Erschienen in Ausgabe: No 82 (12/12) | Letzte Änderung: 31.01.13 |
von Shanto Trdic
„Jedes Kind ist gewissermaßen ein Genie.“
Arthur Schopenhauer
„Da woaß i´ selber nimmer, was i´ mir
dabei denkt hab´ !“
´Kommentar´ Bruckners zum Finale seiner Vierten
I.
Günter Wand, vielleicht einer der letzten
großen Brucknerinterpreten des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts, bekannte
in einem späten, weitgehend unbeachtet geblieben Gespräch:“ Die Gnade bei
Bruckner, so, und einzig so zu schreiben, darin kann ich nur einen Gottesbeweis
sehen.“ Wand, der solche Ehrfurcht vor diesem Komponisten hatte, das er dessen
Fünfte erst mit zweiundsechzig Lenzen in Angriff nahm, wusste nicht zuletzt
auch darum, wovon er sprach, weil ihn das Schaffen des großen Oberösterreichers
ein Leben lang begleitet, beschäftigt – in den Bann gezogen hat. Als gewiss
bedeutungsvollster Teil eigener künstlerischer Bemühungen muss gerade sein
Bruckner gelten. Bis zum Schluss hat er dem verehrten Meister nahezu
unermüdlich, in immer neuen Anläufen sorgfältiger, intensiver Auseinandersetzung
gedient. Schon im neunzigsten Lebensjahr stehend unterwarf er sich ein letztes
Mal den Strapazen öffentlicher Schau, noch einmal mit Bruckner, dessen Vierte
er in Auszügen (1. und 3. Satz) mit dem NDR Symphonieorchester in Hamburg
erklingen ließ. Ein Vierteljahr später segnete der Meister das Zeitliche. -
Anton Bruckner hat ganz wesentlich Symphonien
geschaffen. Alles Übrige, in der Hauptsache kirchliche Gebrauchsmusik, muss im
Schatten annähernd gleichberechtigt nebeneinander stehender Monumente, deren
neun er schließlich gelten ließ, verblassen; wiewohl mancherlei
Aufschlussreiches, auch durchaus Bemerkenswertes aus diesen innigen, gleichsam
intimeren und insgesamt eher banalen Beschwörungen heraus zu hören ist. Es sind
beachtliche Kleinigkeiten, die schon auf Großes, Erhabenes deuten. Seine Messen
und Motetten, Kammer, - und Orgelwerkekann man als ´Lernstücke´ begreifen: sakrale Konventionen, mittels derer
er den eigenen Stil schulte, der über diese ´Kleinigkeiten´ schließlich weit
hinausführte und jedes weltliche Korsett, jeden noch so profanen Panzer
zersprengte. Mit den Symphonien hat sich Bruckner den ganz eigenen, hehren
Kosmos geschaffen; ein Welt, die nur begreift, wer sie noch in Ergriffenheit zu
bestaunen oder zu bewundern versteht. Claude Debussy meinte einmal im Blick auf
Johann Sebastian Bach, man müsse den Meister ´Meer´ nennen, ob seiner
unfasslich vielfältigen, nahezu unerschöpflich ausgreifenden, mitunter behende
ausufernden Harmonik. Auch Bruckners Schaffen ging in die Breite, doch entfaltet
sich sein Meer jenseits gewiefter Variationen eher weitflächig und greift so
ins Numinose aus. Die Symphonien werden von einem geradezu majestätisch
waltenden Fundament getragen, das als ein Ganzes allen wendigen, wilden Wogen
trotzt und im Unterschied zu ´den Alten´ eine finale Windstille beschwört, die
jenseits aller Stürme waltet, wiewohl auch hier ein spielerischer Charme die
stolze Strenge in kühnen Schüben immer wieder durchbricht. Um beim Vergleich
mit dem Ur-Element zu bleiben: die vielen kleineren und größeren Ströme trugen
wacker, was in entlegenen Seitenarmen und verwinkelten Abzweigungen sich
anreicherte und Befreiung in der Weite suchte; einer, die das Erhabene aus
jeder letzten Vereinzelung hebt. Bruckner bewältigte die Flut seiner Visionen,
indem er sie von aller Schlacke, bloßem Treibgut befreite. Noch die
ungestümsten, im schnellen Wechsel aufbrausend und wieder abschäumend
brandenden Wellenschläge gleichen tosenden Donnerschlägen, die als verendende
Gischt wie Geheiß sprudeln. Salopp gesprochen: die Vielheit lässt sich bei
Bruckner nur als Einheit begreifen, ein umfassendes Letztes, auf das alles wie
in Trance, zunehmend trunken und trächtig hinaus will. Gewiss: auch einem Melos
dieser Couleur haften letzte Reste großspuriger Gefälligkeit an, das übliche
Bausch und Gloria einer Epoche, die noch in vollen Zügen aus der Wiener Klassik
schöpfte. Die hatte Tradition und schuf im Übergang zur Romantik gleich die
nächste. Welcher zeitgenössische ´Künstler´ hätte sich schon von jener selbstgefälligen,
nahezu berauschenden Ornamentik ganz frei machen können, die der stolzen
Doppelmonarchie so trefflich eignete? Ob diese verschwenderische Opulenz einem
inneren Bedürfnis entsprang und als solche die zunehmende Leere in jenem Innern
zu kaschieren suchte, sei dahingestellt; sie wies aber, wie jede echte Kunst,
den weiteren Weg und der führte schließlich in den Untergang. Von süsser
Fäulnis befallen, zwischen Sinnlichkeit und Selbstaufgabe hin und
herschwankend, sich heillos verzehrend und unmerklich verzettelnd, als L’art
pour l’art Symptom allmählicher Ermattung, ging gerade diese Ästhetik unfehlbar
an sich selbst zugrunde. Zwischen Walzertraum und Muntermarsch tänzelnd,
hektisch hopsend, jauchzte eine verwöhnte Gesellschaftblind und wissend einem Abgrund entgegen.
Ravel hat diesem ´Lebensgefühl´ in La Valse posthum ein herrliches,
herzzerreißendes Denkmal gesetzt. Es kann als Zeichen hoher, bereits sinkender
Kultur gelten, wenn Verfall und Verfeinerung,Überschwang und Erschlaffung Hand in Hand gehen, hier sozusagen im
sinnlichen, sich unsäglich windenden Walzertakt, und das Artifizielle,
Manierierte, auf barocke Weise Prunkende kennzeichnete die letzte Blüte.
Bruckner erlag derlei anrüchigen Marotten nie, denn sie stehen bei ihm nicht im
Vordergrund; eher in der Pflicht. Seine symphonischen Abkömmlinge entziehen
sich im Grunde einem bloß rationalen Verständnis und leben mehr als jeder
andere ´Bau´ von der Substanz, die enigmatisch bleibt. Die Form ist bei ihm
wirklich Gefäß; gotisches Gehäuse. Der ´Grund´, auf dessen Boden die
mächtigenKolossalbauten ruhen, trägt
nicht einzig: er hebt mächtig empor und das Dekor, jede noch so beiläufig
scheinende Verzierung, offenbart seine ganze Pracht erst in der Totale. Das
unterscheidet ihn auf Anhieb von den Herren Nachfolgern, den Schreker,
Schillings oder Schoeck; allesamt solide Handwerker, deren Paläste vor
Überfluss gleich wieder in ihre morbiden Grundfesten zusammen zu sacken drohen.
Die verführerischen Details an der Oberfläche berauschen ungemein, jeder
kleinste Torbogen kommt nicht ohne aus, aber die Gesamtheit solcher fast
orientalisch anmutenden Prachtbauten erschlägt mehr als das sie den Betrachter
noch irgendwie erhöbe. Die Brucknerscher ´Baukunst´ bedarf des immerfort
lockenden Augenschmauses nicht. Der Blick hastet nicht an den Verzierungen
sämtlicher Fluchten vorbei, er weitet, streckt sich vielmehr, versteht zuruhen – versteht man nur richtig zu hören.
Das, allerdings, fiel gerade den ´Kollegen´, der ´Elite´ ziemlich schwer. „Mein
lieber Bruckner,“ spöttelte der spröde, norddeutsche Brahms,“ ich versteh´ ihre
Symphonie nicht!“ Er hatte schon Recht. Was nur schwer zu fassen ist, kann kaum
verstanden werden; oft staunt man bloß im Anblick des Erhabenen, das uns
Heutigen entweder fremd oder verdächtig vorkommt. Ein Teil jener Fach, - und
Gelehrtenwelt verzieh ihm schon damals nicht, dass er im Hehren schwelgte und
unermüdlich schwere, plump und grob anmutende Blöcke schier endlos in
schwindelnde Höhe stapelte: diesen ´Turmbau zu Babel´ meinte man selbst als
Schwindel (O-Ton Brahms) zu entlarven und er schien auch gar nicht zum
frömmelnden, innigen Selbstverständnis des Meisters zu passen, der ihn in
geduldigem Ringen erzwang. Die verwöhnte Wiener Gesellschaft sog noch an den
Honigtöpfen Haydens und Mozarts, liebte überhaupt den spielerischen,
kultivierten Reigen, das unverbindliche Raffinement und wusste mit der
messianischen Wucht solcher Klangkörperlichen Kaskaden, die das gewöhnliche
Ambiente ihrer geschmackvollen ´heilen Welt´ zu zerdrücken schien, wenig
anzufangen. Hohn und Spott sind Bruckner folglich nicht erspart geblieben,
wiewohl der Erfolg verdientermaßen zeitlebens, obschon spät, einzusetzen
begann. Das breite Publikum ahnte wohl mehr, was an ihm und seiner Musik war,
als die gelehrte, blasierte Fachwelt jenseits ihrer Geschmacksnormen zu
akzeptieren bereit schien. Man fühlte sich von den Symphonien irgendwie
überwältigt ohne schon zu begreifen, was diese Klangmassen, die wie flüssige
Lava in die beschaulichen Täler abfloss eigentlich ausmachte; das galt übrigens
auch für die Fraktion der Wagnerianer, die ihn ganz herrisch für sich
beanspruchte und bei der Gelegenheit wiederholt ihr eigenes Credo beschwor.
Es war dem Anton Bruckner gegeben, das
Verhältnis der immerfort suchenden, innig gläubigen Kreatur zu den
überpersönlichen, so unverstanden wie ungebrochen waltenden Mächten in ein
Klanggewordenes, Klanggewaltiges Gleichnis zu verwandeln: Abgrund und
Aufschwung, Himmel und Hölle bilden den Rahmen, der zur Entfaltung einzelner
Themengruppen immens gespannt wird. In diesen Symphonien ringt der winzige,
vergängliche Erdenwurm, zwischen zaghafter Scheu und innigem Glauben unsicher
taumelnd, mit dem unsterblich Überpersönlichen, an dem er ständig zu zerbrechen
droht. Wie benommen strauchelt dieser im Angesicht der Allgewalt und fällt doch
nie, sinkt endlich ergeben auf die Knie und lässt sich am Ende, ganz im Glauben
geborgen, von der Gottheit überwältigen, deren Glanz alles überstrahlt. Vor dem
Absoluten als einer umfassenden Erlösung erschaudernd, gleicht er nunmehr einem
einsamen, hell leuchtenden Stern, der am grenzenlosen Firmament prunkt und als
ein verschwindendes Licht triumphiert; geborgen im Kosmos der Allgewalt, die
ihn schützend umfängt. Der vor den in kalter Notwendigkeit waltenden Mächten
noch ängstlich zitternde, dann wieder erschüttert der eigenen Verzückung anheim
fallende Mensch gleicht den Gestalten Caspar David Friedrichs, die wie winzig
kleine Punkte vor endlosen Meeren oder inmitten grandioser, nicht minder
ausufernder Landschaften stehen, ganz einsam und doch in heimlicher Beziehung
zur enigmatischen Naturgewalt, deren unmerklicher, immer bedeutender, weil noch
in der kläglichsten Erscheinung einzigartiger Zuspruch sie sind. In Bruckners
Klangsprache entfaltet sich der Logos, und die Symbiose offenbart sich als eine
Art höherer Seligkeit: das umfassend Göttlichen vermählt sich mit jener
Kreatur; eine, die auf den ersten, flüchtigen Blick selbst nur etwas Flüchtiges
ist, nur vergänglich und verloren scheint. Doch endlich verschmilzt dieser
Einzelne, Geworfene mit dem Transzendenten und die Last der Individualität löst
sich im Absoluten auf. Bruckners bombastische Würfe gerieten gewiss zu
unverdaulichen Monstrositäten, wüsste er nicht die Würde des Kleinsten, das
muntere und zweckfreie Spiel der Erscheinungen als ein besinnliches, ja
bestrickendes Moment dem Erhabenen bei zu mischen. Erfrischend naiv, ja fast
unbeholfen klingt diese Sprache; eine, die jener mehr stammelte, was von der
gelehrten Welt hochmütig und nicht ohne Spott gegen ihn vorgebracht wurde. Geht
so was überhaupt zusammen? Es ging. Und es spricht für sich, das derlei
Gegensätze dem Gesamten keinen Makel antun konnten, das alles passte - ´
stimmte´. Vielleicht ist dies das Mysterium aller Großen; der Meister, der Könner
und ´Alchimisten´. Auch für Bruckner gilt, das er im Grunde gar nicht
einzuordnen ist, das er eben ohne echte Vorgänger oder Nachfolger dasteht, als
ein zutiefst Einzelner; dem Einzigen, dem Einen – dem Ewigen verschrieben mit
Haut und Haar.
Dieser Aufsatz will nur einen Eindruck davon
geben, mehr nicht. Die vornehme, aber aufrichtige Verbeugung will mir im Falle
Bruckner authentischer, echter erscheinen als jede bloße Analyse: Lob, Preis
und Ehr dem großen, von Unbill und Tragik nicht verschont gebliebenen Mann, den
sie zu Lebzeiten kaum für voll nahmen, einen Hanswurst aus ihm machten, wogegen
er sich eher plump und ohne nachhaltige Wirkung zu Wehr setzte. Der ´arme
Bruckner´ - er stand und steht ganz außerhalb der Zeit.
II.
Wer sich mit dem Menschen Bruckner auch nur
oberflächlich beschäftigt, der wird rasch auf eine schon zu Lebzeiten
belächelte Eigentümlichkeit aufmerksam werden; eine, die deutlich anzeigt, was
diesen Mann von denen unterschied, die gleich ihm um wahren, unsterblichen
Ausdruck rangen, um darob ihren Platz im Pantheon der Kunst zu erhalten. In
diesem Leben wird einem nichts geschenkt, und das musste auch Bruckner
schmerzlich erfahren. Seine Unfähigkeit aber, entsprechend der eigenen
Begabungen und Leistungen auch nur in Ansätzen energisch, selbstbewusst und vor
allem selbstsicher zu agieren, und
dies bis ins hohe Alter hineinen, kontrastiert ganz deutlich zum je
unterschiedlichen Gebaren derer, die in etwa zeitgleich in Erscheinung traten
und gleich ihm um Einfluss, Ruhm und Anerkennung kämpfen mussten. Ob
Hungerleider oder verwöhnter Salonlöwe, vom Intendanten bis zum leidigen
Boheme: sie alle waren stolz genug, noch die letzten Zweifel und Nöte hinter
jener Attitüde zu verbergen, auf die es eben unter anderem ankommt, will man auf
seinem Felde irgendwie ´punkten´. Keiner derer, die im ausgehenden 19.
Jahrhundert um die Gunst des Publikums buhlten, verbarg sich länger als nötig
hinter der Maske des Bittstellers. Erinnert: noch die ´Helden´ der Wiener
Klassik, als deren herausragendste Exponenten wir ungebrochen Mozart und Hayden
verehren, kamen gar nicht umhin, dem jeweiligen Geschmack ihrer ´Herren´ zu
schmeicheln; sich anzubiedern - ´einzuschleimen´.Beethoven erstritt dann der Zunft jenen Rang,
der ihr im Sinne einer ´Freiheit der Kunst´ zunehmend selbstverständlicher
zukam. Man war jetzt endlich wer, nicht länger bloßer Notenlieferant, als
Unterhalter gelangweilter, blasierter Höfe, die noch nach Stand und Herkunft
maßen und Freiheit nur gelten ließen, wo sie die eigene mehren half. Sicher:
wer fortkommen wollte, der musste auch noch zuzeiten Bruckners eifrig buckeln,
wenn es darauf ankam; hatte die passenden Floskeln im Repertoire und rief sie
im richtigen Moment ab. Aber das war Taktik und hatte als gängiges Prinzip
längst ausgedient. Das war nicht mehr nötig; weder denen gegenüber, die man
verehrte, noch im Blick auf jene ´Türöffner´, an denen man nicht vorbeikam,
wollte man in den großen Konzertsaal. Der Musiker hatte an Renommee gewonnen; gleich,
ob er ein Schaffender oder ´nur´ Ausführender war (Letztere waren oft die
eigentlichen ´Stars´). Das Knicksen und Knapsen, Buckeln und Betteln war aus
der Mode gekommen. Bruckner aber hat ein ganzes Leben lang beinahe demütig
seine Verbeugungen, seine oft hilflos und kläglich anmutenden
Selbsterniedrigungen praktiziert, wo er eigentlich im mindesten hätte feilschen
oder auch einmal (ein wenig) fordern können. Im Blick auf die eigene
Bedeutsamkeit schrumpfte dieser Gigant der Tonkunst zu einem seltsam
linkischen, brav werbendenDürftling
herab, unsicher und zaghaft im Umgang mit anderen, die ihn kaum für voll
nahmen. Und nicht einzig, wenn es um die Musik ging. Schon die ersten Biografen
legten eine erstaunliche Akribie an den Tag, wenn es darum ging den Nachweis zu
erbringen, was der Komponist im Privaten, namentlich zwischenmenschlichen
Bereich für ein depperter Gesell gewesen ist; das er, etwa im Umgang mit
Schülern und ´Brautkandidatinnen´, mit ´Kollegen´ und Freunden (hatte er
welche?), als ein durchweg unbeholfener, wahrhaft naiver und dabei stets
notdürftig schwiemelnder Knecht in Erscheinung trat. Und wenn er, zu einer
Erklärung genötigt, ein ungefähres Programm zum Besten gab, um diese oder jene
Symphonie in Teilen zu ´beschreiben´, dann sah man sich bestätigt und in den
entsprechenden Ausführungen Ausgeburten tölpelnder Kindereien, die doch bloß
sein einfältiges, frömmelndes Wesen offenbarten; ein schlichtes, schamhaftes
Gemüt. In seiner ungeschlachten, kindlich naiven Sprache entlarvte er sich in
der Tat selbst. Das sein Werk darob eben ein einziger ´Schwindel´ (O-Ton
Brahms) gewesen sei, der bald jedem als solcher aufgehen müsse, das aber war
nur einer jener Fehl, - und Trugschlüsse, denen solche verfielen, die nicht
verstehen konnten oder wollten, worum es ihm eigentlich ging. Hier kam (und
kommt) eine Ironie zum Vorschein, die entweder – im Falle der Bewunderer –
wohlmeinend, oder aber – was die damaligen Dreckschleudern anlangt – schlicht
diskreditierend gemeint ist. Hat Bruckner dann etwa den tieferen Sinn seiner
Werke mittels solcher Beschreibungen nachgerade verschleiert, wie Hans Schnoor
in seiner Musikgeschichte im Tonfall des Bedauerns beklagt? Ich meine doch, das
Gegenteil sei der Fall. Die Äußerungen des Meisters waren ganz echt und wiesen,
in dieser Form, auf eine wesentliche Wurzel seines, ja im Grunde allen
´Erzmusikantentums´ hin: es ist der eigentliche, der schöpferische Urquell, ein
seliger, jünglingshafter Schauer vor gottgewollter Gewalt, die man in ungelenke
Worte fasst, weil einem kaum die ´rechten´ einfallen wollen. Wenn Bruckner
seine Erste (eigentlich schon die Dritte, aber die Nummern Eins und Zwei
wollten ihm noch nicht genügen) als ´keckes Beserl´ bezeichnete und eher
entschuldigend befand, dass er da eben wie ein verliebter Geck komponiert habe
– der Symphoniker als Backfisch – dann meinte er tatsächlich, was er da sagte.
Man kann selbigen Umstand auch in ein akademisches Gewand kleiden, nur
entspräche dies nicht mehr so trefflich dem Temperament, dem Ungestüm kindlich
reiner Verzückung, der alles im Grunde zu danken ist. Gerade infolge seiner bis
ins hohe Alter reichenden knabenhaften Ergriffenheit, ehrfürchtigen Tiefe des
Herzens und unverstellten Ursprünglichkeit war er befähigt, umso stärker,
lebendiger – fundamentaler zu sinnen, zu fühlen – zu sein; als all die anderen.
Dies aber war, möchte ich meinen, schon eine wesentliche Voraussetzung für das
am Ende meisterliche, zuchtvolle Werk. Nur nicht die Reihenfolge verwechseln!
Zu grundlegend, als das es noch jemandem in voller Konsequenz aufginge: Phantasie,
schöpferische Kraft, reinste Spielfreude und unvoreingenommenes Empfinden,
diese ´Voraussetzungen´ wurzeln ja gerade in den Sphären zweckfreier, offener
Räume, innerhalb derer, zuende gedacht, alles - auch und gerade ein
Formstrenges Kunstgebilde -möglich
wird. Darob schließlich auch die Weite, Ferne in Bruckners Werk. Bei ihm paaren
sich adoleszentes Schweifen und Streunen mit dem auf entlegenste Bezirke
gerichteten Blick der Reife bzw. des Alters: die Nebel lichten sich und das
Auge schaut so weit wie nie. Dort, wo Bruckner ´zu Herzen geht´, da tut sich
immer erst das Reich des Kindes, gleich welchen Alters, auf. Der Könner drängt
den Überschwang in die gemäße, strikte Form; dem gesellen sich mannhafte Züge
hinzu. Von wegen formlose Ungeheuer – gerade seine Symphonien sind
Meilensteine in puncto Wuchs und Bildung, der Bau als solcher ist genial
konzipiert, logisch durchkonstruiert und angemessen, also: trefflich
ausgestaltet. So hat etwa Furtwängler in Blick auf das Finale der Fünften vom
´monumentalsten der Weltliteratur´ gesprochen: ein wahrhaft makelloser,
granitener Koloss. Die Fünfte strotzt vor Figuren, die man sich trotz ihrer
klaren Erscheinung vieldeutiger kaum denken mag: in ihrer atmosphärischen
Unbestimmtheit walten die Themengruppen seiner ´Phantastischen´ nahezu
Traumwandlerisch, und diese seine strengste, herbste und irgendwie fast
esoterisch nachfühlende Symphonie tönt wie aus einer anderen, grundfremden
Welt. -
Bruckner war ein tiefgläubiger Mensch.
Echter, reiner Glaube aber verleiht Flügel, und so leicht und licht klingt es
oft in den Adagio (wiewohl nicht einzig dort), denn der Komponist hat bei der
Arbeit mit heiligem, ganz innigem Ernst geglaubt. So durchweht ein Hauch
himmlischer Entzückung, seliger Entrücktheit die schweren, wuchtigen Hallen
seiner bordenden, barocken Klangbauten; das macht ihren Reiz aus, das
kennzeichnet ihren so heimlich tastenden wie allgegenwärtig ausgreifenden
Zauber. Jenes vielbeschworene Kind im Manne tobt sich in diesem Walhall nach
Herzenslust aus; doch nichts muss zu Schaden dabei gehen. Hier gilt, was der
Nazarener sprach: ´wenn ihr nicht umkehret und wie die Kinder werdet, so werdet
ihr nicht ins Himmelreich kommen´. Bei Bruckner wird die lastende, lähmende
Düsternis stets von neuem grell umschauert, von tanzenden Sonnenflecken
geflutet, wie denn überhaupt in den Symphonien ein fast manichäisch anmutender
Zwiespalt das Wechselspiel der Mächte befeuert, der schließlich doch als Ganzes
im Einen, Ewigen mündet. Höchst aufschlussreich sind hier immer wieder seine
Scherzi, wo sich die kindliche Freude am Musizieren überdeutlich, weil
überschwänglich zeigt; etwa, wenn er sehr schroff und mit viel Blech Fanfaren
eröffnet, die mitunter fast schon parodistisch tönen. Von vitaler, ungebremster
Infantilität zeugt im Grunde das ganze Werk; man muss nur immer wieder den
Funken überspringen lassen und sich ganz und gar dem Vorbild Schopenhauerscher
Betrachtung stellen, ja hingeben: in völliger Selbstvergessenheit und
unvoreingenommen, ohne jede Absicht einfach nur hören – zuhören. Dann kann es, ja muss es so kommen, wie der nüchterne Wand
befand: ein Gottesbeweis, der für sich selbst spricht. Ob das heute noch
irgendwer versteht?
Übrigens: der pubertäre Überschwang, er lässt
sich auch ganz gut aus den erhaltenen Portraitstudien, seien es Photografien
oder gepinselte Werke, herausschauen. Bruckner blickt da meist aus einem
naiven, kindlich beseelten Augenpaar in die Welt; die große weite welche. Auch
oder gerade der Greis hat sich Züge reinen, unvoreingenommenen Menschseins
bewahren können, dem sich indes auch andere, mithin bedenkliche Ausdrucksformen
hinzugesellen, die aber, finde ich, nie allzu dominant in Erscheinung treten.
Sicher: das Leben hat ihn gezeichnet, hat sich auch in dieses Antlitz gegraben;
wie anders wohl? Aber aus den arglosen Winkeln lugt doch stets verstohlen der
(Laus)Bub heraus; bisweilen trotzig und verwegen. Man vergleiche einmal diese
Portraits mit denen der Herren Brahms, Beethoven oder Wagner. Was für
oberherrliche Gestalten! Deren Hang zur Stilisierung, die bürgerlich-blasierten
Posen und Gebärden, auf Stand und Stellung gemünzt, betont elitär, dieses so
typische ´sich abheben müssen´ – nichts davon beim Bruckner. Nachlässiger als
er konnte man in Sachen Stil oder Geschmack ohnehin kaum auftreten. Die
Garderobe fiel entsprechend dürftig aus. Bezeichnend, das eine vom Meister
innigst umworbene Dame etwas rüffelnd bemerkte, er sei doch ´immer so narrisch
angezogen´. Dörflerisch, in meist zu weiten, bollernden Hosen, die Jackets dito
– so kann man den Meister etwa auf einer Scherenschnittfolge ´bewundern´, die
ihn beim Dirigieren zeigt. Oder, noch ulkiger, die letzte erhaltene Aufnahme,
wo er auf Anhieb wie ein etwas verwirrter Stallknecht herüber kommt; von andern
mit Müh und Not in der Senkrechten gehalten, die ihm, schon angeschlagen, wohl
immer schwerer fiel. Das hatte natürlich nichts mehr mit irgendwelchen zur
Schau gestellten Extravaganzen zu tun, und es hat ihm nur den Hohn und Spott
derer eingebracht, die ihn für plump und ungeschlacht hielten. Aufs Äußere gab
er gar nichts; es war ihm gleich – spielte keine Rolle. Er, der im Innersten
mit Dämonen rang, Gesichten ausgeliefert – was konnte ihm am Äußeren liegen? So dilettantisch Bruckners Versuche, sein Sinnen und
Trachten irgendwie in Worte zu kleiden, so schlicht bis schlecht also der
Versuch, sich selbst halbwegs ordentlich einzukleiden. Wir wollen die Anekdoten
im Falle Bruckner nicht überstrapazieren, aber als gesichert darf zum Beispiel
gelten, das er beim öffentlichen Dirigieren einmal zwei unterschiedliche Schuhe
getragen habe. Peinlich. Aber irgendwie sympathisch. Das betont Weltmännische
war eben nicht sein Ding, die kultivierte, manierierte Gebärde ging ihm
zeitlebens ab. Derlei umständliche Verstellungen, das Tarnen, Täuschen und
Tricksen derer, die im bürgerlichen 19. Jahrhundert das öffentliche Leben
prägten und zwecksdessen die entsprechenden ´Codes´ ausklüngelten, widersprach
der Reinheit, Aufrichtigkeit, Unbedingtheit seines Tuns. Er hatte es, so
gesehen, nicht nötig. Man könnte sagen: es ließ sich nicht mit seinem Adel vereinbaren, dem ein
Höchstmaß an Bescheidenheit und Demut – bis zur besagten Unterwürfigkeit –
entsprach. Einer wie er konnte in diesem Feld nur unsicher agieren und wirkten
folgerichtig immer wie ´fehl am Platze´. Das ´nicht dazugehören´ galt sowohl im
Blick auf den zwischenmenschlichen Umgang als auch im Verhältnis zum eigenen
Schaffen. Keiner konnte oder wollte verstehen, worum es ging und man wird nie
zuende begreifen, was da im Klangräumlichen geschieht; heute weniger denn je.
Der Meister selbst stand dem eigenen Sinnen und Trachten zunächst auf beinahe
ängstliche Art und Weise distanziert, gehemmt und fast verzweifelt gegenüber.
Wie lange dauerte es, bis er sich endlich, nach langwierigen, wohl auch
quälenden Studien, an die Symphonie überhaupt heranwagte; und da hat er die
ersten beiden Brocken erst gar nicht autorisieren mögen. Auch darob rang er
unaufhörlich um sein Werk. Mit sich selbst und nicht zuletzt den anderen. Was
ließ er sich von Schülern, ´Freunden´ und ´Gönnern´ beschwatzen, wenn es darum
ging, wieder einmal diese oder jene Stelle aus dem Werk herauszustreichen, so
und so viele Takte; als sei das nichts. Die vielen, allzu vielen
Verstümmelungen, zeitlebens schon; das leidige Dilemma der Fassungen, auf anderer
Leute Mist gewachsen. Darunter litt er, dagegen wusste er sich nie zu wehren.
Ganz gewiss ist er alles andere als clever gewesen, und wenn die Wagner,
Beethoven und Co. schon früh in eigener Sache geschickt zu taktieren
verstanden, unnachgiebig eine Politik betrieben, die einzig ihnen selbst zugute
kam, dann war der Anton Bruckner eher jemand, der, unter zig Verbeugungen um
Verständnis warb um höflich noch einen Knicks hinten dran zu setzen; zumeist
wurde das mit kühler Ignoranz quittiert. Seine (An)Stellungen und Posten hat er
sich im Laufe langer Jahre hart und rechtschaffen erarbeitet und wohl auch
erbettelt; kaum erschlichen oder erlistet. Und er, der ewig Werbende, er kam
auch bei den Damen ganz ohne listenreiche Winkelzüge aus. Drum wurde auch nichts
draus. Mit peinlicher Unterwürfigkeit ergab er sich seinem sentimentalen
Gefühlsfundamentalismus, ging vor den Weibsbildern in die Knie und rollte einen
bunten Teppich nach dem nächsten aus. Die jeweils Angebetete mag innerlich
gekichert haben, während er solcherart vor ihr zu Kreuze kroch. Abgekriegt
haben die Frauenzimmer dann folgerichtig immer die andern. Sein aufrichtiges
Bitten, Betteln – Buckeln, bar jeden Raffinements, ungelenk wie der ganze Kerl
– es brachte nichts. Bezeichnend, das er allein blieb. Bleiben musste. Anton
Bruckner war ein stets frisch und dann schnell verzweifelt Verliebter, er
loderte mit Haut und Haaren, und das jeweilige ´Nein´ brachte ihn fast um. Wie
gern dieser Mann geheiratet hätte! Die Mehrzahl der Angebeteten waren fast noch
Kinder. Aber vielleicht musste Bruckner ein Schwärmer, ein verliebter Narr
bleiben. Manches von diesem Überschwang floss in das Werk, und die empfangenen
Körbe sorgten für ein leidenschaftliches, ja Herzzerreißendes Weh, dem wohl die
Düsternis mancher Takte zu danken ist, denen wir in tiefer Ergriffenheit noch
heute lauschen. Doch in den Symphonien Bruckners spielt, wie Günter Wand völlig
zu recht betonte, das Private – im Unterschied etwa zu Beethoven und Mahler – keine Rolle mehr; bei ihm wird alles zu einem einzigen, echten, innigen
Naturereignis umgeformt, und das infantile, sich eruptiv gebärdende
Ergriffensein hat die Wirklichkeit in ihren konkreten Bezügen längst hinter
sich gelassen und raunt wie aus einer anderen, noch fernen Welt. Hier tobt der
Dämon, herrscht der Typus – wogen die Elemente. Das Werk feiert trunken die
Existenz, aber jenseits individueller Verstrickung, von der menschlichen
Vereinzelung ganz gelöst, dem Göttlichen zugewandt, aus vorpersönlichen,
urtümlichen Quellen schöpfend und solcherart echte Transzendenz stiftend – dazu
im Folgenden mehr.
III.
Wie mag die Musik Bruckners im
großbürgerlichen Wien des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts auf das gehobene
Bildungsmenschentum gewirkt haben? Es war dies eine zur unverbindlichen
Galanterie neigende und darob auf großzügige, ja verschwenderische Art und
Weise verwöhnte, dem Typus des Rokoko-Menschen im manchem sehr ähnliche
Gesellschaft, die von den Symptomen der Überfeinerung bis zur Erschlaffung
schon so gezeichnet war, dass sie gewisse trennscharfe Divergenzen, die ihre
hermetischen Zirkel bisweilen durchbrachen, nur ironisch begriff und darob,
ihrer Gewohnheiten treu bis in den Tod, mit lässiger Noblesse gleich wieder
verwarf. Wie anders auch. Die so kultiviert wie blasiert räsonierenden
Repräsentanten der späten KuK-Monarchie hatten trotz aller demonstrativ zur
Schau gestellten,in summa unverbindlich
scheinenden Diesseitigkeit das glauben noch nicht verlernt – der Glaube an die
eigene Größe und den ungebrochenen Bestand ihrer Einrichtungen hielt diese
Menschen irgendwie bei der Stange. Die Zweifel aber nagten tiefer; noch im
Verborgenen. Das erhabene Werk Bruckners, als ein gewichtiger Gegenentwurf zur
bloß noch unter Krämpfen heruntergespielten ´Leichtigkeit des Seins´, konterkarierte
auf nahezu groteske Weise die fragwürdigen Riten dieser vordergründig sorglos
und unbekümmert agierenden Kaste, die doch immerhin der Majestät seiner Würfe
einiges abgewann, weil sie dieselbe, wiewohl in einen fremden Zusammenhang
eingebettet, mit dem Glanz der Epoche verwechselte. Der aber schwand bereits.
Es konnte ferner kein Zufall sein, das ein Genius wie Sigmund Freud in dieser
gespannten, im hohlen Pomp erstickenden Atmosphäre mächtig in Erscheinung trat.
Hier konnte dieser Seelenforscher wirklich ´fündig´ werden. Der spürte noch die
entlegensten Abgründe auf, die jenseits der vollendeten Fassade wie schwarze
Löcher lauerten. Noch die kleinsten, feingliedrigsten Verästelungen einer
kompliziert verwobenen Kollektivseele legte dieser Anatom bloß, um sie einer
neuen, nicht unproblematischen Wissenschaft dienstbar machen zu können. Gerade
im ´walzernden Wien´ der Jahrhundertwende hatte sich eine Menschheit
herausgebildet, die der Verfallsepoche insofern entsprach, als dass sie, im
gesellschaftlichen, das drohende Unheil weniger als Schicksal, mehr in Form
eines raffiniert choreographierten Theaters begriff, welches zu spielen die
ständig drohende Langeweile beseitigte, der man immer dann begegnet, wenn alles
im Überfluss vorhanden zu sein scheint. Diese ´Schicht´ schlingerte auf einer
spätsommerlichen Gondelfahrt durch plätscherndes, von schwülen Nebeln
umdampftes und vom Unheil schon aufgewühltes Gewässer einem gewaltigen Malstrom
entgegen; vergaß und verlor sich im müden, von vielerlei kecken Reizen
aufgeblähten, unseligen Einerlei, kurzum: in einer letzten, umständlich
gewundenen Dekade, von matt dürstender Dekadenz weniger befeuert, mehr betäubt.
Im Wien der Jahrtausendwende kulminierte die gekünstelte Blasiertheit in
letzten lärmenden und zunehmend lähmenden Zügen, bevor jene eigentümliche
Windstille hereinbrach, die jedem heraufziehenden Sturm so eigentümlich
vorausgeht.Erste Gewitterwolken zogen
auf doch glühte noch die späte Sommersonne durch das düstere, sich weitende
Wolkenbett. Ich glaube, das in dieser Situation die symphonischen Kolosse
Bruckners wahrhaft wie eine Naturkatastrophe über die ahnungslos lauschenden
Gemüter hereinbrach; als ein Beben, Donnern – zürnendes Grollen und gellendes
Glockengeläut. Und war auch Nietzsche ein Rebell gegen die Zeit gewesen, da er
verzweifelt nach neuen Göttern rief, um darob ganz unbemerkt und unbeachtet vor
die Hunde zu gehen, so empfahl sich Bruckner, in etwa zeitgleich, als ein im
eigentlichen Sinne des Wortes Unzeitgemäßer: nämlich umgekehrt als Künder einer
uralten, fernen Gottheit, deren Erscheinung derganz diesseitigen Gesellschaft schier schleierhaft geworden war. Die
dämonische Wucht seiner Sprache, bei gleichzeitiger Reinheit und Tiefe der
´Ausdrucksformen´, wiewohl von rätselhaften und vieldeutigen Momenten
begleitet, dennoch erratisch in der Form und streng in der Durchführung: damit
stand er ganz einsam, ganz gegen seine eigene Zeit, die sich in dauernder
Zerstreuung hilflos verlor. Die etwas später in Erscheinung getretenen Antipoden
Strauss und Mahler haben, beide auf ihre Weise, die letzten Blüten ihrer ´belle
epoche´ in überwältigenden, unglaublich fein und raffinös gewobenen
Klangmassen, - und mustern nachgespiegelt. Sie hielt man für die eigentlichen,
typischen Repräsentanten dieser Zeit. Der eine als stolzer, noch einmal starker
Glücksjunge, der andere als ewiger, unheilvoller Pessimist. Ganz anders
Bruckner, der ihnen vorauseilte und jeden auf je eigene Weise inspirierte. Er
selbst war den gängigen Strickmustern zeitgenössischer Kunstauffassungen nur in
Ansätzen verpflichtet, und keine ihrer Formen oder Richtungen, derer er sich
durchaus bediente, verwässerte das Gesamtkonzept. Der Historismus jener Zeit,
den jene gern bemühen, um der Monarchie Starre und Verstocktheit nachweisen zu
können, war nur das mühselig übergeworfene Korsett, das einen fiebrigen,
schwitzenden, ja ekstatisch bebenden Körper kaum mehr im Zaum hielt. Davon ist
manches auch in Bruckners Werk übergegangen, nicht aber als Prinzip – mehr als
ein begleitendes, die innere Unruhe kennzeichnendes Geräusch, das durch die
Hallen wie Orgelklang tönt. Er fühlte
sich eben dem Absoluten geweiht; ohne Kompromiss. Um noch einmal der
Deutlichkeit halber Freud zu bemühen: Bruckner bildete kein Ich oder Es mehr
ab; es drängte ihn, die All-Einheit zu preisen, das am Ende wirklich die Zeit
still stünde im Angesicht eines weniger grollenden, mehr erlösenden
Gottesgerichts. Derlei subjektive Momente, ideelle wie sittliche Avancen, die
schon bei Beethoven Programm waren, mit stolzer, herrischer Pose ständig neu
verkündet, pathetisch bis zum abwinken: hier fehlen sie; es gibt sie nicht.
Wiewohl auch Bruckner das ganze Drama des Seins anklingen lässt, die Qualen des
Menschseins und folglich auch das Entzücken, die trunkne Sinnenfreude: von
einer personalen Verselbstständigung sind die Motive doch himmelweit entfernt,
und alles scheint durchtränkt, durchdrungen von einem Gefühl für das Höchste,
Tiefste – Weiteste. Dem Bruckner war´s der liebe Gott. Das führte wiederum zu
dem Missverständnis, er habe der Kirche gedient; wie albern. Bezeichnend ist
doch, dass Bruckner seiner Fünften den Beinamen ´Die Phantastische´ verlieh;
andere waren es, die sie als ´Katholische´ abtaten. Wir berühren hier einen
Punkt, an dem sich schon so mancher Biograf die Zähne bis zum Knirschen
ausgebissen hat. Sagen wir es so: die Frömmigkeit wird bei diesem Komponisten
von heidnischem Raunen durchpulst, von mystischen Beschwörungen übertönt und
förmlich in Gewalt genommen; bis zur Verklärung in einer archaisch anmutenden
Nacktheit, Reinheit. Seine Werke spiegeln keinen Gottesdienst, sind vielmehr
das Ergebnis eines beseelten Gottgnadentums, als ein Abglanz heiliger Mächte,
denen er sich permanent ausgesetzt sah. Daraus schöpfte er, unentwegt, und
deswegen lässt sich diese Musik auch nicht restlos verstehen noch begreifen.
Erfahren, erleben muss man sie, um es zu fühlen; kaum, das man es ´fasst´. Das
gilt, zugegeben, für jede Musik – hier ist es fast Gebot. Bruckner hat denn
auch folgerichtig keine Schule begründet und die wäre weder ihm noch den
Jüngern – die es gab – gut bekommen.
Bei aller Ehrfurcht, die man vor allem in den
Adagio immer wieder deutlich heraushört, gärten doch Kräfte, die eher an
zeremoniöse Gelage einer verschollenen, unverstandenen Frühzeit gemahnen. Man
vergleiche etwa einzelne Scherzi mit dem noch bieder braven Orgelwerk, das er,
als Gebrauchslieferant, dem Klerus wohl zu schulden meinte. Furtwängler hatte
schon Recht, wenn er in Sachen Bruckner die großen deutschen Mystiker ins Spiel
brachte, die ihrerseits aus fernsten Überlieferungen das Surrogat ihres
Glaubens herauspressten. Nach meiner Schätzung ist er dem Meister Eckart eher
weniger verwandt; der Vergleich mit dem Görlitzer Schuster scheint mir
treffender. Schon allein, was die äußere Erscheinung anlangt: die
physiognomischen Ähnlichkeiten machen beinahe schmunzeln. Der ´Philosophus
Teutonicus´, wie man Böhme nicht unpassend genannt hat, gab ´Erklärungen´ ab,
die ein bestimmtes Ergriffensein andeuten, das wiederum dem Schaffen Bruckners
manches Geheimnis abringen möge; so, das man zumindest etwas ahnt. Jakob Böhme
einte Natur und Mystik in einer komplizierten und auch wieder einfachen, ja
kindlich-primitiven Sprache. Auch er stand den elementaren Kräften der
Volksseele nahe; im Sinne Herders. Alles ist ihm Gott. Inneres wie Äußeres sind
dem Urgrund jeglicher Dinge verwandt. Böhme wusste noch um die ewigen Stille,
die von sich selbst nichts weiß; er suchte sie in Worte zu bannen und konnte
nur stammeln. Der brave Mann aus der Provinz agierte, gleich Bruckner, oft
unbeholfen, link und ungelenk, war in einem zutiefst deutschen Sinne innerlich
bis zur abseitigen, völligen Versunkenheit (als einer nordisch-dunklen
Versponnenheit), die ihrerseits nur Ergebung, Erfüllung, also: Eingebung kennt.
So auch Bruckner: die naturseligen ´Stimmungen´, das Erschaudern vor den
kosmischen, unfasslichen Mächten (Bruckner liebte es, stundenlang den
nächtlichen, bestirnten Himmel zu betrachten), das Primitive und das Erhabene, der Sinn für Schönklang und Melodie nebst schroffer, ja
verschrobener Ausbrüche: all das kündet vom Zwiespalt der Existenz, die nach
Erlösung lechzt – und sie am Ende auch empfängt.Innerhalb der meisterlich angebahnten
Hochflächen (ein trefflicher Begriff, der sich in der Literatur früh durchgesetzt
hat) waltet ein meditatives, scheinbar schwerelos atmendes Moment; darob stößt
der Hörende, so er empfänglich ist, wirklich in ein Zeitloses vor und alles
Gedankliche fällt von ihm ab, löst sich in reinstes Wohlgefallen auf. Auf
diesem Wege wird aus einem Arsenal an Harmonien, Klangfarben, Mustern und
melodischen Einfällen eine Offenbarung, der Bruckner, als ein Dienender, die
Gestalt wob, die ihr zukam. Gleich, ob er den lichten Höh´n oder dem dunklen
esoterischen Abgrund zustrebt, ob nun das jeweils Gute oder Böse an Präsenz
gewinnt – beide schöpfen letzthin aus dem Göttlichen, verschmelzen im Reinen,
dem Absoluten. So empfand es schon Böhme, so klingt es endlich bei Bruckner an.
Bei ihm findet diese Einheit ihre Vollendung in der Form, die er, trotz gelegentlicher
Primitivität des Ausdrucks, beherrschte wie kaum ein anderer. In Wien unterwarf
er sich der gestrengen Prüfung in alter Satzkunst. Der alte Herbeck meinte
hernach zu seinen Kollegen:“ Er hätte uns prüfen sollen.“ Die
bewundernswerte Architektonik seiner ins Gigantische ausufernden, dennoch
restlos geschlossen und gerundet gestalteten Werke, der ganze kühne Bau birgt
doch ungebundene Kräfte, die Takt auf Takt ihr Recht einfordern. Die Form steht
hier der Transzendenz nicht im Wege: sie bahnt ihr erst den herrschaftlichen
Weg und bannt dieselbe wieder jenseits der verbrauchten, vorbereitenden Schale
in neuer, umfassender Schirmung; die bleibt. Da mutet es fast wie ein
Treppenwitz an, das ihn einige Zeitgenossen als gefährlichen Neuerer sahen; wohl,
weil sie mit dieser Musik so gar nichts anzufangen wussten. Die differenzierte,
gewiefte Harmonik diente eben nie dekorativen Zwecken. In allem ist Bruckner
nur seinen eigenen, vom Herzen geleiteten Pfaden gefolgt; als ein tiefgläubiger
Mensch. Einzig vor diesem konstituierenden Hintergrund hat man den soliden
Handwerker zu sehen; auch den, der ein reiches Erbe trug. Von Bach, dessen
´Kunst der Fuge´ Bruckner wohl wie kein Zweiter studiert hat, übernahm er die
polyphone Satzweise. Die Formelemente der Symphonie waren beim Beethoven
vorgezeichnet. Wagner dankt er, neben chromatischen Anregungen, ein üppiges
Instrumentarium, das der Bayreuther nur zu oft der plumpen Effekte willen auf
beinahe grotesk Weise blähte. Die ´musica sacra´ der Gregorianik, ´Spurenelemente´
österreichischer Volksmusik, auch romantische Stimmungsmalerei: es ist alles
da, an seinem Platze. Aber weit davon entfernt, um seiner selbst willen da zu
sein, tritt dieser musische Kanon in den Dienst bzw. in die Pflicht.
IV.
Noch zu den Interpreten. Mit dem Werke
Bruckners muss nun wirklich ringen, wer es auch nur halbwegs zu bewältigen
versucht. Gemeistert haben ihn bislang die wenigsten. Der akademische Zugriff
bleibt nützlich, darf aber bloß ein Anfang, erster Schritt sein. Mehr nicht. Die
riesenhaften Gebilde dieses Meisters erfordern zusätzlich und darüber hinaus
einen organischen, elementaren Ansatz, sonst bricht das ganze Gebäude heillos
auseinander. Seine Symphonien gleichen Kathedralen, deren vergeistigte,
vielgliedrig gestaltete und monumental gestaffelte Form jeden einzelnen Stein,
jeder kleinsten Figur zum sprechen, tönen bringt, doch nur in ihrer
Beziehungsträchtigen Gesamtheit offenbaren sie, als Ganzes, ihren vollendeten
Sinn. Wer das Staunen nicht verlernt hat, der schweige hier zunächst. Wie
weiland Wand. Was man nur schwer begreift, daran vergreife man sich nicht.
Etliche scheiterten schon; auf der ganzen, kläglichen Linie. Seine Symphonien
beanspruchen ja vor allem eines: Zeit. Sehr viel davon, damit ein Mindestmaß an
Verständnis überhaupt erst wachsen, werden kann und das geht nur über einen
langen, mehr kontemplativen Prozess der Annäherung, der Einfühlung. Das
wiederum setzt Geduld voraus. Wer aber brächte die heute noch auf? Deshalb wird
es wohl auch zunehmend schwerer, ihn entsprechend ´rüber zu bringen´. Unsere
Heutigen, die immer öfter im Flugzeug sitzen als vor der alles entscheidenden
Partitur, erledigen denn auch das Studium derselben schon unterwegs, mittels
Kopfhörer, Hast und Hetze wie selbstverständlich im Genick. Man hört das aus
den jeweiligen Endprodukten ganz gut heraus. Ehrfurcht und Weihe bleiben auf
der Strecke, und das heilige Schaudern erstickt förmlich unter der immer öfter
bemühten Ägide bloßer Effekthascherei, mit der auf Anhieb der entsprechende
Eindruck geschunden wird. Frank und frei gesprochen: selten hat´s so
grauenhafte, ermüdend aufreizende Interpretationen gezeitigt wie in den letzten
zehn, zwanzig Jahren. Sie, die das ´verbrochen´ haben, scheinen noch immer von
einer falsch verstandenen ´Karajanitis´ befallen, mittels derer sie an den
Alten selbst nicht einmal ansatzweise herankommen – der immerhin kannte, der
beherrschte seinen Bruckner noch. Bei ihnen aber wird der Takt vom Zeitgeist
geschlagen oder geknüppelt; richtig schnell und platt auf´s runde Haupt. Damit
man mich nicht für einen Nostalgiker oder Kulturpessimisten hält: mitunter
kitzeln diese Präzisionsfanatiker noch erstaunliche Details heraus, und
einzelne Passagen klingen – risse man sie aus dem Zusammenhang und nähme sie
´für sich´ – recht interessant oder, wie man mittlerweile gern sagt: spannend.
Aber damit ist eigentlich nichts gesagt oder getan – geschweige denn gestaltet
oder gar vollbracht. Es will sich da nämlich das still (wiewohl unter Wehen)
Gewachsene kaum mehr zum Ganzen fügen oder runden, und die vielgerühmte
Transzendenz sackt im Zuge dieser sinnlosen Sprints in sich zusammen. Kann es
eigentlich so etwas wie einen zeitgemäßen, einen ´moderne´ Bruckner geben? Das
kommt mir doch sehr gewollt, also: an den Haaren herbeigezogen vor. Es gibt
Dirigenten – keine Namen, versteht sich – die veredeln selbst letzten Tinnef.
Kann man so mit Bruckner umspringen? Klartext: wo sie getragen klingen wollen,
strecken sie nur; wo ihnen so richtig nach Feierlichkeit zumute ist, erzwingen
sie nur mehr abgeschmacktes, billig geblähtes Pathos – wo sie meinen, ergriffen
zu sein, erdrosseln sie jede Innigkeit oder Weihe; wie Barbaren. Liegt der
Nährboden brach, will nichts rechtes nachwachsen, mag die Saite nicht mehr
klingen. Ein Dirigat schafft keine entsprechende Atmosphäre, geht ihm der Sinn
für klangweltliche Zusammenhänge ab. Ich bin Laie genug, um das immer wieder
neu ertasten zu können. Mich irritieren bei den zeitgenössischen Versuchen,
Bruckner zu schultern, immer wieder die jeweiligen Tempi. Die ´erschlagen´
allzu oft, und das künstlich gestreckte ´Breitwandformat´ ödet dann nur noch
an. Das erinnert mich, als mittlerweile ausgedienten Leistungssportler, an
einen zähen Triathlon. Nach dem Schwimmpensum nimmt sich die Fahrt mit dem Rad
wie eine fortgesetzte Raketenzündung aus, und darob schleppt man sich beim
Laufen wie ein Trampel über den Asphalt. Die drei Abschnitte divergieren enorm,
reizen letzte Ressourcen aus undpumpen
einen am Ende völlig aus. Alles hängt vom inneren Rhythmus, vom vegetativen
System ab; egal, wie viel man ehedem trainiert – also: den Körper malträtiert –
hat. Auch Bruckners ´Strecken´ meistert nur, wer sie als einen Kreis begreift:
die bloßen Wegmarken auf der endlos langen Linie taugen nur zur Orientierung.
Man kann den Lauf nicht auf diese ´Meilensteine´ abrichten; damit lässt sich
insgesamt nichts ausrichten. Wer seinen Bruckner solcherart abklopfte, käme
kaum vom Fleck. Und böte nur Stückwerk. Das sich beisst und nur mehr blendet.
Die oben erwähnte kindliche Ergriffenheit kulminierte dann folgerichtig zur
Karikatur; zu einer Fratze. Selten rühren Interpreten dieser Couleur an der
Essenz; auch dort nicht, wo sie brav und rechtschaffen zu sein glauben und
strikt auf Werktreue setzen. Ob Retusche oder krampfhaftes Original: in summa
klingt es wirr und uneinheitlich. Den Urfassungen waren und sind die wenigsten
gewachsen; die lassen sich eben nicht auf herkömmlichem Wege ´abhaken´. Mit
unzulänglichen Mitteln wird das Ungeheure unzugänglich gemacht. Ich ziehe also,
man merkt es längst, im Falle Bruckner die Altvorderen vor. Dann also doch noch
ein paar Namen. Jochum und Böhm waren ihm auf der Spur. Solti kam etwas spät.
Karajan gehört immer in die erste Reihe, wiewohl es in Mode gekommen ist,
diesen Riesen des 20. Jahrhunderts bei jeder Gelegenheit zu verkleinern.
Endlich Furtwängler. Der war ein Magier; die wenigen erhaltenen Aufnahmen sagen
um so viel mehr, als ich hier wieder zu geben imstande wäre. Ein gültiges, in
sich geschlossenes Gesamtwerk kenne ich eigentlich nur noch vom Wand. Der Rest
ist Schweigen.
V.
Vielleicht ist es nicht unbescheiden, wenn
ich der Vermutung Nachdruck verleihe, dass die Symphonie nach Bruckner in
puncto Eigenart und Eigensinn wohl nur noch bei den großen Nordländern –
Sibelius, Nielsen, Madetoja oder auch Englund – zur gültigen Vollendung gelang.
Wenige standen noch; aber auf zunehmend verlorenem Posten. Etwa
Schostakowitsch, dessen Vierte zum Beispiel bis heute ein Versprechen geblieben
ist: einzig in der Fassung von Sir Simon Rattle klingt dieses arboretische
Ungeheuer halbwegs gängig, schlüssig. Mahler bleibt ein Sonderfall, ein Problem
ganz eigenen Ranges. Schon Richard Wetz (der nie ganz von Bruckner loskam) und
dieübrigen, heute mehr oder weniger
vergessenen Spätromantiker blieben im Grunde auf halber Strecke stehen. Der
Brite Bax war vor allem raffinierter Klangtöner; Scriabin wiederum ein
Decadent, eher grotesk als kurios in seiner Formsprache und ob seiner
esoterischen Narzissmen sicher nicht ganz koscher. Wen auch immer die Nischenlieferanten
demnächst noch ausgraben werden, aus der Versenkung zaubern: ich bleibe
skeptisch. Endlich die Toch, Kancheli, Pettersson und Co: sie schufen schon
keine Symphonien mehr, konnten oder wollten aber nicht auf´s Etikett
verzichten. Also, salopp gesprochen: Retro und Retusche. War´s das dann? Aber
nach Beethoven hielt man diese Gattung auch schon für erledigt. Bald kamen
Dvorak, Tschaikowski und etliche andere, die sie neu belebten und ihren
tradierten Torsen dennoch treu blieben. So vor allem Bruckner, der ihnen hehren
Odem einhauchte.
Kann, ja darf man einen wie ihn überhaupt auf
psychologischem Wege deuten? Ihn irgendwie erklären? Was wäre damit getan, wem
diente man damit. Wer von den Älteren versteht, wer begreift noch ein Kind?
Haben wir nicht, aus gutem Grunde, in dieser Sache das allermeiste schon wieder
vergessen, verdrängt – vergeudet und vertan? Und sind wir Heutigen denn nicht
überhaupt solche, denen das wesentliche ihres Menschseins via Komfort und
Konsum, auf den sich im Gesellschaftlichen zunehmend alles reduziert, verloren
ging? Kein Recht kommt da dem Psychologen zu, der auf eine Weise analysiert,
die an das bloße Sezieren der Chirurgen erinnert. Das Problem als Frage
formuliert: wenn wir uns, scheinbar mühelos, so manchen Reim machen, haben wir
damit schon die dazu gehörende Melodie begriffen? Seismographen und
Wettersatelliten halten auch etwas fest – und trotzen den Elementen ihr
Eigentliches, Wesentliches niemals ab.
Zum Schluss noch einmal Günter Wand, der über
die Frage, ob die Neunte des Meisters wirklich eine Unvollendete sei, einige
wesentliche Charakteristika in Sachen Bruckner striff. „Für mich,“ sagte er,“
ist nach dem Schluss des Adagios nichts mehr möglich. Diese Ruhe! Diese
Zuversicht! Diese Verklärung!“ Und indem sich Bruckner, der Mensch, mit seiner
Neunten, dem Werk, vom Diesseits verabschiedete – so, und wohl gerade so – erbrachte er den Beweis. Da schloss sich dann ein weiterer Kreis.
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