nur mit dem
Kopf nach unten.
Paulus gilt als der Intellektuelle, missbraucht von
Gnostikern und anderen Ketzern jeder Art.
Himmelsschlüsselchen sind schlichte,
aber strahlende Frühlingsblumen. Weil sie Frühblüher sind, heißen sie Primeln.
Golden leuchtet das Gelb, und die Blütenform erinnert an Schlüssel älterer Bauart.
Die Schlüssel, die der Herr Petrus gibt, beziehen sich auf die Vollmacht, für
Menschen die Türe aufzuschließen oder sie vor ihnen oder hinter ihnen
abzuschließen. Wie bei einem teuren Lokal hat Petrus daher im Himmelreich die
Rolle des Einlassers oder des Rausschmeißers. Schon sehr früh hat man diese
Vollmacht auch auf den Regen bezogen, denn wenn es regnet, muss Petrus die
himmlischen Kammern aufschließen, in denen der Regen aufbewahrt wird. Petrus hat daher rundum nicht gerade angenehme Posten. Früher
hatte er eine ehrenvolle Rolle als Patron der Fischer. Denn nach dem
Evangelisten Matthäus (17. Kapitel) fand Petrus die dringend benötigte
Steuermünze im Bauch eines Fisches. Solange wir die Fische noch nicht
vollständig ausgerottet haben, wird sich Petrus für sie einsetzen.
Das Amt des Petrus hat mehrere Facetten, und sie alle weisen
darauf hin, dass Petrus weit über das Bestimmen, wer nun zur Gemeinde gehören
darf und wer nicht, hinaus in der Tat eine Schlüssel-Figur im ganz umfassenden
Sinn ist. Man kann das so sagen: Es gibt unterschiedliche Phasen in der
Geschichte des frühesten Christentums. Aber solange Petrus am Leben ist, kann man ihn jeweils als
den hauptverantwortlichen Jünger Jesu bezeichnen. Als Jesus Jünger um sich
sammelt, ist Petrus zusammen mit seinem Bruder Andreas der Erstberufene, und zusammen
mit dem Zebedaiden Jakobus sind diese drei in den ersten drei Evangelien die
„Lieblingsjünger“ Jesu. Diesen Titel kennt zwar nur das vierte Evangelium.
Aber in den drei ersten Evangelien gibt es drei Lieblingsjünger. Das heißt: Sie sind Zeuge der wichtigsten Ereignisse, auch
der Verklärung und der Totenerweckung nach Markus (in dessen Kapiteln 9 und 5).
Vor allem steht Petrus für das Bekenntnis zu Jesus („Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“). Im Ausgleich zum Lieblingsjünger nach dem vierten Evangelium
(nach einer kühnen Hypothese vielleicht Andreas) ist im Johannesevangelium
Petrus derjenige, der auf Nachfrage hin drei Mal beteuert, den Herrn zu lieben.
Nächste Phase: Als den Passionsberichten zufolge alle Jünger
weglaufen, ist Petrus der erste, der das tut, und zwar in Form eines
dreimaligen Ableugnens jeder Art von Bekanntschaft.
Petrus ist die Schlüssel-Figur der Osterberichte. Denn als
die Emmaus-Jünger von ihrer Erfahrung mit dem Auferstandenen berichten wollen,
erzählen ihnen die anderen Jünger schon, der Herr sei dem Petrus erschienen.
Auch nach dem Ersten Korintherbrief (15,5) hat Petrus die erste Erscheinung des
Auferstandenen. Die Apostelgeschichte berichtet dann weiter, nach Pfingsten
habe Petrus die Predigten an die Juden gehalten. Denn erst nach dieser Phase
konnte sich das Evangelium den Heiden zuwenden.
Nach der Apostelgeschichte (10) ist Petrus der erste
Heidenmissionar, parallel zu Paulus, der zwar früher berufen wird, aber erst später mit der Mission beginnt, als er
nämlich von Petrus aus seiner Heimat Tarsus nach Antiochien zurückgerufen wird. Auf dem
Apostelkonvent, das sich mit der Frage befasst, ob man den Heiden das
Evangelium predigen darf, kann Petrus die konservative Mehrheit überzeugen. Die
Heidenmission ist legitim. Selbst der Herrenbruder Jakobus muss Petrus
zustimmen.
Vereinbart wird auf dem Apostelkonvent, dass Petrus sich den
Beschnittenen (Juden und Arabern) zuwenden soll – also allen, für die die
Beschneidung, da sie schon besteht, kein Problem mehr ist –, Paulus aber den
Heiden.
Nächste Phase: der so genannte antiochenische Zwischenfall.
Petrus ist von der Vereinbarung abgewichen, sich nur um die Beschnittenen zu
kümmern, denn in seiner Gemeindearbeit lässt er „christliche“ Mahlzeiten von
gebürtigen Juden mit gebürtigen Heiden zu. Für jeden Juden war das ein Gräuel.
So muss Petrus dem Paulus nachgeben. Im Übrigen beschreibt Paulus den eigenen
Apostolat nach petrinischem Vorbild; die Art und Weise, in der er im Ersten
Galaterbrief davon spricht (dass nämlich die Offenbarung der Gottessohnschaft durch
Gott, nicht durch Menschen das Apostolat begründet), lässt erkennen, wie sehr
Petrus der Maßstab auch für Paulus ist.
Aber die Einigung zwischen Petrus und Paulus war friedlich.
Daraus einen Dauerkonflikt zwischen Petrus und Paulus zu machen, wie es das
neunzehnte Jahrhundert wollte, war ein großer Irrtum. Denn ohne die Harmonie
zwischen Petrus und Paulus hätte es den Kanon des Neuen Testaments nie gegeben.
Besonders der Erste Petrusbrief zeigt keine Differenzen zur paulinischen
Theologie.
In Korinth hat Petrus wohl vor und neben Paulus missioniert,
jedenfalls gibt es dort Christen mit Ähnlichkeiten zu jüdischen Standpunkten.
Paulus nennt sie die Kephas-Partei (kephas heißt „Fels“). Petrus hat sich
demnach auch in der späteren Mission an die Vereinbarung des Apostelkonvents gehalten,
jüdische Gebräuche und Verhaltensweisen zu schützen.
Aber hatte Petrus nicht einen wankelmütigen Charakter, der
alles andere als felsenartig war? Hat Petrus nicht in der Passionsgeschichte aus
schierer Angst vor einer bescheidenen Hausangestellten seinen Herrn verleugnet?
Hat er nicht (im 8. Kapitel des Markus) keinerlei Verständnis für das Leiden
seines Herrn gezeigt und wurde er deshalb „Satan“ genannt? War sein Verhalten
in Antiochien nicht doch opportunistisch, da er den jüdischen Standpunkt nicht geschont hat? Ist er nicht dem
vermeintlichen Modetheologen Paulus nachgelaufen? Hat er nicht, statt
konsequent den jüdischen Standpunkt zu schützen, den billigeren Weg der
Anpassung gewählt? War Petrus also das Schilfrohr schlechthin, vom Wind nach
dessen Lust und Laune bewegt? War er, der Petrus, nicht der Substanzlose? Nein, er war wie wir alle. Er ist
insofern eine Kontrastfigur zu Jesus. Einer ist heilig, einer der Herr.
Die Kirchenväter haben gesagt, Petrus sei deshalb zum Hirten
bestellt worden, weil sich die Schafe in ihrem Hang, selbst schwach zu sein,
gut in ihrem Hirten wiedererkennen konnten. Und weil die Tränen des Petrus,
seine schließliche Umkehr, doch jede spätere Buße abbilden konnte. Die Kirche
ist kein makelloser Verein, bei dem es nur Ja oder Nein gibt und keine zweite Chance zur
Umkehr, wenn man einmal daneben getreten ist. (Man nannte das „zweite Buße“.)
Darüber hat die Kirche selbst lange gestritten. Sie hat sich entschieden,
Volkskirche zu sein. Man soll nicht versagen, aber wenn es doch geschieht, ist
es kein Weltuntergang. Denn die Gnade des Sakraments der Vergebung und der Taufe ist
stärker als alle Bosheit der Christen. Doch Petrus hat immerhin geweint. Auch
die Schuldbekenntnisse der beiden letzten Päpste machen das geschehene Böse
nicht rückgängig. Aber sie zeigen: Gottes Barmherzigkeit reicht so weit, dass
der Sünder in dieser Kirche immer wieder die Vergebung erhält. So ist das frühe Christentum
verlaufen: Indem Petrus sich abwandte und wieder zurückfand, hat er die
Schlüsselgewalt am eigenen Versagen erfahren.
So betete man daher im Mittelalter: „Herr du hast deine
Kirche gegründet auf die Briefe des Paulus und auf die Tränen des Petrus...“.
Petrus
war verheiratet. Das Evangelium nach Markus beginnt mit der Heilung der
Schwiegermutter des Petrus; Paulus berichtet davon, Petrus habe seine Frau auf
Missionsreisen mitgenommen. Und die apokryphen Apostelakten erzählen von der
Heilung der Tochter des heiligen Petrus. Von Petrus wird auch nicht berichtet, dass er die
Osterschilderungen der Frauen als Witz bezeichnet habe. Er konnte ihnen vertrauen,
denn seine eigenen Erfahrungen sind gleichen Ranges. So ist er auch hier die
Schlüssel-Figur, die bestätigen kann, was die Frauen berichten. Wenn es dennoch
nach den apokryphen Akten zu ständigen Reibereien zwischen Maria von Magdala und Petrus
kam, dann ging es um die Frage des Lehramtes und die Konsequenzen daraus, dass
dieses nur einer innehatte, nämlich Petrus.
Als Universitätslehrer habe ich ein oder zwei Mal im Jahr
meine biblische Vorlesung per Handpuppen gehalten. Petrus eignet sich besonders
für kleine Dramen als Dialoge. Das eine Stück hieß: „Petrus und der Teufel“.
Der Teufel versuchte ständig, Petrus zu einer „großen“, das heißt schwarz-roten
Koalition zu bewegen, mit dem Hinweis, durch Zusammenschluss sei man dann doch
marktbeherrschend. Und für oder mit seinem Herrn zu leiden, habe Petrus schon
laut Evangelien nicht goutiert. Sowohl der Protest gegen das Leiden des
Menschensohnes als auch die Verleugnung gegenüber der Magd zeigten dieselbe
Tendenz, die der Teufel nur begrüßen konnte.
Das zweite Stück lief so: Zwanzig
Jahre später trifft die Magd Petrus noch einmal. Sie erinnert ihn an seine
Schwäche. Petrus ist nicht bereit zuzugeben, dass er schwach gewesen sei. Er
streitet noch immer alles ab. Die Magd hat ihn zum zweiten Male auf dem
falschen Fuß erwischt. Sie gibt ihm den Rat, in der Einsamkeit zu sich selbst
und dieses Mal wirklich zu Gott zu finden. Und sie will für ihn beten.
(c)-Vermerk: vatican-magazin.de
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