Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Burkhard Kühnemund
Einleitung
Gemeinhin
wird unter dem Adam Smith-Problem der Widerspruch zwischen der auf Sympathie gegründeten‚Theorie der ethischen Gefühle’ und dem auf Eigeninteresse
beruhenden ‚Wohlstand der Nationen’
verstanden.Auch wenn Sympathie nicht
mit altruistischem Handeln gleichzusetzen und Eigeninteresse nicht als radikaler
Egoismus zu interpretieren ist, so bleibt zunächst eine Differenz zwischen ethischer
und ökonomischer Theorie. Die ‚Theorie der ethischen Gefühle’ basiert auf der
menschlichen Befähigung zum empathischen Verstehen der Beweggründe der Anderen,
der ‚Wohlstand der Nationen’ dagegen auf egoistisch am Markt handelnder menschlicher
Selbstliebe. Trotz des rein am Eigeninteresse orientierten Handelns entsteht gesellschaftlicher
Reichtum, an dem alle gesellschaftlichen Gruppen partizipieren.[1]
Patzen
fasst die bisherigen Versuche, das Adam Smith-Problem zu lösen, zu insgesamt
fünf theoretischen Ansätzen zusammen:
1.
Die ‚Umschwungtheorie’ meint einen
Gesinnungswandel von Adam Smith anlässlich eines Frankreichbesuches im Jahr
1759 feststellen zu können. Die materialistische Ausrichtung von Adam Smith
Denken habe zu gewandelten anthropologischen Grundannahmen in seiner
Untersuchung des Wohlstandes der Nationen geführt. Die Umschwungtheorie ist
aber leicht zu entkräften, da Adam Smith die Theorie der ethischen Gefühle nach
der Veröffentlichung des Wohlstandes der Nationen nochmals für eine Neuauflage
erneut überarbeitet hat, ohne auf die Sympathie verzichtet zu haben.
2.
Die
‚Aspekttheorie’ meint Smith habe phänomenologisch in einem Buch die menschliche
Natur als mitfühlendes Wesen und im anderen das eigennützige Verhalten des
Menschen darstellen wollen. Insbesondere glaubten in der frühen Auslegung viele
Interpreten, Smith habe aus methodologischen Gründen ein jeweils selektives
Menschenbild dargestellt.
3.
Die
‚Sein/Sollen-Theorie’ erweitert die deskriptive Interpretation der‚Aspekttheorie’ zu einer deskriptiv/präskriptiven.
Die Theorie der ethischen Gefühle sei ein ethischer Entwurf, wie sich der
Mensch zu Verhalten habe, der Wohlstand der Nationen dagegen eine Beschreibung wie
der Mensch wirklich ist. Die Schwäche dieses Ansatzes ist es, dass er die
deskriptiven Elemente der Theorie der ethischen Gefühle ebenso vernachlässigt,
wie die präskriptiven Elemente von Smith Theorie der politischen Ökonomie.
4.
Die
‚Natürliche-Harmonie-Theorie’ legt den Schwerpunkt der Interpretation in das
System der natürlichen Freiheit, das auf eine wohltätige Ordnung in der Natur
vertraut, die unter einer göttlichen Lenkung die Wohlfahrt aller Menschen
befördert. Lässt man der natürlichen Ordnung auch im wirtschaftlichen Leben
freien Lauf, so die These, wird der Menschheit ein Höchstmass an Wohlfahrt
gewährt.
5.
Die ‚Realismustheorie’ ist Patzens
Sammelbegriff für den modernen Ansatz der Adam Smith-Forschung, die sich stark
beeindruckt zeigt von ‚Smiths Realismus und seiner tiefen Einsicht in die Natur
des Menschen’. Allerdings zeichnet sich diese Forschungsrichtung auch durch die
Tendenz aus, neben dem alten Adam Smith-Problem noch weitere neue zu schaffen.[2]
Trotz
der beachtlichen Anzahl unterschiedlicher Ansätze zur Aufhebung des Adam
Smith-Problems, liegt noch keine Interpretation vor, die in der wissenschaftlichen
Diskussion als tragfähig gilt. In der vorliegenden Arbeit soll untersucht
werden, ob der Wohlstand der Nationen nicht auf Vorannahmen beruht, die bereits
in der Theorie der ethischen Gefühle formuliert wurden. Zunächst gilt es die
deskriptiv-präskriptiven Elemente von Smith ethischer Theorie kurz
darzustellen, um herauszuarbeiten welcheethischenPrinzipien und
anthropologischen Vorannahmen die Basis fürSmith ökonomische Theorie sind. Sollte sich die Annahme einer engen Verzahnung
von ethischer und ökonomischer Theorie bestätigen, so ist anschließend zu
prüfen, ob im Spannungsverhältnis von Gemeinwohl und Eigeninteresse, nicht
Smith selbst einen Widerspruch zwischen unternehmerischem Eigeninteresse und
Allgemeininteresse verortet, der die Vision einerfreien, wettbewerbsorientierten Gesellschaft
konterkariert, die Wohlstand und Glück für alle Marktteilnehmer bereit hält,
Sympathie
und ethisches Handeln
Die
Theorie der ethischen Gefühle basiert aufder anthropologischen Grundannahme, dass der Mensch nicht nur egoistisch
handelt, sondern sich auch in Form sozialer Teilnahme gegenüber seinen
Mitmenschen, unter Verzicht auf alle egoistischen Neigungen, wohlwollend
verhalten kann. Bezeichnend ist, dass Smith keineswegs versucht, in Abrede zu
stellen, dassder Mensch auch egoistisch
sein kann. Durch phänomenologisches Beobachten zeigt er aber auf, das es
evident ist, dass der Mensch von Natur aus auch zu wohlwollendem Handeln
befähigt ist.
Die Befähigung zu
wohlwollendem Handeln aus ‚Mitleid’ oder ‚Erbarmen’ verortet Smith in der anthropologischen
Anlage zur Sympathie. Sympathie ist zunächst nur die Fähigkeit, die Affekte
anderer Menschen zu erspüren, beinhaltet aber auch einen doppelten Rollentausch.
Der Mensch empfindet die Gefühle der Anderen als wären es die eigenen, ohne zu
vergessen, dass er sich nur in die Situation der beobachteten Person einfühlt. So wie er sich in den Anderen
einfühlt, kann er sich vorstellen selbst von einem unbeteiligten Dritten
beobachtet zu werden.[3]
Sympathie ist nicht nur die Motivationsquelle,
sie ist zugleich auch eine wesentliche Voraussetzung für die epistemologische
Analyse ethischen Handelns. Ethische Handlungen können mit Gewissheit als
solche erkannt werden, wenn sie vier hierachisch aufeinander aufbauende
Bedingungen erfüllen:
Wir sympathisieren
mit den Beweggründen des Handelnden.Wir nehmen teil an
der Dankbarkeit derjenigen, die die wohltätigen Folgen seiner Handlung
empfangen.Das Verhalten ist
den allgemeinen Regeln angemessen, nach denen sich die beiden Formen der
Sympathie gewöhnlich richten.Die Handlung ist
Teil eines Systemes von Verhaltensweisen, die die Tendenz haben die
Glückseligkeit des Individuums oder der Gesellschaft zu fördern.
Die
ersten beiden Bedingungen beruhen auf einer unmittelbaren empathischen Empfindung
des Beurteilenden und sind somit der emotionalen Ebene zuzuordnen.Die letzten beiden Bedingungen können nur durch
den Gebrauch der Vernunft erfüllt werden. Die Vernunft ist bei Smith die Quelle
der allgemeinen Regeln der Sittlichkeit und der sittlichen Urteile.Das besondere an Smith Vernunftbegriff ist,
dass er dem Prinzip der Induktion unterworfen ist. Die allgemeinen Grundsätze
des Sittlichen werden wie alle anderen allgemeinen Grundsätze aus Erfahrung und
darauf aufbauender Induktion gebildet.Aus der Vielfalt der Eindrücke, die unserem moralischen Vermögen
gefallen oder missfallen, entwickeln wir durch die Induktion die allgemeinen
Regeln der Sittlichkeit.[4]
Der
Mensch verfügt nicht nur über die Fähigkeit, Handlungen als ethische zu
erkennen,er wendet sein Urteilsvermögen
nicht nur gegenüber anderen an, es motiviert ihn vielmehr auch selbst, das
eigene Leben gemäß ethischer Prinzipien zu führen. Er hat den Wunsch von
anderen als tugendhafter Mensch geachtet zu werden, zugleich strebt er die
Gewissheit an, sich die Anerkennung der Anderen durch tugendhaftes Handeln
verdient zu haben. Die soziale Kontrolle der Anderen wird durch das Streben
danach, von anderen geachtet zu werden, in weitaus stärkerem Masse
handlungswirksam.[5]
Smith
geht keineswegs von einer sich gegenseitig verstärkenden Förderung ethischen Handelns
durch soziale Kontrolle und ethische Selbstverpflichtung aus. Vielmehr
beobachtet er mit großem Unbehagen eine allgemeine Verfälschung ethischer
Gefühle, angesichts des starken menschlichen Hanges die Reichen und Mächtigen allein
wegen ihressozialen Status zu bewundern
und die Armen zu verachten oder wenigstens zurückzusetzen. Verachtung, die sich
eigentlich gegen ‚Laster’ und ‚Torheit’ wenden sollte, trifft vielmehr Armut
und Schwäche. Statt Weisheit und Tugend, sind es viel häufiger Reichtum und
Vornehmheit die Achtung und Bewunderung hervorrufen.Die Weisen und Tugendhaften sind deshalb
nicht nur eine auserwählte, sondern auch eine kleine Schar von Menschen.[6]
Der
Ehrgeizige dagegen, der durch ‚niedrigste Mittel’ zu Ansehen und Reichtum
gelangt ist, wird zwar vom ‚gemeinen Volk’ verehrt und von den ‚Vornehmen’ und
‚Gelehrten’ umschmeichelt, in seinem Inneren dagegen wütet sein Gewissen und er
fürchtet von der ‚Schande’ eingeholt zu werden. Ganz anders dagegen der Weise
und Tugendhafte, der nicht handelt um des Lobes der Anderen willen, sondern um
der Lobenswürdigkeit der Handlung willen. Maßstab für die Lobenswürdigkeit ist
nicht das Urteil der Mitwelt, es ist das Urteil des vorgestellten
unparteiischen Zuschauers. Das Urteil des vorgestellten unparteiischen
Zuschauers ist für Smith von so starker motivierender Kraft, dass der
unbeteiligte Beobachter von Smith auch als ‚innerer’ Mensch bezeichnet wird, der
für den Menschen die höchste Instanz verkörpert, das eigene Gewissen.[7]
Stoa
und Deismus als normative Basis
Getragen
wird Adam Smith ethisches System von der Lehre der Stoaund des Deismus. Der englische Deismus zeichnet
sichdurch die „Reduktion der
christlichen Glaubensaussagen auf eine universale ‚natürliche’, aller
geschichtlichen Elemente, vor allem der Heilsbedeutung Jesu entschränkten
Religion“ aus. Der Deismus basiert auf dem Vertrauen in einen Schöpfergott, der
die Welt mit dem höchsten Ziel der menschlichen Glückseligkeit geschaffen hat.
Die typische Beschreibung der kosmischen Ordnung ist das Bild des Werkes eines
Uhrmachers, das zwar in höchster Präzision arbeitet, dessen einzelne Räder aber
nicht wissen, was ihre eigentliche Aufgabe und Bestimmung ist.[8]
Mit
dem Deismus vereint Smith der Glaube an ein höheres Wesen, das allwissend,
allmächtig und allgütig ist. Entsprechend dieses Glaubens ist die Ordnung der
Welt eine göttliche Ordnung, die alle Menschen mit einer maximal möglichen
Ausstattung an Glücksgütern versorgt. In einer von Gott geschaffenen
natürlichen Ordnung ist das Wort ‚natürlich’ als ein Synonym für eine
gottgewolltes Geschehen zu Verstehen. Insbesondere sind die Regeln der
Sittlichkeit als natürliche Gesetze der Gottheit anzusehen.
Typisch
für Smith ist die Vereinigung von deistischen und stoischen Überzeugungen in
der Vorstellungvon göttlichen
Eigenschaften, die der Mensch, trotz seines unvollkommen menschlichen Wesens,
versuchen sollte möglichst vollkommen zu leben. Es ist das ‚Wohlwollen’ und die
‚Weisheit’ eines göttlichen Wesens, das die ‚Maschine des Universums’ so
ersonnen hat, dass es das ‚größtmögliche Maß von Glückseligkeit’ für jeden
Menschen hervorbringt. Derjenige, der sich mit den ‚erhabenen’ Betrachtungen
des höchsten Wesens beschäftigt wird ebenfalls Gegenstand der Achtung seiner
Mitmenschen sein. Doch alle ‚erhabene’ Betrachtung rechtfertigt nicht, dass der
Mensch sein eigentlichen Aufgabengebiet vernachlässigt. Er hat sich um das Wohl
seiner selbst, seiner Familie, seiner Freunde und seine Landes zu kümmern. Das
Wohl des Universums ist dagegen allein die Aufgabe Gottes.[9]
Der
stoische Weise hat nach Smith zwar die Aufgabe, sich in die Absichten des ‚Lenkers
des Universums’ hineinzudenken. Allerdings ist er sich bewusst, dass ihm nur
ein kleiner Abschnitt zugewiesen ist, in welchem ihm eine beschränkte
Verwaltung und Leitung zusteht. Er bemüht sich seine Aufgabe zu erfüllen, ohne
dass der Erfolg oder Misserfolg seiner Handlungen auf seine Seelenruhe eine
Auswirkung hätte, da er nicht beurteilen kann, ob der Erfolg oder Misserfolg
ein Teil des göttlichen Planes ist. Für den Stoiker kommt es lediglich darauf
an, sein Spiel gut zu spielen, unabhängig vom Ergebnis des Spieles. Die Natur
lehrt lediglich, dass das Wohlergehen von Mehreren höher einzustufen ist als
das eines Einzelnen und das Aller am höchsten. Demzufolge ist es die Aufgabe
des Menschen das Wohl der Familie, der Freunde, des Landes und der Menschheit
im Algemeinen anzustreben.[10]
Der
positive Aspekt der Religion ist für Smith, dass sie den Menschen motiviert,
göttlichen Gesetzen auch dann zu folgen, wenn er mit keiner irdischen Strafe
bei Zuwiderhandlung rechnen muss. Gott ist als Richter vom gläubigen Menschen
stets gefürchtet. Die ‚Achtung vor dem Willen der Gottheit’ ist für Smith das
höchste Gebot menschlichen Handelns. Allein der Gedanke der Zuwiderhandlung ist
für Smith der Ausdruck ‚empörender Unsittlichkeit’, zugleich aber auch der
Grund, warum er den Zweifel an der Existenz Gottes nicht thematisiert und von
einem Versuch, die Existenz Gottes zu begründen, ganz absieht.[11]
Der
Vorrang der Gerechtigkeit gegenüber dem Wohlwollen
Wie
weit das Vertrauen von Adam Smith in eine natürliche kosmische Harmonie der
Weltentwicklung geht, kann man anhand der euphemistisch anmutenden
Interpretation der Wohlstandsentwicklung angesichts ungleicher
Vermögensverhältnisse erkennen. Smith erkennt in der Verteilung zunächst
ungleichen Vermögens das Wirken einer ordnenden ‚unsichtbaren’ Hand.
‚Der
Ertrag des Bodens erhält zu allen Zeiten ungefähr jene Anzahl von Bewohnern,
die er zu erhalten fähig ist. Nur daß die Reichen aus dem ganzen Haufen
dasjenige auswählen, was das kostbarste und ihnen angenehmste ist.’ ‚Von einer
unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der
zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen, die zustande gekommen wäre, wenn
die Erde zu gleichen Teilen unter alle ihre Bewohner verteilt worden wäre, und
so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse
der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung.’ ‚Als die
Vorsehung die Erde unter eine geringe Zahl von Herren und Besitzern verteilte,
da hat sie diejenigen, die sie scheinbar bei der Teilung übergangen hat, doch
nicht vergessen und nicht ganz verlassen. Auch diese letzteren genießen ihren
Teil von allem, was die Erde hervorbringt. In all dem, was das wirkliche Glück
des menschlichen Lebens ausmacht, bleiben sie in keiner Beziehung hinter jenen
zurück, die scheinbar so weit über ihnen stehen. In dem Wohlbefinden des
Körpers und in dem Frieden der Seele stehen alle Lebensstände einander nahezu
gleich und der Bettler, der sich neben der Landstraße sonnt, besitzt jene
Sicherheit und Sorglosigkeit, für welche Könige kämpfen.’[12]
Unschwer
ist zu erkennen, dass Smith der stoischen Vorliebe für ein einfaches,
bescheidenes, aber auch unabhängiges Leben verpflichtet ist. Dennoch zeigt er
eine erstaunliche Gleichgültigkeit sowohl gegenüber ungleichen
Vermögensverhältnissen wie gegebenen hohen Standesunterschieden, ohne auf den
Begriff der Gerechtigkeit zu verzichten. Gleichwohl ist Smith offensichtlich
der Meinung, dass es im Allgemeininteresse der Gesellschaft ist, wenn sich der
Wohlstand der Gesellschaft vermehrt. Insbesondere meint er eine List der Natur
zu erkennen, die den Reichen im Interesse der Armen handeln lässt. [13]
Neben
diesem Vertrauen in eine prästablisierende harmonische Ordnung ist Adam Smith
die Bedeutung der Gerechtigkeit für ein ziviles gesellschaftliches Zusammenleben
bewusst. Insbesondere kennt er die verschiedenen Formen der Gerechtigkeit in
der platonischen Philosophie. Er gruppiert sie in die kommutative
(ausgleichende) Gerechtigkeit, distributive(austeilende) Gerechtigkeit und die
Gerechtigkeit der vollkommenen Sittlichkeit des Verhaltens. Die kommutative
Gerechtigkeit enthält sich all dessen, was anderen gehört. Die distributive
Gerechtigkeit besteht in ‚richtiger’ Wohltätigkeit und die dritte Form der
Gerechtigkeit beinhaltet die Tugenden der Klugheit, der Tapferkeit und der
Mäßigkeit. Platon, so urteilt Smith, fasst unter Gerechtigkeit die Vollendung
aller möglichen Formen der Tugend zusammen.[14]
Der
Vorgabe Platons folgt Smith in seinen gerechtigkeitstheoretischen Überlegungen
nicht. Er unterscheidet vielmehr in die zwei Grundtugenden der Gerechtigkeit
und des Wohlwollens. Während Wohlwollen immer eine freiwillige Handlung ist,
kann Gerechtigkeit erzwungen werden. Wohlwollen umfasst alle Handlungen, die
aus uneigennützigen Gründen auf den wohltätigen Erfolg eines andern abzielen
und wird auch als Freundschaft, Menschenliebe und Edelmütigkeit bezeichnet.
Gerechtigkeit beinhaltet den Schutz der persönlichen Freiheit vor den
Übergriffen anderer, die Vertragstreue und den Schutz des Privateigentums. Es
handelt sich im Wesentlichen um die Wahrung negativer Freiheitsrechte, deren
Verletzung durch rechtlichen Zwang vergolten werden darf.[15]
Wegen
der basalen Notwendigkeit negativer Freiheitsrechte wird die Gerechtigkeit von
Smith als ‚Fundament’und das Wohlwollen
als ‚Verzierung’ bezeichnet. Sein Urteil erläutert Smith am Beispiel dreier idealtypischer
Gesellschaften, in denen alle Menschen das gleiche Maß an gelebter Tugend
zeigen. Es ist jeweils die Gesellschaft des Egoismus, der Gerechtigkeit und des
Wohlwollens:
1.
In der Gesellschaft des Egoismus leben alle Menschen ihre egoistischen
Neigungen ohne Rücksicht auf ihre Mitmenschen aus. Sie besteht aus Gewalt und
disharmonierenden Gefühlen und hat in Folge die Tendenz sich selbst zu
zerstören.
2.
Die Gesellschaft der Gerechtigkeit zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass ihre
Mitglieder zwar auch egoistisch handeln, aber immer auf streng legalistische
Weise. Alles Handeln erfolgt im Einklang mit gesetzlichen Vorgaben. Der
Prototyp eines solchen Gesellschaftsmitgliedes ist derKaufmann, der durch den finanziellen Austausch
nützlicher Dienste eine vereinbarte Wertschätzung zeigt.
3.
Die Gesellschaft des Wohlwollens ist nicht nur eine idealtypische, sondern
vielmehr auch eine ideale Gesellschaft. Es ist eine ‚blühende’ Gesellschaft
solidarischen Handelns, in der alle sich gegenseitig die Hilfe und
Unterstützung gewähren, derer sie bedürfen. Alle Mitglieder sind durch ‚Liebe’
und ‚Zuneigung’ miteinander verbunden und ‚gravitieren’ um das gemeinsame
Zentrumgegenseitiger guter Dienste.[16]
Die
ökonomische Analyse von Adam Smith
Wie
bereits beschrieben, vertraut Adam Smith auf eine natürliche Ordnung, die zu
einer nach seinen gerechtigkeitstheoretischen Kriterien gerechten Distribution
der erzeugten Güter führt. Einzige Voraussetzung ist die allgemeine Anerkennung
legalistischen Verhaltens, wie am Beispiel des kaufmännischen Ethos
beschrieben. Zu beachten ist, dass eine Gesellschaft, die nur auf der Tugend
der Gerechtigkeit, nicht der des Wohlwollens basiert, zwar eine Steigerung des
Wohlstandes der Nation erreichen kann, sich aber noch nicht im idealen Zustand
der solidarischen Gesellschaft befindet, in der auch die Tugend des Wohlwollens
gelebt wird.
Die
Untersuchung zum Wohlstand der Nationen ist m. E. im Kern eine phänomenologische
Untersuchung, unter welchen Ordnungsbedingungen sich ein Wohlstand entwickelt,
an dem alle Schichten der Bevölkerung partizipieren. Diese Feststellung hat
zunächst nur Behauptungscharakter, kann aber m. E. erklären, warum Smith die
Tugenden des Wohlwollens im Wohlstand der Nationen überhaupt nicht erwähnt. Wie
bereits oben dargestellt, erwartet Smith vom ökonomisch Handelnden lediglich,
dass er legalistisch handelt und sich keiner Übergriffe gegen andere Personen
oder deren Eigentum schuldig macht.
Wie
Adam Smith in der Einführung selbst schreibt, ist die Entwicklung der
Produktivität und die Verteilung der Güter der Untersuchungsgegenstand seines
Werkes. Es handelt sich vom Anspruch her um ein deskriptives Werk, in die
gelegentlich präskriptive Überlegungen gerechtigkeitstheoretischer Art
einfließen.[17]
Die
Voraussetzung für einen sich stetig vermehrenden Wohlstand ist Adam Smith
zufolge eine sich stetig weiterentwickelnde Arbeitsteilung in der Ökonomie. Den
Ursprung der Arbeitsteilung vermutet Adam Smith in der natürlichen Anlage des
Menschen, durch Tausch die Güter zu erwerben, an denen es ihm mangelt. Je
größer der Markt ist, an dem die eigenen produzierten Güter veräussert werden
können, desto mehr kann sich der Produzent spezialisieren, neue Technologien
entwickeln und die Produktivität nochmals steigern.[18]
Zudem
steigt die Produktivität, wenn ein möglichst hoher Freiheitsgrad bei der Wahl
der Produktionsmittel und –verfahren, sowie des Standortes der Produktion herrscht.
Adam Smith verurteilt deshalb vehement alle Beschränkungen einer Zunftordnung und
fordert einen Abbau aller Handelsschranken, freie Berufswahl, sowie die freie
Wahl des Arbeitsplatzes für Lohnarbeiter.[19]
Der
Ort der wirtschaftlichen Gerechtigkeit ist für Adam Smith der Markt. Am Markt
werden alle Produkte entsprechend des geleisteten Arbeitsaufwandes entlohnt.
Wobei Unterschiede in der Anstrengung der Arbeitskraft, der Qualität der
Arbeit, der Dauer in der Ausbildung bei der Preisbildung mit einfließen. Adam
Smith erwartet, dass am freien Markt ein natürlicher Preis ausgependelt wird,
der die erbrachte Arbeitsleistung auf gerechte Weise entlohnt.[20]
In
seiner Werttheorie argumentiert Adam Smith zunächst auf Basis eines von ihm
angenommenen ursprünglichen Zustandes, in dem der Boden frei und noch kein
Kapital angesammelt ist. In dem ursprünglichen Zustand erhält der Arbeiter den
ganzen Ertrag seiner Arbeit.Mit der
Überwindung des ursprünglichen Zustandes ist zunächst vom Ertrag der Arbeit
eine Bodenrente und eine Kapitalrente abzuziehen, um den Arbeitslohn zu
ermitteln. Im Arbeitslohn ist kalkulatorisch auch die unternehmerische
Tätigkeit enthalten. Die Kapitalrente ist lediglich die Rente für den Einsatz
von Kapital.
Eine
normative Wertung bezüglich der Entwicklung von privatem Kapital und von
privatem Grundbesitz findet sich nicht. Adam Smith beschreibt lediglich die
Veränderung für die Wertentwicklung der Arbeit. War der Arbeiter zuvor
derjenige, der allein an der Wertsteigerung des Produktes partizipierte, so
sind es jetzt auch Grundeigentümer und Kapitaleigner. Der natürliche Preis
setzt sich in Adam Smith ökonomischer Theorie aus 3 Faktoren zusammen:
natürlicher Lohn, natürlicher Zinssatz und natürliche Bodenrente.
Höhere
Reallöhne sind nur zu erwarten, wenn in einem wirtschaftlichen Aufschwung die
Nachfrage nach Arbeitskräften das Angebot übersteigt, so dass in Folge höhere
Löhne zu zahlen sind. Generell ist die höchste Lohnhöhe im Aufschwung zu
erwarten, in der Phase der Stagnation, wenn der Zenit des Wohlstandes erreicht
ist, ist der Reallohn bescheidener, in der Phase des Abschwungs ist die Lage
für den Lohnarbeiter ‚elend’.[21]
Der
Kapitalgewinn verändert sich nach anderen Gesetzmäßigkeiten als der Lohn. Im
Aufschwung vermindern steigende Löhne den Gewinn. Es sei denn, der Aufschwung
findet in so vielen Produktionssegmenten statt, dass es einen Mangel an Kapital
gibt. In einem Land mit höchstem Wohlstand sind nur noch geringe Kapitalzinsen
zu erwarten, weil es keinen Mangel an Kapital gibt. Nimmt die Ausstattung mit
Kapital in einem Land ab, ist dagegen mit steigendem Geldzins und niedrigen
Löhnen zu rechnen.Die Unternehmen
können mit einer zweifachen Erhöhung des Gewinnes rechnen, weil sie wegen der
geringeren Investitionsmittel ihre Waren zudem teurer verkaufen können.[22]
Die
Bodenrente richtet sich lediglich nach dem zu erwartenden Preis für das
produzierte Gut. Ist der zu erzielende Gewinn nach Abzug aller Kosten hoch, ist
die Bodenrente ebenfalls hoch, ist der zu erzielendeGewinn nach Abzug aller Kosten niedrig, so
ist die Bodenrente ebenfalls niedrig, da ein Pächter für den Boden nur zu
finden ist, wenn er einen gewissen zu erwartenden Ertrag erwirtschaften kann.
Der Grundbesitzer wird demzufolge immer am wirtschaftlichen Aufschwung in Form
steigender Bodenrente partizipieren.[23]
Der Widerspruch von Unternehmerinteresse und
Allgemeininteresse
Adam
Smith belässt es nicht bei einer Analyse der ökonomischen Parameter, die die Lohnhöhe
der Lohnarbeiter verändern. Er formuliert
auch seine normativen Kriterien, an denen ein gerechter Lohn zu erkennen ist. ‚Es
ist zudem nicht mehr als recht und billig, wenn diejenigen die alle ernähren,
kleiden und mit Wohnung versorgen, soviel vom Ertrag der eigenen Arbeit
bekommen sollen, dass sie sich selbst richtig ernähren, ordentlich kleiden und
anständig wohnen können.’[24]
Adam
Smith argumentiert zwar für das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung der
Arbeiter, da es den ‚natürlichen’ Hang der Unternehmer zu Absprachen bei der
Entlohnung gebe, der auch durch gesetzlichen Vorgaben nicht zu unterbinden sei.
Eine entscheidende Verbesserung der Arbeitsbedingungen erwartet er aber von
freier gewerkschaftlicher Betätigung nicht. Bei der Verbesserung der Arbeits-
und Lebensbedingungen der Lohnempfänger argumentiert Smith markttheoretisch und
setzt seine Hoffnungen auf einen Nachfrageüberhang nach Arbeit im Zuge eines
allgemeinen Wirtschaftsaufschwunges, von dem er eine entscheidende Verbesserung
der Kaufkraft der Loharbeiter erwartet.[25]
Wächst
der Wohlstand eines Landes, so führt dies nicht nur zum Anstieg der Löhne
sondern ebenfalls zu steigenden Grundrenten. Das Interesse der Großgrundbesitzer
ist untrennbar mit dem Allgemeininteresse der Gesellschaft verbunden. Alles was
den Interessen der Großgrundbesitzer dient ist, so Smith, auch mit dem
Allgemeininteresse des Landes verknüpft.[26]
Am
Ende des 1. Buches seiner Untersuchung zum Wohlstand der Nationen kommt Adam
Smith zu einem furiosen Schluss. Die Gewinnspanne der Unternehmer steigt so
wenig im wirtschaftlichen Aufschwung wie sie in der Depression sinkt. Sie ist
normalerweise in reichen Ländern niedriger und in armen Ländern höher. Sie ist normalerweise am höchsten in den
Ländern, die sich im Niedergang befinden. Kaufleute und Fabrikanten sind in einer
marktwirtschaftlichen Ordnung die beiden Gruppen, die gewöhnlich die größten
Kapitalien investieren, ihr Interesse hat aber verglichen mit den
Eigeninteressen der Lohnarbeiter und Großgrundbesitzer den geringsten Bezug zum
Allgemeinwohl.[27]
Zwar
stimmen in Smith Analyse die ökonomischen Eigeninteressen der Lohnarbeiter und
Großgrundbesitzer mit dem Allgemeininteresse der Gesellschaft überein. Auf
Grund gewisser Vorbedingungen sind beide Gruppen aber nicht in der Lage ihre
Interessen in dem Masse bei staatlichen Entscheidungen einzubringen, wie die
Unternehmer Einfluss auf den Staat nehmen können. Die Großgrundbesitzer haben
wegen ihrer komfortablen Lage einen ‚Hang zur Trägheit’ und die Arbeiter sind
nicht informiert genug. Zudem erlaubt ihre ‚Erziehung’ und ihre ‚Gewohnheit’
nicht, selbst wenn sie umfassend informiert sein sollten, die geeigneten
Forderungen zum Umsetzen ihrer Interessen aufzustellen.[28]
Ganz
anders dagegen die Unternehmer, die wegen ihrer Erfahrung beim Entwickeln und
Vorantreiben von Projekten einen enormen ‚Scharfsinn’ und ‚Sachverstand’
entwickelt haben.
Ohne
den Beitrag der Unternehmer zur kreativen und innovativen Verbesserung
produktiven Wirtschaftens, ließe sich der Wohlstand der Nationen nicht
vermehren. Gleichwohl haben die Unternehmer das Bestreben, den natürlichen
Anteil der Arbeiter und Grundbesitzer am Gewinn zu ihren Gunsten zu mindern.
Die Unternehmer verstehen es aber auch, Interessensforderungen, die dem
Gemeinwohl entgegengesetzt sind, als vermeintliche Allgemeininteressen
auszugeben. Smith spricht von ‚bereden Beispielen’ und rät dem Staat dringend, die
Forderungen von Unternehmern ‚misstrauisch’ und ‚argwöhnisch’ zu prüfen. Denn
die soziale Schicht der Unternehmer sei daran interessiert ‚die Allgemeinheit
zu täuschen’ und zu übervorteilen. Trotz des von Smith selbst analysierten
Gegensatzes von Unternehmensinteresse und Allgemeininteresse verharrt Smith bei
der zuvor bereits formulierten Forderung, den Markt und den Wettbewerb
auszuweiten.[29]
Resümee
Das
von Smith erkannte Problem der Superiorität der unternehmerischen
Interessensvertretung gegenüber dem gesellschaftlichen Allgemeininteresse
drängt nach einer systematischen Auflösung. Angesichts der Forderung von Smith
nach einem allgemeinen staatlichen Bildungsauftrag könnte auf eine
emanzipatorische Absicht geschlossen werden.[30]
Zunächst
wäre eine solche Schlussfolgerung bei einem prominenten Vertreter des ‚scottish
enlightment’ nahe liegend Doch sollte berücksichtigt werden, dass der
Bildungsauftrag des Staates bei Smith nur ein eingeschränkter ist. Bei der
Universitätsausbildung vertritt Smith die Meinung, dass sie vollständig von den
Elternfinanziert werden sollte. Der
Staat hat lediglich die Aufgabe, eine Elementarausbildung der Bevölkerung zu
finanzieren. Um die staatlich finanzierte Elementarausbildung zu begründen,
argumentiert Smith, dass ein möglichst hoher Bildungsstandard auch die
Produktivität des Landes erhöht. Zudem erwartet er, dass eine Grundbildung die
Menschen von ‚Unwissenheit’ und Dummheit befreit. Er betont aber auch, dass mit
der Bildung die Menschen auch ‚ordentlicher’ und ‚zuverlässiger’ werden und die
Ziele hinter dem ‚Geschrei nach Zwietracht und Aufruhr’ besser erkennen können.
Es findet sich aber keine Textpassage in der Smith argumentiert, dass die
einfache Bevölkerung durch gute Bildung befähigt wäre, ihre eigenen Interessen zu
erkennen, geschweige denn sie zu formulieren und im gesellschaftlichen Diskurs
durchzusetzen.[31]
Besonders
erstaunlich ist, dass Smith zwar bereits im analytischen Teil des Wohlstands
der Nationen die Aporie von unternehmerischem Eigeninteresse und
gesellschaftlichen Gesamtinteresse aufzeigt, aber eine mögliche Auflösung
dieses Grundwiderspruchs im Fortgang seiner Untersuchung nicht weiter
thematisiert. Eigentlich hätte Smith mehreren grundsätzlichen Fragen nachgehen
müssen. Zum einen fordert seine ökonomische Theorie eine maximal mögliche
Realisierung des freien Marktes, ohne aufzuzeigen wie in einem freien Markt
verhindert werden, dass die superiorenunternehmerischer Interessen ungehindert staatliche Entscheidungen
lenken können.
Zudem
hätte Smith wegen des unerwarteten Ergebnisses seiner ökonomischen Analyse die
Ausgangsbasis seiner Überlegungen, die Vorannahme einer prästabilisierenden
göttlichen Ordnung, erneut auf ihre Stimmigkeit befragen müssen.Denn wäre die Vorannahme korrekt, so hätte
eine natürliche Ordnung gesellschaftlicher Produktivkräfte offenbar werden
müssen, die zu einer natürlichen und gerechten Preisbildung der drei
unterschiedlichen Produktionsfaktoren führen und den Gewinn nach einem
gerechten Prinzip aufteilen. Statt dessen entwickelt Smith das Modell einer
freien Marktwirtschaft, die bestenfalls, so sie deutlich wächst, einen
Wohlstand erwirtschaftet an dem partiell, aber unterhalb ihres eigentlichen
Wertbeitrages, auch die einfachen Lohnempfänger partizipieren.
Eine
mögliche Auflösung der Aporie erwähnt Smith beiläufig, ohne sie als solche zu
begreifen. Es ist die Identität von Arbeitskraft und Eigentum an
Produktionsmitteln, die Identität von Arbeiter und Unternehmer in einer Person.
Smith beschreibt bloß phänomenologisch, dass die Minderheit der Handwerker noch
selbst Eigentümer ihres Unternehmens sind, während die Mehrheit kein Eigentum
an Produktionsvermögen mehr besitzt. Für die zivilisatorische Entwicklung ist
es, so legt es die Semantik des Abschlusses von Buch 1 des Wohlstandes der
Nationen nahe, wohl typisch, dass mit der Herausbildung von Kapitaleignern für die
produktiv Arbeitenden Kapital ein zunehmend defizitäres Gut wird.
Immerhin
weist Smith selbst auf den Sachverhalt hin, dass in dem angenommenen
ursprünglichen Zustand Arbeitslohn und Gewinn identisch sind, während im
natürlichen Prozess des Herausbildens zivilisatorischer Eigentumsverhältnisse
nur noch einer von zwanzig Handwerkern selbst Eigentümer eines Unternehmens ist und demzufolge seinen Gewinn nicht mit Kapitalgebern
teilen muss. In Smith ökonomischer Analyse findet sich keine Überlegung,
inwiefern es in einem rechtsstaatlichen Prozess möglich wäre, den
Lohnabhängigen zu ermöglichen, einen Anteil am Produktivvermögen ihres Unternehmens
zu erwerben und auf diese Weise am Entscheidungsprozess des eigenen
Unternehmens, beispielsweise der Verteilung des erwirtschafteten Gewinnes,
teilnehmen zu können.
Die
assymetrische Kommunikationssituation zwischen Unternehmern, Lohnempfängern und
Großgrundbesitzern ist keineswegs nur ein Ergebnis der ökonomischen Analyse von
Smith. Sie hat ihre Analogie bereits in der Theorie der ethischen Gefühle. Dort
beschreibt Smith die in ihrer emotionalen Gestimmtheit äußerst ähnlichen
Phänomene der Verehrung tugendhaften Lebens und Verehrung der Reichen und
Mächtigen. Obwohl tugendhaftes Leben in seiner ethischen Qualität wesentlich
höher zu bewerten ist, neigen die meisten Menschen viel eher dazu die Reichen
und Mächtigen unabhängig von ihren Tugenden zu bewundern. Mit dieser Neigung,
Reichtum und Macht bereits als ethische Gütekriterien zu beurteilen, können die
Unternehmer mit leichter Hand ihren Vertrauensbonus für die massive
Unterstützung ihrer Eigeninteressen gegenüber den Lohnempfängern nutzen.
Mit
der assymetrischen Kommunikationssituation beschreibt Smith aber auch ein
grundsätzliches Problem, das über einen innersystematischen Widerspruch von
Smith Theorie weit hinausgeht. Generell hat jede emanzipatorische
Sozialphilosophie das Problem, theoretisch eine Strategie politischen Handelns aufzuzeigen,
die einerseits das Prinzip individueller Freiheit wahrt und andererseits die
tendenzielle Überlegenheit organisierter Unternehmerinteressen in der
öffentlichen Meinungsbildung auszuhebeln. Nicht zuletzt wegen ihrer größeren
finanziellen Ressourcen können die unternehmerischen Interessenverbände die
gesellschaftliche Akzeptanz ihrer Forderungen durch wohldurchdachte
Medienkampagnen unterstützen, die Ziele des kalkulierenden Eigeninteresses
einfordern, indem sie auf vermeintliche Vorteile im Gemeininteresse verweisen.
Im Gegenzug würden gesetzliche Hemnisse individuell-unternehmerischen Handelns zugleichkreative und innovative Prozesse unterbinden.
Die
Argumentation von Smith zugunsten einer sich beständig weiterentwickelnden
Wohlstandsgenerierung beruht auf der Annahme, dass nicht die Differenz zwischen
Arm und Reich, sondern die positive Veränderung der eigenen Vermögenswerte für
das Wohlbefinden und das Glück des Einzelnen entscheidend ist. Es liegen neuere
empirische Untersuchungsergebnisse vor, die eher den gegenteiligen Schluss nahe
legen. Menschen sind weitaus glücklicher, nicht wenn sich primär ihre eigene
Vermögenssituation verbessert hat, sondern wenn sie sich in einer materiellen
und sozialen Lebenssituation befinden, die nicht signifikant schlechter ist als
die vergleichbaren Durchschnittswerte der Bevölkerung. Insbesondere sollte die
allgemeine soziale Lebenssituation der Menschen durch gegenseitige Anerkennung
sowie gegenseitige Kooperation geprägt sein.[32]
Zudem
berücksichtigt Smith in seinem Beispiel vom Bettler nicht, dass zwischen selbst
gewählten minimalistischen Lebensstandards und fremdbestimmter Armut zu
unterscheiden ist. Es ist auf Basis einer stoischen Lebensphilosophie zu
verstehen, bescheidene Lebensverhältnisse gezielt anzustreben, um Zeit und
Kraft für den Dienst am Gemeinwesen zu gewinnen und eine solche Lebensweisewesentlich positiver zu beurteilen als die Gier
nach Luxusgütern. Es bleibt aber unverständlich, warum der in sozialer
Isolation lebende Bettler wegen seiner Lebensweise eine unvergleichlich höhere
Sicherheit haben sollte als der Reiche, der nicht in klirrender Kälte nach
einem warmen und sicheren Platz zum Schlafen suchen muss.
Der
Wohlstand der Nationen beruht zwar auf der Basis der von Smith entworfenen
gerechtigkeitstheoretischen Vorstellungen, er zeigt aber auch das Defizit des
nicht einzufordernden Wohlwollens. Eine Gesellschaft die nicht bestimmte Formen
der Unterstützung derjenigen zur Pflicht macht, die ihre eignen Interessen
nicht selbst in den gesellschaftlichen Entscheidungsprozess erfolgreich
einbringen können, kann vom freien Markt der konkurrierenden Akteure nur die
Erneuerung bereits vorhandener Ungleichheiten erwarten. Zumal eine
Gesellschaft, die ihre Bürger dazu zwingt sich im Wettbewerb stets erneut
behaupten zu müssen, dem Einzelnen keine Anreize bietet, sich in gegenseitigem
Wohlwollen zu üben.
Literatur:
Büscher, Martin: Gott
und Markt – religionsgeschichtliche Wurzeln Adam Smiths und die ‚invisible
Hand’ in der säkularisierten Industriegesellschaft, in: Ulrich,
Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere Adam Smith, Bern 1991,
Frickel, Christel /
Schütt, Hans-Peter: Adam Smith als Moralphilosoph, Berlin 2005
Göcmen, Dogan: The Adam Smith Problem, New York 2007
Kaufmann,Franz.-Xaver./Krüsselberg,
Hans-Günther (Hrsg.): Markt, Staat und Solidarität bei Adam Smith, Frankfurt
1984,
Kittsteiner,
Heinz-Dieter: Ethik und Teleologie: Das Problem der ‚unsichtbaren Hand’ bei
Adam Smith, in: Kaufmann,./Krüsselberg (Hrsg.): Markt, Staat und Solidarität
bei Adam Smith
Montes, Leonidas / Schliesser, Eric: New Voices on Adam Smith, New York
2006
Nutzinger, Hans G.: Das
System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine ethischen Grundlagen,
in: Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft, Bd. 9, Frankfurt 1991
Patzen, Martin : Zur
Diskussion des Adam-Smith-Problems – Ein Überblick
in: Ulrich, Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere Adam
Smith
Pechstein v., Alexander:
Der ‚Bruch im System’, in Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64,
2010,
Smith,
Adam: Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 2010
Smith,
Adam: Wohlstand der Nationen, München 1974
Streminger, Gerhard: Die
unsichtbare Hand des Marktes und die sichtbare Hand des Staates, in:
Streminger: Der natürliche Lauf der Dinge
Streminger,
Gerhard: Der natürliche Lauf der Dinge, Marburg 1995,
Tugendhat,
Ernst: Vorlesungen über Ethik, Frankfurt 1993
Ulrich,
Peter / Meyer-Faje, Arnold(Hrsg.): Der andere Adam Smith, Bern 1991
Ulrich,Peter: Der
kritische Adam Smith – im Spannungsfeld von ethischem Gefühl und sittlicher
Vernunft, in: Ulrich, Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere Adam Smith
Werhane, Patricia H.: Adam Smith and his legacy for
modern capitalism, New
York 1991
Wilkinson,
Richard / Pickett, Kate: Gleichheit ist Glück,Berlin 2009
[1]
Hans G. Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine
ethischen Grundlagen, in: Jahrbuch Ökonomie und Gesellschaft, Bd. 9, Frankfurt
1991, S. 86
[2]
Martin Patzen: Zur Diskussion des Adam-Smith-Problems – Ein Überblick in: Peter
Ulrich, Arnold Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere Adam Smith, Bern 1991, S.25ff.
[3]
Adam Smith: Theorie der ethischen Gefühle, Hamburg 2010, S.8
[4] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.524f., 536
[5] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.202, Ulrich betont, dass Smith keineswegs ethische
Richtigkeit zu sozialer Akzeptanz verkürzt, sondern vielmehr beides auf die
Wechselwirkung von ethischem Gefühl und sozialer Kontrolle untersucht. Peter
Ulrich: Der kritische Adam Smith – im Spannungsfeld von ethischem Gefühl und
sittlicher Vernunft, in: Peter Ulrich, Arnold Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere
Adam Smith, Bern 1991, S.169.
[6] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.93ff.
[7] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.100, 204, 230
[8] Martin Büscher: Gott und Markt –
religionsgeschichtliche Wurzeln Adam Smiths und die ‚invisible Hand’ in der
säkularisierten Industriegesellschaft, in: Peter Ulrich, Arnold
Meyer-Faje(Hrsg.): Der andere Adam Smith, Bern 1991, S. 126f., s.a.:
Kittsteiner, H.D.: Ethik und Teleologie: Das Problem der ‚unsichtbaren Hand’
bei Adam Smith, in: Kaufmann,F.-X./Krüsselberg,H.G.(Hrsg.): Markt, Staat und Solidarität
bei Adam Smith, Frankfurt 1984, S.43
[9] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.384f.
[10] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.449, 455, 472f.
[11] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, Hamburg 2010, S.271f.
[12] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, S. 296f.
[13] Ähnlich urteilt Nutzinger über die
Indifferenz von Smith angesichts ungleicher Vermögensverhältnisse, siehe Hans
G.Nutzinger: Das System der natürlichen Freiheit bei Adam Smith und seine
ethischen Grundlagen.
[14] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, S. 443
[15] Adam Smith: Theorie der ethischen
Gefühle, S. 127-129
[16] Adam Smith: Theorie der
ethischen Gefühle, S. 137f. Einzig in diesem Gesellschaftstyp wird Tugendhats
beschreibende Rede vom ‚Einstimmen’ und ‚wechselseitigen Mitschwingen’ erfüllt.
E. Tugendhat: Vorlesungen über Ethik, Frankfurt 1993, S. 286ff.
[17] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.3
[18] Adam Smith: Wohlstand
der Nationen, München 1974, S.9 -14 Die Segmentierung der Arbeitsprozesse
ermöglicht es, die Arbeitsproduktivität so weit zu steigern, dass die
materiellen Grundbedürfnisse aller gedeckt werden können. Vgl. Gerhard
Streminger: Die unsichtbare Hand des Marktes und die sichtbare Hand des
Staates, in Gerhard Streminger: Der natürliche Lauf der Dinge, Marburg 1995,
S.174
[19] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.103f.
[20] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.56f.
[21] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.70
[22] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.76, 81
[23] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.125ff.
[24] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.68
[25] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.58f.
[26] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.211
[27] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.213
[28] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.212
[29] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.212f. Von Pechmann lokalisiert einen Systembruch an der Stelle,
wo Smith seine Arbeitswerttheorie um die Begriffe der Bodenrente und Kapitalrente
erweitert. M.E. berücksichtigt von Pechmann nicht, dass bereits Kapital
akkumuliert sein muss, damit überhaupt der Prozess der Arbeitsteilung initiiert
werden kann, der der Arbeitswerttheorie vorausgehen kann. Die Arbeitswertlehre
kann als integraler Bestandteil der Theorie des natürlichen Preises verstanden
werden. Der natürliche Preis setzt sich aus natürlichem Lohn, natürlicher
Bodenrente und natürlicher Kapitalrente zusammen. Die Überlegenheit des
Unternehmer- gegenüber dem Allgemeininteresse verhindert aber, dass der
Reallohn niemals den natürlichen Lohn erreichen wird. A. von Pechstein: Der
‚Bruch im System’, in Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64, 2010,
S.33
[30] beispielsweise inA. von Pechstein: Der ‚Bruch im System’, in
Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 64, 2010, S.48f.
[31] Adam Smith: Wohlstand der Nationen,
München 1974, S.664-668
[32] Wilkinson und Pickett zeigen auf, dass
es eine enge Korrelation von demokratisch und egalitaristisch verfassten
Gesellschaften zu gesundheitlichem und sozialen Wohlbefinden ihrer Bürger gibt.
Insbesondere arbeiten sie heraus, dass das Gefühl der Selbstverwirklichung und
Anerkennung in den Gesellschaften besonders hoch ist, die nicht primär
konkurrenzorientiert sondern vielmehr kooperativ geprägt sind. Richard
Wilkinson, Kate Pickett: Gleichheit ist Glück,Berlin 2009
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