Erschienen in Ausgabe: No 71 (1/2012) | Letzte Änderung: 06.02.13 |
von Michael Lausberg
Ludwig
Feuerbachs These, dass die sterblichen, beschränkten Menschen nach
Vollkommenheit streben und deshalb eine Macht kreieren, die diese fehlenden
Eigenschaften besitzt, hat in Zeiten der beherrschenden Stellung der christlichen
Dogmatik in der BRD nichts von seiner Aktualität eingebüßt.
Schon in der
1830 anonym in Nürnberg erscheinenden Schrift „Gedanken über Tod und
Unsterblichkeit“, worin er behauptet, es gibt kein Leben nach dem Tod,
entwickelt Feuerbach Gedankengänge, die in seinem Hauptwerk „Das Wesen des
Christentums“ zur Entfaltung kommen.[1]
Er lehnte
den christlichen Unsterblichkeitsglauben ab mit der Aufforderung im Hier und
Jetzt das Unendliche zu entdecken. Vor allem aber gelange man erst durch die ungeteilte
Bejahung des Todes zur ungeteilten Bejahung des Lebens. Griechen und Römer
kannten keinen Glauben an diese Auferstehung des gestorbenen Individuums, ihr
Menschenideal war ein diesseitiges. Der Mensch schafft sich als Illusion ein
Jenseits, das schöner sein soll als das jetzige Leben (Paradies). Erst die
Anerkennung des Todes als eines unumstößlichen Faktums lenkt wieder die ins
Jenseits gewandten Menschen zurück auf die irdische Welt. Der christlichen
Philosophie wird der Vorwurf gemacht, die menschliche Natur zu knechten
zugunsten eines fiktiven Jenseits.
Diese
Argumentation hatte eine historisch-gesellschaftliche Stoßrichtung, sie
richtete sich gegen restaurativ-religiöse Tendenzen der Zeit. Wenn konservative
Philosophen und Politiker forderten, die Philosophie habe sich an der
Christlichkeit auszurichten, so entgegnete er mit vehementer Ablehnung
jeglicher Vermittlung zwischen Religion und Philosophie.
Theologie
und Metaphysik erklärt Feuerbach durch die Psychologie, die Metaphysik sei
nichts anderes als eine esoterische Psychologie. Freiheit wird gewonnen durch
die Selbstbefreiung aus selbstverschuldeter Unmündigkeit.
In der im
Jahre 1841 erscheinenden Schrift „ Das Wesen des Christentums“ vertritt er die
These, dass die christliche Religion Menschenwerk sei und Ergebnis von
Projektionen.[2] Der Titel stammte
eigentlich von seinem Verleger. Feuerbach wollte eigentlich das Buch als
Gegenstück zu Kants Werk „Kritik der reinen Vernunft“ „Kritik der reinen
Unvernunft“ nennen.
In der Einleitung entfaltet
Feuerbach die These von der kopernikanischen Wende des Denkens. Diese
kopernikanische Wende bestand laut Feuerbach in der Aufhebung der
transzendenten Vorstellung, die einen neuen Philosophiebegriff und einen damit
verbundenen neuen erkenntnistheoretischen und anthropologischen Ansatz schuf:[3] „Die
Religion ist das Bewußtsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts
anderes sein, als das Bewußtsein des Menschen von seinem, und zwar nicht
endlichen beschränkten, sondern unendlichen Wesen.“
Die Religion steht im Widerspruch
zum eigentlichen Wesen des Menschen, die dogmatische christliche Philosophie
wird als religiöse Projektion entlarvt:[4] „Die
Religion zieht die Kräfte, Eigenschaften, Wesensbestimmungen des Menschen vom
Menschen ab und vergöttert sie als selbständige Wesen – gleichgültig ob sie
nun, wie im Polytheismus, jedes einzeln für sich zu einem Wesen macht oder, wie
im Monotheismus, alle in ein Wesen zusammenfasst.“
Laut Feuerbach ist Gott nur die
Summe aller Wünsche (nach Unsterblichkeit, Vollkommenheit, Glückseligkeit,
Gleichberechtigung) jedes Menschen, die dieser aber nicht als Wünsche
anerkennt, sondern in einer von sich selbst gebildeten Gottheit projiziert. Der
Mensch ist endlich, sündhaft, unvollkommen und ohnmächtig. Der Mensch stellt sich
seinen Gott dann mit seinen Wünschen vor, so wie er sein will: unendlich, ewig,
vollkommen, mächtig und vor allem heilig:[5] „Wie
der Mensch denkt, wie er gesinnt ist, so ist sein Gott. So viel Wert der Mensch
hat, so viel Wert und nicht mehr hat sein Gott. Das Bewußtsein Gottes ist das
Selbstbewusstsein des Menschen. Die Erkenntnis Gottes die Selbsterkenntnis des
Menschen; die Religion ist die feierliche Enthüllung der verborgenen Schätze
des Menschen, das Eingeständnis seiner innersten Gedanken, das öffentliche
Bekenntnis seiner Liebesgeheimnisse.“
Feuerbach
kommt zu der Forderung, der Mensch muss für den Menschen das höchste Wesen
werden. Der Mensch sollte das Christentum aufgeben, erst dann wird er Mensch.
Dieser anthropologische Materialismus Feuerbachs stellte heraus, dass die
Religion im Widerspruch zum eigentlichen Wesen des Menschen steht.
In den
Anfang 1842 geschriebenen, wegen des Verbots durch die Zensur allerdings erst
im Herbst 1843 erschienenen „Vorläufigen
Thesen zur Reformation der Philosophie“ sah Feuerbach in seiner
Religionsphilosophie nicht das Ergebnis eines kontinuierlichen
Diskussionsprozesses, sondern einen Bruch mit der Geschichte der neueren
Philosophie. Feuerbach entwickelte eine Philosophie, die auf den Menschen
ausgerichtet ist:[6] „Die menschgewordene
Philosophie ist allein die positive, wahre Philosophie.“ Dies soll als neuer
erkenntnistheoretischer und anthropologischer Ansatz verstanden werden. Dies
kam besonders in seinem 1843 in der Schweiz veröffentlichten Werk „Grundsätze
der Philosophie der Zukunft“ zum Ausdruck. Die „alte“ Philosophie sagt: nur das
Vernünftige ist das Wahre und Wirkliche. Die „neue“ Philosophie sagt: Nur das
Menschliche ist das Wahre und Wirkliche“, der Mensch das Maß der Vernunft.[7]
Die „Philosophie der Zukunft“ war
ein neues theoretisches Fundament, das insgesamt die traditionelle Philosophie
(Idealismus, Empirismus) überwindet in einer neuen humanistischen Philosophie,
deren Grundprinzipien die der Sensualität und Individualität sind.[8]
Mit seinem anthropologischen
Materialismus war Feuerbach ein wichtiger Wegbereiter für die Entwicklung der
Philosophie von Karl Marx.[9] In
seinem Werk „Ökonomisch-philosophische
Manuskripte aus dem Jahre 1844“kamMarx nach der
Beschäftigung mit den religionsphilosophischen Thesen Feuerbachs zu der
Erkenntnis, dass der Idealismus seine Strahlkraft verloren hatte und
stattdessen dem Materialismus die Zukunft gehöre. Marx will die Feuerbachschen
Gedanken auf die Politik anwenden und entwickelte daraus seine Theorie der
Religion als „Opium des Volkes.“ Marx entwickelt aus dem anthropologischen
Materialismus Feuerbach einen historischen Materialismus, der einen Umsturz der
ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse propagierte.[10]
Fast 50 Jahre nach dem Erscheinen
des Werkes hat Friedrich Engels die befreiende Wirkung des Buches in der
akademischen und intellektuellen Welt festgestellt. Außer der Natur und den
Menschen existiert nichts und die höheren Wesen erschuf die religiöse Phantasie
des Menschen. Feuerbach galt für Engels als eine unmittelbarer Vorläufer der
marxistisch-leninistischen Philosophie und einer der bedeutendsten Vertreter
des bürgerlichen Materialismus. Er schrieb:[11] Die
Hegelsche Schule war aufgelöst, aber das Hegelsche System war nicht kritisch
überwunden. Strauß und Bauer nahmen jeder eine ihrer Seiten heraus und kehrten
sie polemisch gegen die andere. Feuerbach durchbrach das System und warf es
einfach beiseite. (…) Man muß die befreiende Wirkung dieses Bruchs selbst
erlebt haben, um sich eine Vorstellung davon zu machen. Die Begeisterung war
allgemein: Wir waren alle momentan Feuerbachianer.“
Mit ca. 2,26 Milliarden Gläubigen
ist das Christentum vor dem Islam (ca. 1,57 Milliarden) und dem Hinduismus (ca.
900 Millionen) die am meisten verbreitete Religion auf der Welt. Das
Christentum wächst heute in den meisten Erdteilen der Welt sehr stark, wobei
sich sein Schwerpunkt vom „alten“ Kontinent Europa hin zu den Kontinenten Asien
und Afrika verschiebt.
Die
religiösen Texte des Christentums sind voller Verhaltens-, Essens- und
Lebensregeln, die die Menschen in ihrer Autonomie einengen und eine
Sklavenmoral erzeugen. Eine Sexualität, die nicht der Fortpflanzung dient, wird
nicht geduldet; Homo- oder Transsexualität wird weiterhin bekämpft.
Die
mittelalterliche Scholastik prägt auch heute noch das Christentum. Die
griechischen und römischen Kirchenväter entwarfen eine Moral des asketischen
Ideals mit folgenden Zwangsvorstellungen: Hass auf alles Körperliche, auf
sämtliche Wünsche und Begierden und predigten stattdessen die Verherrlichung
des Zölibats, der Selbstbeherrschung und der Keuschheit.
Zu Recht
konstatierte der französische Philosoph Michel Onfray:[12] „Wo
sich nun ein letzter (…) Kampf abzeichnet, um die Werte der Aufklärung gegen
die Darstellungen der Magie zu verteidigen, gilt es, einen postchristlichen,
also militant atheistischen Laizismus voranzubringen (…).“
Gerade
deshalb hat Feuerbachs „Wesen des Christentums“ nichts von seiner Aktualität
verloren.
Literatur
- Ettelheim, R.: Wege zum
Atheismus, München 1992
- Feuerbach, L.: Das Wesen des
Christentums, 1. Auflage, Leipzig 1841
- Marx-Engels-Studienausgabe,
Band I, Frankfurt/Main 1966
- Onfray, M.: Wir brauchen keinen
Gott. Warum man jetzt Atheist sein muß, München 2006
- Sass, H.-M.: Ludwig Feuerbach,
4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994
- Schmidt, A.: Emanzipatorische
Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München 1973
- Schuffenhauser, W.: Ludwig
Feuerbach und der junge Marx, 2. Auflage, Berlin 1972
- Urtser, T.: Religionskritik im
19. Jahrhundert, Berlin 1988
[1] Urtser, T.:
Religionskritik im 19. Jahrhundert, Berlin 1988, S. 189ff
[2] Der Begriff „Projektion“ wurde von
nachgeborenen Wissenschaftlern geschaffen; Feuerbach selbst hat diesen Begriff
in seinen religionsanalytischen Schriftennicht gebraucht.
[3] Feuerbach, L.: Das Wesen
des Christentums, 1. Auflage, Leipzig 1841, S. 2
[4] Ebd., S. 3f
[5] Ebd. S. 17f
[6] Zitiert aus Ettelheim, R.:
Wege zum Atheismus, München 1992, S. 145
[7] Ebd., S. 156
[8] Schmidt, A.: Emanzipatorische
Sinnlichkeit. Ludwig Feuerbachs anthropologischer Materialismus, München 1973,
S. 8
[9] Vgl. dazu Sass, H.-M.:
Ludwig Feuerbach, 4. Auflage, Reinbek bei Hamburg 1994, S. 91-100
[10] Schuffenhauser, W.:
Ludwig Feuerbach und der junge Marx, 2. Auflage, Berlin 1972, S. 10
[11]
Marx-Engels-Studienausgabe, Band I, Frankfurt/Main 1966, S. 190f
[12] Onfray, M.: Wir brauchen
keinen Gott. Warum man jetzt Atheist sein muß, München 2006, S. 298
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