Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Rainer Westphal
Der Verfasser dieses Kommentars
ist nicht dafür bekannt, dass er der Ausweitung des Euro- Rettungsfonds
ablehnend gegenüber steht. Es hat achtzehn Monate gedauert, bis die Kanzlerin
aller Deutschen dem Kernproblem in dieser Angelegenheit näher gekommen ist.
Aufgrund der zögerlichenVerhaltensweise
hat sich das Problem zu einer realen Krise in der EU ausgeweitet. Es kann sogar
behauptet werden, dass das bestehende Problem, dieses bezieht sich auch auf die
so genannte Finanzkrise, mehr oder weniger durch mangelhafte Fähigkeiten der
Protagonisten entstanden ist. (1)
Was sich während dieser Zeit in
den Medien abgespielt hat, ist nicht mehr in Worte zu fassen. Mit einer
seriösen Berichterstattung dürfte dieses nichts mehr zu tun haben. Mit Parolen,
welche zu Recht als Latrinen- oder Stammtischparolen zu bezeichnen sind,
erfolgte eine teilweise unerträgliche Meinungsmache, die auch vor der
Diffamierung der Menschen in Griechenland nicht halt machte. Wenn so genannte
Boulevardblätter derartiges Verhalten an den Tag legen, dann liegt dieses
offensichtlich in der Natur der Sache. Wenn aber Medien derartiges tun, die für sich
den Anspruch erheben an einer Meinungsbildung in diesem Lande teilhaben zu
wollen, dann dürfte die Grenze des Erträglichen überschritten sein. (2)
Es ist in dieser Angelegenheit
festzustellen, dass es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
politische Interessengruppen gibt, welche Einfluss auf die Presse, und
letztendlich auf die Finanzmärkte ausüben, um das Projekt eines vereinten
Europas zu Fall zu bringen.
Der Rettungsfonds EFSF wurde nunmehr
auf ein Volumen von 440 Milliarden Euro an Bürgschaften ausgeweitet, und
zusätzlich sind Interventionen der EZB auf dem so genannten Sekundärmarkt in
Form des Aufkaufs von Staatsanleihen möglich. Für den Normalbürger erscheint
eine Summe von 44O Milliarden Euro ein ungeheuerlicher Betrag. Zunächst handelt
es sich jedoch nur um Bürgschaften. Allerdings dürfte mit einem Schuldenerlass
zwecks Sanierung der Staatsfinanzen in Griechenland in absehbarer Zeit mit 50 %
zu rechnen sein.
Die Vorstellung, dass es sich in
diesem Zusammenhang um astronomische Beträge handelt, ist keineswegs
realistisch. Man bewegt sich bei dieser Summe immer noch auf „dünnem Eis“, und eine
Erhöhung auf insgesamt 1 Billion Euro ist nicht auszuschließen. Dieses wird
dadurch sehr deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass an „guten Tagen“ an
den Devisenmärkten ein Tagesumsatz von 4 bis 5 Billionen US $ erzielt wird. Schon
werden Forderungen laut, welche auf die Anwendung eines Kredithebels abheben.
Der Volksmund bedient sich
gelegentlich weiser Sprüche, welche dann als Binsenweisheiten deklariert
werden. Einer dieser Sprüche ist auf das EU-Problem in der bestehenden
Vorstellung anwendbar und der da lautet:
„Eine Kette ist nur so stark, wie ihr schwächstes Glied“.
Es ist bekannt, dass aufgrund
eines Referendums in Frankreich und den Niederlanden die ursprüngliche EU-Verfassung
abgelehnt wurde. Diese wurde ironisch auch als Verfassung von Winkeladvokaten
für Aristokraten tituliert. Kein Artikel dieser „Verfassung“ hat sich u. a.
damit befasst, dass Eigentum eine Verpflichtung beinhaltet. Um die Kernpunkte
dieser „Verfassung“ auf dem Umweg doch einzuführen, wurde der Lissabon-Vertrag
konstruiert.
Vergegenwärtigt man sich, dass
ein Inhalt dieses Vertrages ist, dass kein Mitgliedsland einem anderen
wirtschaftliche oder finanzielle Hilfe zukommen lassen darf, und darüber hinaus
Kapitalverkehrsbeschränkungen verboten sind, dann wird die Unsinnigkeit dieser
Konstruktion erkennbar. Hinzu kommt noch der Maastrich-Vertrag, welcher eine
Beschränkung der Defizite auf 3 % jährlich, gemessen am BIP, vorsieht. Die
Konstruktion der EU sieht eine gemeinsame Währung unter dem Gesichtspunkt vor,
dass ein Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern stattfinden soll. Wie unter
diesem Gesichtspunkt ein Euro dauerhaft funktionieren kann, dürfte das
Geheimnis der Juristen bleiben, die dieses Konstrukt erfunden haben. Die eingetretene
Finanzkrise führte letztendlich dazu, dass das Problem der Staatsverschuldungen
abrupt aufgetreten ist. Hierzu gehört wohl auch die Erkenntnis, dass ein
Wettbewerb auch immer Verlierer hervorbringt, welche dann als schwächeres Glied
in der Kette bezeichnet werden können.
Mit Schaudern kann man sich an
die Äußerungen von Frau Dr. Merkel erinnern, welche die Schaffung von
Euro-Bonds mit dem Hinweis ablehnte, dass damit gegen Prinzipien des
Wettbewerbs verstoßen würde. Richtig dürfte sein, dass für eigene
Schuldverschreibungen unter neuen Bedingungen höhere Zinsen anfallen würden.
Die Kanzlerin aller Deutschen ver- kündete sogar, dass 60 % der Exporte in EU-Länder
erfolgen würden, ohne darüber nachzu- denken, dass diese zu negativen Ungleichgewichten
in den Handelsbilanzen von Mitgliedsländern führen kann, die zudem noch von
Banken finanziert werden. Das Maß an Inkompetenz dürfte hiermit weit
überschritten worden sein. Das Stabilitätsgesetz aus dem Jahre 1967 wird mit
„Füßen“ getreten. Dabei verkündete Frau Dr. Merkel vor einigen Tagen, dass man
seit Jahrzehnten einer falschen Philosophie folgen würde, die da lautet:
„Wachstum, Wachstum über alles!“
Über die Konsequenzen, welche die
Kanzlerin aller Deutschen aus dieser Erkenntnis zieht, streiten sich bis heute
die Gelehrten.
Es besteht allerdings die
Hoffnung, dass man nunmehr begriffen hat, dass die Existenz einer EU und deren
Weiterentwicklung davon abhängig ist, dass man miteinander und nicht
gegeneinander im internationalen Wettbewerb, auch Globalisierung genannt, tätig
wird. Die Existenz der EU ist von der Bereitschaft der Mitglieder abhängig,
dass Kompetenzen an europäische Institutionen abgeben werden.
Es ist unumgänglich, dass
gemeinsame Wirtschafts- und finanzpolitische Entscheidungen gefällt werden. Es
wird eine intensive Strukturpolitik erforderlich, um nicht in die Situation zu
kommen, dass ganze Landstriche entvölkert werden. Die Erfahrungen aus der
Wiedervereinigung können hierzu eine Grundlage bilden. Erinnert sei an die negativen
Folgen, welche durch die rücksichtslose Politik der Treuhand entstanden sind,
da entsprechende Überlegungen in Sachen Griechenland angestellt werden. Zwecks
Verringerung der Staatsverschuldung ist eine drastische Privatisierung
vorgesehen.
Bei der Tätigkeit der damaligen
Treuhand in Sachen Privatisierung wurden bestehende Bevölkerungsstrukturen, was
die Ansiedlung betrifft, einfach ignoriert. Industrieunternehmen wurden
aufgekauft und geschlossen mit dem Ziel, eine mögliche Konkurrenz
auszuschalten. Es ist bis heute nicht gelungen, die unterschiedlichen
Lebensbedingungen zwischen den alten und neuen Bundesländern befriedigend anzugleichen.
Die Folge ist, dass die Alterstruktur der Bevölkerung in weiten Landstrichen der
neuen Bundesländer, aufgrund der Abwanderung, dramatische Züge angenommen hat.
Aus den vorangegangenen
Ausführungen wird deutlich, dass aufgrund einer fehlenden EU – Verfassung
erhebliche juristische Probleme, die auch nicht über Kunstgriffe von Winkeladvokaten
repariert werden können, vorhanden sind. Das Bundesverfassungsgericht hat
klargestellt, dass die bestehende Verfassung der Bundesrepublik Deutschland
solange Gültigkeit hat, bis eine neue eingeführt wird, welche dann durch eine Volksabstimmung
zu legitimieren ist.
Um die EU-Probleme einer Lösung
zuführen zu können, bedarf es einer Korrektur des Lissabon-Vertrages, der die
Notwendigkeit gemeinsamer Institutionen festlegt, welche mit entsprechender
Kompetenz ausgestattet werden, um weitreichende Harmonisierungen ein- zuleiten.
Betrachten wir nun die rechtliche
Umsetzung der EU-Bürgschaften. Da erklärt das Bundes- verfassungsgericht im
Urteil die Rechtmäßigkeit einer Gesetzgebung, moniert aber gleich- zeitig, dass
diese inkorrekt, ohne Parlament, zustandegekommmen ist. Diese Entscheidung kann als außerordentlich merkwürdig
bezeichnet werden, und dürfte aufgrund geschaffener Tatsachen entstanden sein.
(3).
Die parlamentarische „Behandlung“
der Erweiterung des Rettungsschirms EFSF brachte Dinge hervor, die erhebliche
Zweifel an der Demokratie dieses Landes als berechtigt erscheinen lassen. Gem.
Artikel 38, Absatz 1, Satz 2 des Grundgesetzes ist jeder Abgeordnete lediglich
seinem Gewissen gegenüber beiAbstimmungen
verantwortlich. Um eine Kanzlermehrheit bei der Abstimmung zu erzielen, hat man
offensichtlich auf das Instrument der Nötigung von Abweichlern zurückgegriffen.
Darüber hinaus wurden die Betroffenen ausgegrenzt, und neben üblichen
Mobbingaktivitäten wurden Beleidigungen ausgesprochen. Dem Bundestagspräsident
Norbert Lammert wurden juristischen Schritte angedroht, da er einigen
Abweichlern eine Redezeit im Bundestag zubilligte. Nötigung scheint
offensichtlich in diesem Lande immer häufiger zum Mittel der „gelenkten
Demokratie“ zu werden. Diese zeigt auch die „gesetzte Gesetzgebung“ in Sachen
ALG II. (4)
In diesem Zusammenhang ist
deutlich zu machen, dass das eingetretene Chaos und fehlende juristische
Grundlagen es als durchaus berechtigt erscheinen lassen, dass Abgeordnete
intensiv eine Gewissensprüfung vornehmen, und es demnach nicht ausbleiben kann,
dass andere Meinungen zustande kommen. Daran, wer letztendlich die Zeche für
die eingetretene Fehlentwicklung zu zahlen hat, wird in diesem Kommentar nicht
eingegangen. Leider wird davon auszugehen sein, dass die eingetretene
Verschuldung von oben nach unten verlagert wird.
Wenn ein Herr Ackermann als
Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank davor warnt, dass weitere
Privatanleger an den Kosten der Euro-Krise beteiligt werden, dann sei daran er-
innert, dass er einer derjenigen war, welche die Gier der so genannten Märkte
angestachelt hat mit der Forderung einer jährlichen Kapitalverzinsung über 10
%.
Insgesamt wirft aber die
Verhaltensweise der Regierungskoalition ein besonderes Licht auf die vorhandene
politische Kultur dieses Landes. Hierzu gehört auch, dass ein Herr Voßkuhle,
angesprochen auf die Unfähigkeit des Parlaments in Sachen Wahlrecht, großspurig
verkündete, dass bei notwendigen Neuwahlen beim nicht vorhandenen Wahlrecht das
Gericht dieses Problem alleine lösen würde. Bestrebungen, marktwirtschaftlich
auf die Klageflut beim Bundesverfassungsgericht zu reagieren, werden angedacht.
Im Gespräch sind Kosten für Verfassungsklagen von 5000 Euro. Hinzu kommt, dass
Rechtspfleger, also juristische Laien, die Berechtigung einer Klage prüfen
sollen, um so genannte Querulanten herauszufiltern.
Dass die Politik der
Regierungskoalition erst auf Ereignisse reagiert und dies noch mit einer
erheblichen zeitlichen Verzögerung, lässt den Schluss zu, dass Konzepte und
Sachverstand fehlen, um die anstehenden Probleme einer zukunftsbezogenen Lösung
zuzuführen. Eine der- artige Politik führt zwangsläufig zum
Glaubwürdigkeitsproblem. Das Desaster wäre perfekt, wenn dieser Virus auf die
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts überspringen würde. Die jüngsten
Äußerungen des Herrn Voßkuhle weisen auf eine derartige Möglichkeit hin.
(1) Griechisches Monopoly,
Tabularasa-jena.de
(2) Die Manipulation der
öffentlichen Meinung, Tabularasa-jena.de
(3) Wie verfassungstreu ist das
Bundesverfassungsgericht, Tabularasa-jena.de
(4) Weitreichende Verschärfung
der Hartz IV-Gesetzgebung, Tabularasa-jena.de
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