Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 31.01.13 |
Zu den Pöbelattacken türkischer Aktivisten gegen deutsche Bundeswehrsoldaten
von Shanto Trdic
Haben
die Tätlichkeiten und verbalen Injurien einer agitierten türkischen Minderheit Sympathien
bei der türkischen Bevölkerungsmehrheit ausgelöst? Und was ist mit den in
Deutschland ansässigen Türken? Dazu schweigen sich unsere Leitartikler aus. Auch
ansonsten gerät die publizistische Auseinandersetzung mit diesem Vorfall gewohnt
handzahm. Die politische sowieso. Man forderte die türkischen Sicherheitskräfte
auf, die deutschen Sicherheitskräfte zukünftig sicherer zu sichern, um die
guten Beziehungen beider Länder auch weiterhin sicher stellen zu können. Die
Streitkräfte der Deutschen seien schließlich Gäste. Der Appell an die im Orient
traditionell beheimatete Gastfreundschaft mochte auf Anhieb dezenter, also:
diplomatischer wirken als jede direkte Kritik an denen, die mit reichlicher
Verspätung ihren Bündnispartnern vor Ort unter die Arme griffen. Es ist nahezu
lächerlich, anzunehmen, das in einem Staat wie der Türkei Demonstrationen die
allgegenwärtigen Sicherheitsdienste irgendwie ´überraschten´. Aber wehe dem,
der das den atlantischen Freunden vorhielte! Bloß nicht noch mehr Unruhe stiften,
nur niemanden über Gebühr in seiner Ehre beeinträchtigen, also: nach
Möglichkeit die Bälle flach halten und den ´Partner´ nicht weiter provozieren. Erstaunlich
kleinlaut daher auch die Kommentare einer angeblich unabhängigen Presse,
mittels derer die peinlichen Aktionen auf bewährte Weise ´erledigt´ wurden. Widersprüchlich
sind sie sowieso. Da wurde die ´Partei der Glückseligkeit´, auf deren Konto die
Angriffe gegen stationierte Bundeswehrsoldaten gehen, einerseits als ´islamisch
konservativ´ beschrieben, andererseits deklarierte man sie dennoch als ´Teil
der türkischen Bevölkerung´; nicht etwa als Splitter, - oder Randgruppe. Ein
Teil der türkischen Bevölkerung wetterte also gegen einen Teil der deutschen,
den es auf Bitten türkischer Entscheidungsträger an die ´heiße Grenze´ zu Syrien
schlug und dieser Teil schreckte auch vor Handgreiflichkeiten gegen den zur
Hilfe gerufenen Teil der atlantischen Zweckgemeinschaft nicht zurück. Als Wut
und Protest wurde bezeichnet, was im Ergebnis zu direkter körperlicher Gewalt
führte, die sich gegen verbündete Einheiten richtete, die angeblich zum Schutz
der Zivilbevölkerung abkommandiert wurden.
Keine
Ahnung, ob die Saadet Partisi ein spinnerter militanter Sektiererverein ist
oder nicht – aber genau so gebärdeten sich die Aktivisten und interessant ist,
wie sie argumentierten bzw. besser: lamentierten. Da war auf einmal von ´alten
Erinnerungen´ die Rede, und die reichen ohne lästige Umwege in die Wirren des
ersten Weltkrieges zurück, deren ´Zeitzeugen´ zunehmend dement oder längst tot
sind, doch auch die wenigen der ´Übriggebliebenen´, die ihr mahnendes
Gedächtnis noch nicht eingebüßt haben, wurden von der Saadet stellvertretend gesühnt:
an der türkisch-syrischen Grenze, im Handgemenge mit den olivgrün uniformierten
Invasoren. Was haben sich die Deutschen, deren Urenkel jetzt als
´Patriot-Missionare´ an der Peripherie parlieren, seinerzeit zuschulden kommen
lassen? Nichts Geringeres als die Niederlage der Türken im ersten Weltkrieg, so
Mustafa Tüten, Chefpropagandist der SP. So las ich es eben noch in den Deutsch
Türkischen Nachrichten, und die restlichen Meinungsblätter der Republik haben diesen
Unfug wie üblich wortwörtlich voneinander abgeschrieben. Das es seinerzeit gar
keine türkische Nation gegeben hat, weil der siechende Restbestand des osmanischen
Reiches noch nicht gänzlich seinen letzten faulen Atem ausgehaucht hatte, ficht
offenbar niemanden derer, die der eiligen Tagespolitik verpflichtet sind, an.
Der damals bereits ´kranke Mann am Bosporus´ strotzte ehedem noch vor Saft und
Kraft. Gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts hatte das Imperium ganze Völkerschaften
auf insgesamt drei Kontinenten in sich hineingeschluckt. Weniger auf
diplomatischem Wege, zumeist mittels militärischer Eroberungszüge, die umso
glänzender gerieten, je verlässlicher man sich auf die Elitetruppen jener
Janitscharen verlassen konnte, die zuvor, als Knaben, den Ungläubigen geraubt
wurden. So konnte im Zuge zahlreicher Waffengänge eine immense Landmasse
eingefangen werden, die immerhin breite Teile Nordafrikas, der Levante und
Südosteuropas einschloss und über das Millet-System ständig neuen Geldsegen in
die osmanischen Kassen spülte.
Moment
mal, höre ich endlich die ersten schimpfen: was wärmst du denn die ollen
Kamellen wieder auf? Wir leben doch mittlerweile im 21. Jahrhundert. Eben. Zu
Beginn dieses Jahrhunderts ist es der Nato-Mitgliedstaat Türkei, dessen
Würdenträger sich ungeniert in die Belange von Staaten einmischen, deren
Gebieter ihre Vorväter einst gewesen sind. Wie nimmt sich dieses ´Engagement´ im
Blick auf die glorreiche Vergangenheit aus, eingedenk unzähliger ´alter
Erinnerungen´, die im Kollektivgedächtnis geknechteter und ausgebeuteter Völker
sicher noch lebendig geblieben sein mögen? Etwa auf dem Balkan, wo das دوشيرمهder
Osmanen nahezu wahllos wütete. Bosnien, die Herzegowina und Albanien galten als
Hauptrekrutierungsgebiete. Es wurde peinlich darauf geachtet, dass nur
christlich getaufte Kinder geraubt wurden. Das sind ganz sicher schändliche
alte Erinnerungen, aber wer hätte schon den Schneid gehabt, die Türken von
heute an die Osmanen von damals zu erinnern? Gelegenheiten hat es auch in den
letzten Jahren genug gegeben. Etwa anno 99, als eine türkische Task-Force
Einheit den äußersten Keil des deutschen Kosovo-Abschnitts übernahm, der sich
zwischen Mazedonien und Albanien weit nach Süden schob. Wagte damals irgendeiner
der Ansässigen, gegen die Nachfahren der ´Kinderverschlepper´ auch nur zu
mosern? Wirft ihnen noch irgendjemand ernsthaft vor, dass sie durch die
Gründung eines eigenen türkischen Staates die Bildung eines kurdischen Ablegers
zunichte gemacht haben? Wollen sie, dass ich weitermache?
Ich hege nicht die Absicht,
Einzelheiten jener Vorgänge, die sich vor kurzem im grenznahen Iskenderun
vollzogen haben, voyeuristisch auszuweiden. Peinlich genug, wenn deutsche
Soldaten vor einem rabiaten Mob in umliegende Geschäfte fliehen müssen. Das die
Angreifer einem der Gejagten einen Sack mit weißem Pulver über´s Haupt gezogen
haben, wird als Protest gewertet und soll angeblich an einen Vorfall aus dem
Jahre 2004 erinnern, als ein US-Soldat dasselbe mit türkischen Soldaten getan
hätte. Ja, da sind sie sehr nachtragend, die Lordsiegelbewahrer eines reinen,
in seiner Ehre und seinem Stolz vollkommen makellos zu haltenden
Nationaltürkentums; da greift man sich ruhig einen deutschen Ungläubigen raus und
gibt ihm Saures.
„Wenn sich die deutschen Soldaten nicht benehmen und sich hier mit
ihren Waffen aufspielen,“ warnte Tütün,“
dann werden wir auch sie aus dem Land jagen.“ Das ist natürlich nicht
schön, aber wenn irgendein Idiot mit Glatze eine ähnliche Äußerung im
multitoleranten Deutschland von sich gäbe („Wenn
die sich hier nicht an unsere Regeln halten dann sollen sie dahin zurück, wo
sie her kommen“), dann ist das Geschrei der Empörten ungleich größer. Und
wehe denen, die vor ´Überfremdung´ warnen. Die Deutsch Türkischen Nachrichten
berufen sich in ihrem Artikel auf einen Ortsansässigen Händler, der freimütig
bemerkte, dass er nichts gegen die Deutschen habe, so lange sie sich von den
türkischen Frauen fern hielten. Was fürchtet so ein Rechtgläubiger? Das die
teutonischen Barbaren nach vollzogener Vergewaltigung wehrlose Frauen rauben,
um sie in deutsche Bordelle zu verschleppen? Als späte Rache für die feige
Knabenlese? Die örtlichen türkischen Behördenseien nunmehr bestrebt, die
NATO-Soldaten möglichst aus dem Blickfeld der Einheimischen zu bringen. Hierzu
stelle man derzeit verschiedene Überlegungen an. Das sichert dann am Ende nicht
nur die Sicherheit einer demnächst blindwütig marodierenden Soldateska sondern,
wichtiger, die guten Beziehungen zweier Länder, deren merkantile Interessen die
Naht schier platzender Enden leidig zusammenhalten.
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