Erschienen in Ausgabe: No 70 (12/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Michael Lausberg
Die neonazistische Mordserie, von
der Bild-Zeitung verharmlosend „Döner-Morde“ getauft, beherrscht seit mehr als
einer Woche die Medien in der Bundesrepublik. Selbst in konservativen Zeitungen
wie der FAZ oder den Springer-Medien wird plötzlich eine „Gefahr von rechts“
erkannt und ein wie auch immer geartetes „hartes Durchgreifen“ gefordert. Die
Forderung nach einem NPD-Verbot hat Konjunktur. Das Versagen der
Inlandsgeheimdienste ist nicht mehr zu leugnen, vor allem strukturelle
Änderungen werden gefordert. An die Möglichkeit personeller oder
programmatischer Änderungen scheint kaum jemand denken zu wollen.
Das plötzliche „Aufbegehren gegen
den Rechtsextremismus“ in der politischen Klasse ist an Heuchelei nicht zu
überbieten. Nach dem vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder„Aufstand der Anständigen“ Anfang 2000 wurde
die Bedrohung durch die neonazistische Szene nicht mehr ernst genommen;
stattdessen stand der „Islamismus“ und der „Linksterrorismus“ auf der Agenda
der „Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“. Staatliche
Programme gegen die neonazistische Rechte wurden gekürzt, antifaschistische
Gruppen, die sich seit Jahrzehnten mit den „Neuen Rechten“ beschäftigen, wurden
kriminalisiert. Eine dauerhafte wissenschaftliche Beschäftigung mit dem
Phänomen der extremen Rechten und deren Verbindungen in die bürgerliche „Mitte“
der Gesellschaft war nicht erwünscht. In der gesamten Bundesrepublik gibt es
keinen einzigen Lehrstuhl für die Erforschung der extremen Rechten.
Die nun in den Raum geworfenen
Versprechungen der politischen Klasse, entschieden gegen die neonazistische
Szene vorzugehen oder die NPD zu verbieten, löst das Problem des in der BRD
verbreiteten Rassismus nicht. Nicht nur bei den vom „Verfassungsschutz“ unter
dem Label „Rechtsextremismus“ benannten Organisationen und Parteien gibt es
rassistische, antisemitische, antiziganistische und antimuslimische
Einstellungsmuster, sondern auch in der ganz „normalen“ Bevölkerung. Dies stellt
das eigentliche Problem dar, was natürlich nicht aktionistisch und kurzfristig
zu lösen ist. Rassismus ist ein normaler Bestandteil der Alltagskultur der weißen „autochthonen“
Mehrheitsgesellschaft; Kulturrassismus und Klassismus erlebt nicht erst seit
der Sarrazindebatte eine Renaissance. Die gefährliche Entwicklung lässt sich
anhand von wissenschaftlichen Studien belegen.
Die repräsentative Studie „Die
Mitte in der Krise - Rechtesextreme Einstellungen in Deutschland 2010“ im
Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, wo im Frühjahr 2010 mehr als 2.400
Menschen im Alter von 14 bis 90 Jahren in direkten Interviews befragt wurden,
ergab, dass sich in der Bundesrepublik antidemokratische und rassistische
Einstellungen auf einem sehr hohen Level existierten. Einem Viertel der
deutschen Bevölkerung konnte ein gefestigtes extrem rechtes Weltbild
bescheinigt werden.
Mehr als 30 Prozent der befragten
Personen stimmten der Aussage zu: „Ausländer kommen, um den Sozialstaat
auszunutzen.“[1]
Fast jede dritte Person votierte für die Ansicht, bei anhaltender
Wirtschaftskrise und fehlenden Arbeitsplätzen „sollte man die Ausländer wieder
in ihre Heimat zurückschicken“. Genauso viele sahen die BRD durch „die vielen
Ausländer in einem gefährlichen Maß überfremdet“. Antimuslimischer Rassismus
zeigte sich laut der Studie sogar bei einer Mehrheit der befragten Personen.
Der Aussage „Für Muslime in Deutschland sollte die Religionsausübung erheblich
eingeschränkt werden“ schlossen sich 58,4 Prozent der Bevölkerung an – in
Ostdeutschland sogar 75,7 Prozent. 55 Prozent hielten die folgende Behauptung
für richtig: „Ich kann es gut verstehen, dass manchen Leuten Araber unangenehm
sind.“[2]
Autoritative und demokratiefeindliche
Einstellungen waren auch in erschreckendem Maße weit verbreitet. Die Ansicht
„Deutschland braucht jetzt eine einzige starke Partei, die die
Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“ bejahte fast jede vierte befragte
Person. Mehr als 65 Jahre nach dem Ende des „Dritten Reiches“ wollten ca. 13%
einen „Führer“ zurück, der „Deutschland zum Wohle aller mit starker Hand
regiert“. Mehr als 10% der Bevölkerung gaben an, der Nationalsozialismus habe
„auch seine guten Seiten“ gehabt. Eine nationalistische Außenpolitik und eine
chauvinistisch geprägte Machtpolitik Deutschlands in der internationalen
Staatengemeinschaft fanden ebenfalls hohe Zustimmungswerte. So fand die
Forderung, Deutschland die „Macht und Geltung“ zu verschaffen, „die ihm
zusteht“, bei mehr als jeder vierten befragten Person ein positives Echo. Ein
„hartes und energisches Durchsetzen deutscher Interessen gegenüber dem Ausland“
befürwortete jede(r) Dritte. Den wie auch immer gearteten „Mut zu einem starken
Nationalgefühl“ unterstützen fast 40 Prozent.[3]
Die Studie belegte eindrücklich, dass extrem rechte Einstellungsmuster
innerhalb der „Mitte“ der Gesellschaft weit verbreitet sind und nicht nur an
einem immer wieder beschworenen „rechten Rand“. Laut der Studie gibt es bei
Wählern der CDU/CSU, SPD, FDP, den Grünen und selbst bei der Linkspartei
gefestigte antidemokratische und rassistische Auffassungen. Extrem rechtes
Denken existierte in jeder gesellschaftlicher Gruppe und Klasse, nicht nur bei den
„Verlierern“ der Wirtschafts- und Finanzkrise.
Dass sich militante Neonazis bei
diesen Einstellungsmustern als „Vollstrecker“ eines vermeintlichen
„Volkswillens“ sehen, ist nichts Neues. Dies war schon bei den Pogromen Anfang
der 1990er Jahre in Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen und anderen
Gelegenheiten zu konstatieren.[4] Das Schweigen oder die
klammheimliche Freude in der weißen
Mehrheitsbevölkerung wird auch in der nahen Zukunft den Nährboden für weitere
rechtsterroristische Zellen bilden. Bis zum nächsten Mord.
Literatur
- Siegler, B.: Auferstanden aus Ruinen… Rechtsextremismus
in der DDR, Berlin 1992
- www.focus.de/politik/weitere-meldungen/studie-deutschland-auf-dem-Weg-nach-rechts-_aid_561948.html
-www.neues-deutschland.de/artikel/181790/studie-auslaenderfeindlichkeit-seit-2008-deutlich-gewachsen.html
-www.tagesspiegel.de/politik/auslaenderfeindlichkeit-und-fuererfantasien/1956630.html
[1]
www.focus.de/politik/weitere-meldungen/studie-deutschland-auf-dem-Weg-nach-rechts-_aid_561948.html
[2]
www.neues-deutschland.de/artikel/181790/studie-auslaenderfeindlichkeit-seit-2008-deutlich-gewachsen.html
[3]
www.tagesspiegel.de/politik/auslaenderfeindlichkeit-und-fuererfantasien/1956630.html
[4]
Siegler, B.: Auferstanden aus Ruinen… Rechtsextremismus in der DDR, Berlin
1992, S. 184
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Warszawski 24.11.2011 13:04
„Laut der Studie gibt es bei Wählern der CDU/CSU, SPD, FDP, den Grünen und selbst bei der Linkspartei gefestigte antidemokratische und rassistische Auffassungen.“ Was ist denn daran verwunderlich, dass SELBST bei der Linkspartei gefestigte antidemokratische und rassistische Auffassungen vorhanden sind? „Nicht nur bei … Parteien gibt es rassistische, antisemitische, antiziganistische und antimuslimische Einstellungsmuster, sondern auch in der ganz normalen Bevölkerung.“ Soll etwa die Linkspartei, die Nachfolgepartei der undemokratischen SED, als Garant gegen Antirassismus aufgebaut werden, nur - weil solange der antifaschistische Schutzwall stand - nichts über den alltäglichen Rassismus der DDR berichtet werden durfte?