Erschienen in Ausgabe: No 90 (08/2013) | Letzte Änderung: 01.08.13 |
von Guido Horst
Noch absolviert Papst Franziskus Veranstaltungen, die man in der
Amtszeit seines Vorgängers geplant und vorbereitet hat: Die Messe auf
dem Petersplatz mit katholischen Bruderschaften aus aller Welt am 5.
Mai, die Heiligsprechung von drei Seligen eine Woche später – bei deren
offizieller Bestätigung im Konsistorium vom 11. Februar Benedikt XVI.
auch überraschend seinen Rücktritt ankündigte –, das große Treffen mit
den kirchlichen Bewegungen und neuen geistlichen Gemeinschaften am
Vorabend von Pfingsten, der Besuch in einer römischen Pfarrei am
Dreifaltigkeitssonntag, die den gesamten Erdkreis umfassende und von
Franziskus im Petersdom geleitete eucharistische Anbetung am 2. Juni
oder die beiden dem Lebensschutz gewidmeten Tage zwei Wochen später.
Genau jetzt hat das „Jahr des Glaubens“ seine Höhepunkte. Zumindest in
Rom. Nach der Sommerpause, die im heißen Süden etwas länger dauert, wird
es im Oktober und November relativ schnell zu Ende gehen.
Wetten,
dass sich die Kirche zum Abschluss dieses Glaubensjahrs völlig verändert
haben wird? (Natürlich nicht in Deutschland, da ersticken zehn Meter
Beton starr strukturierter Kirchenamtlichkeit jede Entwicklung zum
Positiven hin im Keime.) Nicht, weil die Verantwortlichen für
Evangelisierung und Glaubensweitergabe ein tolles Glaubensjahr „gemacht“
hätten. Sondern, weil der Heilige Geist – der ja bekanntlich im
Konklave die Herzen der Kardinäle lenkt – den Katholiken einen Papst
gegeben hat, den die glaubensmüde gewordene Gemeinde der Getauften in
dem einst urchristlichen Europa im Augenblick sehr gut gebrauchen kann.
Mit Franziskus ist – um einen Ausdruck des Vatikanjournalisten und
Buchautors John L. Allen zu gebrauchen – „das neue Gesicht der Kirche“
in die alten Kernlande der Christenheit hineingeschwappt. Dass derzeit
in Rom jede Begegnung mit dem Jesuiten-Papst zu einem Massenfest wird,
das hat ja seinen Grund. Auf die Menschen zuzugehen, gerne mit den
Leuten zusammen zu sein, sie direkt anzusprechen, schlicht mit „Guten
Tag“ und „Gutes Mittagessen“ zu grüßen, sich Zeit für Kranke und
Behinderte zu nehmen (oft verbringt Franziskus mit ihnen nach der
Generalaudienz nochmals eine ganze Stunde), einfach zu sprechen, aber
klar – alles das hat bei dem Papst aus Lateinamerika einen gewissermaßen
„biografisch-geografischen“ Hintergrund: Ganz anders als im
protestantisch-staatskirchlich angekränkelten Deutschland wirkt die
Kirche in Lateinamerika vor dem Hintergrund der fast explosionsartigen
Verbreitung der evangelikalen und charismatischen Bewegungen, die aus
den Pfingstkirchen hervorgegangen sind und der katholischen Kirche
schwer zu schaffen machen.
Diese „neuen religiösen Bewegungen“ haben
der Kirche gut vierzig Prozent der einst fast zu hundert Prozent
katholischen Bevölkerung Lateinamerikas weggeschnappt, weil sie direkter
kommunizieren, auf die Nöte der Menschen – vor allem der Frauen –
eingehen und die einfachen Leute bei deren Alltagssorgen „abholen“ –
natürlich unlautere Methoden der Mitgliederwerbung und Public Relation
sowie einen irrationalen Bibelfundamentalismus nicht ausgeschlossen. Den
Europäern ist die „Pentekostalisierung“ des Christentums noch fremd.
Papst Franziskus nicht. Er kennt sie aus eigener Erfahrung und antwortet
darauf mit einfachen, aber sich einprägenden Gesten. Der Erfolg der
Evangelikalen und Charismatiker liegt auch daran, dass sie den Glauben
ursprünglicher leben und erfahrbarer machen. Seit Jahrzehnten bemüht
sich die lateinamerikanische Kirche, eine Antwort zu geben auf den
Pentekostalismus, der heute schon nach der katholischen Kirche die
zweitgrößte Realität in der weltweiten Christenheit darstellt. Der
Argentinier Jorge Mario Bergoglio ist Teil der Antwort der Katholiken
Lateinamerikas auf die Evangelikalen und Charismatiker. Mit Papst
Franziskus ist sie endgültig in Rom und in Europa angekommen.
Beginnt
nun eine Zeit, in der der Heilige Geist auch in Europa wieder spürbarer
weht? Der Heidelberger Bibelforscher Klaus Berger geht im Titel-Thema
dieser Frage nach. Wir wissen es nicht. Doch eines lehrt die Geschichte.
Mit Blick auf ihre Vergangenheit von langen zweitausend Jahren stellte
Gilbert Keith Chesterton fest, oft habe es so ausgesehen, als würde die
Kirche vor die Hunde gehen. „Doch immer war es der Hund, der starb.“
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