Erschienen in Ausgabe: No 70 (12/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
Abschlussdiskussion zu Medien und Gericht beim ifp-Jahrestreffen
von Constantin Graf von Hoensbroech
Kachelmann, Guttenberg, Strauss-Kahn – um nur einige wenige
prominente Namen für aktuelle Fälle zu nennen, an denen sich die Fragen nach
dem Umgang zwischen Justiz und Medien einerseits sowie dem eigenen
Selbstverständnis der Medien und Journalisten beim Umgang mit der Justiz und
juristischen Sachverhalten andererseits zuletzt derart heftiggestellt haben, dass die Reflexion über die
Berichterstattung und Rolle der Medien bei juristischen Ereignissen selbst zu
einem Topos der Berichterstattung geworden ist. Wie gehen Medien mit
rechtsstaatlichen Verfahren um? Werden Medien allzu eilfertig zum Handlanger
eigener oder fremder Interessen bei der Berichterstattung über Ermittlungen
oder Verfahren? In wie weit findet eine Vorverurteilung statt, ehe überhaupt ein
Gericht das Urteil gesprochen hat? Oder ergehen, um es besonders zuzuspitzen,
mitunter die Urteile „im Namen der Medien“ statt des Volkes?
„Wenn Medien Gericht spielen“ lautete vor diesen Fragen denn
auch die trefflich gewählte Überschrift der Abschlussdiskussion, mit der das
„Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp)“ sein traditionelles
Jahrestreffen beendete. Trefflich nicht nur wegen der Aktualität des Themas angesichts
jüngster Verfahren, sondern auch deshalb, weil der Titel mit seiner
Zweideutigkeit eindeutig auch eine Selbstkritik oder Selbstvergewisserung über
den eigenen Berufsstand erkennen ließ. „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit
einer guten Sache“,
meinte einmal der ehemalige Tagesthemen-Moderator Hans-Joachim Friedrichs. Das
gilt nicht zuletzt und hier womöglich in besonders sensibler Weise für die
Auseinandersetzung mit polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen,
gerichtlichen Verfahren und Urteilen.
Die Versuchung, sich vereinnahmen zu lassen oder für die eine
oder andere Seite Partei zu ergreifen, stellt sich gerade für Polizei- oder
Gerichtsreporter in besonderer Weise. „Der Journalist gehört auf die Tribüne
und nicht aufs Spielfeld“, betonte Gisela Friedrichsen bei der Debatte im
Düsseldorfer Maxhaus und ergänzte dies noch um den Hinweis, dass es besonders
unangenehm werde, sobald sich Journalisten noch als Ermittler gerierten. „Das
ist nicht unser Job, wir haben uns da rauszuhalten“, so die Gerichtsreporterin
des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. Dabei provozierte sie den
ARD-Rechtsexperten Karl-Dieter Möller mit der rhetorischen Frage, ob denn beim
Kachelmann-Prozess nicht mindestens vier Journalistinnen mitten auf dem
Spielfeld gestanden haben. Bemerkenswert war die Replik der bekannten
Reporterin. Mit ihrem Hinweis, auf keine Veranstaltung mehr zu gehen, bei der
auch Alice Schwarzer anwesend ist, hatte sie zwar viel Wohlwollen unter den
Vertretern, Absolventen und Auszubildenden der Journalistenschule der
Katholischen Kirche auf ihrer Seite Nachdenklich musste jedoch stimmen,als sie darauf verwies, dass bei den meisten
Kachelmann-Prozesstagen die Öffentlichkeit weitestgehend ausgeschlossen war und
so die Journalisten anfingen, sich gegenseitig auszufragen und übereinander zu
schreiben.
Mehr noch: Ihre Anmerkung, dass sie für den ein oder anderen
ihrer Berichte ein Lob aus der Zentralredaktion dergestalt zu hören bekam, dass
ihr ins Internet eingestellter Beitrag innerhalb kurzer Zeit hohe
Zugriffszahlen generiert habe, wirft in bemerkenswerter Weise die Frage nach
der ,Medialisierung‘ juristischer Verfahren hervor.Schließlich sei der Kachelmann-Prozess sehr
öffentlichkeitswirksam gewesen, so Kachelmann. „Aber wie viele Verfahren laufen
so oder so ähnlich im Verborgenen ab.“ Möller, selbst ifp-Absolvent, mahnte in
diesem Zusammenhang: „Es kann nicht sein, dass wir uns auf die exotischen oder
prominenten Fälle konzentrieren und die große Masse aus den Augen verlieren.“
Seiner Beobachtung nach stelle sich ohnehin ein problematischer Trend ein: „Es
wird für viele Redaktionen, auch wegen der finanziellen Maßnahmen, immer
schwieriger, eine dauerhafte Gerichtsberichterstattung zu gewährleisten, obwohl
diese Form der Berichterstattung eigentlich mehr und mehr zunimmt.“
Seiner Meinung nach sei es gefährlich, wenn
Zentralreaktionen sich dann auf Agenturmaterial oder das Internet stützten,
statt selbst im Gericht zu sein. So komme es oftmals zu einem unsorgsamen
Umgang mit juristischen Dingen, „statt vor Ort zu sein und zu berichten, was
man mitbekommt, in den Fingerspitzen spürt“. Auch Friedrichsen verwies hierbei
auf den großen Unterschied zwischen dem Gerichtsreporter und dem Journalisten
in der Redaktion, dem der Produktionsdruck oder die Klickzahlen dann mitunter
wichtiger seien als das tatsächliche Geschehen im Namen des Volkes. Ihr Rat:
„Es braucht dann eben auch mal den Mut, Nein zu sagen und eine Geschichte nicht
zu machen.“ Möller ergänzte: „Als Gerichtsreporter muss man einen langen Atem
haben und sich Vertrauen erarbeiten ohne die Distanz zu verlieren.“
Dass
dieses Vertrauen im Verhältnis zwischen Justiz und Medien oftmals sehr
schwierig aufzubauen ist, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass sich die
Presse häufig nicht an den juristischen Sprachgebrauch gebunden fühlt, wenn es
für den Leser unerheblich erscheint. Kann sie das beurteilen? Überhaupt wird
gerade bei der Juristerei und ihren Verfahren sowie den Medien und ihrem Umgang
mit dem Wort eben gerade der Umgang mit dem Wort zu einem besonders sensiblen
Vorgang. Konjunktiv oder Indikativ? Hat der Verdächtige etwas getan oder soll
er etwas getan haben? Entbindet eine staatsanwaltschaftliche oder gerichtliche
Pressemitteilung den Journalisten von seinen Aufgaben der Sorgfaltspflicht und
Gegenrecherche? Kann Richtlinie 13.1 im Pressekodex wirklich so stehenbleiben:
„Die Presse darf eine Person als
Täter bezeichnen, wenn sie ein Geständnis abgelegt hat und zudem Beweise gegen
sie vorliegen oder wenn sie die Tat unter den Augen der Öffentlichkeit begangen
hat.“ Ist ein Medienvertreter kompetent zu präjudizieren, ob es sich um
Mord oder Totschlag handelt, oder sollte er nicht schlicht von einem
Tötungsdelikt berichten?
Hinzu
kommen neben juristischen Fachfragen vielfach auch Aspekte wie das mangelnde
Verständnis für die praktische Arbeit der jeweiligen Seite. „Es ist ein
psychologischer Spagat für jeden Staatsanwalt, einen Tatverdacht zu hegen und
von Gesetzes wegen die Unschuld zu vermuten“, illustrierte es der Dortmunder
Strafrechtler Professor Ralf Neuhaus und ergänzte dies mit Blick auf die
Medienberichterstattung zu laufenden Verfahren oder nach Urteilssprüchen, die
in der subjektiven Wahrnehmung als ungerecht empfunden werden: „Bei aller
Medienschelte im Einzelfall an einem Richter: Ich bin überzeugt, dass die
meisten Richter in der Lage sind, Distanz zu wahren.“ Das gelte auch für
Staatsanwälte, wie der kürzlich in den Ruhestand verabschiedete
Oberstaatsanwalt Wolfgang Schweer hervorhob. „Es gibt keinen Wettstreit
zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft“, so der ehemalige Pressesprecher
der Anklagebehörde in Münster. Auch wenn sich in einem Verfahren beide Seiten
mitunter heftig begegneten, „lässt sich daraus nicht der Schluss ziehen, dass
Staatsanwälte nur belastendes Material nutzen und entlastendes bei Seite
lassen“.
Aspekte,
die in der journalistischen Praxis oftmals zu kurz kommen. Karl-Dieter Möller
plädierte folglich denn auch für den Ausbau von Fortbildungen in Straf- und
Zivilrecht, wie sie manche Justizbehörden mittlerweile für Journalisten
anbieten. „Ein Basiswissen sollte bei den Berichterstattern vorhanden sein.“
Umgekehrt scheint dieses Verständnis aber auch notwendig zu sein, zumindest,
wer der selbstkritischen Anmerkung von Wolfgang Schweer folgt: „Die Justiz hat
sicher nicht die Öffentlichkeitsarbeit erfunden.“ Er selbst sei vor Jahren mehr
oder weniger durch Handauflegung zum Pressesprecher befördert worden. Es waren
nicht zuletzt auch solche Bemerkungen und manche Anekdote, die die Referenten
aus ihrer praktischen Arbeit einzustreuen wussten, um so dazu beizutragen, dass
die gesamte Diskussion zu einer ebenso unterhaltsamen und anschaulichen wie
inhaltlich facettenreichen und journalistisch herausfordernden Aussprache
geriet.
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