Erschienen in Ausgabe: No 39 (5/2009) | Letzte Änderung: 02.03.09 |
Gabriele Münnix, Anderwelten, Eine fabelhafte Einführung ins Philosophieren dtv Reihe Hanser, München (Februar 2009), 302 Seiten, Taschenbuch, ISBN-10: 3423623853 ISBN-13: 978-3423623858, Preis: 8,95 EURO
von Heike Geilen
Diese Frage wird des Öfteren in dem vorliegenden Buch "Anderwelten" von Gabriele Münnix,
das Kindern ab zehn Jahren einen ersten Einstieg ins Philosophieren ermöglicht,
gestellt. Kann und soll man bereits Kinder ans Philosophieren heranführen?
Überfordert man sie damit nicht? Ist Philosophie nicht eher etwas für
Erwachsene oder zumindest für Jugendliche?
"Dass Kinder
nicht philosophieren können, ja der Philosophie gefälligst aus dem Wege gehen
sollten, um nicht auf dumme, ihrem Wesen unangemessene Gedanken zu kommen, ist
eines der Vorurteile, dessen Überwindung der Bewegung der sogenannten
Kinderphilosophie zur Ehre gereicht.", schreibt der deutsche Philosoph
Vittorio Hösle im Vorwort zu diesem Buch. Denn philosophisches Nachdenken über
sich und die Welt sowie sich darüber austauschen entspricht dem kindlichen
Bedürfnis nach Erkundung und Aneignung von Wirklichkeit. Kinder suchen nach
Orientierung im Leben, sie wollen wissen, wer sie sind und stellen
existentielle Fragen. Anders als Erwachsene, die oft genug bewusst oder
unbewusst Fragevermeidungstechniken ausgebildet haben, stehen Kinder der Welt
staunend gegenüber. Genau diese Haltung ist es, von der die Philosophie
ausgeht.
Sich philosophierend im Leben zu orientieren, erfordert den
Mut, selbst zu denken, Selbstverständliches zu hinterfragen und für seine
Überzeugungen und sein Handeln einzustehen. Wer nach Antworten auf
philosophische Fragen sucht, muss offen sein für die Sichtweisen anderer,
kreativ und logisch denken und seinen eigenen Standpunkt begründen können. Im
Philosophieren nähert man sich aber auch dem Wesen und der Bedeutung eigener
Gefühle, Gedanken, Wahrnehmungen und Werte an. So unterstützt das
Philosophieren Kinder bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsaufgaben, fördert
ihre Fähigkeit zum Dialog und zum demokratischen Miteinander. Es ist
gleichzeitig ein Weg zur Entfaltung der Persönlichkeit, der inneren Stabilität
und des inneren Friedens der Kinder, anstatt sie frühzeitig nach den - immer
doch in erster Linie egoistischen - Wünschen der bequemen und meist einseitig
festgelegten Erwachsenen zu konditionieren.
Philosophie
verständlich und ohne elitären Status dargebracht
"Eine fabelhafte
Einführung ins Philosophieren" - so der Untertitel - hat Gabriele
Münnix mit ihrem Buch "Anderwelten"
geschrieben. Fabelhaft im Sinne von fantastisch oder großartig zum einen, weil es
viele Themen des alltäglichen Lebens in einer klaren und vor allem
verständlichen Sprache aufgreift die
nicht von vornherein ausgrenzt und zum anderen, weil es aus philosophischen
Fabeln, den sogenannten Philofabeln oder Nachdenkgeschichten besteht. Es "sind offene Geschichten", so die
Autorin, "ohne die berühmte 'Moral
von der Geschichte', in der man abschließend und ein für alle Mal erfährt, wie
und was man zu denken hat." Antworten werden nicht vorgegeben und können
dadurch dem jungen Leser als Denkanregungen dienen. Man kann dieses Buch aber
auch nur als kuriose Geschichte lesen. Doch unweigerlich laden die in den
Fabeln vorkommenden, sehr menschlichen Tiere, dazu ein, "sich in die unterschiedlichen Lebenswelten
dieser Geschichten hineinzudenken und sie in ihrer Gleichnishaftigkeit zu
deuten.", so Münnix. Die integrierten Differenzen zwischen Mensch und
Tier geben immer wieder Anlass zu Überlegungen über Perspektiven. So werden die
Kinder unweigerlich damit konfrontiert, "ihren ganz persönlichen Zugang zu den großen Fragen zu suchen.",
wie Vittorio Hösle treffend feststellt.
Die Fabeln wiederum sind in eine komplexe Rahmengeschichte
integriert, die aus einer drei Generationen übergreifenden Familiengeschichte
und geistigen Abenteuern besteht. Die beiden jungen Helden, Phil und Feli, die
ihre Ferien bei den Großeltern erleben, entdecken beim Stöbern auf dem Speicher
des großelterlichen Hauses ein geheimnisvolles "Zauberbuch", das ein
interessantes Rätsel enthält. Das Buch und die darin enthaltenen Fabeln bilden dabei
den sogenannten roten Faden, der sich durch die ganze Geschichte zieht. Gleichzeitig
wird immer wieder ein realistisches, humorvolles und sympathisches Bild der
Beziehungen innerhalb der Großfamilie - zwischen den Paaren und über die
Generationen hinweg - gezeichnet. Auch ein Überblick über die großen
Philosophen des Altertums bis hin in die Gegenwart und deren grundlegende
Ansichten ist enthalten.
Die nachfolgenden Auszüge einiger Themen und Fragestellungen
sollen einen kleinen Einblick in das wunderbare Buch geben, dass nicht nur
Kinder ansprechen wird, sondern parallel dazu auch für Erwachsene bzw. ältere
Leser äußerst interessant und anregend ist. Wird doch durch die dargestellte
Realitätsnähe deutlich, dass Philosophie bis in den Lebensalltag hinein
relevant ist und keineswegs den elitären Status, der sie zuweilen umgibt,
bedient. "Sie führt unsere Fragen zu
vorläufigen Antworten, um uns dann mit neuen Fragen zu beschäftigen, durch die
wir auch uns selbst immer besser kennenlernen.", erklärt Gabriele Münnix
in ihrem Nachwort.
Woher kommen wir? Wohin gehen wir?
"Es gab Dinge,
die waren anders, als sie aussahen. Und woher konnte man dann wissen, was
richtig war?"
"Wieso erfüllte
so ein Duft [Anm. der Rezensentin: von frisch gebackenem Kuchen] einen
eigentlich so mit Wohlgefühl? [...] Ist der Duft eigentlich für uns alle
derselbe?"
"Wieso bin ich
immer ich? [...] Wenn ich doch immer auch anders sein kann!"
"Was war
Vergangenheit und was war Gegenwart?"
"Konnte es
mehrere Wirklichkeiten geben?"
"Geht das Denken
auf Kosten des Fühlens?"
"Weshalb braucht
man Anerkennung? Wie kann man sie bekommen, ohne sich lächerlich zu machen?"
"Was ist
überhaupt schön? Welche Schönheit braucht man? Weshalb?"
"Werden wir das,
was wir werden sollen, oder können wir das selber bestimmen?"
"Wie ist es, wenn
man stirbt?"
"Was ist Geist?
Was ist Bewusstsein? [...] Welche Beziehung ist zwischen Körper und Geist?"
Dies sind nur einige wenige der aufgeworfenen Fragen, mit
denen sich der Leser dieses Buches auseinander setzen kann.
Philosophisches Denken bereichert das Leben und man lebt
erst richtig, "wenn man zu den
Dingen eine Einstellung gefunden und sie durchdacht hat.", ist im Buch
zu lesen. Und: "dass das Ich erst am
Du zum Ich wird. Und Dialog [...] nicht einfach Austausch von Argumenten ,
sondern immer auch eine Begegnung, in der man sich ernst genommen und
angenommen fühlen sollte." Dem kann die Rezensentin uneingeschränkt
zustimmen.
Woher
kommen wir? Wohin gehen wir? Wozu sind wir auf der Welt? Wie sollen wir leben?
Sich als
Mensch darauf zu besinnen, wer man ist, wie man sich verändert, ob man sich wirklich
kennt und weiß, was Leben bedeutet..., damit kann man eigentlich nie zeitig
genug anfangen. Man wird selbstkritischer und den Dingen gerechter, versteht
vieles besser und baut Vorurteile ab.
Auch kann die Welt nicht besser werden, wenn man sein Denken
abgibt. Man muss schon mitdenken.
Fazit:
"Philosophie
heißt in Wahrheit, von Neuem zu lernen, die Welt zu sehen, und insofern kann
eine schlichte Erzählung - erzählte Geschichte - ebenso 'tief' die Welt
bedeuten wie eine philosophische Abhandlung." Diesen Satz des
französischen Philosophen Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) hat Gabriele Münnix
ihrem fabelhaften Buch vorangestellt.
"Anderwelten"
zeigt, dass sich über viele Dinge philosophieren lässt. Denn gerade in unserer
schnelllebigen Zeit mit ihren zunehmenden Krisen durch menschliches Versagen,
einer allgemeinen Desorientierung und Orientierungslosigkeit, in der sich viele
Menschen einfach nur treiben lassen, sich bloß anpassen und ihre Meinung aus
dem Fernseher beziehen, sollte man sich von Zeit zu Zeit über die Prinzipien,
nach denen Menschen ihr Leben aus eigener Überzeugung leben können, Gedanken
machen. Denn das Leben ist
immer noch ein wunderbares Abenteuer. Aber man muss etwas dafür tun! Man muss
zum Beispiel Kinder zum Denken anregen.Hierzu könnte
das Philosophieren mit Kindern ganz sicher grundlegend beitragen und den durch
die Medien unterstützten gesellschaftlichen Einfluss zur Ablenkung vom
Wesentlichen, zur Entfremdung von sich selbst und von der Natur durch immer
mehr Konsum, Mobilität, Action und Unterhaltung, verringern.
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