Erschienen in Ausgabe: No 79 (9/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Heike Geilen
"Ich bin kein Mensch, ich bin
Dynamit ... Ich will kein Heiliger sein, lieber noch ein Hanswurst." Diese
treffend gewählten Worte von Friedrich Nietzsche aus seinem "Ecce
Homo" stehen dem in weißes Leinen gebundenen Buch voran. Nietzsche, selbst
ein eigensinniger Querdenker, wenn auch vielleicht nicht wirklich ein Unbequemer
nach Wolfgang Korns Klassifizierung, bringt darin das Thema des kleinen, auch
optisch gelungenen Kompendiums, vortrefflich zur Sprache. "Was macht einen
Menschen unbequem, was unterscheidet ihn vom Außenseiter, der früh in
Vergessenheit gerät, und was führt dazu, dass sein Einfluss auf die
Gesellschaft, ja auf Zeitläufe anhält? Dass sich die Leute noch Jahrzehnte
später erinnern?", fragt sich der Autor. "Wo beginnt das
unverwechselbare Leben eines Individuums, wann stellt das Schicksal seine
Weichen?" In 11 Porträts stellt er solch unbequeme Deutsche vor, die
sowohl positiv als auch negativ Geschichte schriebe
Die Persönlichkeiten, die der
mehrfach prämierte deutsche Sachbuchautor präsentiert, stellen eine überaus
spannende Auswahl durch die Jahrhunderte dar. Durchweg entziehen sie sich gängigen
Deutungsmustern und verweigern sich konsequent der allgemein vorherrschenden
Erwartungshaltung. In kurzen, 14 bis 18 Seiten langen, gut verständlichen und hochinteressanten
Kurzporträts beleuchtet Wolfgang Korn diese sperrigen Vertreter und ihre Zeit.
Durch die chronologische Aufbereitung von der Frühen Neuzeit bis zum Ende des
zwanzigsten Jahrhunderts fügt sich das Buch in Gänze zu einer Geschichte großer
Missstände, Krisen und historischer Herausforderungen zusammen. Wohltuend hält
sich der Autor mit dogmatischen Wertungen zurück, sondern stellt konträre
Sichtweisen gegenüber. Auf diese Weise lässt er dem Leser viel Freiraum für
eigene Interpretationen, ohne ihm (s)eine bereits vorgefertigte Meinung
überzustülpen. Beinahe mühelos und unbemerkt gelingt es ihm dadurch, den Ton
seiner Protagonisten mehr oder weniger aufzunehmen. Denn eben jene von ihm
Porträtierte, legten gleichfalls keinen Wert darauf, den Wertvorstellungen
ihrer Zeit, ihres Milieus oder ihrer Berufsgruppe zu entsprechen.
Die in diesem Band vorgestellten
Unbequemen decken ein breites Spektrum ab. Korn versammelt Eigensinnige und
Abweichler, Alltagshelden und Usurpatoren nebeneinander. Zu denen, von der Lust
am Eigensinn Getriebenen, gehören Herrschergestalten, Oppositionspolitiker,
Widerständler, Frauenrechtlerinnen, aber auch Wissenschaftler, ein Theologe und
ein Alternativmediziner. Bei der Auswahl wird auch hier nicht nur der
Mainstream bedient. Neben solch allseits bekannten Namen wie Rosa Luxemburg,
Franz Josef Strauß, Ulrike Meinhof oder Thomas Müntzer befasst sich Korn gleichfalls
mit Nonkonformisten mit Eigendreh, deren Namen der Allgemeinheit weniger
geläufig sind oder zuweilen völlig in Vergessenheit gerieten. Die
deutsch-amerikanische Freiheitskämpferin, Frauenrechtlerin, Schriftstellerin
und Schulgründerin Mathilde Franziska Anneke gehört dazu. Aber auch der
Erfinder der Homöopathie Samuel Hahnemann, Dissident Fritz Bahro oder der
"unauffällige" Widerständler im Nationalsozialismus Fritz Kolbe
erfüllen den Status sperrig. Sie alle wirkten auf ihre Art und Weise als geheime
Wirkkraft der Gesellschaft, auch ohne publicitywirksam zu sein. Wohltuend darf
vermerkt werden, dass der Autor seine Personen nicht auf allgemein gängige
Klischees reduziert und diesen bereits mehrfach durchgerührten Brei noch einmal
aufkocht, sondern Korn beleuchtet seine Protagonisten in einem weitaus
breiteren Spektrum. Ihm gelingt es vortrefflich, dass man nach der Lektüre alle
miteinander aus einem anderen Blickwinkel betrachtet und vielleicht völlig neu
"einsortiert". Gerade Ulrike Meinhof scheint hier prädestiniert zu
sein. Ihr "engagiertes Leben, das viel zu kurz war, führt vor Augen, wie
dünn und zerbrechlich die Grenze ist. Eine Grenze, die unsere bürgerlichen
Sicherheiten von einem Mahlstrom aus Krisen, dem Wunsch nach Gerechtigkeit, von
Gewalt und Gegengewalt, dem Untergrund, dem Rufen nach Vergeltung und frühzeitigem
Tod trennt", so Wolfgang Korn. Eines wird letztendlich für viele seiner
Porträtierten sichtbar, "dass die erfassbare Wahrheit (...) immer mehr dem
unberechenbaren Flug des Falters um die Laterne gleicht."
Fazit: Wolfgang Korn ist ein
großartiges Kompendium von elf Persönlichkeitsporträts gelungen, die nicht in
ein gängiges Schema gepresst werden können. In interessanten, gut
recherchierten Artikeln, die auch von Jugendlichen gelesen werden sollten,
betrachtet er neben seinen "Abweichlern" auch immer kritisch, wie die
Mehrheit der Menschen auf die herrschenden Verhältnisse reagierte. Eine
spannende Spurensuche in der deutschen Geschichte, dem gern noch ein weiterer
Band folgen darf, ja sollte!
Wolfgang
Korn
Von Der Lust am Eigensinn
11 unbequeme Deutsche, die Geschichte
schrieben
Theiss
Verlag, Stuttgart (September 2012)
192
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3806224773
ISBN-13:
978-3806224770
Preis:
19,95 EURO
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