Erschienen in Ausgabe: No 70 (12/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Shanto Trdic
„Höchste Kunst ist nichts anderes
als
potenzierte Natur.“
Josef Kainz
Der Mann
hatte sich, wie schon so oft, in eine Schimpfkanonade brachialeren Kalibers
hineinmanövriert; schoss jetzt Salve um Salve seinem Gegenüber vor den Bug.
„...
und sie,“ knurrte er drohend,“ werden es auch tun, mein Lieber!“
„Das werde ich nicht tun,“ erwiderte leis und sanft, beinahe verquält der Andere;
trotzig zwar, doch kläglich im Vergleich, kümmerlich klagend, getragen von
einer dünnen, schon etwas angeschlagenen Stimme, die dennoch zu betonen schien,
das es kein Nachgeben, keinen Rückzug geben könne. Die Geduld des einen
konterkarierte der Andere mit schierer, schäumender Gewalt:“ Das werden wir ja
sehn!“ tönte er, herrisch und verwegen; gleich einem Fanal oder Trompetenstoß.
Die
Festung Kinski stand, wie eine große, böse Burg: ein schroffer Trutzklotz, von
dampfenden Betonblöcken Felsenfest geschirmt, mit Himmelwärts ragenden,
glühender Zinnen; ein hochmütiger, verwegener Bau. Im Innern aber bebte und
rumorte es gar fürchterlich, immer weiter und weiter, und niemand hätte sagen
können, aus welchen innersten Quellen sich das brodelnde Epizentrum fürderhin
speiste. Hier rumorte ein Feuergeist, hier herrschte stündlich Explosionsgefahr
- das Kraftwerk vor´m Hypergau.
Der Andere
nun, obschon in Ansätzen erschüttert, hielt tapfer Stellung; nicht minder bebte
und gärte es auch in seinem Innern. Er, der Belagerte, harrte wacker weiterer
Attacken; blieb auf ganz eigene Weise stet und standhaft. Und höflich.
„Das werde
ich nicht tun, Herr Kinski...“
„... das
werden wir ja sehn!!!“
Rums. Die
vorerst letzte Breitseite. Der Andere, Werner Herzog mit Namen und von Beruf
Filmemacher, hatte nicht nachgegeben; hatte auch dieser Druckwelle geduldig stand
gehalten und er würde auch weiteren Nachwehen stoisch trotzen, das spürte man.
Schwere Rauchschwaden durchzogen den heillos überhitzten, atmosphärisch bis zum
Zerreißen gespannten Raum.
Der
Tonbandschnipsel, den Herzog in seiner Doku ´Mein geliebter Feind´ noch einmal
der Öffentlichkeit präsentierte, gab einen ungefähren Eindruck von der
´Zusammenarbeit´, in deren Verlauf die Manien hoch kochten und zwei ganz
unterschiedlichen, wiewohl ähnlich beseelten Temperamenten das Schlachtfeld
boten, das ihnen zukam. Die Auseinandersetzungen am Set gerieten gebieterisch,
gnadenlos und gebaren auf diesem Wege meist Endprodukte, denen das Prädikat
´wertvoll´ im ganzen, umfassenden Sinne zukam:anders, so schien es, ging das zwischen diesen beiden nicht. Und mochte
der Mime noch so erregt zetern und toben: das Projekt, die Schlacht lief
weiter, bis zum Schluss. Es musste ja
weiter gehen; trotz alledem. Immer wieder fand das Gespann Kinski/Herzog in den
Ausgangshafen gemeinsamer Filmprojekte zurück, um dann unter grollenden
Gewitterstößen erneut auszulaufen um auf weiter, stürmischer See dem Ungestüm
derElemente zu trotzen um wiederum das
Gewaltige, das Einzigartige irgendwie auf Zelluloid zu bannen, für ein
geduldiges, heute selten gewordenes Publikum ein zu fangen – leidig fest zu
halten. Und die Wellen wogten um die Wette: noch bedrohlich runzelnd oder schon
turmhoch ragend, sich überschlagend oder für Momente plätschernd, aber immer in
Bewegung, in Unruhe – in Aktion. Fürwahr verband den eher ruhigen, phlegmatisch
wirkenden Herzog mit dem Ausraster Kinski eine echte, innige Hassliebe; jeder
hasste bzw. liebte da auf seine ganz eigene Art und Weise: sie konnten gar
nicht anders. Ohne Blessuren ging ganz gewiss keiner der fünf gemeinsam
bestrittenen Filme über die Bühne; man hätte sicher einer sechsten daraus
machen können – mit nicht enden wollender Überlänge. Stets lagen bei diesen
beiden die Nervenenden brach, waren die Tobsuchtsanfälle (Kinski) und
dementsprechenden Anfälle annähernder Ohnmacht (Herzog) vorprogrammiert. Ein
merkwürdiges Paar, diese beiden. Der eine zäh und zögernd, umständlich und
irgendwie kompliziert (wiewohl felsenfest an seinen mitunter monströs
anmutenden Visionen fest haltend), der andere impulsiv bis zum Irrsinn, direkt
und furchtbar drängend, egoman bis an die letzte Schmerzgrenze. Werner Herzog
gab und gibt bereitwillig zu, das er auch schon einmal an eine ´Beseitigung´
des Ärgernisses Kinski dachte; z.b auf dessen Anwesen ein Feuer zu legen
beabsichtigte. Jedoch: wie will man eine Flamme mit dem Feuer ersticken – wie
soll das gehen? Werner Herzog, auf seine Weise fanatisch und verbohrt, galt
früh als Außenseiter im Metier, und so war es kein Zufall, das er an einen wie
Kinski geriet – geraten musste. Der wiederum war eine Zumutung ganz eigenen
Ranges. Solche Typen kann man sich im heutigen Umfeld gewiss gar nicht mehr
vorstellen. Natürlich hat er nicht immer und andauernd Zicken veranstaltet, oft
genug mag er, vor allem später in Amerika, das Zähneknirschen dem Endloszeter
vorgezogen haben. Nichtsdestotrotz: in einer Zeit, da der Konsum regiert und
alles Übrige auf je unterschiedliche Weise dieser ´Haltung´ geopfert wird, ja
förmlich darauf abgerichtet scheint, schwinden die originalen Genies, man
bedarf ihrer kaum und immer weniger wissen sie sich zu entfalten, denn sie werden kaum – und niemand scheint ihre
schiere Präsenz auf Anhieb zu vermissen. Ob man sie heute mit den vielen, allzu
schrillen, wiewohl bedeutungslosen Paradiesvögeln verwechselt, die vor allem
auf dem humoristischen Sektor hyperinflationär wirken und sich im Sekundentakt
selbst abnutzen? Als Laune des Zeitgeistes passen sie zum jeweiligen Format,
das auf schnellen, platte Reize setzt und damit Quote schindet. Überhaupt hat
sich die Produktion insgesamt stark verändert. Wo Branchenriesen auf unsägliche
Materialschlachten setzen, innerhalb derer bestimmte Effekte – zumeist von der
Langlebigkeit einer frisierten Wunderkerze – mehr zählen als der nur mehr
begleitseiernde Akteur selbst, wird der große Mime überflüssig und statt seiner
tun es auch die beliebig austauschbaren, unentwegt plapperndern oder bloß
aufgeplustert parlierenden Statisten: auf Plattitüden getrimmt und blöde, bald
austauschbare Masken bietend, die einander stets gleichen und so austauschbar
sind wie ihr Träger selbst. Noch der triefendste, schundigste Italowestern, dem
sich Kinski aus purer Geldmacherei zur Verfügung stellte, hatte gewiss mehr
Charme als derlei Machwerke, die von der Industrie mittlerweile im ebenso
bewährten Dutzend ausgespien werden – steriles, aufgemotztes Pseudotheater.
Sicher: derlei Fließbandware hat die Filmindustrie zu allen Zeiten gebraten.
Doch bot sie noch in den fragwürdigsten Verrenkungen dem Akteur ein wenig
Weihe; Raum und Luft zum atmen, die heuer im Keim erstickt und von Tempo und
Tamtam zur Posse degradiert wird. Unter irrsinnigstem finanziellem Aufwand wird
dreist drauflosgeklotzt; endgültig auf Kosten jeglichen, differenzierten
Geschmacks, der innnerhalb solcher Hightech – Orgien auch kaum mehr gedeiht.So drängt mittlerweile jedes Projekt, auch wo
der Etat hinkt, zur rein verkaufsorientierten, auf platte Eindrücke zielenden
Entgleisung – ohne jeden Tiefgang. Ein fortgesetzter kommerzieller Overkill,
der bis zum Kollabieren aller zur Vergeudung bereitstehenden Ressourcen heraufbeschworen
wird – der Trend als solcher bleibt ungebrochen. Die Ausnahmen, mitunter
beachtlich, bestätigen leider nur die Regel. Der Mime als genuine, nur seinen
Manen verpflichtete Größe, als fleißiger Arbeiter der Kunst, der sich noch die
kleinste Rolle in geduldiger Kleinarbeit ´angewöhnt´, indem er das Eigene und
das Fremde schlüssig ergänzt und darob zu etwas Neuem, dennoch Typischen
ausgestaltet, dieser Mensch gerät jetzt nur noch zur kleinlichen Charge, weil
es das Publikum so will. Er kann nicht mehr gebührend zur Kenntnis genommen
werden und er hätte auch keine Chance, sein Potential entsprechend zu
entfalten: in den Brachialschinken der Emmerich und Co. kann es wahrlich nur
´verspielt´ werden. Ob ein Kinski da wohl mitgemacht hätte? Für viel Kohle ganz
gewiss. Er hat den letzten Rotz durch seine Anwesenheit ein klein wenig
aufpoliert und wenn er auch oft nur ein ´Blender´ war, das bis zum Erbrechen
zitierte ´Enfant terrible´, auf das er so gern reduziert wurde, so gilt das
Wort Herzogs: dass er, natürlich, genial gewesen ist. Ein Umstand wiederum, mit
dem keiner ausdauernder hausieren ging als er selbst. Er hielt sich und sein
Talent für gottgesandt, gottbegnadet – göttlich, göttlich. Und hätte ihm
irgendein Regisseur die Rolle des Allmächtigen angeboten, wäre ihm das gewiss
wie eine Selbstverständlichkeit vorgekommen. Wer sonst hätte IHN spielen
sollen? Oder dürfen? Kinski suchte stets das Absolute und kreiste doch in
vielen Fällen bloß um´s eigene, mit viel Getöse aufgeblähte Ego, das am Set so
gern zerplatzte; wie ein fieses Schrapnell. Seine theatralischen Ausbrüche
waren legendär. Er brauchte das; derlei Tiraden und Allüren waren ein
verlängerter Arm zum Beruf, den er (mindestens) als Berufung begriff und ebenso
häufig zum letzten, lausigen Dreck erklärte. Er war ja einer, der nicht leben
konnte, ohne zu schauspielern, ohne ständig im Mittelpunkt zu stehen, das
Epizentrum sein zu dürfen – der Nabel der Welt. Das musste dann
selbstverständlich auch in den Drehpausen der Fall sein; zur Not half er nach.
So schrie und tobte er, was das Zeug hielt; zumeist mit Schaum vor dem Munde.
Und sollten sie ihn doch alle hassen, die ´Schmeißfliegen´, das
´Scheißgesindel´ - er hasste sie alle noch viel, viel mehr. Er war ja der
Größte, Beste – der Einzige. Nicht gut, nicht besser – nein: ´epochal´ im
Mindesten. So brauchte er zeitlebens die Stilisierung; die ganz große Gebärde,
die sich noch im grindigsten, Gischtzischenden Geifer selbstherrlich genoss.
Die große, grantige Gebärde geriet zur Farce. Er konnte aber nicht anders. Er
grenzte sich damit (selbst)bewusst von allen ab und fiel darob folgerichtig
immer wieder ins angestammte Abseits zurück: zum Schluss ins Alleinsein, das
noch jedem aufgespart blieb, der Gesellschaft nur als Mittel zum Zweck, als
Pendant zur eigenen, eifernden Überhebung begriff. Das wollte er so und nicht
anders, obwohl es ihn auf seine alten Tage geschafft hat. Denn gerade er
brauchte die Menschen, als ein ständiges, begeistertes Publikum, gerade er
schrie nach Zuneigung und Liebe, denn ihn dürstete, vergöttert zu werden. Das
konnte nur schief gehen. So mag er sich denn zeitlebens als einsamer Wolf unter
lauter Schafen gesehen haben, die endlich, ob des Schnaubens und Heulens, als
Herde in Bewegung gerieten (am Schirm) oder unter mildem Protest zu blöken
wagten (beim Dreh). Im Grunde war er ein Parodist, der das Anmaßende im
Menschen pointierte, was er nicht im Geringsten beabsichtige. Auch und gerade
in der Zusammenarbeit mit Werner Herzog kam das deutlich zum Vorschein und der
Regie letzthin zugute, denn er war ein Kraftzentrum von nie versiegender,
energetischer Wucht. Doch waren es keineswegs immer nur Eruptionen, die er
zeitigte; auch die feinen, fast verborgenen Winkelzüge der Kreatur wusste er,
unmerklich fast, ins Absolute zu heben.
Zum
Beispiel ´AGUIRRE´. Hier verkörperte Kinski einen kleinen, linkischen
Emporkömmling, dessen abwegige, überkandidelte Fieberphantasien bis zum Schluss
nicht enden mögen und endlich im pathologischen Wahn enden. Auch Aguirre bleibt
allein, bleibt übrig – scheitert schnöde. Oder ´FITZCARRALDO´: ein trunkener,
übrigens nicht unsympathischer Schöngeist, der die Welt in eine Oper verwandeln
möchte und damit mal eben im Dschungel anfängt. ´COBRA VERDE´? Den Lacher sollte sich keiner entgehen
lassen, auch wenn hier eine der ergreifendsten Szenen zu bewundern ist, die je
auf Leinwand gebannt wurden:“ Ich sehne mich in eine andere Welt“, sagt er, im
Wasser stehend, vor dem Nichts vielmehr – ohne Hoffnung, ohne Ziel. Und wir
begreifen: von der Ironie bis zur Tragik ist es nur ein kleiner Weg.
War diese
Welt zu klein für einen Riesen wie ihn? Ins Gigantische wuchs sein Narzissmus –
die Filme, die er drehte, waren in der Hauptsache letztklassiger Schund. Und
doch: fast jedes dieser Machwerke bot noch Einblicke in eine zutiefst gequälte
Seele. Da lohnt in der Retrospektive schon ein Blick in sein Gesicht: diese
geschundenen, aber auch immer blühenden, berstenden Landschaften, mit Tälern
und Höhen, lodernden Vulkanen und erloschenem Gestein – zerklüftete Abgründe im
wüsten Utopia. Ecce homo: seht, welch ein Mensch. Nicht selten schien es, als
sei da jemand in direkter Nachbarschaft zur Hölle stündlich durchs Feuer
gegangen. Er schaffte das mit wenigen Gesten, Blicken; wie von selbst. Er
wusste das Mimische auf vielfältigste, schier grenzenlose Art und Weise zu
variieren. Man schaue sich darob doch einmal die Schlusssequenz von ´AGUIRRE´
aufmerksam an. Allein seine Augen. Die Art und Weise, wie er seine Lippen
´trägt´. Sinnliche, blutbrünstige Verzweiflung und kühles, elegisches Sinnen,
Hass und Zärtlichkeit und derlei Gegensätze mehr wusste dieser Schauspieler schon immer in Sekundenbruchteilen zu einen
und solcherart in wechselnden Sentenzen zu nuancieren. Alles oder gar nichts
wollte er – manchmal kam auch wirklich nichts Gescheites mehr dabei heraus.
Berufsrisiko.
Klaus
Kinski, ein leibhaftiger ´Supergau´: der Mime im fortlaufenden Ausnahmezustand,
stets und ständig unter Hochspannung stehend – wahrhaftig ein Original. Hat man
ihn damit schon begriffen? Oder erklärt? Was war das für ein Mann, der sich und
sein Umfeld so penetrant malträtierte und mit über fünfzig Jahren noch wie ein
hitziger Halbstarker drauflos brüllte?
Die frühe
Vergangenheit bleibt von dunklen Schleiern trübe umhüllt, und Kinski selbst hat
– wie anders? – auch nicht wesentlich dazu beigetragen, sie zu erhellen. Wir
können hier meistenteils nur spekulieren.
Spekulation
Nummer Eins: so schlimm, wie von ihm selbst in wortseliger, grimmiger Anklage
beschrieben, wird es wohl kaum gewesen sein. Er mag auch hier wieder maßlos
übertrieben haben, wiewohl niemand den materiellen Mangel in Abrede stellen
wird: der stellte sich im Laufe des Krieges bei etlichen anderen ja ebenfalls
wie von selbst ein und darob, in den ersten Hungerjahren nach dem totalen
Zusammenbruch, war fürderhin mächtig Ebbe allerorten. Das ist bekannt. Bestimmt
gehörte er nicht zu denen, die Ärgstes dulden, tragen mussten.
Das
Verhältnis zum Vater bleibt unklar. Hat er ihn wirklich nicht achten können?
Oder mögen? Dies würde zumindest einen Teil seiner späteren Selbstüberschätzung
erklären.
Die Mutter
wird zur Marienhaften, inszestuös umhimmelten Gestalt verklärt. In seinem Roman
(den er als Autobiografie tarnt oder umgekehrt) erscheint sie als demütiges,
aufopferndes Ideal einer Hingebungsvollen, ganz lauteren Person; als guter
Engel also, der eben genau daran, am ´zu gut für diese Welt´ zugrunde geht –
ein gefallener Engel. Das passt zum
Drama eigener Selbstinszenierung. Wie stand er wirklich zu den Geschwistern?
Was mag hier Dichtung sein und was Wahrheit?
Der Krieg.
Kinski gerät, kaum achtzehn Jahre alt, in britische Gefangenschaft, wo er, wie
viele seiner späteren ´Kollegen´, mit dem Theater in Berührung kommt. Dann der
Schock: die Mutter tot, der Vater verschollen – er bleibt es auch. Solche Tragödien
sind fester Bestandteil der Stunde Null. Ein Schicksal, das der junge Kinski
mit so manchem Kameraden teilt. All zu oft ist es genau anders herum. So
verlieren Menschen Nächste, Freunde – Familie. Kinski selbst wiederum verliert
nun ganz sicher für kurze Zeit jeden Halt, und ´haltlos´ bleibt er auch; für
den Rest seines Lebens. Vielleicht wird hier aus dem Ratlosen schon ein
Rastloser; ein ´Rasender´ - wer weiß? Später wird er wie ein Wahnsinniger durch
sein eigenes Leben rasen, gehetzt von Kontinent zu Kontinent, nonstop. Er
zehrte ganz sicher ein Leben lang von dieser Energie, derer er damals bedurfte,
um auf seine Weise überleben zu können. Diese beispiellose innere Vehemenz mag
sich mittels Wut und Verbitterung noch aufs Äußerste zugespitzt haben und die
begleitenden Umstände tun das ihre. Unter Umständen manifestiert sich gegen
Kriegsende bereits der ´echte´, indes noch unfertige Kinski. Er schwankt, er
taumelt, ist nahe daran, ganz abzustraucheln. ´Ich brauche Liebe´, wird er
später, in einem letzten, ekstatischen Aufschrei verkünden. Er schreit danach,
so laut und verzweifelt, dass jeder Kelch zerplatzen muss. In den Wirren der
Nachkriegszeit mögen sich die wesentlichen Charakterzüge und Verhaltensnormen
des Klaus Kinski etablieren bzw. verfestigen. Dazu gehört auch der
überlebensgroße Stolz, den er in ganz besonders herrischer, blasierter Weise
vertritt, ja verkörpert; dementsprechend hehr verkündet er jeweils sein
Programm – später.
Es folgt
eine frühe Odyssee durch die bundesdeutsche Theaterlandschaft; wohl immer
wieder begleitet oder unterbrochen von Abstechern in die örtliche Boheme. In
den Bars und Spelunken feilt er am Image des notorischen Underdogs. Man kann
sich das, denke ich, ganz gut vorstellen: zu Anfang ist das ein hagerer, schier
ausgehungerter Schreihals, Prototyp des ausgezehrten, wiewohl innerlichenorm aufgeladenen Heimkehrers, der sich auf
Tischplatten stellt und die Summen menschlicher Erregung wie ein Irrwisch aus
sich heraus speit. Während man andernorts schon bald zur Normalität zurückkehrt
und Ordnung schafft, probt Kinski die Revolte, den Protest – den Aufschrei aus
Verzweiflung. Er ist der heimliche, der wahre Held der vielzitierten Stunde
Null, jener kläglich kargen, Leid und Entbehrung kündenden frühen Jahre nach dem
Untergang: als echte, innige Verkörperung dieser abgerissenen, an Leib und
Seele erschöpften Gestalten, die wie Gespenster heimwärts strauchelten. Den
Aufschrei aus Verzweiflung, den jene mieden, maßte er sich früh an. Ihr
brennender Schmerz stand ihm ins Gesicht geschrieben, und wenn ihre heißblütige
Jugend im Feuer verbrannte, dann wusste gerade er die Fackel der Verzweiflung
neu zu entfachen: als eine einzige, anklagende Empörung. Im Grunde hätte der
junge Kinski den Rückkehrer in Borchardts ´Draußen vor der Tür´ spielen müssen,
einen besseren könnte ich mir kaum vorstellen.
Der
spätere Psychiatrieaufenthalt zu Wittenau wird von ihm ganz sicher verzerrt
dargestellt, wiewohl die schriftlichen Notizen in ihrer unausgegorenen
Theatralik, von expressiver Schärfe ´nachgewürzt´, wenigstens ansatzweise die
tatsächliche Beklemmung transparent werden lassen, die ihn hier befallen haben
muss. Jede banale, bloß spiegelnde Authenzität ist ihm ein Graus; er muss sie
immerfort in den breiten, unruhigen Schatten stellen, den grelle Lichtfetzen im
Zwielicht zeitigen. Wahrscheinlich nahm sich das ´Gastspiel´ in der Klapse
insgesamt sehr viel weniger spektakulär aus. Der Einweisung mag irgendein
Tobsuchtsanfall voraus gegangen sein; derlei kontrollierte Aussetzer sind schon
damals fester Bestandteil seines beispiellosen zwischenmenschlichen Verhaltens,
mit dem er gleichzeitig schon sein Image pflegt. Die offizielle Version besagt,
dass der an Gelbsucht Erkrankte mehrfach den Versuch unternahm, aus dem
Krankenhaus zu fliehen – ist das aber ein Grund, jemanden in die Irrenanstalt
zu sperren?
Kinski in
den Fünfzigern: auf den ersten Blick eine reichlich merkwürdige Vorstellung. Er
passt nicht in die neue Landschaft hinein, und er passt sich ihr
selbstverständlich auch nicht an. Natürlich waren die Fünfziger Jahre in summa
viel frecher und vielgestaltiger, um manches bunter als uns die üblichen
Schwarz-Weiß-Schemen der überlieferten Geschichtsschreibung in öder Folge
Glauben machen. Aber das will einem wie Kinski kaum genügen. In der
vermeintlich bieder – braven Stickluft, von frecher, frischer Unterhaltung früh
begleitet, kann einer wie er nicht unbeschwert atmen. Sein ungestümes,
impulsives Wesen wirkt auf die Mehrzahl derer, die nach den Trümmerjahren die
ersten bescheidenen Erfolge privater Konsolidierung feiern, vornehmlich
abstoßend, ja geschmacklos. Umgekehrt bietet das damalige Ambiente gerade
unserm Kinski den rechten Rahmen für seine rachitischen Entgleisungen. Der
sorgfältig in Szene gesetzte Bürgerschreck schillert umso kecker im
beschaulichen Muff, in diesem Umfeld fällt einer wie er doppelt und dreifach
auf und immer wieder aus dem Rahmen. Er gehört zu denen, die man mehr duldet
als respektiert; die man etwas verwundert bestaunt (Was für ein Talent!) und
umso vornehmer meidet, um keinen Krach zu kriegen, den er selbst aber ständig
braucht, um sich umso inniger am eigenen Leibe spüren zu können. Hier wächst,
hier wirkt – hier wird er. Es waren die angeblich so verstaubten, biederen,
langweiligen Fünfziger Jahre, die ihn zur Höchstform auflaufen ließen, in denen
er sein darstellerisches Talent auf der Bühne mit viel Effekt, mit echtem
Schmiss ausleben durfte; konnte. Die Entwicklung zum Bühnentier vollzog sich in
einer insgesamt zwiespältigen Epoche, die zwischen resolutem Bürgerprotest
(Anti-Atom-Bewegung) und selbstzufriedener Restauration (´Keine Experimente!´),
zwischen Schwarzwaldmädel und Bauhausmoderne, Sputnik-Schock und Bauerntheater
unruhig hin und her lavierte. Das alles aber ohne echte Brüche zu provozieren;
die kamen erst ein Jahrzehnt später dran.
In diesen
Jahren spielt er hauptsächlich Theater. Wir können davon ausgehen, dass er von
Anfang an die typischen theatralischen Erregungen kultiviert, denen er seinen
frühen Ruhm verdankt. Eigentlich ist solches schon damals ein echter
Anachronismus. Die ´Klassiker´, jene Meister des exaltierten, hochdramatischen
Vortrags, treten damals bereits ab, und das Gros der jungen
Nachrücker-Generation pflegt bereits einen sehr viel dezenteren, behutsameren
Ton; eher unaufgeregt, sachlich, nüchtern – konzentriert. Realistisch eben;
hart und desillusioniert. Es ist die Generation der Kriegsversehrten, zu denen
etwa der großartige Wolfgang Kieling gehört, ein Horst Frank, die Kreindl,
Korte oder Biederstaedt; ich nenne sie hier stellvertretend für all jene, die
heute auch keiner mehr kennt. Neben seiner Tätigkeit am Theater hält Kinski
Lesungen, die zu seinem zweiten Standbein werden. Hier scheint er sich und
seine Allüren am meisten austoben zu können, ist er die einzige Person, spielt
er die ihm gebührende Hauptrolle (bzw. in den Monologen berühmter Helden deren
mehrere auf einmal). Den schnarrenden Theaterton schminkt er sich relativ spät
ab, der energische, ekstatische Vortrag, den viele für übertrieben halten,
presst er bis hart an die Grenzen parodistischer Plapperei. Der Eindruck, den
er damit erzielt, die Präsenz vor Ort und auch auf Platte, ist dennoch enorm.
Er arbeitet wie ein Tier an sich, spricht nächtelang ganze Passagen wieder und
wieder durch (O-Ton Herzog:“ Er war ein hoch trainierter Mann.“) und das
widerspricht seiner eigenen Legende, die besagt, ihm sei das alles auf
göttlichem Wege zugeflogen. Es ist schon damals schwer bis unmöglich, mit ihm
verträglich aus zu kommen. Eine Dame, die den Abgerissenen beherbergt, hat wie
eine Magd zu Diensten zu stehen und wird, nachdem etwa die Hemden nicht korrekt
gebügelt wurden, als ´Sau´ beschimpft.
Wenn man
sich Photos aus dieser Zeit anschaut, fällt die ganz grelle, fast großkotzige
Attitüde auf: stur und unnachgiebig um die lässigen Mundwinkel herum, sind
seine Augen weit geöffnet; wie bei einer Katze. Das steht UNS zu, scheint er
sagen zu wollen, und: bloß nicht klein bei geben. Noch ist es nicht die
gewaltsame, herrische Gebärde, die er mühsam und zunehmend bitter zur Schau
trägt; eher schon ein Anflug kühnen, nebst aller Hitzigkeit auch etwas kühlen
Überschwanges: jugendlicher Sturm und Drang, unverbraucht und unverdorben. Das
Triebhafte, von dem in seinem Bekenntnisroman ´Ich brauche Liebe´ so penetrant
die Rede ist, gestaltet sich im Äußeren zur makellosen, weibliche wie männliche
Züge vereinenden und beinahe veredelnden Gestalt: ein Kerl mit rotzfrechem
Blick, aber sehr hübsch anzusehen.
In den
frühen Filmen erscheint er nicht selten als labiler, an den äußersten Enden der
Beherrschung darbender Dürftling: ein debiler, blutarmer Spargeltarzan – leicht
angeschwult. Es ist, auf eine faszinierende Art und Weise, sein ganzes
künftiges Repertoire zugegen: das Sensible, Gehetzte, Nervöse, bis zum
Zerreißen gespannte, daher auch immer Zerbrechliche. Dem wird er später, ohne
Brüche, das Abgehobene, Machohafte – die große Pose hinzu gesellen. Zorn und
Wut hält er in kleinen Dosen bereit. Das Manische gerät bei ihm zur ganz
eigenen, unverwechselbaren Kunstform. Er treibt ja alles zum Äußersten, will
dabei beeindrucken, ohne sich auch nur einen Fußbreit anpassen zu müssen. Ein
Star und ein Außenseiter wird er
denn auch folgerichtig bis zum Schluss bleiben.
Von einem
echten Star kann dennoch keine Rede sein. Er fällt immer auf Anhieb auf,
sicher. Aber an die Altvorderen reicht er noch nicht heran, denn die kriegen
immer noch die Hauptrollen ab. Weshalb er früh dazu übergeht, die markanten
Nebenrollen bis zum Exzess in den Vordergrund zu spielen, der ihm noch gar
nicht zusteht. Vielleicht ist er damals so etwas wie ein feist vorpreschender
Bolzen oder eine keck einher zischende Blendgranate: beides bringt so richtig
Quark in die Sülze. Und weil das Nachkriegsjahrzehnt einen Typen wie ihn nicht
auf dem Programm stehen hat, bringt ihn das umso schneller nach vorne. Kinski
kapiert früh, wie er sich in solchen Zeiten effektiv in Szene zu setzen hat, um
bei der Gelegenheit auch schnell die Konkurrenz zu foppen. Heute haut das
keinen mehr vom Hocker, aber damals gelten Provokationen noch etwas. Also
offeriert er dem werten Publikum auch jenseits üblicher Podeste allerlei
Kurzweil – Happenings als Appetithäppchen. Das hilft ihm gleichzeitig, in Form
zu kommen, den braven Leuten wiederum, ihren eigenen, divergierenden Standpunkt
zu festigen: hier wir – dort er, der Irre. Derlei harmlose Schocker, wie sie
Ende der Sechziger zur üblichen, schnell gähnend langweiligen Posse mutieren,
sind ihm, dem Pionier, schon etwas ganz und gar Selbstverständliches. Für die
Leute ist er eine Art Krawallbruder, ein immer öffentliches Ärgernis. Man
erinnere sich, womit die meisten Deutschen damals beschäftigt sind: da wird
fleißig an einer bescheidenen kleinen Existenz gearbeitet, die dann nach
Möglichkeit konserviert werden soll. Aufregung, Irrsinn und Chaos hat man in
den Jahren zuvor genug gehabt (und mitverschuldet); nicht schon wieder, denken
die meisten. Wo man doch just dabei ist, wieder wer zu sein. Und dann kommt
ihnen einer wie Kinski in die Quere. Gut möglich, das damals so mancher die
Straßenseite wechselt, sobald ihm dieser Typ über den Weg läuft. Der trägt
unverschämt langes, struppiges Haar (das kommt erst Jahre später, zaghaft und
in Schüben, wieder in Mode und ist bald so normal, wie es das im Neunzehnten
Jahrhundert und davor schon immer gewesen war); passend zur ebenfalls
vorweggenommenen, sehr engen Röhrenhose, dem obligatorischen Rollkragenpullover
und einer unrasierten Vorderfront, die mit einstudiertem Blick dauernd
provoziert; die Fresse als Fanal. Bei Matinees pöbelt der Mime denn auch mit
Inbrunst das zahlende Publikum an (wie sich etwa Harald Juhnke, ein Freund aus
alten Tagen, immer wieder amüsiert erinnert), er attackiert Zeitungsstände
(womit er aber eher am Rande auffällt) und sucht nach weiteren Möglichkeiten,
die Aufmerksamkeit auf seine Person zu konzentrieren. Das Zerstören scheint ihm
überhaupt schon jetzt, zusätzlich zum lauthalsen Geschrei, den meisten Spaß zu
bereiten: er fährt seinen ersten Protzschlitten zu Schrott (etliche werden
folgen) und ein kurzer Abstecher in die bildende Kunst endet damit, das der
Meister sein gepinseltes Oevre zerreist; die einzige Plastik wird kaputt
gehauen. Ein Aktionskünstler im eigentlichen Sinne des Wortes. Er gehört zu den
Wenigen, ohne die das angeblich so öde, selbstgefällige Fünfzigerjahrzehnt nicht
zu denken wäre: sie stehen für den mehr hinter den Fassaden angefachten, rasch
ausufernden Gegenwind, der die steifeBrise langsam bricht.Und Kinski
braucht das dringend, denn er giert förmlich nach Aufmerksamkeit.
Die wird
ihm endlich, in breiter Form, zu Beginn der Sechziger zuteil; sein eigentliches
Durchbruchsjahrzehnt. Als Rezitator macht sich der ´wilde Klaus´ nun endgültig
einen Namen. Der ganze Tingeltangel durch die Provinz war nicht umsonst. So,
wie er Villon und Konsorten auch jetzt noch rüber bringt, ist es eine Wonne,
eine Wucht. Kinski gurrt, schnaubt, zetert, piepst; wie ein frisiertes
Hutzelmännchen. Ein Kobold mit spitzer, heller Stimme. Damit manövriert er, ich
sagte es schon, hart am Rande einer unfreiwilligen Parodie; es wirkt aber – und
wie. Auch wenn er damit also haarscharf in der Nähe einer Lachnummer spazieren
geht – der gutturale Koller zahlt sich letzthin aus. Die Platten gehen weg wie
Semmeln. Während später so manches über die rohe, grobe Gebärde abgewickelt
wird (als Folge jahrzehntelanger Routine oder periodischer Verachtung
geschuldet?) vergisst er, bei aller Überspitzung, zu diesem Zeitpunkt noch
nicht zur Gänze die feineren, kunstvoll ausbalancierten Nuancen.
Im Film
ist Kinski bald nur noch auf den Bösewicht abboniert, zumeist in Gestalt
zwielichter Subjekte, die er in den unzähligen Edgar Wallace Schinken bis zum
Abwinken herunterspielt. Er kriegt in diesen Filmen selten die Hauptrolle, auch
später bekommt er kaum eine ab. Das bleibt also beim Alten. Die vielen markanten
Nebenrollen indes sind, wie Setbon in seiner Filmografie korrekt bemerkt, so
etwas wie kleine Filme im Film: eine spezielle, in sich geschlossene
Vorstellung nebst der laufenden, eigentlichen Darbietung, die wiederum kaum der
Rede wert scheint. So sicher er hier immer wieder der heimliche, der
eigentliche Star ist und zum darob doch zum Publikumsliebling avanciert: der
´richtige´ darf er eben nicht sein. Was ihm ganz gewiss gestunken hat. Wenn man
sich diese Kurzauftritte einmal aufmerksam aus der Nähe anschaut, so fällt auf,
wie arrogant und überheblich er hier die meiste Zeit wirkt: einer, der sich
mittels blasierter Gefasstheit vom Rest der Kollegen bewusst distanziert, mit
jeder Geste Abstand hält – Überlegenheit vortäuscht. Das wirkt weniger elitär als
genervt, gelangweilt bis frustriert: auch mit über Vierzig kommt Klaus Kinski
noch wie ein trotziger Rebell rüber. Der Mainstream will saubere, verlässliche
Gestalten (Fuchsberger, Drache und so weiter), die Kinski und Konsorten dürfen
nicht dominieren.
Wie schon
gesagt: er ist fortan auf die Bösen, Miesen, die ´linken´ Typen festgelegt; auf
Schurken, Arschlöcher und Irre. Ob er das schon damals als eine Art Fluch
aufgefasst oder begriffen hat? Oder überwog zunächst noch die Koketterie? Er
macht zwar ohne Zweifel schwer von sich reden, bleibt aber eben doch nur der
großartige Geheimtipp; der periphere Finsterling vom Dienst. Er, der es immer
noch allen zeigen will, bewundert und vergöttert werden möchte, er bedient in
den folgenden Jahren allenfalls ein verkaufsträchtiges Klischee; hofiert werden
andere. Man kennt ihn längst und gewöhnt sich an sein Gesicht; man gewöhnt sich
gleichzeitig daran, das er mal grade eben auftaucht, so zwischendrin (wie ein
Spuk); dann darf er zweideutige Blicke absondern, die Maske krampfen (kann
keiner so wie er), ein paar Sätze zum besten geben – fertig. Derlei
Kurzauftritte zelebriert er, macht eine ganz große Nummer draus, er bannt die
Blicke und spannt die Sinne derer, die ihn einfach herrlich finden. Und dann
darf er sich, meist lange vor dem Abspann, als Leiche vom Publikum
verabschieden; und das Publikum ist unterschiedlich entsetzt bis entzückt.
Irgendwie ist er schon so eine Art Star: einer, der kurz aufleuchtet und dann
ganz schnell wieder erlischt; eine Sternschnuppe.
Immerhin:
er hat nun, in der sogenannten Mitte des Lebens angekommen, den Untergrund
verlassen, die lang ersehnte Popularität erreicht. Obschon man ihn einseitig
besetzt, bleiben ihm doch gewisse Freiheiten vorbehalten, und die nutzt er:
selbst die dümmsten Figuren rettet er mit viel Geschick und Einfallsreichtum
vor stereotyper Langatmigkeit. Er legt die Finsterlinge differenzierter an, als
damals üblich; er knüpft, ob wissentlich oder instinktiv, an solchen an, die
schon in den frühen Jahrzehnten des Jahrhunderts solcherart brillierten. Man
kann ihn durchaus mit Moissi oder anderen verblichenen Größen urdeutscher
Schauspielkunst vergleichen, aber fairerweise muss man sagen, das die weder
cool noch kantig, lässig oder lümmelig waren; die hatten, ihrer Zeit gemäß,
ganz andere Facetten in petto.
Wie oben
erwähnt, spielt Klaus Kinski in den Sechzigern eine ganze Reihe Italowestern
herunter, und mit denen kommt noch einmal ein ganzer Batzen Bares dazu.
Wahrscheinlich hat er nie wieder so viel Geld gemacht wie damals. Kinski, der
die Hungerjahre am eigenen, dürren Leib zu spüren bekam, greift nun derbe in
die Vollen. Wo denn, wenn nicht in der ´ewigen Stadt´, kann einer wie er der
Dekadenz in einem Maße frönen, das es an altrömische Völlerei gemahnt? Kinski quartiert
sich und seinen Hofstaat, zumeist Hippies aus der näheren Umgebung, in einer
sündhaft teuren Villa ein und macht Party ohne Ende. Das viele Geld aus den
vielen Filmen geht bei den vielen Gelagen und den vielen ´standesüblichen´
Besorgungen schnell wieder flöten. Sein in späteren Jahren nur mehr peinlich
wirkendes, marktschreierisches Getue wird er vornehmlich in dieser privaten
Saus & Braus Ära kultiviert haben. Es ist das lärmende und lauthalse
Geprahle eines zutiefst unglücklichen, unseligen Mannes, der den verwöhnten
Gutshofbesitzer mimt und doch nur als Emporkömmling parliert. Das alles ist
gleichsam Theater, mit Gewalt erzwungene Demonstration scheinbarer
Selbstverwirklichung, die sich im schrillen Getöse selbst genießt und dabei
manche Träne unterdrückt. Er, der zu Beginn seiner Laufbahn trotz aller
Stilisierung erfrischend und authentisch wirkte, ist jetzt eher einer, der mit
verzweifelter Anstrengung ein fürwahr leidiges Image krampfhaft stützt, bevor
der letzte Lastkran kentert. Er zelebriert in diesen Jahren eine durchaus
schillernde Vorstellung, swingin – sixties like, sehr zeitgemäß; er berauscht
sich am Luxus, ohne doch im mindesten betört zu sein, denn dazu fehlt ihm, dem
Sensibelchen, längst der hehre Atem – er keucht und hechelt sich durch eine
hohle, aufgeblasene Scheinwelt, die irgendwann von selbst platzt. Folgerichtig
wird fortan die Öffentlichkeit, infolge allzu greller Pose, die facettenreichen
Aspekte seiner Kunst immer öfter übersehen; er wird weniger Objekt der
Auseinandersetzung als vielmehr Zielscheibe billigster Übertreibungen, ein
Liebling der Sensationspresse, die ihn immer öfter als geifernden Hanswurst
erledigen wird. Ein Prolet, der auf Landadel macht: das ist Klaus Kinski gegen
Ende des Sechzigerjahrzehnts. Ihm graut wohl davor, als bloßer ´Aufsteiger´ zu
gelten; den aristokratischen Dünkel legt er sich als eine Art seidenen
Schutzschild zu. Wenn es die Situation erfordert, weiß er indes jedes Klischee
aufzuwärmen: den Underdog (der er tiefinnerst geblieben ist) ebenso wie den
Herrn der Welt; den, der meilenweit über den trüben Niederungen thront und
leidig Hof hält.
Das wird
nun besonders deutlich bei der mit großem Pomp angekündigten Jesus Christus –
Erlöser Tournee. Wir schreiben das Jahr 1971. Kinski tritt mit der von ihm
höchstselbst bearbeiteten Version des Neuen Testaments an die Öffentlichkeit.
Der Startschuss erfolgt im Berliner Sportpalast und geht mit viel Getöse so
richtig nach hinten los. Das Ein-Mann-Spektakel missrät schon in Ansätzen,
gerät nämlich von Anbeginn außer Kontrolle und wird zum totalen Reinfall. Die
durchschaubare Melange aus Zeitkritik und Personenkult, platt
zusammengeschustert und vor Anbiederung dermaßen triefend, dass es einen
schüttelt, fällt beim anwesenden Publikum mehrheitlich durch. Aber so, dass
sich heftiger Widerstand nicht nur regt sondern auch dauernd artikuliert:
ständig störend, stetig heftiger. Es ist auf Zelluloid gebannt, ein
einzigartiges Zeitdokument. Der Rezitator Klaus Kinski befindet sich mit seinem
Programm auf unfreiwilliger Abschiedstournee. Das heißt: zu einer solchen kommt
es gar nicht mehr: er, Kinski, geht schon in der Zonenstadt mit seiner
selbstverfassten Laienpredigt baden, versucht es etwas später noch einmal im
Ruhrgebiet und zerreißt endlich den Vertrag. Schon zetert er auf das ´Gewürm´,
das Elende. ´Sie wollten ihn ja nur toben sehen´, wird Werner Herzog im
Rückblick befinden, und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Längst haben sich
die Zeiten geändert. Kinski hat eine Art Verkündigung im Sinn, einen wie gewohnt
pathetischen Vortrag, dem die versammelte Gemeinde gefälligst still und
ergeben, in Huld und Andacht zu lauschen habe. So kannte er es von früher;
jetzt war das nicht mehr möglich. Noch in seinen Erinnerungen ist ihm
schleierhaft, warum das schief gehen musste: „Warum unterbricht mich dieser
Idiot,“ fragt er da,“ Hier ist nichts wichtig, als das, was ich vorzutragen
habe.“ Er will sich ursprünglich auf eine ganz andere Art und Weise in Rage
reden, als das dann bei der unseligen Premiere tatsächlich der Fall ist. Kann
ihm denn allen Ernstes entgangen sein, das seit Ende der Sechziger im Zuge
eines naiv–ungestümen, frech vorpreschenden Aufbegehrens seitens der neuen
Generation immer öffentlicher und nahezu ununterbrochen diskutiert,
schwadroniert – palavert wird? Die Studenten hatten es vorgemacht, in Berlin
ging der Aufruhr los, und es mutet wie eine späte Ironie an, das ausgerechnet
hier, in der ehemaligen Reichshauptstadt, der Klaus Kinski so schamlos
´publikumsbeschimpft´ wird. Berlin, ein Biotop ganz eigener Art, war der
Brennpunkt heißhungrigen Aufbegehrens, und dort verbrennt sich der Mime jetzo
das hechelnde Maul. Das Nörgeln und Krakeelen, das Zetern bis zur
Schmerzgrenze: er hatte es früh, in eigener Sache, kultiviert, und nun fällt
das alles heillos auf ihn selbst zurück, ausgerechnet in der Maske des Dulders,
eines Botschafters der Liebe und des Friedens. Es kommt einem merkwürdig vor,
das Kinski offenbar nicht einmal ahnte, in welches Wespennest er sich begab. Er
hatte wohl die Zeichen der Zeit falsch gedeutet oder, wie das eher seiner Art
entspricht, herrisch von sich gewiesen, frei nach dem Motto: wenn ICH rede,
bebt die Erde und schweigt das Gewürm. Denkste. Die öffentliche Szene ist auf
irrsinnige Weise politisiert, die Debatten nehmen überhand und überhaupt wird
einfach alles zum Gegenstand geifernder, todernster Debatten. Nun wird alles
ganz unterschiedslos in Frage gestellt; die Fieberphantasien dieses Erlösers
nicht ausgenommen. Das Erbe jener bourgeoisen Marschierer, deren Etliche schon
bald in die bestbezahlten Chefetagen weiter marschieren werden, ist eine
pseudoelitäre, auf ihre Weise herrisch ausgelebte Lebensart, die Kinski nun, zu
Beginn eines neuen Jahrzehnts, mit voller Breitseite zu spüren kriegt. Jetzt
muss bis zum Wiedersinn diskutiert werden, alles wird zum Objekt des
´herrschaftsfreien Diskurses´, der als lautere Schablone herhalten muss, wo er
doch nur trickreiche Tarnung ist und die wahre Absichten, heimlichen Motive
vortrefflich verschleiert. Und endlich geschieht das viele Gerede nur noch um
seiner selbst willen, mutiert zu einem überfrachteten, schwerfälligen Ungeheuer
– hat Klaus Kinski das im römischen Exil nicht mehr mitgekriegt? Derlei Senf
und Seier schmiert man ihm nun auf´s ´heilige Abendmahl´; den frischen Frass,
den er ihnen vorzusetzen beabsichtigt. Klar, das ihm zum Kotzen ist.
In seinem
Erlösertext kokettiert Kinski, das verlachte und verkannte Genie, mit jenen,
die ihn nun niedermachen; den Leuten aus dem Volk. Er redet von Vietnam und
empfiehlt seinen Jesus als Helden der Arbeiterklasse (Zuruf aus dem Graben:
´Der hat doch nie gearbeitet!´). Seine Slogans geraten zu Fallstricken und
bringen den Vortrag folgerichtig ins Straucheln. Die Meute im Sportpalast will
ihm nicht folgen ins gelobte, ausgeklügelte Land, verweigert den ersehnten
Applaus. Sie wollen ihn nicht verstehen und verstehen noch viel weniger,
wenigstens in Ansätzen Haltung zu wahren, inne zu halten und einfach bloß
zuzuhören. Man fällt ihm ständig ins Wort, reißt lauthals Witze – macht sich
über ihn, die fleischliche Widergeburt, dauernd lustig. Man gibt ihm nicht die
geringste Chance, in jene weihevolle Stimmung zu geraten, die er sich in
narzisstischer Verblendung ausgemalt haben mag. Er, der sonst immer bei der
kleinsten Unstimmigkeit zur Furie wird, hat sich wieder so sehr in seine Rolle
hinein geschafft, das ihm auf Anhieb zunächst die Spucke weg bleibt: nur
zögerlich, stockend gibt er den eigenen Unmut preis. Er lässt die vielen
Zwischenrufe anfangs mit steinerner Mine über sich ergehen, weiß kaum, wie ihm
hier geschieht. Er lässt die Leute sogar vereinzelt auf die Bühne kommen (und
von einem Ordner schleunigst wieder herunter schubsen), gerät in Schreikrämpfe,
rennt weg, kommt wieder und schmeißt endlich den Mikroständer von Bord.
Schluss; Ende der Vorstellung. Ein verkannter, ein verhöhnter Erlöser der
Neuzeit. Aber am Ende passt es dann doch, irgendwie: für einen kläglich kleinen
Haufen, eine nun geduldig zuhörende ´Jüngerschaft´ steigt der Erlöser ein
letztes Mal vom Berg und hält seine Predigt vor der Bühnenkante ab: an die
Hundertmal gekreuzigt, geschmäht und gemieden, gedemütigt und gerädert. -
Dem
Berliner Reinfall folgen, wie schon so oft und schon gar nicht zum letzten
Male, Bitternis, Wut und abgrundtiefer Hass. Dann aber trifft Kinski den Mann,
der ihn mehr als alle anderen wirklich zu nehmen versteht, der ihn auf seine
Weise begreifen lernt und das Letzte aus ihm herausholen wird: Werner Herzog.
Er ist jemand, der von den Abgründen dieser leidenschaftlichen Seele etwas
versteht; einer, der in seinen Filmen immer wieder die Untiefen der Kreatur
ausleuchtet und vor einem oft maßlos anmutenden, zugleich seltsam spartanisch
gehaltenen Hintergrund nackte Größe entfaltet, ohne mit falschen Pfunden zu
wuchern. Gleich die erste gemeinsame Arbeit ist ein Treffer, der die vielen
vorrangegangenen Blindgänger vergessen macht: AGUIRRE, DER ZORN GOTTES. Dass
dieser Streifen Jahre braucht, um anzukommen, macht ihn rückblickend nur noch
sympathischer. Mit Aguirre, sicher eine seiner eindrucksvollsten Verkörperungen,
schafft Kinski, was nur wenigen Schauspielern gelingt: eine Darstellung, die
unerhört zwiespältig und vielsagend scheint und durch beklemmende, durchweg
bezwingende personale Transzendenz dauernde Präsenz erzeugt. Kinski arbeitet
hier mit sparsamsten Mitteln, verschwindet fast hinter dem Dämon jenes
vieldeutigen Krüppels, den er uns wie eine bitterböse Karikatur verkauft. Und
man fragt sich, wieso ausgerechnet er, der meist durch den expressiven
Aufschrei Wirkung erzielt, mittels Verzicht und bloße Andeutung derartiges zu
vollbringen schafft. Ihm gelingt, das Groteske bis zur Monstranz zu steigern.
Herzog und Kinski, die sich zu diesem Zeitpunkt noch siezen, haben bereits zur
typischen gemeinsamen Koexistenz gefunden: er – der Mime – schreit, tobt und
befiehlt; sein alter Ego – der Regisseur – duldet es, duckt sich und zieht das
Ding gnadenlos durch.
Der
filmische Abfall, dem sich Kinski im Laufe der siebziger Jahre erneut ´widmet´,
übertrifft noch einmal alles, was er bis dato an Schrott geschönt hat. Sein
Motto bleibt nachvollziehbar: kleine Rolle, großes, schnelles Geld – noch
schneller runtergedreht, der Schwachsinn. Er, der immer davon sprach,
abzuhauen, auszusteigen – der großen Freiheit auf den Meeren dieser Welt
hinterher zu segeln: er dreht doch weiter Film um Film, was ihn nach eigener
Aussage bloß anekelt. In der Regel lassen ihn die Billigproduzenten schon
machen; bei so viel Mittelmaß und Dilettantismus ist er der Chef. Und immer ist er auch der Hahn, der am lautesten
kräht, braucht er die Konfrontation und muss den Hass spüren, den er sät;
richtig satt fühlt er sich, wenn alle kuschen. Das tut von denen, die an den B
– Filmen mitwerkeln, sowieso jeder; mit der zweiten oder dritten Garnitur
lernte er schon früh umgehen. Wie gesagt: das Meiste dieser Machwerke lohnt der
Nachfrage kaum. Dennoch entstehen in dieser Zeit auch einige kleinere
Meisterwerke. Den Film NACHTBLENDE,mit
Romy Schneider, muss man unbedingt dazu rechnen, des gleichen zwei weitere
Streifen vom Werner Herzog: NOSFERATU und, im direkten Anschluss, WOYZECK.
Kinski zieht alle Register: als Vampir ergreifend und verblüffend menschlich,
wirkt er in der Rolle des gehörnten, verlachten Soldaten schlichtweg
erschütternd. Auch hier streift er, stotternd und ungelenk tapernd, die Grenzen
zur Parodie; und dazu passt auch der begleitende Kommentar in seinen
Erinnerungen, wo er das Ereignis gewohnt großkotzig zur totalen Selbstkasteiung
stilisiert, an deren Folgen er leidet wie ein Schwein.
Wenig
erfreulich geht es zeitgleich im Privatleben des Schauspielers zu. Zum
wiederholten Male zerbricht eine Beziehung an egozentrischer Unerbittlichkeit.
Seine nunmehr dritte Ehefrau, die zierliche, sanftmütige Minhoi, hält es nicht
mehr mit ihm aus und reicht die Scheidung ein. Apropos Privatleben:
unterscheidet sich denn der jenseits des Rampenlichts stehende Kinski von jener
lärmenden, anmaßenden (Un)Person, nach der die breite Öffentlichkeit mit
lüsterner Neugier sabbernd Ausschau hält? Ist er jenseits vom bereitwillig
bedienten Klatsch und Tratsch einer, der anders agiert, als man das wie
selbstverständlich stündlich von ihm erwartet? Ganz sicher lässt sich dieser
Mensch nicht auf jene Handvoll schillernder Allgemeinplätze reduzieren, die er
selbst eifernd heraufbeschwor und die ihn früh wie einen Fluch umwittern. Man
ahnt aber, dass er auch außerhalb der veröffentlichten Meinung eine ziemliche
Katastrophe gewesen ist. Auf ihn mag zutreffen, was Romy Schneider einmal
betreffs ihrer eigenen Person, nicht ohne leises Schaudern, zu Protokoll gab:
unlebbar für die andern – erst recht für sich selbst. Die gewinnenden, die
versöhnlich stimmenden Züge fristen im Falle Klaus Kinski ein Schattendasein;
er wollte es so. Das Liebenswerte ist ihm durchaus eigen, doch liegt es ihm
nicht recht: eine gewisse, greifbare Intensität auf diesem Sektor mag ihm wie
Schwäche vorkommen, die sich einer wie er – stets im Clinch mit sich, Gott und
der Welt – nicht leisten darf. Sein abwehrender Stolz, den er aus Gründen der
Selbstliebe wie des Selbsterhaltes gleich einem monströsen Wall um sich herum
aufgeschichtet hat, schirmt jede Nähe, die ihn zu sehr mitnähme; wörtlich
gesprochen. Wehe, wenn die Dämme brächen! Er ist eine Art Menschenfresser und
Menschenabwehrer in einer Person. Dass es aber auch einen sanfteren, leiseren
Kinski gibt, jenseits der aufgemotzten, stets lärmenden Fassade, wird von
zahlreichen Kollegen ausdrücklich bestätigt. Diese Seite betonen vor allem
Claudia Cardinale und Eva Matthes, mit denen er richtig gut kann, denen er sich
wenigstens ein Stück weit menschlich zeigt, etwas öffnet. Kommt er selbst aufs
Menschliche zu sprechen, so gerät ihm schnell wieder alles etliche Nummern zu
groß; etwa, wenn er von der Liebe zu seinem Sohn spricht oder jene Hassliebe
erwähnt, die ihn zeitweilig an Werner Herzog kettet (dazu später mehr). Seine
Verwundbarkeit verbirgt er hinter einer schier undurchdringlichen, massiven
Mauer. In den jeweils passenden Rollen tobt er die Verletzlichkeit auf seine
Weise aus, ohne sich dadurch von Unsicherheit und Zweifel erlösen zu können.
Später werden ihn immer häufiger schwere Melancholien plagen. Er wird das bis
zum Schluss hinter seiner rauen Schale verbergen; unterscheidet sich da im
Prinzip auch kaum von anderen Menschen, die indes nicht über sein schäumendes
Temperament verfügen. Wenn es die Rolle verlangt, weiß er den privaten
Weltschmerz wie ein Naturereignis herüber zu bringen; und nie hat er darob sich
oder die anderen geschont. Das Image darf darunter nicht leiden. Dazu zählt
auch jener sinnliche Mythos, den sich der ´Potenzprotz´ wie ein flatterndes
Gewand umgeworfen hat um damit ´prunken´ zu gehen. Die Heldentaten, derer er
sich auf diesem Sektor rühmt – angeblich 3000 Geliebte weltweit – kann man
wirklich nicht ernst nehmen; ein Bruchteil dessen darf schon als ordentliche
Leistung gelten. Doch ganz genau so
will er sich immer wieder sehen, so
sollen ihn gefälligst die andern sehen: auch hier unübertroffen,
unerreicht – epochal. Er, der nun wirklich (Aller)Größte. Zumindest für ihn
bleibt fortan die Zeit stehen: älter werden nur die anderen, und vögeln kann er
selbstverständlich auch noch mit über Sechzig Lenzen wie ein junger Spund –
natürlich ohne Viagra (das es damals noch nicht gibt).
Endlich
die Achtziger. Kinski ist immer noch Einzelkämpfer; beruflich wie privat. Als
FITZCARRALDO ist er es noch einmal auf überragende, überzeugende Art und Weise.
Er mimt einen idealisierten, in seligen Visionen schaumbadenden Schöngeist und
weiß das Klischee vom ewig irren, immerfort bösen Geist glaubhaft zu
widerlegen. Der Fitzcarraldo ist ein sympathischer, indes nicht minder
besessener Mensch, der stur und hartnäckig auf´s Ganze geht. Gut fünf Jahre
später, in COBRA VERDE, wirkt diese Attitüde nur noch peinlich, schmierig und
verbraucht. Unausgegoren, fahrig und seltsam fragmentarisch wirkt die Rolle,
wie der ganze, krude Film. Der Handlungsverlauf bleibt wirr und wendig, und wie
ein müder, gelegentlich bedrohlich ächzender und mitunter in heftigen Stößen
vorwärts stuppsender Kenterkahn schleppt sich unser alter Kämpe Kinski durch eine
arg konstruierte, künstlich geblähte Seelenlandschaft. Diese Arbeit ist ein
trister Abgesang; die beiden Heroen taugen nicht mehr füreinander, sind
einander fremd geworden, divergieren nur mehr. Kinski wirkt seltsam kraftlos in
seiner Wut, die er hier wie ein schales Schautheater abzieht. Hat er sich
endgültig verschlissen? Wohl eher überlebt. Er spielt zu dieser Zeit auch kaum
noch, und in den USA, seiner neuen und letzten Wahlheimat, gelingt es ihm nur
mit Mühe, etwas Fuß zu fassen. Er dreht auch in den Staaten wieder Streifen von
der Stange; wird auf den Plakaten groß angekündigt und hat im Film die üblichen
kleinen Auftritte. Es hilft nichts: auch drüben, auf der anderen Seite des
großen Teichs, bleibt er ein Lückenbüßer mit Knalleffekt – allein Herzog
garantierte noch die Hauptrollen; solche, die zu spielen lohnte. So bleibt dem
Schauspieler, der sich für echten Schund nie zu schade war, nur übrig, das
Spielchen mit zu spielen; einfach so weiter zu machen. Er tritt auf der Stelle
und spürt schon das Alter, die Mühsal – sein Ende.
Die Zeit
bleibt nicht stehen, und mit ihr wandelt sich die Szene. In KOMMANDO LEOPARD
grient sich das alte Theatertier einfallslos bis verlegen durch einige
peinliche Szenen, die dem schnellen, schießwütigen Spektakel als plumpe
Pausenfüller dienen: wieder der Schurke, wieder auf ein paar Einsätze
reduziert. Im Grunde ist Kinski auf seine alten Tage immer noch da, wo er
einmal begann: er bleibt der umjubelte Star in drittklassigen Reißern, der
´Berufsbösewicht´, wie ihn der Spiegel nennt. Immer auffällig am Rande, im
Mittelpunkt nie. Ein Trüffel auf der viel zu fetten Sahnetorte ist er – man
würgt sie rasch herunter, das Sahnehäubchen kitzelt, immerhin, den Gaumen. Und
wenn er, mit langer, längst ergrauter Mähne in dem Fernsehfilm DIE ZEITFALLE
durch Raum und Zeit hastet und dabei sogar wie ein Stuntmen zur Seite springt,
dann überwiegt am Ende mehr das komische, kalauernde Moment: ein alter Zausel
zischt vorbei; einer, der selbst auf zeitlos macht und eine furchensatte
Fassade zeitigt. Denn diese Zeit, von der in dem Streifen oberflächlich die
Rede ist, sie spielt längst gegen ihn – zwingt ihn unerbittlich in die Knie.
Kinski ist
jetzt einer, der nach außen hin nicht mehr verbergen kann, wie es wirklich um
ihn steht. Er trägt sein gezeichnetes, verwitterndes Greisenantlitz wie ein
Fanal: unnachgiebig, unerbittlich und schon bis zur Neige in tiefe, traurige
Falten gebettet. Stolz und Hochmut, die ihm ehedem gut anstanden, geraten nun
unfehlbar zu einer grausigen, grämlich gehärmten Maske: ein erschütternder
Anblick. Er weiß selbst am Besten, was da zum Vorschein drängt, nach außen
strebt – sichtbar wird. Seine gemarterte, maßlos aufmuckende Seele obsiegt und
offenbart ihn; den verzweifelten alten Wolf. Nicht allein deshalb wird er sich
mehr und mehr verstecken, den Kontakt zu Menschen meiden; in den letzten Jahren
ist er praktisch in den Wäldern nahe Lagunitas verschollen. Er weiß es längst:
die Meute draußen, die will ihn weiterhin nur zetern, keifen – zicken sehen;
ihn, den irren, alten Gaul. Also tobt der Künstler, wenn sie ihn erneut vor die
Kameras locken –was bleibt ihm übrig?
Er kann längst nicht mehr anders. Wenn Kinski mit viel Getöse in irgendeiner
Talkshow drauflos poltert oder cool kalauert, wirkt es nicht länger bedrohlich
oder bezwingend; in summa nur noch lächerlich bis albern. Und wenn er, der
Schauspiel-Opa, den Macho rauskehrt, kommt das umso komischer. So gräbt er,
altväterlich circend, die damals noch junge Alida Gundlach an, der er einen
süssen Hintern attestiert. Die Dame pariert ganz anständig. Heute wirkt der
Auftritt harmlos, etwas armselig. Auch die wenigen andern, denen er sich noch
zur Verfügung stellt. Kinski witzelt und wuselt, poltert und pöbelt, schleimt
und gräbt sich durch die Schwatzrunden, die vollen Lippen vorwärts wölbend wie
ein komischer Lurch, und damit verursacht er nicht länger ein Erdbeben; bloß
eine Zitterpartie in der Gegend rund um den Lachmuskel. Seine übertriebenen
Bemerkungen sind weit davon entfernt, Skandale zu verursachen, werden auch von
den ´Opfern´ eher belustigt zur Kenntnis genommen: ein oller Kämpe halt, dem
mit Rücksicht auf sein Alter gern verziehen wird. Klaus Kinski gerät vollends
zur Karikatur seiner selbst, ein umgedrehter Dorian Gray, der vor den Augen
seines Publikums zerfällt und, auf eher komische Art und Weise, das Laster, den
Exzess repräsentiert. Er wird kaum milde mit dem Alter, und die Leute haben
ihren Spaß, wenn er, irgendeine Nebensächlichkeit monierend, ruppig wird und
ausrastet. Sein wirres Genuschel, der schon erwähnte Knutschemund, die
hektischen, herrischen Selbstbespiegelungen, das alles ist nur noch ein Witz.
Nichts von alledem entgeht ihm, und weiter gräbt der Schmerz Furche um Furche
in die bröckelnde Fassade, tiefe Schneisen graben sich hinein: die Bitterkeit
steht ihm ins wirre, tieftraurige Gesicht geschrieben. Die vielen Zweifel, von
denen wir annehmen, dass sie ihn schon früh bedrängten, sucht er immer noch in
bewährter Manier, mit Lärm und Pathos, zu überspielen; allein, es hilft nichts
mehr. Kinski macht dem ältlichen Wolf alle Ehre: nach wie vor weigert der sich,
mit dem Rudel zu heulen, und allein wird dann doch ein ´echter Heuler´ draus.
So bleibt dem Geächteten, der zu Lebzeiten weder akzeptiert noch wirklich
respektiert wird, nur der Rückzug ins Exil. Auf seine letzten Tage muss er sich
daher ganz verbergen; er weiß ja, dass sie sein Innerstes, seine Gedanken und
Gefühle (ein wahres Ungeheuer an Gefühlen!) nicht zu würdigen wissen. Er hatte
ihnen die Emotionen, die ganz großen Gefühle in vielen, allzu vielen Rollen auf
den nackten, kalten Tisch geknallt. Vergebens. Es folgt die große, die letzte
Einsamkeit, der er nicht entrinnen konnte; und natürlich leidet er an der
selbstverordneten, selbstverschuldeten Askese. Dieser Mensch kann nicht ohne Menschen,
ohne ein Publikum leben; mehr den je verachtet er sie – bis auf den Grund.
Vor dem
totalen Rückzug realisiert er noch ein Projekt, das ihm wirklich am Herzen
liegt und, nach eigener Aussage, die einzigen magischen Momente in seinen Leben
beschert: den PAGANINI – Film, welcher, als sein filmisches Abschiedsgeschenk,
ein tabuträchtiger Torso bleibt.
Das Werk
ist, gleich seinem Schöpfer, recht zwiespältig geraten und bleibt, aus
künstlerischer Sicht, fragwürdig, auch vieldeutig. Ist das überhaupt ein Film?
Und wenn nein – was ist es dann? Für ein Musikvideo ist der Streifen viel zu
lang ausgefallen; vor allem zu anspruchsvoll. Von einem ´echten´ Spielfilm kann
aber auch nicht wirklich die Rede sein: der durchgehende, der geordnete
Handlungsablauf fehlt. Stattdessen dominieren derlei anspruchsvoll in Szenen
gesetzte Traumsequenzen und Fieberphantasien; irreal anmutende bildliche
Symbolismen, die sich einer abschließenden Deutung schon deshalb entziehen,
weil ihr operettenhafter, in Duft und Dusel schwelgender Dünkel alle
Querverbindungen mutwillig vernebelt. Die wahllos aneinander gereihten Bilder
erzeugen eine Art Rausch, der auch den Helden der Geschichte umtreibt; ein
Zustand ständiger Verwirrung, welcher vornehmlich an den Peripherien von Lust
und Leidenschaft ossziliert; mitunter soll er wohl besoffen machen. Da ist
leider gar nichts, was sich greifen, fassen ließe, so eindringlich die
einzelnen Abfolgen auf den ersten Blick auch scheinen mögen: nach einer Weile
kommt einem der ganze Wust nur noch unsäglich manieriert, ganz prätentiös vor.
Das barocke Prachtgemälde blendet mehr, als das es strahlt oder leuchtet. Es
handelt sich um ein gewaltiges Fragment, dessen einzelne Teile bzw. Bruchstücke
den Zuschauer spontan verzaubern; jede dieser Sequenzen weiß zu beeindrucken,
aber in voller Länge, am Stück besehen, ist der Film nichts Halbes und nichts
Ganzes mehr und nach einer Weile unerträglich. Mögen die sehr wienerisch
anmutenden Schaumgeburten noch so betörend am genießenden geistigen Auge
´vorüberhauchen´, in zarte Dunstschwaden gehüllt: am Ende bleibt davon nichts
mehr hängen. Es war eben alles nur ein Traum. Der schöne, sinnenfrohe Schein
trägt daher auch nichts mehr zur Erhellung der Hauptperson bei, die dem Werk
den Namen gab; er täuscht doch nur ein monströses, abwegiges Ideal vor – allen
irdenen Maßstäben entrückt; wieder einmal. Paganini als Abgott, der im
Geigengezirpe und/oder Vögelwahnsinn mächtig (trächtig?) versinkt. Beides wird
schnell ungenießbar, denn Kinski überzeichnet ständig, statt zu beschreiben
oder nur darzustellen. Überflüssig zu erwähnen, wen der Macher hier zum
wiederholten Male auf die barocke Leinwand gewuchtet hat: sich Selbst – etliche
Meilen über der runzligen, weihevoll rauchenden Erdkruste schwebend. Was man am
meisten vermisst, sind echte Dialoge, überhaupt echte Menschen; Charaktere, die
sich greifen, fassen ließen. Der Meister bietet bloß Gespenster, Statisten. Und
dann diese ewigen Zeitlupen und Schnitte; am laufenden Meter. Man wird den
Eindruck nicht los, als sei hier das wirkliche Leben durch ein imaginäres Sieb
gefallen; zu Asche und Pulver zermahlen; Staubwolken, Dunstschwaden zeitigend,
die nichts hinterlassen als tote Erde, von einer feinen, nachgewürzten
Staubschicht bedeckt. Der Film wirbt auf seine Weise um Verständnis und
schweigt einen dabei fortlaufend an. Fast scheint es, als habe ein
überirdischer Fremdling, kosmischer Schizophrenie verfallen, einer Sprache
Ausdruck verliehen, die keiner hören, keiner deuten – keiner sprechen kann. Der
Film leidet auch unter chronischem Wackelkontakt: die Handcam scheint ein
Tattergreis oder Schüttelfrostpatient geführt zu haben. Wohl der Meister
höchstpersönlich. Der kommt einem in den meisten Szenen wie der Tod selbst vor:
ein notgeiler Sensenmann, außer Kontrolle oder aber in vieldeutiger
Versteinerung befindlich. Und so ein alter Sack bringt all die jungen Zuschen
zur Ekstase? Derlei Rammeleien, mit denen der Film gespickt ist, wirken wie
eine Parodie auf die Leiden des Älterwerdens. Kinski selbst aber wirkt wie
einer, für den das alles längst harte Knochenarbeit geworden ist, die er umso
wütender herunterackert. Manchmal wird der Konsument beim Anblick des
hochverehrten, enorm Backenbärtigen Virtuoso das Gefühl nicht mehr los, als
habe er sich in eine Doku über Magersüchtige Menschenaffen verirrt; mutet die
Fassade des um die Wette bumsenden und fiedelnden Dämonen doch arg Primatenhaft
an. Da wird denn wohl das Tier im Manne – das Animalische – die weibliche
Ergebenheit befördert haben. Womit wir wieder mal die Parodie, die groteske
Entgleisung streifen.
Das wir
uns nicht missverstehen: Kinski hat mit diesem Film, mit diesem Experiment (an
dem er gescheitert ist) auf alle Fälle etwas Beeindruckendes, immerhin höchst
Interessantes geschaffen. Die Einstellungen sind mit Bedacht gewählt, die
Bildmotive raffiniert und phantasievoll komponiert worden; liebevoll und
behutsam bis ins letzte Detail. Kinski begreift viel von Atmosphäre; das merkt
man schnell. Er versteht es, ausgewählte Momente mit ganz bestimmten Stimmungen
zu verstärken und musikalisch zusätzlich zu untermalen; bisweilen kleistert er
sie aber auch zu. Vor allem geht einem das schier endlose Geigengedudel
irgendwann auf den Zeiger, vom triefenden Narzissmus des Meisters in selbigen
Szenen folgerichtig geradezu unbekömmlich begleitkommentiert. So werden die
sensiblen Momente immer wieder mit Gewalt heraufbeschworen und – sogleich
wieder im Keim erstickt. Die Idee, mal eben den Ton ganz auszublenden, wirkt
schon nach der ersten Wiederholung nur noch lau und abgestanden; ein simpler
Trick. Vielleicht hat er sich das vom Werner Herzog abgeschaut, der
ursprünglich Regie führen sollte, aber schnell ablehnte, weil er das Drehbuch
für unrealisierbar hielt. So ist am Ende ein echtes Kuriosum dabei
herausgekommen, allemal beeindruckender als vieles, was man üblicherweise auf
Leinwand zu ertragen hat.
Um
abschließend noch einmal die, wie ich finde, wesentlichsten Mängel zu betonen:
einzelne der Sequenzen, mit viel Gespür für optimalen Ausdruck und anmutige
Schönheit in Szene gesetzt, taugen doch bloß als separate Momentaufnahmen. In
der filmischen Aufeinanderfolge wirken die Ereignisse bald allesamt beliebig
und austauschbar; sie hätten in jeder nur denkbaren Reihenfolge aufgelistet
werden können. Zu abgehoben und entrückt geigt und giert sich der Maestro durch
ein bis zum Ersticken geblähtes, über allen Wolken schwebendes Luftschloss. Ein
Titan überfliegt die flache Erde auf den Saiten steter Eingebung, die ihn
zusätzlich entrückt. So wird denn am Ende bloß eine krachende Bruchlandung
draus. Der von Setbon beharrlich betonte Hang zum Absoluten scheint Kinski hier
vollends zum Verhängnis geworden zu sein: sein dionysischer Überschwang hat das
appolinische Korsett zum Platzen gebracht. PAGANINI ist so zu einem üppigen,
ausladenden Festmahl, zu einer reichen, jeden Gaumen verderbenden Festtafel
geworden; so recht geeignet für kultivierte Vielfrasse und notorische
Bulimisten. Am Ende bleibt, bei allem Staunen und heimlicher Bewunderung nur
ein Achselzucken, eine gewisse Ratlosigkeit übrig.
Kinski,
wie immer jedes bekömmliche Maß überschreitend, liebäugelt schon mit dem
Gedanken, das sein Werk eine volle Dekade lang in den Kinos verbleiben werde.
Vollkommen absurde Vorstellung in Zeiten wie diesen, die zunehmend hirnlose
Materialspektakel feiern. Der Film kommt zunächst gar nicht in die Kinos, weil
unser Meister sein finales Opus um kein einziges anrüchiges Detail erleichtern
mag; auf einer entsprechendes Konferenz tobt er wie gewohnt und macht dann mit
seiner minderjährigen, üppigen Geliebten den gewohnt schroffen Abgang. Der Film
wird fortan nicht weiter beachtet und verschwindet folgerichtig in der
Versenkung. Dort ruht der Streifen bis zum heutigen Tage; taucht allenthalben
in einigen Programmkinos und auch schon mal auf der Mattscheibe auf. Eine
ernsthafte Auseinandersetzung findet nicht mehr statt; der Zeitgeist verbietet
es. Der Film verzichtet ja auf derlei Mätzchen der Marke High – Tech, die heute
so selbstverständlich zu jeder Höhenarie gehören, er kommt ganz ohne
Wortgirlanden und irgendwelche Action aus. Keine Chance. Fürwahr grausam ist
der Gang der Moden; kalt und gefühllos.
Zum
Schluss wird der große Schauspieler ganz vergessen, wie die Mehrzahl seiner
Filme längst vergessen ist. Kinski verstummt endlich; darf aber von sich behaupten,
bis zum bittren Ende auf jedwede Konzession verzichtet zu haben. Irgendwie
gleicht er hier dem coolen Zappa, ein enfant terrible der etwas anderen Art.
Der
Verfemte stirbt, kaum im Rentenalter, am Herzen, das er zeitlebens allzu sehr
malträtiert hat. Die Obduktion bringt es rasch ans Licht. Lauter kleinere
Narben bilden den sichtbaren Beweis, dass zahlreiche kleinere Attacken dem
Exitus vorgearbeitet haben müssen. Posthum verleihen sie den legendären
Ausbrüchen eine gewisse Authentizität: er war schon er selbst, wenn ihn die Wut
packte. So war er ein Gepeinigter bis zum Schluss. Wen mag das wundern?
Geschont hat er niemanden; weder sich noch die andern. Am Ende zahlt man dafür
dann den entsprechenden Preis.
Unter den
wenigen Trauergästen, die ihm die letzte Ehre erweisen, findet sich
folgerichtig noch einmal Werner Herzog, der vielleicht einzige wirkliche
Freund, den der Verstorbene je hatte. Wie sehr Kinski gerade ihn gemocht, ja
geliebt haben muss, geht deutlich aus der Autobiografie des Künstlers hervor;
vorausgesetzt, dass man sie richtig zu lesen versteht. Von den weit über
hundert Filmen, an denen er im Laufe seines Lebens mitwirkt, wird in dem Buch
kaum einmal einer erwähnt, und wenn das dann doch geschieht, hakt Kinski die
Sache mit ein bis zwei Bemerkungen ab. Die Streifen, die er mit Herzog dreht,
erwähnt der Mime allesamt und er geht zum Teil auch näher auf die Arbeit selbst
ein. Kein negatives Superlativ ist ihm zu schade, um den Partner so richtig
herunter zu machen. Mittels frisierter Kunstsprache wird omnivulgär drauflos
gehauen. Herzog wird zur Zielscheibe allerübelster begrifflicher Wurfgeschosse,
die unter jede geschmackliche Gürtellinie zielen. Der Autor holt alles raus,
was aus einer solchen Sprache überhaupt ans grelle Licht zu befördern ist. Er
zeigt überdeutlich, wie wichtig ihm dieser Mensch ist. Er kann das gar nicht
anders, als er es hier tut: die andern sind nun einmal allesamt unfähig und an
ihn selbst reicht niemand auch nur im Allerentferntesten heran. Und weil er den
Werner Herzog nun wirklich mag, muss er ihn eben auf so räudige, übertriebene
Weise darstellen: ersteres darf ja auf keinen Fall auch nur angedeutet werden –
solcherart geschieht es aber im Dutzend. Er liebt Herzog auch und erst recht ob
seiner Luftschlösser, an die jener stets unbeirrt, bis zum Verrecken, festhält;
da treffen sich die beiden. Großenwahnsinnig sind sie folglich beide: jeder auf
seine Weise. Auch Herzog greift nach den Sternen; etwa, wenn er mal eben ein
Schiff über den Berg ziehen lässt, was anfangs durchaus niemand glauben möchte
und später alle für einen Trick halten. Es wäre verfehlt, derlei Kraftakte mit
den Handelsüblichen Muskelspielereien der Marke Hollywood zu vergleichen.
Herzog hat ja, bei allem materiellen und personellen Aufwand, stets den Einen,
den Menschen – das Individuum im Blick; die titanische Gebärde wird nie um
ihrer selbst willen bemüht, alles dient den Manen dessen, der einsam und auf
sich gestellt das Drama des Lebens – des Menschseins – leidet, bis an´s
Äußerste, bis hart an den Rand. Der Mensch steht im Mittelpunkt, einer, wie
Kinski ihn zu verkörpern imstande war: als trauriger Vampir, als tolldreister
Empörer oder dem Wahnsinn entgegenfiebernder, armseliger Narr. Den trug der
Herzog nun zu Grabe. Manchmal, wird er später zugeben, vermisse er ihn. Den
Menschen. Den Freund.
Da stellt
sich nun abschließend wieder die Frage, ob man so einen wie den Kinski
überhaupt ´erklären´ darf. Darf man?
Er kannte
keine Grenzen und wurde doch schlussendlich in die eigenen, immer engeren verwiesen.
Er gierte förmlich nach Anerkennung (alle Schauspieler tun das) und beschwerte
sich über das ´Geschmeiß´. Er blieb Außenseiter, eine kuriose Randfigur, und
wollte doch immer ganz im Mittelpunkt stehen. Er liebte die Frauen und hat doch
keine einzige an sich binden können. Nichts genügte, nichts befriedigte, nichts
sättigte ihn je. Er war kein Schauspieler.
Er hat, meist zu recht, an keinem
seiner Filme ein gutes Haar gelassen. Ihm war keine Auszeichnung gut genug, kein Prädikat passend. Keiner,
der an ihn herangereicht hätte; niemals. Keine Chance. Hatte er ein Recht, so
zu (ver)urteilen? Ganz unberechtigt schienen mir diese Anmaßungen und
Übertreibungen nie. Er schaffte es wieder und wieder, den größten Mist durch
bloße Präsenz in Ansätzen zu veredeln. Als Darsteller und Künstler ein Genie,
blieb auch er, wie viele vor ihm, als Mensch ein hoffnungsloser Amateur,
heillos in sich selbst verstrickt. Hätten ihm die etwas anderen Rollen wohl
angestanden? Ich glaube, er hätte alles spielen können. Aber das hat keiner
mehr von ihm verlangt. Begegnen wir ihm immerhin mit Ehrfurcht und Respekt; er
hat beides, allen Verfehlungen zum Trotz, aufgrund seiner gewaltigen
künstlerischen Leistung verdient.
(2000)
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