Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
Kurz vor den bulgarischen Präsidentschaftswahlen kommt es zu gewaltsamen Ausschreitungen gegen die Minderheit der Roma. Die extrem rechte Partei „Ataka“ erhofft sich durch die aufgeheizte Stimmung Gewinne bei den Wahlen.
von Michael Lausberg
Nachdem ein Rom in der Stadt
Katuniza, 160 Kilometer östlich von Sofia, für den Tod eines 19-Jährigen
Jugendlichen verantwortlich gemacht worden war, kam es zu pogromartigen
Ausschreitungen von rechten Bulgaren.[1]
Mehrere Häuser und Autos des Beschuldigten wurden in Brand gesetzt.
Fußballhooligans aus dem benachbarten Plovdiv schlossen sich den gewaltsamen
Ausschreitungen an. Es kam zu Auseinandersetzungen mit den angerückten
Polizisten. Dabei starb ein 16-jähriger Junge angeblich an Herzversagen, fünf
Menschen wurden verletzt. Die Polizei nahm seitdem rund 400 Randalierer fest.
Zudem wurde der Rom selbst festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, den Jugendlichen
absichtlich überfahren zu haben.
Verschiedene Roma-Organisationen
machten der Polizei den Vorwurf, erst zu spät gegen die Randalierer
eingegriffen zu haben. Tatsächlich verstanden die Rechtsextremen die zögerliche
Haltung der staatlichen Ordnungskräfte als Freibrief für weitere rassistische
Ausschreitungen gegen Roma und andere Minderheiten.
Die Ausschreitungen gegen Roma
weiteten sich auf ganz Bulgarien aus. Vor allem die rassistische Partei „Ataka“
organisierte die Proteste in der Hoffnung, bei den anstehenden
Präsidentschafts- und Kommunalwahlen am 23.10.2011 Stimmengewinne verbuchen zu
können. Rund 2.200 Menschen gingen in insgesamt 14 Städten auf die Straße- in
den Nächten weiteten sich die Proteste dann zu Gewaltexzessen aus. Nach
Zusammenstößen mit der Polizei wurden in Blagoewgrad zum wiederholten Male
Dutzende von Protestierern festgenommen. Zuvor hatten rechte Skinheads
Jugendliche im Roma-Viertel angegriffen. In den Tagen nach den Ausschreitungen
in Katuniza demonstrierten in der Hauptstadt Sofia bis zu 2.000 Menschen.[2] Vor
allem Jugendliche zogen wiederholt mit rassistischen und nationalistischen
Parolen wie „Zigeuner zu Seife“ oder „Alle Zigeuner raus“ durch die Straßen und
liefern sich Straßenschlachtenmit der
Polizei.[3] In
Plovdiv bewarfen rechte Skinheads ein von Roma bewohnten Haus mit Steinen und
Knallkörpern und wurden erst durch die Polizei daran gehindert, das Gebäude zu
stürmen. In Varna verletzte ein jugendlicher Rechter eine Roma am Kopf, die ins
Krankenhaus eingeliefert werden musste.
Die landesweiten Unruhen in Bulgarien haben zu Massenfestnahmen in mehr als
einem Dutzend Städten geführt. Beamte internierten mehr als 160 Menschen und
konfiszierten kleine Sprengsätze, Messer und Schlagstöcke. Die jüngsten
Auseinandersetzungen gelten in dem ärmsten Land der Europäischen Union als die
schwersten Krawalle seit 1997. Damals löste eine Wirtschaftskrise mit folgender
Hyperinflation Unruhen aus.
Die Protestewurden erstmals in den sozialen Netzen im
Internet organisiert. Die bulgarische Polizei beobachteten mehrere
Facebook-Gruppen. So wurden etwa im Internet vorsätzlich Mitteilungen über
angeblich durch Roma begangene Verbrechen verbreitet, die es in Wirklichkeit
nie gegeben habe.
Die regierende konservative GERB wies
Einschätzungen zurück, es habe sich bei den jüngsten Ausschreitungen um Gewalt
zwischen ethnischen Volksgruppen gehandelt und verwies jeden rassistischen
Hintergrund in das Reich der Spekulation. Der Präsidentschaftskandidat der
GERB, Rosen Plevneliev stellte fest:[4] „Das
waren rein kriminelle Taten und keine ethischen Spannungen“
Ataka und BNS
Nach dem Ende
der kommunistischen Herrschaft in Bulgarien orientierten sich die geistigen
Eliten des Landes vor allem an nationalistischen Denkschemata aus der
Vergangenheit. Fast 500 Jahre lang war Bulgarien eine Provinz des Osmanischen
Reiches.[5] Für
Bulgarien begann ihre Geschichte der Neuzeit erst mit der „Nationalen
Wiedergeburt“ und dem Beginn des bewaffneten Widerstandes gegen die Osmanen
1876. Dieser Aufstand endete mit dem Massaker von Batak; die Osmanen
liquidierten dort tausende aufständische Bulgaren sowie Teile der Zivilbevölkerung.
Das Massaker von Batak wurde zu einem nationalistischen Gründungsmythos des
bulgarischen Staates.
Die rassistische Partei „Ataka“
verbreitet Hetze gegen bulgarische Türken und Roma. Ataka wurde im April 2005
gegründet und erreichte bei den Parlamentswahlen zwei Monate später bereits
8,8% der Stimmen. Bei der Europawahl 2007 erhielt die Partei 14,2% und
entsandte 3 Abgeordnete ins Europäische Parlament. Ihr Vorsitzender Volen
Siderov nannte als Vorbild den Schweizer Rechtspopulisten Christoph Blocher.[6]
In programmatischer Hinsicht setzte
Siderov ganz auf die rassistische Karte: er versprach, „Bulgarien an die
Bulgaren zurückzugeben“ und „die Zigeuner dorthin zu stecken, wo sie hingehören
– in Lager“. Kurz nach der erfolgreichen Wahl war auf einem Forum auf der
Homepage von Ataka eine Liste mit den Namen von 1.500 bulgarischen Juden zu
sehen, die angeblich „den Staat beeinflussen“ würden. In Kommentaren wurden sie
als „Mitglieder einer gefährlichen Rasse“ beschimpft, die „es verdienen,
vernichtet zu werden.“[7]
Bei den Parlamentswahlen 2009 konnte
Ataka das Ergebnis von 2005 noch steigern und kam auf 9,3% der Stimmen. Am 20.
Mai 2011 kam es vor der Banja-Baschi-Moschee in Sofia zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der Ataka und Moscheebesuchern. Fünf
Menschen, darunter zwei Mitglieder der Partei wurden dabei verhaftet. Führende
Politiker des Landes sprachen von einer „beunruhigenden Eskalation der
Fremdenfeindlichkeit und des religiösen Hasses“.[8]
Der 2001
gegründete „Bulgarische Nationalbund“ (BNS), unter ihrem Anführer Bojan Rasate verbreitet
nationalistische Hetze gegen die türkische Minderheit, Roma, die Europäische
Union und den „Zionismus“. Die Jugendorganisation der BNS, die „Bulgarische
Nationale Garde“ tritt in der Öffentlichkeit in schwarzen Hosen, braunen
Hemden, schwarzen Hosenträgern und schwarzen Baretten auf; die Anlehnung an die
Uniformen der SS ist gewollt.
Die
„Bulgarische Nationale Garde“ griff eine Schwulen- und Lesbenparade in Sofia im
Juni 2008 mit Steinen und Molotowcocktails an.[9] Am
7.2.2009 marschierte Rasate mit mehreren hundert Gesinnungsgenossen am Todestag
des bulgarischen Generals Hristo Lukov, der 1938 den faschistischen „Bund der
bulgarischen nationalen Legionen“ (SBNL) gegründet hatte, mit Fahnen und Transparenten
durch Sofia und skandierten „Bulgaren, erwacht!“[10]
Rasate steht
in Kontakt mit der NPD und der rumänischen extrem rechten „Nua Dreapta“, die
ähnlich wie die BNS in Rumänien eine Pogromstimmung gegen die dort ansässigen
Roma schürt.
Mit antiziganistischen
Hetzparolen versucht die BNS Stimmung zu machen. Ihr Vorsitzender Rasate sagte
in einem Interview:[11] Zu
Beginn muss ich betonen, dass wir im Gegensatz zu anderen patriotischen
Organisationen die Zigeuner nicht als Teil des bulgarischen Volkes betrachten.
Von fremder Kultur rede ich bewusst nicht, weil sie keine Kultur haben. (…) Wir
können heute nicht daran denken, die Zigeuner einfach umzubringen. Die Zeiten
sind andere. Aber derzeit werden die Zigeuner gegenüber den Bulgaren bevorzugt.
Das Gesetz gilt nicht für alle. (…) Für eine Zigeunerfamilie bedeuten mehr
Kinder: mehr Sozialhilfe und mehr Arbeitskräfte, als Bettler, Diebe,
Prostituierte. Die Einnahmen fließen in die Haushaltskasse.“
Weiterhin
sprach sich Rasate für einen „Ariernachweis“ aus, da „die Menschen
unterschiedlich geschaffen“ wurden. Er definierte die „bulgarische Rasse“ als
„weiß mit europäischen Gesichtszügen“.[12]
Diskriminierung der Roma in Bulgarien
Vor allem nach dem Ende des
kommunistischen Regimes in Bulgarien sehen sich die Roma in Bulgarien durch
gewalttätige rassistische Ausschreitungen bedroht. Rassismus wegen ihrer
Hautfarbe, Sprache und Kultur waren die Roma in Bulgarien, die gemeinsam mit
den bulgarischen Türken landesweit die größte Minderheit stellten, bislang
ebenso gewöhnt wie schikanöse Behandlungen durch Behörden und Justiz. Wie in
allen anderen osteuropäischen Ländern sind die Roma in Bulgarien die
Bevölkerungsgruppe mit der höchsten Analphabetenquote, der bittersten Armut,
kürzesten Lebenserwartung und höchsten Kindersterblichkeit, allenfalls geduldet
am Rande der Gesellschaft, verfolgt, gedemütigt, vogelfrei. Schätzungen gehen
von 600.000-800.000 Roma aus, die in Bulgarien leben. Die Roma leben in allen
Provinzen Bulgariens, ihr höchster Anteil an der Gesamtbevölkerung liegt in der
Provinz Montana (12,5%) und der Provinz Sliwen (12,3%). Im Jahre 1997 lebten 84% der bulgarischen Roma
unter der Armutsgrenze.
Vor allem in der Bildungspolitik manifestiert
sich die Benachteiligung der Roma:[13]
“A monitoring report by the Open
Society Institute found that Roma children and teenagers are less likely to
enroll in both primary and secondary schools than the majority population, and
less likely to complete their education if they do. Between 60-77% of Roma
children enroll in primary education (age 6-15), compared to 90-94% of ethnic
Bulgarians. Only 6-12% of Roma teenagers enroll in secondary education (age
16-19). The drop-out rate is significant, but hard to measure, as many are
formally enrolled but rarely attend classes.The report also
indicates that Roma children and teenagers attend de-facto segregated
"Roma schools" in majority-Roma neighbourhoods and villages. These
‘Roma schools’ offer inferior quality education; many are in a bad physical
condition and lack necessary facilities such as computers. As a result, Roma
literacy rates, already below those for ethnic Bulgarians, are much lower still
for Roma who have attended segregated schools.”
Literatur
- Barany,
Z.D.:The East European gypsies: regime change, marginality, and
ethnopolitics. Cambridge 2002
- Frankfurter Rundschau vom 22.5.2011
- Härtel. H.-J./Schönfeld, R.: Bulgarien. Vom Mittelalter bis in die
Gegenwart, Regensburg 1998
- Mayer, G./Odehnal, B.: Aufmarsch. Die rechte Gefahr aus Osteuropa,
St. Pölten/Salzburg 2010
- www.dw-world.de/dw/article/0,,15424686,00,html
- www.fr-online.de/politik/bulgarien-hass-auf-roma-,1472596,10919666.html
- www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788920,00.html
[1] www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788920,00.html
[2]
www.fr-online.de/politik/bulgarien-hass-auf-roma-,1472596,10919666.html
[3] www.dw-world.de/dw/article/0,,15424686,00,html
[4] www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,788920,00.html
[5] Härtel. H.-J./Schönfeld,
R.: Bulgarien. Vom Mittelalter bis in die Gegenwart, Regensburg 1998, S. 16f
[6] Mayer, G./Odehnal, B.: Aufmarsch.
Die rechte Gefahr aus Osteuropa, St. Pölten/Salzburg 2010, S. 266
[7] Ebd., S. 267
[8] Frankfurter Rundschau vom
22.5.2011
[9] Mayer/Odehnal, Aufmarsch.
Die rechte Gefahr aus Osteuropa, a.a.O., S. 271
[10] Ebd., S. 269
[11] Ebd., S. 273ff
[12] Ebd., S. 275
[13] Barany, Z.D.:The
East European gypsies: regime change, marginality, and ethnopolitics. Cambridge
2002, S. 408
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