Erschienen in Ausgabe: No 88 (06/2013) | Letzte Änderung: 25.05.13 |
von Guido Horst
Nördlich von Rom, an den Berghängen rund um das in einem fruchtbaren Tal
gelegene Städtchen Rieti, weisen Straßenschilder auf vier kleine Heiligtümer
hin. Es sind vier Orte, an denen Franz von Assisi zu Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts eine gewisse Zeit verbracht hat, nachdem er mit einigen Gefährten
seine Heimatstadt in Umbrien verlassen hatte. Poggio Bustone: eine kleine
Einsiedelei an einer schroffen Felswand, in die sich die „Büßer von Assisi“ mit
Franziskus an der Spitze zurückgezogen hatten, als sie überhaupt nicht mehr
wussten, wie es weitergehen soll. Den Franziskaner-Orden, eine Regel oder
Niederlassungen gab es da noch nicht. Greccio: Die Stätte des beginnenden
franziskanischen Lebens, wo Franziskus das Krippenspiel erfand. Noch heute ist
die kleine Zelle zu sehen, in der der Ordensgründer auf einem Steinblock
schlief. La Foresta: Eine Steinhöhle, in die sich der kranke Franziskus
zurückzog, weil seine Augen kein Licht mehr vertragen konnten. Und Fontecolombo
im Westen Rietis, wo Franz in einer Felsspalte die Ordensregel niederschrieb,
die Papst Honorius III. dann im Jahr 1223 billigen sollte, drei Jahre, bevor
der „poverello“, der „kleine Arme Gottes“ schließlich starb. Wer Franziskus
romantisieren will und aus ihm einen friedliebenden Naturmenschen und
sonnenbesingenden Freund aller Tiere macht, verkennt, wofür das Leben des
heiligen Ordensgründers aus Assisi wirklich steht: für die Radikalität des
Evangeliums. Nicht für Umsturz und Revolution. Sondern für ein Gleichwerden mit
Jesus Christus, dem Fleisch gewordenen Sohn. Für ein demütiges Mitleiden, das
aus der Gnade Gottes lebt. Wofür übrigens Papst Franziskus ein sinnfälliges Zeichen
setzte, als er sich am Wahlabend auf der Loggia des Petersdoms vor der Menge
auf dem Petersplatz lange verbeugte, während diese auf seine demütige Bitte hin
um den Segen Gottes für ihn betete.
Im Kloster von Greccio kann man auch die Zelle sehen, die der heilige
Bonaventura bewohnte. Man könnte Bonaventura als das theologische Scharnier
zwischen Papst Benedikt und seinem Nachfolger Franziskus bezeichnen. Der große
Lehrmeister Joseph Ratzingers war der siebte Generalminister des
Franziskanerordens und hat Franz von Assisi umfassend ausgedeutet – nicht nur
bei der Leitung seines Ordens. Es ging damals um den Neuaufbau der Kirche,
ausgehend von der Botschaft des Evangeliums. Und darum geht es auch heute. Das
war das Kernanliegen Benedikts XVI. und Papst Franziskus setzt es fort, das
zeigen schon seine ersten Katechesen während der Generalaudienz. Die Kirche
darf nicht um sich selber kreisen, sondern muss hinaus zu den Leuten, bis an
die Grenzen der menschlichen Existenz.
Mitte April hat Franziskus in seinem Schreiben an die Bischöfe Argentiniens als
Papst „offiziell“ gemacht, was er bereits in seiner durchschlagenden Ansprache
während der Generalkongregationen der Kardinäle vor dem Konklave gesagt hatte:
„Eine Kirche, die nicht aus sich selbst herausgeht, erkrankt früher oder später
im Klima der abgestandenen Luft des Zimmers, in dem sie eingeschlossen ist“,
schreibt Franziskus. Und wie bereits im Vorkonklave beklagt er den Narzissmus
in Theologie und Kirche, „der zur geistlichen Weltlichkeit und zum ausgefeilten
Klerikalismus führt“ und es nicht gestatte, „die süße und tröstende Freude bei
der Evangelisierung zu empfinden“. Entweltlichung hat das sein Vorgänger
genannt. Vielleicht wird diese Forderung zur Grundmelodie des
Bergoglio-Pontifikats. Zumindest deutet alles darauf hin. Über den anderen
Leitstern von Papst Franziskus, den heiligen Ignatius, wird ab jetzt eine neue
Kolumne unseres Magazins Auskunft geben. Auch der Gründer der Gesellschaft Jesu
war jemand, der die Kirche nicht mit den Augen des mondänen Geistes, sondern
als Schauplatz des Kampfes zwischen dem Fürsten dieser Welt und den himmlischen
Mächten sah. Mit den Päpsten Benedikt und Franziskus ist das Vermächtnis der
Kirchenväter und der großen Ordensgründer in den Blutkreislauf der Kirche zurückgekehrt.
Zeit, sich wieder mit ihnen zu beschäftigen.
Quelle: http://www.vatican-magazin.de/index.php/magazin/aktuelle-ausgabe/inhalt/15-magazin/aktuell/editorial/173-editorial-52013
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