Erschienen in Ausgabe: No 87 (05/2013) | Letzte Änderung: 08.05.13 |
von Susanne Weiß
Max Weber (1864 – 1920) versteht – als einer der
Gründerväter der Soziologie – genauso wie auch Marx die Entwicklung der
kapitalistischen Profitlogik als wichtigsten Faktor des Übergangs von der
traditionellen Ständegesellschaft zur modernen Klassengesellschaft. Für Marx
liegt der entscheidende Umbruch in den ökonomischen Produktionsbedingungen –
der ,,Basis“ –, den damit einhergehenden Ausbeutungs-, Unterdrückungs- und
Enteignungsprozessen und der fortschreitenden Domestizierung der Natur (vgl.
Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 30ff.). Weber sieht die entscheidende Wandlung
der vormodernen zur modernen Gesellschaftsform hingegen primär resultierend und
vorangetrieben durch ,,Überbau“-Phänomene wie der, von Rationalisierung
geprägten, menschlichen Lebensführung und der damit einhergehenden veränderten Werthaltung
(vgl. ebd.: 48ff.). Das sich wandelnde Handeln der Menschen, das im Weiteren
noch nähere Ausführung findet, ist allerdings, Weber zufolge, – ähnlich wie
Marx dies sieht – entscheidend von der Logik des Kapitalismus‘ und der daraus
folgenden strikten Bürokratie geprägt, welche fortschreitend in sämtliche
Lebensbereiche vordringt und diese förmlich (fremd)bestimmt. Während sich somit
Marx für die Zukunft der, verselbstständigende Züge annehmenden,
kapitalistischen Profit- und Kapitallogik interessiert, versucht Weber die
ideellen und religiösen Wurzeln des Zustandekommens des Kapitalismus‘
freizulegen und deren Einfluss auf die Gesellschaftswandlung und die Akzeptanz hinsichtlich
Besitz- und Kapitalstrebens zu erforschen. Daher ist Webers Ansatz den
Handlungstheorien zuzuordnen, welche, anders als Strukturtheorien, die das
Handeln der Individuen durch die herrschenden Strukturen determiniert sehen, im
Gegenzug davon ausgehen, dass sich individuelles Handeln grundlegend auf die
Strukturen auswirken und diese verändern bzw. reformieren kann. Damit lassen
sich gesellschaftliche Veränderungen, nach Weber, in ihrer Vollständigkeit und
Tiefgründigkeit nur verstehen, wenn die Handlungsmotive und -ziele der Akteure
mit einbezogen und als zentral erachtet werden. Webers handlungstheoretischer
Ansatz, welcher soziale Phänomene oder gesellschaftliche Veränderungen
ursächlich durch das subjektive Handeln und die Handlungsabsichten der
Individuen heraus zu erklären vermag, folgt dem methodologischen
Individualismus’ (vgl. ebd.: 16f.). Dieser betont, Wandlungen der
Gesellschaftsform weniger aus den herrschenden Strukturen, sondern vielmehr aus
der Wichtigkeit nicht-wirtschaftlicher Faktoren, vor allem aus den Folgen des Handelns
individueller Akteure, heraus zu erklären (vgl. Giddens. 1999: 621). Webers
Ansicht des, vom Handeln der Individuen beeinflussten und vorangetriebenen,
Kapitalismus‘ ist allerdings nicht als Gegenpol zur Marxschen
historisch-materialistischen Ansicht zu verstehen, sondern vielmehr als
Ergänzung dessen Wirkens.
Weber versteht die Soziologie als ,,Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch
in seinem Ablauf und seinen Wirkungen ursächlich erklären will (…)“ (Weber.
1921). Er untersucht den zentralen Aspekt des sozialen Handelns, welches mit
Handlungsmotiven und einem subjektiven Sinn verbunden und zudem sinnhaft auf
das Verhalten anderer Menschen bezogen ist. Zudem unterscheidet er vier
Bestimmungsgründe menschlichen Handelns (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 52).
Erstens wertrationales Handeln, anhand
dessen der Handelnde seine Handlungsweisen aus religiösen, ideellen oder
ethischen Gründen heraus verfolgt, rechtfertigt und legitimiert. Zweitens affektuelles Handeln, bei welchem das
handelnde Subjekt durch seine eigenen Gefühle beeinflusst bzw. geleitet wird
und diesen entsprechend affektuell – sprich in situativ, oft nicht rational
kontrollier- oder begründbarer, emotionaler, überschwänglicher Art und Weise – Ausdruck
verleiht. Drittens das traditionale
Handeln, bei dem sich der Handelnde anhand ,,eingelebter Gewohnheiten“,
Traditionen oder Sitten orientiert. Und viertens das, vor allen innerhalb
moderner Gesellschaften vorherrschende, zweckrationale
Handeln, bei welchem der Zweck und die Folgen eigener sozialer Handlungsweisen
möglichst erfolgsversprechend gegeneinander abgewogen und, sich daran
orientierend, möglichst effektiv bzw. lohnenswert auf ein bestimmtes,
angestrebtes Ziel verhalten wird. Erwähnenswert ist darüber hinaus noch die
Tatsache, dass das traditionale und das affektuelle Handeln weniger von
individuellen Reflexionen durchdrungen ist, als das, an rationalen
Bestimmungsgründen orientierte, Handeln (vgl. ebd.: 52).
Die moderne Lebensform – geprägt und durchdrungen von
der, nicht zu entkommenden, kapitalistischen Produktions- und Wirtschaftsweise
–unterscheidet sich von der
traditionalen Lebensführung dahingehend, dass alt bewährte geregelte und vor
allem gesicherte Produktionsverhältnisse von rastloser, schrankenloser
Produktionssteigerung und Profitmaximierung überlagert und eingenommen werden.
Organisatorisch bzw. bürokratisch ist die Form des Kapitalismus’ durch
doppelte, geregelte Buchführung, die fortschreitende und sich ausdehnende
Trennung von Wohn- und Arbeitsplatz, die spezifizierte Arbeitsteilung und die
betriebliche Arbeitsweise gekennzeichnet (vgl. ebd. 55f.). Für Weber allerdings
existentieller als die strukturellen Wandlungen im Bereich des Sozialen ist der
sog. Geist des Kapitalismus’, welcher sich durch asketischen und
methodisch-berechnenden Arbeitseifer, eine rationalistische
Kosten-Nutzen-Abwägung und eine schier maßlose Profitgier und Kapitalanhäufung
auszeichnet. Exakt dieser Problematik widmet sich Weber primär innerhalb
seines, im Jahr 1905 entstandenen, Werkes ,,Die protestantische Ethik und der
Geist des Kapitalismus“. Er legt darin die, auf individuellen und religiösen
Wurzeln basierenden, Ursprünge der kapitalistischen Wirtschaftsweise und die
damit verbundene Legitimation hinsichtlich Kapitalanhäufung und Profitstreben
bzw. -gier ,,im Sinne Gottes“ offen und geht der Frage nach, warum sich der
Kapitalismus ausschließlich im Westen und sonst nirgends entwickeln konnte
(vgl. Giddens. 1999: 623).
Entscheidender Einfluss auf das Ethos der Moderne, die
Vorstellung der ,,Prädestinationslehre“ (die Lehre der Vorherbestimmung) und die
,,innerweltliche Askese“, verbunden mit intrinsischem Arbeitseifer, ging von
den calvinistischen Protestanten im 17. Jahrhundert bzw. genauer gesagt den
Puritanern aus – diese spezielle Form der Protestanten können als die frühen
Kapitalisten bezeichnet werden (vgl. Weber. 2009: 25ff.). Diese verfolgten
regelrecht akribisch die eigene Arbeit, um Gottes Gnadeim Jenseits zu erreichen und die Rettung der eigenen Seele
zu gewährleisten. Da sich der Protestant selbst nur als ,,Verwalter“ von Gottes
Gütern auf Erden sah, musste sich dieser kontinuierlich, ein Leben lang, in
Form einer asketischen Lebensweise bemühen, im Jenseits von Gott für die eigene
Tüchtigkeit und das eigene, von Askese durchdrungenen, Leben belohnt zu werden
und zu Gottes ,,Auserwählten“ zu gehören (vgl. Winckelmann. 1956: 359ff.). Die
Protestanten sahen sich selbst mit der Aufgabe konfrontiert, die von Gott zugewiesenen,
Güter innerhalb des, ebenfalls von Gott zugewiesenen bzw. vorherbestimmten,
Berufs mithilfe eines asketischen Sparzwangs bestmöglich im Sinne Gottes zu vermehren.
Die asketische Lebensweise beinhaltete nur äußerst wenig zu schlafen (5-8
Stunden) und keinen Sport treiben zu dürfen (vgl. ebd.: 367). Denn beide
Aktivitäten würden – der ,,Prädestinationslehre“ folgend – vom erwünschten
Arbeitseifer und asketischem Sparzwang, welcher zu enormer Besitzanhäufung
führte, abhalten. Außerdem galt es als verboten bzw. fatal und wurde zudem als
Müßiggang bezeichnet, sich auf dem durch Fleiß erarbeiteten, angesparten Besitz/Kapital
auszuruhen. Das komplette Leben sollte von Askese, Arbeitseifer und dem Streben
nach Besitz/Kapital durchdrungen sein (vgl. Giddens. 1999: 624). Das Ansparen
persönlichen Reichtums wurde jedoch keinesfalls für einen luxuriösen, sondern
im Gegenteil für einen ruhigen, bescheidenen Lebensstil aufgewendet. Der eigene
Besitz wurde von den Menschen selbst vorausschauend und planend reinvestiert,
um eine Expansion des Kapitals zu erreichen. Hierin sah Weber den
Rationalisierungsfortschritt in zweierlei entgegengesetzter Art und Weise (vgl.
Rosa/Strecker/Kottmann. 2007: 55ff.). In positiver Hinsicht lernten die
protestantischen Unternehmer auf der einen Seite, die Produktionsweisen – im
Sinne eines effizienten, Kosten-Nutzen abwägenden, Strebens nach Mehr – systematisch
zu ordnen, zu rationalisieren und zweckrational auf ein langfristig
angestrebtes Ziel auszurichten. In pathologischer Hinsicht hat sich allerdings
auf der anderen Seite durch die Beherrschung und Berechnung der irdischen Welt,
dem innerweltlichen Streben nach Gewinn und Profitmaximierung eine zunehmende
Säkularisierung und eine ,,Entzauberung der Welt“ vollzogen. Dieser Aspekt wird
ein wenig später nochmal explizitere Ausführung finden.
Der religiös angetriebene und damit legitimierte
Arbeitseifer und Sparzwang des Protestantismus bzw. Puritanismus im 17.
Jahrhundert schürte das kapitalistische Besitzstreben und die Besitzanhäufung –
als von Gott gewollt und damit religiös gerechtfertigt und angemessen.
Gegenwärtig hat das ökonomische Wettbewerbsdenken innerhalb des Kapitalismus‘
äußerst ernst zu nehmende, verselbstständigende und entfremdende Züge
angenommen, dessen religiös zu verortende Wurzeln scheinen hingegen schier
gänzlich an Bedeutung eingebüßt zu haben und letztlich völlig ausgestorben zu
sein. So nehmen die kapitalistische Produktions- und Wirtschaftsweise und das
Streben nach Mehr innerhalb der modernen Gesellschaft immens ausufernde Züge
an, ohne dass dies noch groß auf ideellen, geschweige denn religiösen, Gründen fußt
und von diesen vorangetrieben wird. So hält, nach Weber, die zunehmende und
sämtliche Lebensbereiche durchdringende, Rationalisierung auf Basis des
technischen Wissenstandes – in Form rigorosen Zeitmanagements, einer
permanenten Kosten-Nutzen-Analyse jeglicher Handlungsschritte und vorherrschend
zweckrational orientierten Handlungsweisen – in die alltägliche Lebensführung
der Menschen Einzug (vgl. Giddens. 1999: 622, Sennett. 2006: 131ff.). Dies
beinhaltet den Umstand, dass Gesellschaftsformen, die durch Vergemeinschaftung
und Solidarität geprägt waren (Zusammengehörigkeit aufgrund gemeinsam geteilter
Werte, Interessen und ideellen Überzeugungen) sich in immer stärkerem Maße zu
vergesellschafteten sozialen Zusammenschlüssen transformieren, die auf wert-
oder zweckrationalem Interessenausgleich und -verbindungen basieren und, auf Basis
eigentlich unvereinbarer Interesseren oder Werte. Aufgrund dieses
fortschreitenden, in sämtliche Sphären des täglichen Lebens eindringenden,
Rationalisierungsprozesses, der mit einem zunehmenden Freiheits- und auch
Sinnverlust einhergeht, kommt es darüber hinaus zu dem, was Weber mit der
,,Entzauberung der Welt“ bezeichnet hat (vgl. Rosa/Strecker/Kottmann. 2007:
61f.). Der irdischen Welt wird, durch das völlige, allseits präsente, berechnen
und kalkulieren Können sämtlicher Lebensbereiche, alles Magische und
Geheimnisvolle, dem sich die Menschen noch bis ins 16. Jahrhundert hingaben,
geraubt. Mit dieser Art des Sinnverlustes sieht sich innerhalb der Moderne und
Postmoderne jeder Einzelne von uns unaufhaltsam konfrontiert. Heute wird das
komplette Leben möglichst effizient, pragmatisch und, auf die eigenen
Bedürfnisse zugeschnitten, kalkuliert, um einen größtmöglichen Erfolg – im
Sinne eines Zugewinns an Besitz und Kapital – zu erzielen. Die Rationalisierung
hat somit heute exakt diejenigen beängstigenden Züge angenommen, vor denen
Weber seinerzeit bereits gewarnt hat, nämlich dass man aufpassen müsse, den
Rationalisierungsprozess lediglich als, das Leben peripher beeinflussend –
quasi als dünnen Schleier – zu begreifen, und nicht als stahlhartes Gehäuse,
dem die Menschen nicht mehr zu entkommen vermögen. Durch bloßes individuelles
Handeln scheinen die Gesellschaftsstrukturen und die Logik des Kapitalismus‘
gegenwärtig kaum änderbar, was die Wirkung und die Gültigkeit Webers
handlungstheoretischen Ansatzes stark schmälert. Seine Ideen bleiben
umstritten, jedoch hat seine Theorie in vielerlei Hinsicht Neuland erschlossen
und zahlreiche Autoren stark beeinflusst. Webers handlungstheoretische Begründung
der Entstehung kapitalistischen Besitz- und Kapitalstrebens hat unter anderem Parsons
strukturtheoretischen Ansatz, Horkheimers/Adornos pessimistischen Ansatz der
kritischen Theorie oder Habermas‘ Theorie des ,,kommunikativen Handelns“ stark
beeinflusst, um nur einige wenige Autoren zu nennen.
Literaturverzeichnis:
Giddens,
Anthony. 1. Auflage (1999):
Soziologie. Graz: Nausner & Nausner Verlag.
Rosa,
Hartmut/Strecker, David/Kottmann, Andrea. (2007): Soziologische Theorien.
Konstanz: UVK Verlag.
Sennett,
Richard. (2006): Der flexible Mensch.
Berlin: BvT Berliner Taschenbuch Verlag.
Weber, Max. (2009): Die protestantische Ethik und der Geist des
Kapitalismus.
Köln: Anaconda Verlag GmbH.
Winckelmann,
Johannes. 2. Auflage (Hrsg.) (1956):
,,Asketischer Protestantismus
und Kapitalistischer Geist. In: ders.: Soziologie –
Weltgeschichtliche Analysen – Politik.
Stuttgart: Kröner Verlag.
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