Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Lisz Hirn
Dieser Tage
scheint sich die Welt, um das zu drehen, von dem anscheinend viel zu wenig da
ist. Klar ist vom lieben Geld die Rede. Man hasst oder liebt es, brauchen tut
man es, besser mehr, als zu wenig. Geld scheint das Realste unserer Existenz zu
sein, es scheint unser Überleben zu gewährleisten. Geld spiegelt unsere
menschliche Bedürfniswelt wieder und unseren Versuch, diese zu befrieden.
Viele reden
ungern über finanzielle Angelegenheiten, werden aber gerade von Geldfragen
intensivst beschäftigt und von Geldsorgen geplagt; bei manchen sind letztere
existentiell. Keiner redet gern über sein Geschäft und muss es doch machen. Das
führt uns direkt zum Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud. Kein Wunder, dass
dieser eigene Theorien zum Thema „Geldgeschäfte“ aufgestellt hat. Darum geht es
in grober Kurzfassung: Jeder Mensch befindet sich während seines 2-3.
Lebensjahres in der sogenannten „analen Phase“. Die
Lust wird zu diesem Zeitpunkt durch den Vorgang der Defäkation erzielt. Anfangs
nur durch das Ausscheiden, später auch durch das Zurückhalten der Exkremente.
Es kommt zu einem spannungsvollen Zustand zwischen Geben und Halten.In dieser Phase geht es darum,
Kontrollmechanismen zu erlernen und sich an die Erfordernisse der Umwelt
anzupassen. Störungen in diesem kritischen Alter, insbesondere durch zwanghafte
Sauberkeitserziehung, können zu "manischen" oder zwanghaften
Persönlichkeitstypen führen. Diese machen sich durch starke Unterdrückung von
Aggressionen, Kontrollsucht, Geiz und extreme Reinlichkeit bemerkbar. Bei
manchen Kindern kann es zusätzlich zu einer starken Trennung zwischen
Vorstellungen und tatsächlichen Gefühlen kommen.
Wobei die tatsächlichen Gefühle, Bedürfnisse
und Antriebe aus dem Bewusstsein gedrängt werden. Diese stetige Verdrängung
trägt logischerweise nicht zu mehr Selbsterkenntnis und Entfaltung persönlicher
Qualitäten bei.
Dieses Defizit wirkt sich für die Betroffenen in allen
Bereichen negativ aus, im Speziellen aber im finanziellen Bereich, im Umgang
mit dem „lieben Geld“. Nicht zufällig heißt es im Volksmund: „Geld verdirbt den
Charakter.“ (Oft ist der Charakter jedoch schon vorher verdorben worden.) Das
muss aber nicht sein, vielmehr kann Geld eine Gelegenheit bieten, das eigene
„Wachstum“ zu fördern. Auf den ersten Blickmutetder Vorschlag Jacob
Needlemans ungewöhnlich an. Dieser schreibt in seinem Buch „Geld und der Sinn
des Lebens“: „Geld muß zu einem Instrument der Suche nach Selbsterkenntnis werden.
Geld muß ein Werkzeug für das einzige Wagnis werden,
das sich für jeden Mann und jede moderne Frau einzugehen lohnt, wenn sie
ernsthaft nach dem Sinn ihres Lebens suchen: Wir müssen das Geld dazu benutzen,
uns selbst zu erforschen, wie wir sind und wie wir werden können.“ Von einem
anderen Blickwinkel aus, kann uns der schnöde Mammonmehr sein, als sinnlos angehäufter
materieller Besitz beziehungsweise Reichtum, denn: „Es geht einzig und allein
darum, für das Geld den richtigen Platz im menschlichen Leben zu finden und
dieser Platz ist sekundär. Unser Ziel ist es zu verstehen, was es
bedeutet, das Geld in unserem Leben zu einer sekundären Sache zu machen.“ Und
wieso das? Um ein gewisses Maß an innerer Freiheit gewinnen zu können und damit
bestenfalls menschlichen Werten wie Wohltätigkeit, Frieden, breite medizinische
Versorgung und damit Gesundheit einen fruchtbaren Boden bereiten zu können. Die
Umsetzung solcher Werte scheint momentan irreal, nichts scheint realer und
präsenter als Geld zu sein. Ohne Geld geht gar nichts, das lässt sich aus allen
Schlagzeilen herauslesen. Obgleich unser Bargeld laufend unsichtbar wird und
nur mehr in Form von Nummer unserer Plastikkarten-Abrechnungen aufscheint. Aber
so wirklich, handfest und real uns unser Geld auch scheint, vor allem unser
Papiergeld war nicht immer selbstverständlich. Wer sich mit der Geschichte des
Geldes auseinandersetzt, wird erstaunt sein, wieviel kollektives Einverständnis
für die Anerkennungeiner Währung oder
überhaupt von Geld notwendig ist.
Das erste Papiergeld wurde in China genutzt. Um 1024 wurde
Papiergeld aus Not und Münzmangel zur Finanzierung eines Krieges eingesetzt.
Viele Jahrzehnte später entdeckte der venezianische Seefahrer Marco Polo auf
einer seiner Reisen kaiserliche Banknoten aus Papier, die als allgemeines
Zahlungsmittel verwendet wurden. Für Europäer zu diesem Zeitpunkt
unvorstellbar, denn sie waren Münzen aus Edelmetallen gewohnt. Wer von ihnen
würde bedrucktes Papier als Wert akzeptieren? Apropos: Im 15 Jahrhundert wurde das
Papiergeld in China wieder abgeschafft. Der Grund war,dass die Herrscher gewaltige Mengen von
Banknoten drucken ließen, ohne deren Deckung zu beachten. Das führte zu
wiederholter Inflation in China. (Mancher Leser mag nun Parallelen zu der
jetzigen Situationen einiger europäischer Staaten ziehen.) In Europa wurde
Papiergeld erst viel später eingeführt, nämlich im Laufe des 15. Jahrhunderts
n. Chr. Zu dieser Zeit diente es jedoch als Ersatz für fehlendes Münzgeld und
niemand dachte, dass es auf Dauer die Münzen ersetzen könnte. Dies war ein
offensichtlicher Fehlschluss; heute rätselt man, ob Plastikkarten die gesamte
Währung ersetzen könnten. Einige Verunsicherte setzen nun auf Gold, welches
eine ebenso wechselhafte Geschichte aufweist wie unsere Währungen. Eine Episode
soll dies veranschaulichen: Wir schreiben das Jahr 1519. Die Eingeborenen sind verwundert. Die Fremdlinge sind wenig an ihren Schätzen,
zum Beispiel kostbaren Edelsteinmasken in Obsidian, Türkis und vor allem Jade,
interessiert. Stattdessen bevorzugen sie jenes gelbe Edelmetall, dass sie
selbst als minderwertig erachten, als Exkremente ihrer Götter. Die Rede ist von
Gold. Vor allem ein gewisser Hernán Cortés hat besonderes Interesse daran. Das
Kronland Spanien benötigt das Edelmetall dringend; nicht zuletzt auch für die
Produktion seiner Münzen. Die Ironie der Geschichte ist schwer zu übersehen;
Freud hätte seine Freude daran gehabt.
Seit dem
Goldfluss aus den Kolonien ist viel Zeit vergangen und Europas Wohlstand ist
ins Wanken geraten. Die erste Welt ist in einer Dauerkrise der Werte, sowohl
der monetären als auch der ethischen. Die „goldenen“ Zeiten sind vorbei und wir
benötigen andere Mittel, um zu Selbsterkenntnis und neuem sozialen Wohlstand zu
gelangen. Die können nicht irgendwo in einem abgelegenen Ashram oder in den
Wirren aufkommender Fanatismen beginnen, sondern inmitten des gewöhnlichen
Lebens des modernen Menschen. Und dieser will, zumindest nach dem Soziologen
und Philosophen Max Weber, „[...] >von Natur< nicht Geld und mehr Geld
verdienen, sondern einfach leben, so leben, wie er zu leben gewohnt ist, und so
viel erwerben, wie dazu erforderlich ist.“
Needleman, Jacob. 1995, Geld und der Sinn des Lebens. Frankfurt/Main:
Suhrkamp Taschenbuch, S. 77-79.
Weber, Max. 1991. Die protestantische Ethik, I und II.
Eine Ausatzsammlung. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, S. 70.
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