Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 08.05.13 |
von Heike Geilen
"Lesen
ist ein stilles Vergnügen, ein Kind des Alleinseins und der Vertiefung, eine
Amme der Tagräume und Grübeleien, die Geliebte aller Leidenschaften und ein
Anstifter zu Abenteuer und Wandel. Lesen kann ein Leben verändern." Peter
Ackroyd schreibt nicht nur gute Bücher, sondern bekennt sich damit auch als
kluger Leser. Recht hat der Brite, der zugleich das Vorwort des vorliegenden,
opulenten Kompendiums verfasst hat. Aldous Huxley wiederum geht noch weiter.
Für ihn besitzt derjenige, der zu lesen versteht, "den Schlüssel zu großen
Taten, zu unerträumten Möglichkeiten."
Der
Genuss, ein Buch in der Hand zu halten, die Seiten umzublättern, in das Geschehen
ein- und nach einer gewissen Zeit "gestärkt" wieder aufzutauchen, ist
wahrlich unvergleichlich. Aber bald schon kribbelt es in den Fingern und eine
neue "Eroberung" steht auf dem Plan. "Bücher zeugen
gewissermaßen weitere Bücher in einem endlosen Prozess gegenseitiger
Befruchtung, so dass häufig kaum noch zu erkennen ist, wo die Einflüsse eines
Buches enden und die eines anderen beginnen.", so Ackroyd. Darum sollte
man Isidor von Sevilla zum Schutzheiligen des Lesens erklären, denn er vertrat
die Ansicht, dass alles geistige Wachstum sich aus dem Lesen speise. Die Qual
der Wahl fällt dann nur noch auf die Auswahl seiner
"Progressions"-Lektüre.
Ein
Brevier des geistigen Genusses und ein Weg durch die Geschichte des Romans
stellt das neu aufgelegte Werk der 1001 Bücher, die man gelesen haben sollte,
dar. Peter Boxall, außerordentlicher Professor für englische Literatur an der
University of Sussex hat sich als Herausgeber der Meinung von 157
internationalen Kritikern, Wissenschaftlern, Romanciers, Dichtern und
Journalisten bedient, um die schwierige Aufgabe zu bewältigen, aus der schier
endlosen Menge guter Romane, die verhältnismäßig kleine Zahl von 1001
herauszupicken, die letztendlich ihren chronologisch aufgereihten Platz
eingenommen haben. Diese Auswahl erhebt allerdings "weder den Anspruch,
einen neuen Literaturkanon zu formen, noch den Roman als Genre zu definieren
oder erschöpfend darzustellen", ist sich Boxall sicher. Und doch erscheint
sie als äußerst gelungene Momentaufnahme, die die Prioritäten heutiger Leser
sehr gut widerspiegelt.
1001
Romane von 705 Autoren entfalten einen wahren Belletristikrausch vor dem
Leserauge. Dabei wird nicht explizit auf den Bekanntheitsgrad eines Autors oder
seines Werkes Wert gelegt, sondern es finden sich gleichfalls zahlreiche
Empfehlungen von etwas in Vergessenheit geratenen Romanen oder Büchern, die
eher dem Mainstream zugeordnet werden können. Alle versprechen jedoch, so der
Autor, großen Lesegenuss, den ich bei einer Vielzahl der hier Vorgestellten
tatsächlich bestätigen kann. Thomas Mann, Thomas Pynchon, Emile Zola, Graham
Greene und J. M. Coetzee führen mit jeweils fünf ausgewählten Romanen die
Spitze an. Ihnen folgen solch bekannte Autoren wie zum Beispiel Jose Saramago,
Vladimir Nabokov, Virginia Woolf, Dostojewski, John Updike, H. G. Wells oder
Samuel Beckett, flankiert von Michel Houellebecq, Saul Bellow, Ismail Kadare,
Haruki Murakami, Amos Oz oder auch J. R. R. Tolkien. Roberto Bolano, Milan
Kundera und Max Frisch schicken ihre Zeilen genauso ins Rennen wie Marcel
Proust, Paul Auster, Bernhard Schlink, Simone de Beauvoir oder Uwe Timm. Auch
einige meiner Favoriten finden sich unter den hier einfach nicht komplett
aufzählbaren Namen: Jonathan Franzens "Korrekturen", David Marksons
erst jüngst gelesener großartiger Roman "Wittgensteins Mätresse" oder
die schon auf meinem "Lesepult" abgelegte "Fälschung der
Welt" von William Gaddis.
Jeder
"Empfehlungstext" unterlag übrigens einem strengen Reglement von
maximal 300 Wörtern. Die Beiträge könnten also auch als eine Art
"Mikroereignis" gedacht werden, als eine komplette Leseerfahrung im
Miniaturformat. Sie bieten trotz dieser kompakten Form eine erstaunlich
gelungene Einschätzung, was gerade diesen oder jenen Roman so fesselnd und
absolut lesenswert macht. Ergänzt wird jeder Beitrag durch die Lebensdaten des
Autors, das Ersterscheinungsjahr, den Verlag und seinen Originaltitel.
Zahlreiche farbige Abbildungen von Autoren, Originaleinbänden, Szenen aus
Verfilmungen oder adäquaten künstlerischen Zeichnungen oder Gemälden
vervollkommnen die in jeglicher Hinsicht schwergewichtige Ausgabe. So kann man
Robert Lembke dieses Mal nicht zustimmen, der da einstmals bemerkte, dass der
Hauptnachteil mancher Bücher die "zu große Entfernung zwischen Titel- und
Rückseite" sei. Denn hier möchte man gar nicht aufhören zu blättern. Eine
sehr gelungene Möglichkeit, die Geschichte des Romans zu erzählen.
Peter Boxall (Hrsg.)
1001 Bücher
Die Sie lesen sollten, bevor das
Leben vorbei ist
Edition
Olms (April 2013)
960
Seiten, Broschur
ISBN-10:
3283011605
ISBN-13:
978-3283011604
Preis:
29,95 EUR
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