Erschienen in Ausgabe: No 81 (11/2012) | Letzte Änderung: 13.02.13 |
von Hans Sixl
Wissen basiert auf
sinnlicher Wahrnehmung. Und real ist nur, was wir mit unseren Sinnen wahrnehmen
können. Diese beiden Statements hörte ich vor zwei Tagen in einer
Radiosendung unter Bezug auf den Philosophen Immanuel Kant (1724-1804).
Sie erscheinen mir allerdings eine unzulässige Verkürzung seiner Aussage zu sein, nach der Sinnlichkeit und Verstand die beiden Wurzeln
der Erkenntnis sind. Es kommt also noch der Verstand hinzu, der uns auch
noch weitere Dinge als real erkennen lässt, die wir nicht direkt mit unseren
Sinnen wahrnehmen können. Dies war
vielleicht zu Kants Zeiten vor über 200 Jahren anders als heute, denn heute helfen
uns dort, wo unsere Sinne versagen, technische Geräte (Sensoren, Maschinen,
Computer …). Zum Beispiel können wir
elektrische Energie, Röntgenstrahlen und Radiowellen technisch erzeugen und mit
ihnen umgehen, aber wir können sie nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen. Nur
sichtbares Licht sehen wir und nur Wärmestrahlen machen uns warm. Immanuel
Kants Aussage müsste demnach wie folgt
formuliert werden: Mit den Informationen,
die unsere Sinnen direkt oder indirekt (mit den Methoden der Naturwissenschaften) wahrnehmen, können wir uns mit unserem
Verstand Erkenntnis und Wissen verschaffen.
Kant formulierte zu seiner Zeit gewiss richtig, was für die
Menschen der Vergangenheit Realität war. Dies galt so lange, bis es der
Menschheit gelang, auch Dinge, die man nicht direkt sinnlich wahrnehmen konnte,
mit naturwissenschaftlich-technischen Methoden indirekt wahrzunehmen und zu
beherrschen.Dazu zählen auch
Information und Informationsverarbeitung, deren Bedeutung uns erst mit der
Erfindung der Computer und den Erkenntnissen der Genetik bewusst wurde. Die
modernen Naturwissenschaften lassen uns heute verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Gemeint ist damit nicht nur der Aufbau der
Materie, der Atome und der Elementarteilchen, sondern auch was körperliches und
geistiges Leben ist, und wie sich Leben entwickelt hat. Wir wissen, dass der Mond um die Erde und
diese wiederum um die Sonne kreist, ohne die Gravitationskräfte zwischen ihnen
sehen oder spüren zu können. Wir wissen
auch, wie stark die Kräfte quantitativ sind, ohne zu sehen und zu spüren, wie
die Informationen zwischen den Massen ausgetauscht wird, die die Kräfte in der
richtigen Stärke wirken lassen.
Obwohl wir die Gesetzmäßigkeiten, nach denen unsere Welt
funktioniert, nicht mit unseren Sinnen wahrnehmen können, haben wir sie mit
unseren naturwissenschaftlichen Möglichkeiten quantitativ bis ins Detail
erforscht und nutzen die daraus
abgeleiteten Erkenntnisse zu unserem Vorteil.Sie bilden die abstrakte, aber sehr reale Welt der Mathematik und
Physik, mit der wir auch chemische und biologische Vorgänge verstehen
können. Mit ihnen wissen wir, dass die
Genetik die Basis der Informationsverarbeitung in der Biologie ist, die dafür
sorgt, dass alle Lebewesen (Bakterien, Pilze, … Pflanzen, Tiere, Menschen)
identisch reproduziert und über die Jahrmillionen evolutionär ununterbrochen
lebend weiterentwickelt werden.
Unser gewiss realer menschlicher Geist verarbeitet die Informationen, die aus
unseren Sinnesorganen kommen und in unseren Neuronen abgespeichert werden. Aber unseren Geist können wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen, wir
können ihn weder lokalisieren noch bei seiner Arbeit beobachten, dennoch ist er
real und gibt uns die Möglichkeit, mit ihm ein geistiges Leben zu führen (s.
Hans Sixl, Geist und Leben aus naturwissenschaftlicher Sicht, Tabula Rasa 71
(1/2012)). Information und Informationsverarbeitung bilden die Basis unseres
geistigen Lebens. Eine andere Art der Information ist die Basis unseres
körperlichen Lebens. Es ist die genetische Information, die in lebenden Zellen
seit Jahrmillionen ununterbrochen lebend weitergegeben wird. Sie bildet die
Grundlage aller körperlichen Lebensformen. Was in den Genen unserer
Körperzellen an Informationen abgespeichert und verarbeitet wird, ist ebenso
real wie die Informationen, die in unserem Gehirn abgespeichert und verarbeitet
werden. Aber wir können weder sie, noch wie sie verarbeitet werden, sehen oder
spüren. Also gilt: Was wir mit unseren
Sinnen und mit unseren wissenschaftlich-technischen Möglichkeiten wahrnehmen
können, ist die Grundlage unseres Wissens über uns und unsere realen Welt, in
der wir leben. Dazu zählen also auch
abstrakte und geistige Dinge wie Information und Informationsverarbeitung,
Naturgesetze und alle Erkenntnisse der Naturwissenschaften, also alles, was
experimentell belegbar ist und naturwissenschaftlicher Logik gehorcht.
Gottesbeweise sind automatisch mit der Kantschen Philosophie
verbunden. Die Frage nach der realen Existenz Gottes ist die Grundlage jeder
Theologie. Die Existenz Gottes kann man
so wenig beweisen, wie seine Nichtexistenz wird gerne als Kernaussage der
Kantschen Philosophie formuliert. Gewiss
ist es unmöglich zu beweisen, (1) dass Gott eine Person ist, mit der man sich wie Moses oder Adam und Eva
unterhalten kann, (2) dass Jesus Gottes Sohn ist und (3) dass er in der
Dreieinigkeit Gott selbst ist. Dies lässt sich ebenso wenig beweisen wie (4),
dass Maria die Mutter Gottes ist - ein Wiederspruch in sich selbst, da Gott
schon immer existierte und deshalb keine Mutter und auch keinen anderen
Ursprung haben kann. Es gilt heute als absolut irrational, sich Gott (der ein
unsichtbares überirdisches Wesen, also ein Geist ist), als eine Person in
Menschengestalt vorzustellen.Es kommt
also sehr genau darauf an, was man bei einem Gottesbeweis beweisen möchte, wenn
man damit Erfolg haben möchte.
Ein ewig lebender Gott ist für gläubige Menschen der
Ursprung aller Dinge. Für sie existiert und wirkt er sowohl in seiner
himmlischen Welt als auch auf der irdischen Welt. Letzteres muss so sein, denn
sonst wäre es sinnlos, ihn anzubeten. Für gläubige Menschen wäre es damit sehr
wünschenswert, wenn man ihn (also seinen Geist) oder seine göttliche
Handschrift im Ursprung des Universums
und im Ablauf des Geschehens in unserer realen Welt erkennen könnte.
Wie ein Goldsucher wissen muss, welche Eigenschaften Gold
hat, um bei der Suche nach Gold Erfolg haben zu können, so muss auch ein
gläubiger Mensch wissen, welche Eigenschaften sein Gott hat, wenn er ihn in
unserer realen Welt finden möchte. In
der Sprache der gläubigen Menschen muss er ewig leben, allmächtig, allwissend,
allgegenwärtig und ein wandlungsfähiger Geist sein. In naturwissenschaftlicher
Sprache muss er nicht nur ohne Wunder die Welt und alles in ihr erzeugt haben,
sondern er muss auch alles, was auf unserer realen Welt existiert und im
gesamten Universum geschieht, für alle Zeiten beherrschen. Er muss außerdem
ewig leben (also auch noch heute) und
alles so intelligent geregelt haben, dass es nach seinen göttlichen Plänen
(Gesetzen) vom Anfang bis zum Ende des Universums perfekt abläuft.
Eine Person auf unserer realen Welt zu finden, die Wunder
wirkt und die wie ein Magier durch Worte alles erschaffen hat, entspräche einem
Gottesbeweis, der nach Kant zu Recht mit unserer sinnlichen Wahrnehmung nicht
geführt werden kann. Aber wie steht es damit, wenn man Gott nicht als Person,
sondern aufgrund seiner göttlichen Eigenschaften als Geist sucht? Wie steht es
damit, wenn man die sinnliche Wahrnehmung mit den Erkenntnissen der
Naturwissenschaften ergänzt, die weit über die sinnliche Wahrnehmbarkeit
hinausgehen? In der Tat stellt man dann fest, dass alle göttlichen
Eigenschaften im Ursprung des Universums und im Ablauf des Geschehens auf
unserer Welt und in der Evolution der belebten Natur für ewige Zeiten erkennbar
und nachweisbar sind (s. Hans Sixl, Searching God Scientifically, Tabula Rasa
76 (6/2012) und Hans Sixl, Göttliches, Wagner Verlag 2010). Ferner zeigt sich
dann, dass die Energie des Urknalls alle göttlichen Eigenschaften besitzt, die
sich in der Materie und den Lebewesen auf unserer Welt offenbart und sich in
der Natur ständig weiterentwickelt.
Gibt es mit dieser
Erkenntnis also doch einen Gottesbeweis?
Für gläubige Menschen ja. Für sie ist es ein Gottesbeweis,
der Gott in allem, was es in der belebten und unbelebten Natur gibt, zwar nicht
als Person (wie man es sich gerne wünschen würde) aber als Geist beweist, der
in allem wirkt. Der real existierende menschliche Geist verarbeitet
Informationen und der Geist, der in der Natur real existiert, verarbeitet
ebenfalls Informationen (genetische Informationen in den einzelnen Zellen der
Lebewesen, Informationen, die die elektrischen Kräfte und die Kernkräfte wirken
lassen in allen Atomen usw.). Alle gläubigen Menschen jeder Religion können
darin eine wichtige Bestätigung ihres Glaubens finden, die besagt, dass alles im gesamten Universum und auf unserer realen Welt aus einem Geist
mit allen göttlichen Eigenschaften nach göttlichen Regeln entstanden ist und
nach seinen Regeln (den Naturgesetzen) abläuft. Wer an einen Gott glaubt
und gleichzeitig Realist ist, der legt die Bibel nicht wörtlich aus. Und der
zweifelt auch nicht daran, dass unser Universum beim Urknall aus Energie (dem
Geist Gottes) und den Naturgesetzen (Information, mit der der Geist Gottes
arbeitet) und nicht durch ein Wunder in einer Woche entstanden ist.
Für einen Atheisten, der keinen Gott braucht, ist es
allerdings kein Gottesbeweis, denn er lehnt es in jedem Fall ab, diesen Geist,
der in allem wirkt und alle göttlichen Eigenschaften besitzt, als den Geist
Gottes zu bezeichnen. Für ihn enthalten diese Eigenschaften, mit denen gläubige
Menschen Gott charakterisieren (ewiges Leben, Allmacht, Allgegenwart,
Allwissenheit) nichts Übernatürliches,
sondern ausschließlich natürliche Eigenschaften der belebten und unbelebten
Natur.
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Warszawski 05.10.2012 18:47
"Gottesbeweise sind automatisch mit der Kantschen Philosophie verbunden. Die Frage nach der realen Existenz Gottes ist die Grundlage jeder Theologie. Gewiss ist es unmöglich zu beweisen, (1) dass Gott eine Person ist, mit der man sich unterhalten kann, (2) dass Jesus Gottes Sohn ist und (3) dass er in der Dreieinigkeit Gott selbst ist. Dies lässt sich ebenso wenig beweisen wie (4), dass Maria die Mutter Gottes ist - ein Wiederspruch in sich selbst." -- Es handelt sich bei oben geschriebenen nicht um um einen allgemeinen, sondern um den christlichen Gottesbeweis. -- "Ein ewig lebender Gott ist für gläubige Menschen der Ursprung aller Dinge. Für sie existiert und wirkt er sowohl in seiner himmlischen Welt als auch auf der irdischen Welt. Letzteres muss so sein, denn sonst wäre es sinnlos, ihn anzubeten." --Warum? Gott kann von gläubigen Menschen angebetet werden, auch wenn seine Existenz unbewiesen ist, sogar wenn er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht existiert. Das Anbeten und die Existenz Gottes erfüllen mehrere Bedürfnisse. Die Welt braucht Gott, unabhängig davon, ob es ihn gibt.--