Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Rainer Westphal
In Freiburg war es die um Walter
Eucken entstandene Freiburger Schule, wobei es sich um eine Gruppe christlich
gesinnter Professoren handelte,die im
Sommer 1942 einen gefährlichen Auftrag übernahm. Der Auftrag erfolgte von der
„Bekennenden Kirche“ mit der Forderung, eine Denkschrift dahingehend zu
verfassen, wie man sich das öffentliche Leben in einem von Hitler befreiten
Deutschland vorzustellen hätte.
Das für den Untergrund gedachte
Papier wurde nicht veröffentlicht, da die Angst zu groß war, dass ihr Programm
in die Hände der Gestapo fallen könnte. Trotzdem war die Arbeit nicht umsonst.
Unter Walter Eucken und seinen Mitarbeitern entstand das Konzept für die
Wirtschaftsordnung, welches unter dem Namen „Soziale Marktwirtschaft“ berühmt
wurde.
Zur Freiburger Schule des
Ordo-Liberalismus gehörten u. a. der Jurist Franz Böhm und der Ökonom Leonhard
Miksch. Während die Neo-Liberalen den evolutorischen Charakter der Gesellschaft
hervorhoben und gewachsene Ordnungen bevorzugten, neigte der Ordo-Liberalismus
zu einem starken Staat. In seinem Hauptwerk „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“ schrieb Eucken: „Vielmehr ist eine positive Wirtschaftspolitik
notwendig, die darauf abzielt, die
Marktform der vollständigen Konkurrenz zur Entwicklung zu bringen, und so das
Grundprinzip zu erfüllen.
Der in die Schweiz emigrierte
deutsche Ökonom Wilhelm Röpke stritt gleichzeitig gegen den Kollektivismus und
für die Marktwirtschaft, die er mit christlich-humanistischer Ethik zu
verbinden suchte. Nach dem Krieg entwickelten in der Bundesrepublik Alfred
Müller-Armack und Alexandeer Rüstow ähnliche Gedanken, die schließlich zur
Formulierung der Sozialen Marktwirtschaft geführt haben.
Obgleich die von Walter Eucken
ins Leben gerufene Wirtschaft das Beiwort „sozial“ trägt, war er keineswegs ein
Ökonom mit Linksdrall. Auch zählte er nicht zu den Verfechtern von staatlichen
Konjunktur- und Beschäftigungsprogrammen, wie sie John Maynard Keynes entwickelt
hatte.
Die wichtigste soziale
Errungenschaft sah der Gelehrte im Wettbewerb. Dieser spornt zur Leistung an
und kommt dem Verbraucher im Idealfall zugute. Jedoch versuchen die einzelnen
Anbieter – zum Beispiel marktbeherrschende Unternehmen – immer wieder den
Wettbewerb einzuschränken und sich gegen unliebsame Konkurrenten abzuschirmen. Geradezu
prophetisch äußerte Eucken, wenn es dem Staat nicht gelingt, die
Voraussetzungen für eine funktionsfähige Konkurrenz zu schaffen, die dem Ideal
des echten und vollständigen Wettbewerbs nahekommt, dann werde das System in
einen zügellosen und asozialen Kapitalismus ausarten, wie es im 19. Jahrhundert
der Fall gewesen ist. Das Denken des Professors richtete sich gegen jede Form
und Art von Marktmacht.
Walter Eucken ließ keinen Zweifel
daran, dass Freiheit ohne Ordnung nicht möglich sei. Für ihn war die Ökonomie
eine Dienerin der Moral. Wirtschaft und Staat waren für ihn keine Gegensätze,
sondern zueinander passende Teile einer natürlichen Ordnung.
Die hohen Ideale erbte der 1891
in Jena geborene Walter Eucken von seinem Vater Rudolf Eucken. Rudolf Eucken
war ein berühmter Philosoph (Nobelpreis 1908), der die menschliche Seele aus
einer der Technik verfallenen Scheinkultur erretten wollte. Die Mutter von
Walter Eucken war Malerin. Um sie und ihren Mann versammelte sich zur damaligen
Zeit alles, was in Deutschland Rang und Namen hatte wie Gerhart Hauptmann, Sven
Hedin, Henri Bergson, um nur einige zu nennen.
Der Lebenslauf von Eucken verlief
ziemlich unspektakulär. Nach dem Abitur stand er vor der Frage, ob er
Historiker werden wollte oder Wirtschaftswissenschaftler. Er entschied sich für
die Wirtschaftswissenschaft und studierte in Kiel, Bonn und Jena. Seine
Doktorarbeitschrieb er über die
„Verbandsbildung in der Seeschiffahrt“. 1921 habilitierte er sich in Berlin mit
einer Studie über „Die Stickstoffversorgung der Welt“. Er heiratete eine
Studentin, welche ihm durch ein Referat über den Anarchismus auffiel. Frau
Edith Eucken-Erdsiek gelangte zu eigenen Ruhm als Autorin
philosophisch-politischer Schriften.
Seinen ersten Lehrstuhl erhielt Eucken als Volkswirt 1925 in Tübingen. Danach wechselte er an die Universität
Freiburg über. Damals diskutierte man sehr intensiv hinsichtlich der anzuwendenen
Methoden. Eucken vertrat damals mit aller Deutlichkeit die Forderung, dass der
theorisierende Ökonom sehr tief in den wirtschaftlichen Alltag einzudringen
hätte. Bis heute sind die Probleme nicht gelöst. Die Beurteilung der
wirtschaftlichen Entwicklung fällt folglich immer wieder wie ein schlechter
Wetterbericht aus. Eucken glaubte, der Wahrheit mit Hilfe von „Idealtypen“
näher zu kommen.
Eucken arbeitete mit der
idealtypischen Form der „reinen Konkurrenz“, die in seinem Geist, aber nicht in
der Wirklichkeit vorhanden war. Er isolierte den Wettbewerbvon den anderen Eigenschaften des Marktes.
Mit diesem Instrument versuchte er das Marktgeschehen zu erklären. Diese
Vorgehensweise dient heutzutage in vielen Fällen selbsternannten Wirtschaftswissenschaftlern
Handlungen zu begründen, ohne auf die Tatsache einzugehen, dass es sich um
Denkmodelle handelt, in die man versuchen muss, dann den tatsächlich vorhandenen
Markt einzubeziehen.
Obgleich Eucken Angebote von anderen
Universitäten erhielt, blieb er in Freiburg. Er lebte zurückgezogen, wie es in
damaliger Zeit für Wissenschaftler üblich war. Als Gewissensmensch verabscheute
er das ab 1933 vorhandene Hitler-Regime und rief ziemlich unverhüllt in seinen
Vorträgen über Spinoza und Sokrates zum Ungehorsam auf. Nach dem Attentat vom
20. Juli 1944 gegen Hitler wurde er auch verhaftet. Seine Verbindung zur
„Bekennenden Kirche“ und Dietrich Bonhoeffer konnte ihm von der Gestapo nicht
nachgewiesen werden, so dass er wieder auf „freien Fuß“ gesetzt wurde.
1945, nach Beendigung des Krieges,
schlug Walter Euckens Stunde. Man muss es sich vergegenwärtigen, trotz
Arbeitslosigkeit herrschte keine Beschäftigungslosigkeit. 400 Millionen
Kubikmeter Schutt mussten beseitigt und Essbares gehamstert werden. Es
herrschte zunächst weiterhin die Verteilungswirtschaft des 3. Reiches. Die
Reichsmarkt erfüllte nicht mehr die Geldfunktion. Es entstand der so genannte
„Schwarzmarkt“ und die Zigarettenwährung. Der Naturaltausch nahm ungeahnte
Formen an, was einen umfangreichen arbeitsteiligen Produktionsprozess unmöglich
machte. Die entstandene Wirtschaftsform kann als primitiver bezeichnet werden
als die zur Zeit Karl des Großen.
Aus den gegebenen Umständen ergab
sich die dringende Notwendigkeit einer Wirtschafts- und Währungsreform. Die
ökonomische Auferstehung des Landes verdankt die Bundesrepublik Deutschland zum
großen Teil dem „kalten Krieg“. Ohne den Marshall-Plan wäre eine rasche
Wirtschaftserholung im Zuge der Reformen wohl nicht möglich geworden.
Es blieb Ludwig Ehrhard
vorbehalten, die Vorstellungen von Walter Eucken politisch umzusetzen. Gegen
sehr viele Widerstände setzte er das Konzept einer kapitalistischenMarktwirtschaft mit sozialem Anspruch durch,
wie es im Prinzip Euckens Vorstellungen entsprach.
Am 21. Juni 1948, dem Tag nach der
Währungsreform, wagte er einen entscheidenden Vorstoß ohne Vollmacht der
Allierten. Im Rundfunk erklärte er, dass bestimmte Konsumgüteraus der Verteilung abgekoppelt und dem freien
Handel überlassen würden. Mit diesem Handstreich brachte Ehrhardt nicht nur die
Allierten, sondern auch die SPD gegen sich auf, und wurde nach Frankfurt zur
Militärregierung zitiert. Die frohe Botschaft und die Entscheidung für eine
freie Wirtschaftsform wurde aber nicht zurückgenommen.
Der wirtschaftliche Aufschwung
trat aber erst nach 5 Jahren ein. In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass
im Rahmen der Währungsreform Ersparnisse rigoros abgewertet wurden. Der Wert der Staatspapiere, mit dem sich das
Hitler-Regime verschuldete, fiel in den Keller, was damals insbesondere
die „kleinen Leute“ traf. Die Reichen blieben weitgehend verschont, da Eigentum
von Aktien und Grundstücken erhalten blieb. Hieran konnte auch ein
„Lastenausgleich“ wenig ändern.
Wie Walter Eucken sich den
Ordnungsrahmen für die Deutsche Wirtschaft vorstellt, schildert er in seinem
Werk, das nach seinem Tod unter dem Titel „Grundsätze der Wirtschaftspolitik“
erschien und den sogenannten Wirtschaftsexperten in dieser Republik dringend
empfohlen wird.
Die Politik des „Laissez faire“,
die im vorigen Jahrhundert, zur Zeit der Industrialisierungdas Wirtschaftsgeschehen bestimmte, war
Eucken zutiefst zuwider, welches das Konzept der Neoliberalen der Chicagoer-
und Österreichischen Schule ist, deren bekannteste Vertreter Friedman und Hayek
sind. Der „neoliberale“ Volkswirt aus Freiburg erklärte, dass in den Menschen
ein tiefer Trieb stecke, die Konkurrenz auszuschalten und eine Monopolstellung
zu erobern. Um die Preise und damit die Gewinne nach oben zu treiben, lassen
die Monopole die Knappheit größer erscheinen, als sie faktisch ist. Eine
derartige Verhaltensweise bzw. Logik führt sogar dazu, Waren zu vernichten.
Dieses Fehlverhalten ist beispielsweise Strategie in der
Landwirtschaftspolitik. Um die Preise zu halten, erfolgt ein Export zu
Dumpingpreisen, welche die Wirtschaft in den Importländern bewusst schädigt,
oder eine planmäßige Vernichtung.
Es ist festzustellen, dass die
Laissesz-faire-Wirtschaft der so genannten Neoliberalen in der Neuzeit als
gescheitert anzusehen ist, genau so, wie die Plan- oder Zentrale
Verwaltungswirtschaft. Walter Eucken erklärte den Staat zum unentbehrlichen
Wächter über den Wettbewerb. Er entwickelte Grundsätze, die dem Staat
einerseits verbieten in den Wirtschaftsprozess einzugreifen, ihm aber
andererseits eine gesetzlich verankerte Macht zuweist, um eine größtmögliche
Konkurrenzdurchzusetzen.
Die Grundsätze, die den
Wettbewerb begründen, nannte Eucken die „konstituierenden Prinzipien“, wobei
als höchster Grundsatz ein menschenwürdiges Wirtschaften anzustreben ist.
Walter Eucken hat das Schicksal
seiner Lehre nicht mehr erleben können. Auf einer Vortragsreise verstarb er am
20. März 1950 in London an einem Herzinfarkt.
Abschließend ist festzustellen,
dass die Väter der „Sozialen Marktwirtschaft“ u. a. den gemeinnützigen
Wohnungsbau, staatlich begünstigte Vermögensbildung für Arbeiter und An-
gestellte, den Ausbau der Renten- und
Arbeitslosenversicherung und die gerechtere Verteilung der Einkommen als sozial
verstanden haben.
Der Leser mag selbst entscheiden,
was die Gründe für die derzeitigen volkswirtschaftlichen Probleme und des Chaos
sind, und was von den „sozialen Zielen“ übrig geblieben ist. Allerdings scheint
es unumgänglich, dass sich die
Experten in diesem Lande dringend
mit ethischen Grundsätzen und Walter Euckens Werk „Die konstituierenden
Prinzipien“befassen sollten.
Literaturhinweise:
Paul-Heinz Koesters „Ökonomen
verändern die Welt“
Walter Eucken „Grundsätze der
Wirtschaftspolitik“
Walter Eucken „Nationalökonomie –
wozu?“
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