Erschienen in Ausgabe: No 68 (10/11) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Christian J. Grothaus
Nach der mittlerweile ausverkauften limitierten „Art
Edition“ (200 Stück) hat sich der Taschen-Verlag entschlossen, eine auf 21x26
cm geschrumpfte Ausgabe der „Enzyklopädie des Studio Olafur Eliasson“ auf den
Markt zu bringen. Das Buch mit seinen 530 Seiten liegt nun zwar gut in der
Hand, aber das Lesen der arg klein geratenen Texte ist dafür mit einiger
Anstrengung verbunden. Eine, die sich jedoch lohnt, denn die Arbeitsweise und
der Anspruch eines forschenden Künstlers werden im vorliegenden Band sehr anschaulich.
Hinzu kommt, dass der Kunsthistoriker Philip Ursprung nicht nur einen profunden
Essay zur Einleitung geschrieben hat, sondern auch Interviews führte, die die
alphabetisch geordneten und reichlich bebilderten Projekte von A wie ‚Architecture‘
bis Z wie ‚Zero‘ gut erläutern.
Fast 20 Jahre wirkt der dänisch-isländische Künstler nun
schon in Berlin und es sind ihm unterdessen eine Menge aufregende Werke
gelungen. Ihm? Wohl das falsche Wort, denn mit dem vorliegenden Buch begreift
der Leser, dass Kunst während der Hervorbringung wie auch der anschließenden Rezeption
ein Prozess ist bzw. bleibt und auch, dass das geniale, autonome
Künstlersubjekt im Atelier Eliasson ausgedient hat. An dessen Stelle ist
vielmehr ein Team getreten, das sich in einem gemeinsam definierten Horizont
bewegt. Einem freilich, der nichts geringeres, als die enorme Fülle der
begegnende Welt markiert.
Nach Immanuel Kant (1724-1804) geschieht Erkenntnis auf zwei
Wegen, nämlich sinnlich und mit Begriffen. Stets ist sie dabei an Gegenstände
(künstlich oder natürlich) gebunden. Eine wundervolle Formulierung aus seiner
transzendentalen Ästhetik redet in Bezug auf die sinnliche Anschauung auch von
der „Materie der Empfindungen“ und weist dabei Raum und Zeit in den Status von Bedingungen
der Möglichkeit hierzu. Wen mag es da wundern, dass die Architekten die größte
Mitarbeitergruppe stellen unter denen, die bei Eliasson unaufhörlich entwerfen,
fügen und variieren. Gleichwohl ist man sich über die Ambivalenz der einigen Arbeit
klar, denn die architektonische Schwesterdisziplin der Kunst könnte nicht so
leicht den pragmatischen Zwängen z.B. der Technik oder des Baurechts bzw. einer
gnadenlosen Ausrichtung an Zwecken entkommen.
In einem im besten Sinne zweckfreien konstitutiven Spiel,
das hier ein wenig akademisch Experiment heißt, werden also raum-zeitliche Phänomene
und deren Wechselwirkungen in architektonisch-künstlerischen Fragestellungen
erkundet. Damit gerät die Kunst in einen weit größeren Rahmen, als ihn eine wie
immer geartete ‚Erbauung‘ an einem Ideal geben will. Solches jedenfalls deutet
sich auch schon im Vorwort des Buches an, das an Martin Heidegger (1889-1976)
und seinen Kunstwerkaufsatz erinnert. So sah der Großdenker Mitte der 1930er
Jahre die Kunst in dem, was im Werk am Werk ist und Olafur Eliasson scheint mit
seiner Suche nicht weit entfernt davon zu sein: „Was jedoch mit ihr (der Kunst,
CJG) zum Ausdruck gebracht wird, verleiht ihr Bedeutung“.
Die Bedeutung jedoch bleibt gekoppelt an das Engagement der
Betrachter, die die Präsenz der Kunst erfahren, denn in bester performativer
Manier werden sie in ein situatives Gefüge involviert, das das Hier und Jetzt
gestaltet. Eliasson wird daher nicht müde zu betonen, dass das Jetzt an das
Subjekt gebunden bleibt und dieses nicht etwa in einen Zustand überführt, in
dem die Zeitlichkeit der Existenz zum Erliegen kommt. Vielmehr sieht er es als „erweiterte
Erinnerung“ oder als „Ausgangspunkt von Erwartungen“ und lässt die zugehörige
Präsenzerfahrung nur perspektivisch gelten. Damit schlägt der Künstler sich erneut
auf die Seite von Immanuel Kant, der die Unendlichkeitserfahrung unter dem
Stichwort der Erhabenheit entsprechend privatisierte.
Das Werk dient Eliasson also als Art ästhetisch-technischer
Katalysator, denn letzten Endes geht es ihm darum: „wie Menschen mit ihrer
unmittelbaren Umgebung und untereinander in Beziehung stehen, wie sie sich der
Anwesenheit ihrer Körper in der Umgebung versichern und ihre Identität als subjektiv
wahrnehmende Individuen artikulieren“. Diese Rolle unterstreicht den konstruktivistischen
Anspruch an die Kunst, Repräsentation und Realität zu fusionieren. Deshalb markiert
z.B. das Modell auch nicht länger einen geringwertigen Zwischenzustand während
der Hervorbringung eines Werkes, sondern bereits ein je relevantes Ergebnis,
das (weitere) Realität mitproduziert.
Dieser Anspruch einer situativen, realitätsstiftenden
Relevanz wurde für eine kollektive Hervorbringung z.B. in „The collectivity
project“ von 2005 in Tirana umgesetzt, in dessen Rahmen drei Tonen weiße
Lego-Steine den Bewohnern die Gelegenheit gaben, in der Öffentlichkeit
gemeinsam an ihrer Zukunftsstadt zu bauen. Aber auch bei der Wahrnehmung von
Kunst spielt er eine Rolle, wie u.a. im berühmt gewordenen „The weather project“
von 2003 bei Tate Modern in London zu sehen war. Die Besucher wurden damals
einer großdimensionierten, vernebelten Sonnenassoziation (26,7 x 22,3 x 155,44
Meter) ausgesetzt und die zugehörige Präsenzerfahrung erlaubte jedem einzelnen
Intimität bei gleichzeitigem Kollektivbewusstsein, denn neben Klängen und
Gerüchen gaben Spiegelflächen unter der Decke die Blicke auf die anderen
Menschen frei. Hier verkörpert sich auch die Kritik des Künstlers an den
überlieferten Systemen zur Raumerschließung der westlichen Welt. Vor allem die dominante
Zentralperspektive will er durch die sog. „Doppelperspektive“ ersetzt wissen,
in der jedes Subjekt sich selbst zusätzlich von außen betrachtet.
Das vorliegende Buch ist ein großartiger Quell nicht nur zur
intensiveren Beschäftigung mit Olafur Eliasson, sondern zeigt darüber hinaus
auf, was künstlerische Forschung zu leisten im Stande ist. Hier ist vor allem
die Etablierung eines Alphabets sehr hilfreich, in dessen Ordnung sich
zugehörig zu den selbst gewählten Schlüssel- sprich Forschungsthemen
entsprechende Projekte gruppieren lassen. Erläuternde Texte und Interviews mit
dem Künstler machen es zudem leicht, ein Oeuvre zu begreifen, dessen Anspruch
in einem konstitutiven Spiel seine Methode findet und mit einer ernsthaften
Leichtigkeit die zahllosen Spuren des Hervorbringens und Wahrnehmens von Welt
verfolgt.
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