Erschienen in Ausgabe: No 69 (11/11) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Marco Meng
Da ist es wieder, das große Heulen und Zähneklappern. Obwohl
während der letzten Finanzkrise vor allem in den USA viele Banken Pleite gingen, sind die Finanzmärkte noch
immer um ein Vielfaches größer als die Realwirtschaft dies für ihre
Investitionen und ihren Handel bräuchte. Noch immer ist ein großer Teil der
weltweiten Finanztransaktionen reine Spekulation und hat mit wirklichem
Wirtschaften und echter Wertschöpfung nicht das geringste zu tun. Der damalige
Bundespräsident Horst Köhler – selbst ausgebildeter Ökonom und ehemaliger Chef
der Weltbank – hatte vor einer Übermacht des Marktes gewarnt: „Die
ordnungspolitischen Vordenker unserer Sozialen Marktwirtschaft haben Recht
behalten: Der Markt alleine richtet nicht alles zum Guten.“ Konzepte, wie bspw.
die Bankenaufsicht und –prüfung effektiver gestaltet werden kann, aber auch,
wie die Banken am verursachten Schaden mit in Haftung genommen werden können,
fehlen bis heute. Die Krisenbanken in Deutschland und Irland sind nach Worten
von EU-Wettbewerbskommissar Joaquin Almunia dabei die schwierigsten
Sanierungsfälle in Europa. Ende letztes Jahr stand hier der deutsche
Steuerzahler mit der unvorstellbaren Summe von 615 Milliarden Euro (!) an
Garantien und Kapitalspritzen gerade - oder 26 Prozent des deutschen
Bruttoinlandsprodukts. Bei einem 8-Stunden-Arbeitstag arbeiten wir also ohnehin
schon 2 Stunden, nur um die „Banken zu retten“. Und zu dieser gigantischen
Summe kommen dann noch die bislang 715-Milliarden zur Stützung des Euro hinzu!
Warum fragt niemand mehr, wie es möglich ist, daß z.B. die Hypo Real Estate
(HRE) immer wieder neue „Kapitalspritzen“ erhielt und ihre Manager Boni in
Millionenhöhe, genehmigt von denselben Politikern, die dann diese Bonizahlungen
vor der Fernsehkamera publikumswirksam als „skandalös“ bezeichnen? Der Bund hat
zwar die HRE verstaatlicht und hält 100 % der Aktien, doch - so Professor Dr.
Karl-Joachim Schmelz, ehemaliger Richter am Landgericht Frankfurt - ca. 65 %
des Kapitals der HRE befindet sich auf den Cayman-Inseln. Und wer verbirgt sich
dort? Beteiligungsgesellschaften, Hedgefonds und Töchter von deutschen Banken,
deren Eigentümer meist anonym sind. Daß den Volksvertretern in den Parlamenten
es nicht allzu sehr an einer Aufarbeitung gelegen zu sein scheint, erwies sich
beim zur Farce gewordenen HRE-Untersuchungsausschuss im Bundestag, der zu einem
Tiefpunkt des deutschen Parlamentarismus wurde. Sparkassen-Präsident Heinrich
Haasis: „Nach der Lehmann-Insolvenz hieß es allenthalben, keine Bank dürfe so
groß sein, daß sie den Staat zu Finanzhilfen zwingen könne. Zwei Jahre später
sehen wir: Die großen Banken sind noch größer und damit noch gefährlicher
geworden.“ Tatsächlich haben die Kartellbehörden nicht eingegriffen, als noch
während der letzten Finanzkrise die Deutsche Bank die Postbank übernahm und die
Commerzbank die Dresdner. Und dann jammert man, daß man eine Bank unbedingt
retten müsse, weil sie „systemrelevant“ sei?
„Teile der Wirtschaft und der politischen Entscheidungsträger haben sich vom
Grundverständnis einer demokratischen Gesellschaftsverfassung gelöst und folgen
ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten, der Logik der Mafia“, konnte so auch der
Jurist Dr. Wolfgang Hetzer vom Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF)
konstatieren. Bei einem Festvortrag an der Universität Trier stellte er die Fragen,
auf die uns die verantwortlichen Politiker bislang Antworten schuldig geblieben
sind: „Welche Politiker haben mit Ihrer Gesetzgebung dafür gesorgt, dass sich
die Kapitalmärkte in Tatorte verwandeln konnten, auf denen sich eine besonders
gemeingefährliche Art der Kriminalität breitmachen konnte?“
Die Deregulierungen in der Finanzbranche, die seit den 1980er Jahren in Europa
und den USA aufgrund erfolgreicher Lobbyarbeit der Banken durchgeführt wurde,
hat zur perversen Situation geführt, daß man inzwischen mit dem Handel von Geld
mehr Geld verdient als mit industrieller Produktion. Beim sogenannten
„Investmentbanking“, also beim Zocken mit Wertpapieren und Derivaten, verdient
man am meisten und am schnellsten; das normale Bankgeschäft, also die
Kreditvergabe, betreibt man nur noch so nebenbei und eher widerwillig. Jetzt
ist es sogar so, daß viele Banken ihre gesamtes Kapital in dubiose Wertpapiere
gesteckt haben – und für Kreditvergabe keins mehr haben.
Das große Problem dabei ist, daß die meisten Transaktionen an den Börsen
ohnehin nur reine Spekulation sind. Waren einmal Aktien dazu gedacht gewesen,
daß Unternehmen Kapital dadurch erhalten, indem sich viele Menschen am
Unternehmen beteiligen, läuft es heute längst anders: Anteile von Firmen werden
meist nur noch gekauft, weil der Kurs am Steigen ist, und verkauft werden sie
dann direkt wieder zum höheren Preis. Beim heutigen Computerhandel geschieht
das manchmal innerhalb nur weniger Sekunden. Da die Börsen wenig mit
vernünftigem Wirtschaften, aber ganz ähnlich wie beim Pokerspiel viel mit
Psychologie zu tun haben, kann man natürlich bei entsprechendem Kapitaleinsatz
leicht „gegen“ etwas spekulieren: wenn man verkauft wie verrückt, wirkt das
ansteckend, und andere werden ebenfalls verkaufen, der Kurs sinkt, und das
bewirkt wiederum, daß noch weitere Wertpapierhalter verkaufen werden - eine Art
selbsterfüllende Prophezeiung. Umgekehrt kann man natürlich einen Kurs zum
Steigen bringen, indem man wie verrückt kauft.
Immer wieder werden zwar kurzfristig „Leerverkäufe“, sogenannte short sells,
verboten, doch tatsächlich müßte dieses Spekulationsmittel unbefristet und
generell verboten werden mitsamt der fast täglich neu erfundenen „Derivate“ wie
CDS, OTC, Zinswetten, Kreditverbriefungen und so weiter, und so fort.
Manche, auch Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer, scheinen erkannt zu
haben, daß das lange propagierte „freie Spiel der Kräfte“ mit möglichst wenig
Reglement allenfalls die Monopolbildung fördert, indem der Stärkere seine
Konkurrenten aufkauft und immer stärker wird – bei Banken führt das zu einem
gigantischen Epressungspotential gegenüber Regierungen. Sollen nicht weiterhin
gigantische Werte vernichtet werden und in die Taschen weniger Spekulanten
gelangen, sind strenge, eindeutige, konsequente Regeln überfällig. Und ob ein
funktionierender Markt wirklich danach verlangt, daß Anteile an einem
Unternehmen jetzt gekauft und bereits Minuten später wieder ver-kauft werden
können, ist die Frage. Wirtschaften heißt Werte schaffen. Und die Wertschöpfung
in einer Wirtschaft geschieht ausschließlich durch Arbeit, denn Geld an sich
hat keinen Wert, und die Geldvermehrung durch Spekulation oder
Finanzinstrumente wie den Zins sind nichts anderes als Metastasen im
Wirtschaftsorganismus.
Europäische Zentralbank (EZB) und Europäische Kommission wollen die
Euro-Mitgliedstaaten zu hinlänglicher Haushaltsdisziplin anhalten, doch der
erste Schritt ist längst
getan, aus der EZB eine „Bad Bank“ zur Auslagerung fauler Papiere zu
machen – ein riesiges Verlustgeschäft für den europäischen Steuerzahler. Es
liegt die Vermutung nah, daß das ganze „Rettungsgerede“ vor allem auf die
erfolgreiche Lobbyarbeit der Finanzbranche zurückzuführen ist, denn wenn man
insolvente EU-Mitglieder stützt, tut man das ja vor allem, damit die ihre
Verbindlichkeiten bei den Banken zurückzahlen können. (Nur zur Verdeutlichung:
die Zahlung von Schuldzinsen ist der zweitgrößte Etatposten im Haushalt der
Bundesregierung!).
Einerseits warnen die Banken immer vor zu großer staatlicher Regulierung und
beschwören die Marktwirtschaft, andererseits verlangen sie nach staatlicher
Rettung, um vor der Pleite gerettet zu werden. Jedes Unternehmen muß in die
Insolvenz gehen, wenn es falsch wirtschaftet – Banken nicht? Tatsächlich stellt
man sie noch immer außerhalb der marktwirtschaftlichen Regeln. Und das ist ein
großer Fehler. Der Staat muß auch Banken, die falsch gewirtschaftet haben,
pleite gehen lassen!
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James 27.02.2012 22:29
Schöner Artikel, aber von Politikern wird das Problem entweder nicht verstanden oder ignoriert, denn nach wie vor Flutet Geld den Markt. Das Hauptproblem bei allem ist das Zinssystem wie z.B. von Prof. Senf dargelegt.