Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 02.05.13 |
von Wolfgang Ockenfels
„Schade, daß der Papst nicht katholisch ist“, bemerkte Kurt
Tucholsky in seinem Sudelbuch.
Er meinte das ironisch mit Blick auf seine deutschen Zeitgenossen, denen bis
heute der Sinn für Ironie abgeht, und die sich stattdessen ernsthaft für
kompetent und genug legitimiert halten, zu entscheiden, wer oder was als
katholisch anzusehen sei. Diese Entscheidung trifft nach kirchlichem
Verständnis letztlich der jeweils regierende Papst, gleichgültig, ob er von den
einen als papa angelicus
herbeigesehnt, von den anderen als papa
haereticus verflucht wird. Solche „prophetischen“ Zuschreibungen haben im
Mittelalter eine große Rolle gespielt und sollten wohl die Papstwahlen
beeinflussen. Man berief sich gerne auf die angeblichen Weissagungen des Malachias noch zur Zeit Leos XIII., auf den die Bezeichnung
„Lumen in coelo“ (Licht am Himmel) sehr schön paßte.
Wer einen Sinn für endzeitliche Orakel hat, mag auch den kryptischen
Titel „Gloria olivae“ (Ruhm des Olivenbaums) zutreffend finden, mit dem Benedikt XVI. die malachianische Papstliste
abschließt – gefolgt nur noch vom allerletzten Papst „Petrus Romanus“, mit dem nicht
nur Rom, sondern auch die ganze Welt untergehen soll. Spannende Zeiten also für
apokalyptische Spekulanten, die sich im Internet ein Stelldichein geben.
Katholisch sind diese Prophezeiungen nicht. Sie sind der Horoskopie, nicht der
Theologie zuzuordnen, lassen sich aber erst dann falsifizieren, wenn sich die
angekündigten Ereignisse nicht einstellen.
Es ist schade, daß Benedikt XVI.
weder die Piusbrüder noch andere getrennte Christen weltkirchlich integrieren
konnte, obwohl gerade er die theologischen Voraussetzungen dazu geschaffen
hatte. Und es ist bedauerlich für die Kirche, daß gerade dieser Mann, der so
tapfer für ihre Einheit und missionarische Ausweitung eintrat, demissionierte,
weil seine physischen Kräfte nicht mehr hinlangten. Papst Benedikt wird als großer Deutscher und überragender Theologe in
die Geschichte eingehen. Seine geistig-moralische Kraft entfaltet sich
still und untergründig; sie wird ihre volle Wirksamkeit entfalten, wenn die
verrückten Zeitgeister an ihren Widersprüchen scheitern. Am theologischen
Niveau dieses Kirchenlehrers müssen sich auch seine päpstlichen Nachfolger
messen lassen.
Der neue Papst hat das Zeug dazu, ohne anbiedernden Populismus populär zu
werden. Seine Wahl kam so überraschend, daß es selbst den notorischen
Kirchenkritikern einstweilen die Sprache verschlug. Papst Franziskus
überrascht durch den einfachen, spontanen, schnörkellosen Stil, in dem er
die alte Botschaft des Christentums neu belebt. Und auf liebenswürdige Weise
radikalisiert. Die Erwartungen an den „Reformpapst“ sind freilich sehr groß und
unterschiedlich.Und daß er sie nicht
alle bedienen kann, ist jetzt schon klar. Ein Räumungsverkauf katholischer
Wahrheitsansprüche findet nicht statt. Am Fundament des Glaubens und der Sitte
wird dieser Papst nicht rütteln.
Was aber ist mit seiner Forderung nach einer „armen “
Kirche, die vor allem für „die Armen“
wirken soll? Das ist eine urchristliche Herausforderung und keine befreiungstheologische
Erfindung. Links angehauchte Populisten in Lateinamerika befürchten, der Papst
könne ihnen das Wasser abgraben. Deshalb wundert es nicht, daß sie dem früheren
Jesuitenprovinzial Bergoglio eine
Kollaboration mit der argentinischen Militärjunta unterstellen. Aber was kümmert
es den Papst, schon als Reaktionär zu gelten, wenn er die katholische
Soziallehre realisiert? Die „Option für die Armen“ gilt vorrangig dem
Lebensschutz, der in modernen gesättigten Wohlfahrtsstaaten zunehmend denen
entzogen wird, die sich nicht selber zu helfen wissen: also den Ungeborenen,
Behinderten und Alten.
Leidenschaftlich erörtert wird jetzt das Problem der „Pille
danach“, die Frage also, ob sie von abtreibender Wirkung sei und in katholischen
Krankenhäusern verabreicht werden dürfe. Diese und andere Fragen sind inzwischen
zu einem Politikum geworden und rühren an das bisherige Verhältnis zwischen Staat
und Kirche in Deutschland. Aktualisiert wird diese Debatte durch den
Amtsverzicht des Papstes, der bei seinem
letzten Deutschlandbesuch von „Entweltlichung“ der Kirche sprach. Für Benedikt XVI. ist der bisherige Zustand
des Kirche-Staat-Verhältnisses kein Dogma gewesen – und die mögliche Neuordnung
kein Tabu. Anderes ist auch von seinem Nachfolger nicht zu erwarten.
Natürlich kommt es darauf an, wie die
Religionsgemeinschaften in Deutschland sich
entwickeln, welche Anforderungen der Staat an sie stellt – und welche Zumutungen
er für sie bereithält. Schon vor einigen Jahren kritisiere Joachim Kardinal
Meisner einen Schwund kirchlicher Glaubensubstanz, der im Widerspruch zur
Ausdehnung kirchlicher Organisationsformen stünde. Sehr beliebt sind Kindergärten,
Schulen und Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft auch heute noch. Immerhin
entlasten sie den Staat im subsidiären Sinne. Und gäbe es nicht die vielen
caritativen Einrichtungen der Kirche, hätte der Staat erhebliche Mehrkosten zu
tragen.
Die Frage ist aber, ob bei zunehmender Entchristlichung die
Kirche überhaupt noch genügend geeignetes Personal findet, um ihre
Einrichtungen glaubwürdig zu führen. Wer in einem kirchlichen „Tendenzbetrieb“
einen Auftrag zur Glaubensverkündigung oder zum moralischen Zeugnis wahrnimmt,
muß sich wohl auch an die entsprechenden Regeln halten. Sollten diese jedoch
den staatlichen Vorschriften widersprechen, kommt es notwendig zu einem
Konflikt zwischen Kirche und Staat. Etwa in Sachen Arbeitsrecht und Gesundheitswesen.
Abtreibung und aktive Euthanasie sind mit der Kirche nicht zu machen. Denn „da
wo katholisch draufsteht, muß auch katholisch drin sein“, alles andere wäre
Etikettenschwindel.
Allerdings gilt hier noch ein anderer Satz von Kurt Tucholsky: „Man ist im öffentlichen
Leben nur Katholik um den Preis es nicht zu sein.“ Arme Kirche! Vielleicht muß sie besonders in Deutschland
etwas abspecken, um beweglicher, und etwas demütiger werden, um glaubwürdiger
zu sein. Aber wer löst sich schon gerne aus goldenen Fesseln, auch wenn er
dadurch freier wird.
Nr. 2/2013 April, Jahrgang 67
http://www.die-neue-ordnung.de/
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