Erschienen in Ausgabe: No. 92 (10/2013) | Letzte Änderung: 27.09.13 |
von Aurelia Grigoriu
[Vorbemerkung]:
Zunächst möchte ich betonen, dass ich mich beim Beantworten der Fragen auf
menschenrechtliche Aspekte konzentrieren werde. Ich werde versuchen, politische
Aspekte auszuklammern.
Die Republik Moldau gilt unter den östlichen
Nachbarschaftsländern der EU als Vorzeigestaat. Ein Assoziierungsabkommen soll
während des Gipfeltreffens zur Östlichen Partnerschaft im November 2013 zum
Abschluss gebracht werden. Wie ist Ihrer Meinung nach der „Weg nach Europa“
Ihres Landes einzuschätzen?
Da sich die Republik
Moldau dem Ziel verschrieben hat, einen demokratischen Rechtsstaat aufzubauen,
sollte die strikte Einhaltung von Menschenrechten und Grundfreiheiten das elementare
Grundprinzip darstellen. Dieses Prinzip schreibt vor, dass jeder Träger
öffentlichen Amtes die Würde des Einzelnen und das Prinzip der Gleichheit als
Rechtsgrundlage zu respektieren hat. Außerdem sollte es jedem Menschen möglich
sein, Entscheidungen gegenüber einem unabhängigen und unbefangenen Gericht
anzufechten.
Obwohl die Republik
Moldau in diesem Bereich gewisse Fortschritte erzielen konnte, sind die
demokratischen Institutionen sowie die Menschenrechtslage noch weit vom
europäischen Standard entfernt. Menschenrechtsverletzungen sind in der Republik
Moldau regelmäßig und auf allen Regierungsebenen zu beobachten. Zu den
Hauptgründen zählen: die „Überkorruption“ des Justizwesens, der Mangel an „Good
Governance“ in den Staatsstrukturen und das Fehlen einer unabhängigen Presse.
Weder dem Gericht, noch der Polizei oder den Regierungsbehörden ist es möglich,
den Schutz des einfachen Bürgers ausreichend zu gewährleisten.
Die EU ist bestrebt,
die Integrationsbemühungen der Republik Moldau auf unterschiedliche Weise zu
unterstützen, z.B. durch die Bereitstellung von Krediten und anderen
Fördermitteln. Trotz dieser Bemühungen wird von der Gesellschaft keine
Verbesserung der Situation wahrgenommen. Hinsichtlich des Lebensniveaus, der
sozialen Absicherung, des Zugangs zum Gesundheitswesen und des Zugangs zu
Bildungseinrichtungen ist die Lage besonders beunruhigend. Ungenügende und
wenig durchdachte Reformmaßnahmen verschlechtern die Menschenrechtssituation
Die Verletzung von
Menschenrechten durch den Staat gefährdet meiner Meinung nach den europäischen
Integrationsprozess der Republik Moldau. Allerdings hoffe ich, dass sich die
Situation in Zukunft verbessern wird.
Die EU steht ebenfalls
mit Armenien in Verhandlungen zu einem Assoziierungsabkommen. Sind Sie unter
Berücksichtigung der jüngsten Entwicklungen (bspw. die Debatte des Falls „Sahak
Nikoghosyan“ im bayerischen Landtag, sowie Ihr jüngster Besuch des Landes während
der Pan-Europäischen Konferenz) der Auffassung, dass Armenien für ein Assoziierungsabkommen
mit der EU bereit ist?
Seit
1.Januar 2012 ist Aserbaidschan nicht-ständiges Mitglied im UN Sicherheitsrat
und wird der Tradition von Menschenrechten in Europa gerecht. Wie ist im
Vergleich die Menschenrechtssituation in Armenien?
Die Entwicklung und
der Aufbau von demokratischen Strukturen bleibt ein langfristiges Ziel der
postsowjetischen Staaten. Demokratiedefizite und Menschenrechtsverletzungen
sind in diesen Ländern jedoch weiterhin zu beobachten. Neben den „frozen
conflicts“ sind das Korruption, die rechtliche Immunität von
Regierungsvertretern, das Vortäuschen demokratischer Prozesse, sowie
gravierende Menschenrechtsverletzungen.
Aufgrund meines
Armenienaufenthaltes ist es mir möglich, aus eigener Erfahrung zu sagen, dass
es verfrüht wäre, von einer Anwendung europäischer Werte, wie der
Rechtsstaatlichkeit, in diesem Land zu sprechen. Nationale Interessen stehen
innerhalb des Landes und über die eigenen Landesgrenzen hinaus im Vordergrund.
Wir können noch so oft
über Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sprechen; dies ändert nichts an der
Tatsache, dass Armenien gezeigt hat, dass Menschenrechte nicht respektiert
werden. Zudem fehlt der Wille auf Seiten der Regierungsorgane, diese Situation
zu verbessern – dies wird sich auch in naher Zukunft nicht ändern. Wie sonst
wäre das Verhalten der armenischen Regierung und des Bürgerrechtsbeauftragten
des Landes mir gegenüber, einer Frau und Bürgerrechtsbeauftragten eines fremden
Landes, zu erklären?
Mit der Verfolgung
meiner Person nach meiner Rede in Jerewan hat Armenien mutwillig gegen
grundlegende Menschenrechtsprinzipien verstoßen. Berichte der armenischen
Medien über die Notwendigkeit der Kontrolle von in Armenien einreisenden
Juristen, Bürgerbeauftragten und anderen Rechtsaktivisten sprechen für sich.
Solange die armenische Bevölkerung auf freie Meinungsäußerungen mit der Drohung
bzw. Anwendung von körperlicher Gewalt reagiert, muss die Frage gestellt
werden, ob das Land für ein Assoziierungsabkommen mit der EU bereit ist.
Ich nehme an, dass der
Europarat seine eigene Schlussfolgerung ziehen wird. Zwischen dem Anschein der
Umsetzung europäischer Werte auf der einen Seite und der eigentlichen Umsetzung
europäischer Werte im alltäglichen Leben auf der anderen, muss unterschieden
werden.
Zu meinem großen
Bedauern ist die politische Führung und die Bevölkerung Armeniens noch weit von
der Umsetzung europäischer Werte im alltäglichen Leben entfernt.
Wie
würden Sie das Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan beschreiben? Einige
Gebiete, die zu Aserbaidschan gehören, sind nun von Armenien besetzt. Die Vereinten
Nationen haben mehrfach kritisiert, dass das Gebiet Bergkarabach und sieben
angrenzende Regionen von Armenien besetzt gehalten werden. Was wäre Ihrer Meinung
nach notwendig, um die ethnischen Konflikte zwischen Armenien und Aserbaidschan
zu beenden?
[Vorbemerkung: Dieser
Frage muss besonderer Aufmerksamkeit geschenkt werden. Auch bei dieser Frage
werde ich menschenrechtliche Aspekte in den Vordergrund stellen.]
Es ist bekannt, dass
die von der Mehrheit der europäischen Staaten unterzeichneten internationalen
Dokumente, u.a. die Resolutionen des UN Sicherheitsrates, die Resolution der UN
Vollversammlung (2008) und die „PACE Resolution Project“ (2013), eindeutig von
der „Besetzung“ aserbaidschanischen Territoriums durch Armenien sprechen.
Um den Konflikt zu
lösen, muss sich Armenien aus meiner Sicht spürbar für die Einhaltung von
Menschenrechten einsetzen, die UN Resolutionen umsetzen und die territoriale
Integrität Aserbaidschans – innerhalb der als UN Mitglied generell anerkannten
Landesgrenzen – respektieren.
Wo
liegen die zentralen Unterschiede zwischen der Republik Moldau und Armenien bei
der Umsetzung europäischer Werte?
Der Hauptunterschied
zwischen Armenien und der Republik Moldau ist meiner Meinung nach der folgende:
Während die Republik Moldau bestrebt ist, sich sowohl national als auch international
für die Umsetzung europäischer Werte einzusetzen, stellt Armenien seine rein
nationalen Interessen über den europäischen Wertekanon und verstößt somit gegen
demokratische Prinzipien und Menschenrechte.
Bitte
beschreiben Sie die Erfahrungen, die Sie während Ihres Armenienaufenthaltes Anfang
Juli 2013 gemacht haben.
Am 4 Juli 2013 habe
ich in Jerewan auf der „Europäischen Konferenz zur Wissenschaft und Anwendung”
(„Europe-wide Scientific and Practical Conference”) eine Präsentation zum Thema
„Europäischer Rechtschutzstandard und Grenzen staatlicher Befugnis“ („European
Standards of Supremacy of Law and the Limits of the State Power”) gegeben. Der
Titel meiner Präsentation lautete: „Menschenrechtsschutz und Anerkennung der
Gebiete der „Frozen Conflicts““ (“Human Rights Protection and Respect on the
Territories of Frozen Conflicts”.
Der europäische Standard
zum Schutz von Menschenrechten ist in entsprechenden Rechtsnormen verankert,
die in den Dokumenten der europäischen Gemeinschaft festgeschrieben sind und
damit eine Umsetzung in jedem Fall garantieren. Auf dieser Grundlage habe ich
es „gewagt“, Menschenrechtverletzungen in den Gebieten der „frozen conflicts“
zu identifizieren. Mein Ziel ist es, solche Menschenrechtverstöße zukünftig zu
unterbinden, um ausschließlich friedliche Wege der Konfliktlösung zu
gewährleisten.
In meiner Präsentation
über Georgien, Aserbaidschan und Moldawien habe ich mich auf internationale
Dokumente, auf Veröffentlichungen der „Promo-LEX Association“ und auf das
Datenmaterial der internationalen Konferenz der „Academy of Public
Administration“ unter Führung des Präsidenten der Republik Moldau (2012)
bezogen. Meine Darstellung der armenischenAggressionspolitik gegenüber Aserbaidschan ist vollständig den 4
Resolutionen des UN Sicherheitsrates (Nr. 822 (1993), Nr. 853 (1993), Nr. 874
(1993) und Nr. 884 (1993)) sowie der Resolution Nr. 62/243 (März 2008) der UN
Vollversammlung zu entnehmen.
Nach meiner
Präsentation musste ich feststellen, dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit,
einer der zentralen Bestandteile der Menschenrechte und Grundfreiheiten, in
Armenien keine Anwendung findet. Noch während der Veranstaltung, die im
Parlamentsgebäude stattfand, wurden mir politische Motive zur Verbreitung
aserbaidschanischer Propaganda und Lügen unterstellt. (es sollte erwähnt
werden, dass der Vize-Sprecher des armenischen Parlaments, E. Nagdalyan, die
Teilnehmer aus über 30 Staaten dazu aufforderte, meine Präsentation im Beschlussdokument
der Konferenz zu verurteilen. Dieser Aufforderung ist man nicht nachgekommen).
Desweiteren wurden
Maßnahmen ergriffen, um mich für meine Rede „abzustrafen“. In meinem
Hotelzimmer folgten Telefonanrufe mit der Androhung körperlicher Gewalt. Meine
Facebookseite wurde mit Drohungen und Beleidigungen überschwemmt. In den
armenischen Massenmedien wurden Fotos meiner Person und Artikel veröffentlicht,
die zur Anwendung von Gewalt gegenüber allen Menschenrechtsaktivisten
aufforderten. Die Ausreise aus dem Land wurde mir erschwert. Als mir der Fahrer
den Transport zum Flughafen verweigerte, ließ mich V. Pops, Richter des
Verfassungsgerichts der Republik Moldau und Mitglied unserer Delegation, in
einer lebensbedrohlichen Lage zurück. Nur auf Drängen rumänischer (Rumänien als
Mitglied der EU) und georgischer Diplomaten wurde mir die Ausreise gewährt. Die
Lektion über „europäische Standards“ in Jerewan wird für mich eine
unvergessliche bleiben.
Oft wird in Armenien
die Rechtsstaatlichkeit bejubelt. Jedoch wird regelmäßig gegen die europäische
Menschenrechtskonvention und andere internationale Übereinkommen, denen Armenien
angehört, verstoßen. Als Mitglied der Menschenrechtskonvention hat sich
Armenien der strikten Einhaltung von grundlegenden Menschenrechten
verschrieben.
Artikel 1 – Verpflichtung zur
Achtung der Menschenrechte
Artikel 10 – Freiheit der
Meinungsäußerung
Artikel 14 –
Diskriminierungsverbot
Artikel 2
Protokoll 4
der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten –
Freizügigkeit
Nach meiner Rückkehr haben mich weitere
Drohungen erreicht. Auch von Armeniern mit US amerikanischer Staatsbürgerschaft
– Bürger des Heimatlandes der modernen Demokratie. Die armenische Diaspora hat
den Versuch unternommen, mich aus dem Amt zu entfernen. Entsprechende
Behauptungen wurden der ständigen parlamentarischen Kommission für Menschenrechte
und Ethik vorgetragen:
·Der
Sprecher des moldawischen Parlaments Igor Corman verkündete: „Grigoriu caused
damage to the country’s image“.
·Der
Vorsitzende der parlamentarischen Kommission Misin erklärte: „the presentation
of Grigoriu was unprofessional and doesn’t reflect the position of our
country.“
Es stellt sich die Frage, ob diese Aussagen
wirklich dem Parlamentssprecher und dem Vorsitzenden der Ethikkommission eines
Landes zuzuschreiben sind, das die Resolutionen des UN Sicherheitsrates und der
UN Vollversammlung unterzeichnet hat? Diese Resolutionen verurteilen die
armenische Aggressionspolitik und erkennen die territoriale Integrität Aserbaidschans
an. Die Mehrzahl der moldawischen Massenmedien ist der armenischen Berichterstattung
gefolgt, ohne eine realistische Einschätzung der Situation vorzunehmen und ohne
die internationalen Dokumente zu studieren, die meiner Rede in Jerewan zugrunde
lagen. Die moldawische Presse, die meine moralische Integrität in Frage stellt,
lässt jegliche Grundprizipen der selektiven Berichterstattung vermissen.
Die Beleidigungen, die ich über mich ergehen
lassen muss, sind ein Angriff auf meine Würde und schädigen meinen Ruf.
Zu meinem großen Bedauern werde ich durch meinen
Staat vor diesen Angriffen nicht geschützt. Die staatlichen Strukturen, deren
verfassungsrechtliche Verantwortung darin läge, die Rechte seiner Bürger zu
schützen - die Bürgerbeauftragten, die Regierung, das Parlament und der
Präsident - haben sich gegen die Verstöße des Bürgerrechts durch Armenien nicht
zur Wehr gesetzt. Auf der internationalen Ebene, zwischen der Republik Moldau
und Armenien, wird die Verletzung von grundlegenden Menschenrechten gegen meine
Person bewusst verschwiegen.
Welche Reaktionen
erwarten Sie von den verantwortlichen deutschen / europäischen / internationalen
Institutionen hinsichtlich des Vorfalls?
Ich möchte betonen, dass es Ziel meiner
Präsentation in Jerewan gewesen ist, die internationale Gemeinschaft auf die
Menschenrechtsverletzungen in den Gebieten der „frozen conflicts“ aufmerksam zu
machen – vor allem hinsichtlich solcher Staaten, deren erklärtes Ziel es ist,
Mitglied der „europäischen Familie“ zu werden. Meine Rede sollte als Aufruf zur
friedlichen Konfliktlösung und Einhaltung von Menschenrechten verstanden
werden.
Ich hoffe, dass die europäische und
internationale Gemeinschaft das Verhalten Armeniens angemessen bewertet und zu
dem Schluss kommt, dass Menschenrechte hinsichtlich meiner Person verletzt
wurden und in meinem Heimatland weiterhin verletzt werden.
Zudem hoffe ich, dass meine Präsentation als
Aufruf zur Umsetzung europäischer Werte verstanden wird. An oberster Stelle, in
jeder Situation und für jede einzelne Person, sollte die Wahrung von
Menschenrechten stehen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, das Interview führte Dr. Stefan Groß
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.