Erschienen in Ausgabe: No 88 (06/2013) | Letzte Änderung: 25.05.13 |
von Susanne Weiß
Dem amerikanischen
Soziologen Peter L. Berger (geb. 1929) und dem deutschen Soziologen Thomas
Luckmann (geb. 1927) gelingt es in der Mitte des 20. Jhds., primär innerhalb ihres
gemeinsam verfassten Werkes ,,Die
Konstruktion der Wirklichkeit“aus
dem Jahre 1966, die Kontingenz gesellschaftlicher Ordnung und die Dialektik von
Gesellschaft und Mensch zu verdeutlichen. Das Werk ist gleichermaßen den
Traditionen des Sozialkonstruktivismus, der phänomenologischen Soziologie, der
Religionssoziologie und der Wissenssoziologie zuzuordnen.
Peter L. Berger und
Thomas Luckmann beschäftigen sich in besagtem Werk in der Tradition der
Wissenssoziologie mit der Frage, wie Wissen in Form von Alltagsgewissheit
zustande kommt (vgl. Berger. 2009). Sie plädieren darin – in Bezugnahme auf die
Anthropologie des frühen Marx, auf das Lebensweltkonzept Alfred Schütz‘ oder
auf den subjektiv gemeinten Sinn als konstruierenden Antrieb für
gesellschaftliche Wirklichkeit bei Weber – für eine Neukonzeption der Wirklichkeit.
Neben theoretisch fundiertem Wissen ist, nach Berger und Luckmann, zudem auch
Alltagswissen zu erfassen und zu untersuchen (vgl. ebd. 21f.). Der im Folgenden
ausgeführte sozialkonstruktivistische Ansatz der beiden präzisiert, wie die
gesellschaftliche Ordnung, in der Menschen leben, nicht als notwendige, objektiv
entstandene Geschichte bezeichnet werden kann, sondern vielmehr als kontingenter,
von Menschen selbst hergestellter, Prozess. Daran wird erkennbar, wie sowohl
das ,,kommunikative Gedächtnis“ als
auch das ,,kulturelle Gedächtnis“,
als Sediment der Geschichte, durch Sprache und Schrift, vermögen in wechselseitiger
Beeinflussung zur Verzerrung bzw. Manipulation der Tradierung kultureller Wissensbestände
beizutragen.
Anthropologisch
betrachtet ist der Mensch weltoffen – ausgestattet mit einem Instinktapparat
und einem Verstand. Er muss jedoch lernen, sich alleine in der Welt
zurechtfinden und sowohl seinen Instinkten als auch anderen Mitmenschen Vertrauen
zu schenken(vgl. ebd. 124f.). Zur
Kultivierung dieser Fähigkeit bedarf es der Sozialisation, da der Mensch erst
in Gegenwart signifikant Anderer seine biologische Weltoffenheit in eine
gesellschaftliche Weltoffenheit umwandelt. Nur auf diese Art und Weise kann er
sich eine Welt voller Ordnung erschaffen, in der er sich eigenständig
zurechtfindet (vgl. Mead. 2005: 299f.). Dieser Prozess des Herstellens
gesellschaftlicher Ordnung vollzieht sich, Berger und Luckmann zufolge, in Form
der Triade Externalisierung – Objektivation – Internalisierung. Die Institutionalisierung
von Handlungen – also die Herstellung einer institutionellen Ordnung – kommt
dadurch zustande, dass Menschen innerhalb der ursprünglichen, unbehandelten ,,natürlichen“
Umwelt diejenigen Handlungen, die der Lösung eines alltäglichen Problems
dienen, habitualisieren (vgl. Berger. 2009: 24f.). Durch Kommunikation,
mithilfe mündlicher oder schriftlicher Symbole, werden diese Handlungen, die
der Mensch habitualisiert, verinnerlicht hat bzw. die zur eigenen Natur geworden
sind, externalisiert. Die Handlungen werden somit aus der Sphäre des
Subjektiven in den Bereich des Öffentlichen überführt. Dadurch findet eine
Objektivation – eine Verdinglichung – der habitualisierten Handlungen bzw.
Handlungstypen statt. Das bedeutet, dass die einstig subjektiven Probleme objektiv
verständlich bzw. nachvollziehbar und infolgedessen für jedermann zugänglich
gemacht werden (vgl. ebd.: 80f.). Diese Handlungen des öffentlich zugänglichen
Wissensbestands, die nun der Allgemeinheit einsichtig sind, können dann von den
einzelnen Individuen wiederum internalisiert bzw. sich zu Nutze gemacht werden
(vgl. ebd. 148f.). Es ist auf den problematischen Umstand hinzuweisen, dass
diese von den Menschen künstlich hergestellte ,,gesellschaftliche“ Umwelt bzw.
konstruierte institutionelle Ordnung intergenerativ als selbstverständliche
,,natürliche“ Umwelt tradiert wird, ohne dass jedoch kritisch hinterfragt wird,
woher bestimmte erlernte Handlungsabläufe oder objektiv geglaubtes tradiertes
Wissen herrührt (vgl. ebd. 84f.).
Berger und Luckmann
gelingt es aufzuzeigen, dass die gesellschaftliche Ordnung und somit, um das
Interesse des vorliegenden Textes zu unterstreichen, der gesamte ,,kulturelle Wissensbestand“
nicht a priori existiert sondern
immer ex post erst durch menschliche
Konstruktionsleistung produziert wird. Berger und Luckmann betonen hiermit, genauso
wie Maurice Halbwachs oder Jan Assmann, die sich mit dem kulturellen Gedächtnis
beschäftigt haben, den Kontingenzgedanken gesellschaftlicher Ordnung. Darüber
hinaus verdeutlichen Berger und Luckmann die Dialektik von Gesellschaft und
Mensch: Die Gesellschaft ist ein menschliches Produkt und der Mensch ist ein
gesellschaftliches Produkt. Die verzerrungs- und manipulationsanfällige
Tradierung ,,kultureller Wissensbestände“ ist überdies durch, von Macht- und
Herrschaftssystemen durchdrungenen, Diskursformationen (Foucault) und ,,soziale
Tatsachen“ (Durkheim) geprägt. Eine detaillierte Ausführung der beiden
genannten Aspekt, die ebenfalls einen elementaren, nicht zu unterschätzenden Teil
bei der verfälschten Tradierung kultureller Wissensbestände spielen und weiterer
Darstellung und Analyse bedürfen, kann hier allerdings nicht geleistet werden.
Literaturverzeichnis:
Berger, Peter L. (2009): Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Frankfurt
am Main: Fischer Verlag. 22. Auflage.
Mead,
Herbert. (2005): Geist, Identität und Gesellschaft aus der Sicht des Sozialbehaviorismus.
Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag. 1. Auflage.
Welzer, Harald. (Hg.) (2001): Das
soziale Gedächtnis. Geschichte, Erinnerung,
Tradierung. Hamburger Edition: HIS
Verlag.
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