Erschienen in Ausgabe: No 76 (6/2012) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Petra Roth
…. eine Reform des Föderalismus, was haben Sie dabei vor
Augen?
Petra Roth: Wir sollten uns genau ansehen, ob die Verfasstheit der
Bundesrepublik und die Verfasstheit Europas wirklich gut zusammen passen. Da
habe ich meine Zweifel. Europa orientiert sich an den Metropolregionen, die
Bundesrepublik an den Ländern. Nehmen Sie die Metropolregion
Frankfurt/Rhein-Main und das Land Hessen. Die Metropolregion reicht bis Mainz
und Aschaffenburg und ist damit ganz anders geschnitten als das Bundesland. Die
Wirtschaft orientiert sich an Europa, so sind Handwerker und andere
Dienstleister beispielsweise von Frankfurt aus auch in Richtung
Baden-Württemberg unterwegs.
Welche Rolle spielt die Metropole?
Petra Roth: Um die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu meistern, spielen
die Metropolen eine entscheidende Rolle. Nehmen Sie die Energiewende, der nach
der Katastrophe von Fukushima politische Priorität zukommt. Sie zu meistern,
kann nach meiner Überzeugung nur von den Metropolen aus gelingen. Unter der
Maßgabe der Nachhaltigkeit muss Kommunalpolitik, die bürgerliche Stadtpolitik
sein will, einen Maßstab für das eigene Handeln finden.Wenn wir beispielsweise
über Frankfurt am Main als Green City reden, geht es darum, in der Gewissheit
großer Verantwortlichkeit Maßstäbe für unser an der Zukunft orientiertes
kommunalpolitisches Handeln zu entfalten.
Bildung ist immer wieder?
Petra Roth: Bildung heißt zuallererst: Erziehung zur Nachhaltigkeit.
Dauerhaftigkeit lässt sich nur schaffen, wenn wir kein Talent verloren geben.
Alles andere wäre gerade im Hinblick auf den demografischen Wandel eine große
Dummheit. Nach persönlichem Leistungsvermögen, nach individuellen Interessen
und nach bestehenden Potenzialen müssen wir Bildungswege skizzieren. Also gilt
es, die Familien zu stärken. Dafür gibt es gerade in Städten wie Frankfurt am
Main gute Ansätze, um Kindertagesstätten zu Familienzentren zu machen und Kurse
wie „Mama spricht Deutsch“ anzubieten. In diesem Zusammenhang halte ich es für
ein überaus lohnendes Unterfangen, über Weiterentwicklungen unseres
Bildungsangebots nachzudenken. Denn außer Frage steht: Städte, die wachsen
wollen, müssen über ein ansprechendes Angebot für Ausbildung und Weiterbildung
verfügen.
Haben wir aus den Städten heraus eine Kulturrevolution zu erwarten?
Petra Roth: Nein, keine Kulturrevolution, wohl aber einen rasanten Wandel, um
Antworten auf die klimatische nicht anders als auf die demografische Frage zu
finden. So lassen sich für Frankfurt am Main beispielsweise fünf strategische
Pfade der „Nachhaltigen Stadt“ skizzieren, die sich in einem Leitbild
„Frankfurt 2030“ bündeln ließen: Die internationale Bürgerstadt Frankfurt am
Main bietet ihren Bürgern eine gute Lebensqualität, sorgt für den Zusammenhalt
ihrer Bürger, macht ein ausgezeichnetes Bildungsangebot, bietet Arbeitsplätze
für sämtliche Branchen und gehört in den Bereichen Kultur und Sport zu den
führenden Plätzen in Europa. Zu unseren Leitprojekten zu zählen ist der
Kulturcampus Frankfurt, den wir als Modellquartier des 21. Jahrhunderts
entwickeln wollen. Arbeiten, Wohnen und Kulturelles sollen dort auf eine Weise
zusammengehen, die den Bewohnern und Nutzern ein Vergnügen ist. Die
Frankfurter, die künftig in diesem energieeffizienten Quartier leben, sollen
das Gefühl haben, gerne dort zu leben. Kultur und Natur, um die sich Forscher
im benachbarten Senckenbergmuseum kümmern, könnten in dem Viertel eine
eigenwillige Auseinandersetzung miteinander finden. Mit diesem Projekt stehen
wir vor einer neuen Epoche der Stadtgeschichte. Wenn die Goethe-Universität
erst ihren alten Campus verlassen hat, könnten Musiker, Tänzer, Schauspieler
und andere Kulturschaffende eine gewaltige Sogwirkung entfalten, wenn sie sich
in dem neuen Quartier ansiedeln. Wir wollen dort ein Modell entwickeln: Als
vorbildlicher Stadtteil, als entwicklungsfähiger Standort für Künstler, als
ökologisch wertvolles Quartier. Wir bauen den neuen Campus als
entwicklungsfähigen Standort für Künstler. Mit der Musikhochschule, dem
Ensemble Modern, den Tänzern der Forsythe Company und des Mousonturms, den
Theaterleuten von Heiner Goebbels, den Kreativen des Frankfurt LAB und den
Denkern des Instituts für Sozialforschung schaffen wir ein unvergleichliches
Panorama der Kreativität. Mit diesen Künstlern versammeln wir die
tonbestimmenden Kulturschaffenden unserer Tage, um sie im Sinne einer Bildung
zur Nachhaltigkeit zu beanspruchen. Damit unterstreichen wir in Frankfurt
unseren Anspruch, Marktführer der zeitgenössischen Kultur zu sein.
Ökologische Modernisierung?
Petra Roth: Frankfurt strebt an, Green City zu werden. Wir sind auf gutem Wege,
dieses Projekt wird uns gelingen, als Hauptstadt des Passivhauses setzen wir
europaweit Maßstäbe. Gerade bei Projekten dieser Größenordnung kann man
aufDauerhaftigkeit nicht verzichten. Doch Kontinuität allein reicht nicht.
Nachhaltigkeit braucht auch Impulse, leidenschaftliche Impulse jenseits allen
Verwaltungshandelns. Diese Dinge brauchen Anschub unter dem Vorzeichen, auf
Dauerhaftigkeit zu zielen.Anschub, der über die Grenzen einzelner Ressorts
hinweg geht. Anschub aus der Perspektive eines über den Dingen stehenden
Vogels, der wahrnimmt, an welchen Ecken sich noch Lücken im Netz der
Energieversorgung auftun. Zu den Leitprojekten für die Idee „Green City“ gehört
die energieeffiziente Sanierung in die Jahre gekommener Siedlungen. Mein
Beispiel ist die Heinrich-Lübke-Siedlung im Stadtteil Praunheim, Frankfurt am
Main. Das Quartier stammt aus den 70er Jahren. Diese Siedlung wird künftig ein
Modellquartier, in dem wir alteingesessenen Bewohner modernen Wohnraum bieten
und den Zuzug in einer um Wohnraum ringenden Stadt attraktiv machen.
Das Interview führte Dr. Dr. Stefan Groß
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