Erschienen in Ausgabe: No 65 (7/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
C. W. Ceram Götter, Gräber und Gelehrte. Roman der Archäologie. Rowohlt Verlag, Hamburg (März 2008) 466 Seiten, Gebunden ISBN-10: 3498009354 ISBN-13: 978-3498009359 Preis: 15,00 EURO
von Heike Geilen
C. M. Ceram kompiliert die Erkundungszüge in die
Vergangenheit zu einem erregenden Abenteuer von Geist und Tat - ein Streifzug
durch 5000 Jahre menschliche Geschichte, ein ungeheuer faszinierender
Tatsachenroman.
"Und sie sprachen
untereinander: Wohlauf, lasst uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen
Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, lasst uns eine Stadt
und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, dass wir uns einen
Namen machen! Denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder." (Erstes
Buch Moses, Kapitel 11, Verse 3 und 4). Diese Worte aus dem meistgelesenen Buch
der Welt - der Bibel - berichten über den Turmbau von Babel sowie die
Geschehnisse von der Erschaffung der Welt bis zum Wirken der Söhne Jakobs in
Ägypten. Jeder Nichtchrist wird ihren Wahrheitswert anzweifeln und sie als
verklärende Religionsinhalte abtun. Aber vieles hat sich tatsächlich in
ähnlicher Form ereignet.
Die Beweisführung unterlag einem Wissenschaftszweig, der
gern als trocken und langweilig abgetan wird - der Archäologie oder
Altertumskunde. Man gräbt irgendwo auf der Welt rum, so die allgemeine Meinung,
in der Hoffnung, etwas Ruhmreiches zu finden. Meistens entpuppt sich das
Ruhmreiche dann als Tonscherbe, die keiner gebrauchen kann. Einzig ein Mann, der
berühmteste Archäologe der Welt - mit Namen "Indiana Jones" -, der
zurzeit wieder die Kinos stürmt, lässt eine pedantische und anstrengende
Wissenschaft aufregend erscheinen.
Doch halt! Zwar ist das vorliegende Buch nicht so
spektakulär wie die Kinoversion, doch Kurt W. Marek, der von 1915 - 1972
Journalist und Cheflektor im Rowohlt Verlag war und unter dem Pseudonym C. W.
Ceram (das von hinten gelesene Anagramm offenbart seinen korrekten Namen) mehrere
erfolgreiche Sachbücher veröffentlichte, erzählt beinahe genauso aufregend,
mystisch und abenteuerlich wie Stephen Spielbergs Version. Ein entscheidender
Vorteil gegenüber der filmischen Umsetzung: hier haben wir es mit
wahrheitsgetreuer Wissensvermittlung zu tun. Ceram
oder Marek versucht nichts weniger als die Verknüpfung der Geschichte früher
menschlicher Hochkulturen mit der Geschichte ihrer Erforschung durch die
Archäologie und anderer Wissenschaften.
Der "große Dilettant" Heinrich
Schliemann
"Götter, Gräber und Gelehrte" ist ein Phänomen: Bereits 1949
geschrieben, erreichte dieses Buch bis heute eine deutsche Auflage von über 1,8
Millionen Exemplaren. Es wurde in 25 Sprachen übersetzt und gehört damit zu den
erfolgreichsten Büchern der westdeutschen Nachkriegszeit. Bis heute hat es nichts
von seiner Frische und Spannung verloren.
Tauchen Sie ein in 5000 Jahre
menschliche Geschichte und lassen Sie sich nicht von den ersten Worten Cerams "abschrecken",
der da meint: "Ich rate dem Leser,
das Buch nicht auf der ersten Seite zu beginnen. Ich tue das deshalb, weil ich
weiß, wie wenig die überzeugendste Versicherung des Autors verfängt, dass er
einen außerordentlich interessanten Stoff vorzutragen habe (…) Ich empfehle,
auf Seite 81 anzufangen und das Kapitel über Ägypten, das 'Buch der Pyramiden',
zuerst zu lesen. Dann habe ich die Hoffnung, dass auch der misstrauischste
Leser unserem Thema wohlwollender gegenübertritt und sich entschließt, gewisse
Voreingenommenheiten übers Bücherbord zu werfen."
Die Rezensentin hat sich der
Aufforderung des Autors nicht "gebeugt", beginnt doch Ceram mit den
ersten Anfängen der "Spatenforschung", in den Ruinen versunkener
Stätten wie Pompeji und Herculaneum, betrieben von Männern, denen jene Mischung
aus Abenteuerlust, Wissensdurst und Goldgier zu Eigen war, von der die moderne
Unterhaltungskultur von eben jenem Indiana Jones bis Lara Croft noch heute
zehrt.
Noch einmal soll Ceram zu Wort
kommen, der die Art und Weise dieses Werkes treffend beschreibt: "Unser Buch ist ohne wissenschaftliche
Ambitionen geschrieben. Vielmehr wurde nur versucht, eine bestimmte
Wissenschaft derart zum Gegenstand der Betrachtungen zu machen, dass die Arbeit
der Forscher und Gelehrten vor allem in ihrer inneren Spannung, ihrer
dramatischen Verknüpfung, ihrem menschlichen Gebundensein sichtbar wurde."
Wie Ceram am Mythos des "großen Dilettanten" Heinrich Schliemann
weiterstrickt, der mit Homers "llias" in der Hand Troja findet, wie
er Howard Carters Entdeckung des Grabs von Tutenchamun im Tal der Könige
dramatisiert, wie er die Entzifferung der Hieroglyphen durch einen jungen
Franzosen (fast im Alleingang) oder die Erkundung eines dunklen Brunnens auf
Yucatan, in dem einst Jungfrauen geopfert und nun Tausende von Obsidianklingen
und Türkisbesetzte Schmuckstücke geborgen wurden, beschreibt, das ist
unübertroffen. Er schöpft meist aus den Memoiren der Beteiligten und fügte nur
die Stimmung hinzu, aber das unerhört gekonnt.
Keine Peitschen schwingende Helden aber spannende
Geschichte
Das Buch
führt uns nicht zeitlinear durch die Epochen sondern räumlich und ist in vier
große Kapitel gegliedert. Der Roman beginnt bei den Griechen und Römern ("Das
Buch der Statuen"), erzählt von so großen Funden wie Troja und dem
vermeintlichen Gab des Agamemnon.
Das
faszinierendste Kapitel ist sicherlich "Das Buch der Pyramiden". Hier
läuft Ceram zur Höchstform auf und überzeugt sicherlich die letzten Zweifler. Der
Leser betritt Grabkammern und staunt über Kostbarkeiten und Mumien, die sie
enthalten, wenn sie nicht schon vorher - wie meistens geschehen - von
Grabräubern geplündert wurden. Das ist Archäologie, wie sie sich sicherlich die
meisten erträumen: die großen Entdeckungen von Schätzen einer längst
vergangenen Zeit.
In Kapitel
drei - "Das Buch der Türme" - geht es dann Mesopotamien, ins
Zweistromland nach Babylon oder Ninive, auf den Spuren der Bibel. Hier lebte
offensichtlich die älteste Kultur, die wir kennen und der wir wahrscheinlich
unsere Schrift verdanken und die schon vor 4000 Jahren Astronomie und Mathematik
kannte - die Sumerer.
Als
letztes reist Ceram schließlich nach Mittelamerika. "Das Buch der Treppen"
zeichnet das wechselvolle Schicksal der mittel- und südamerikanischen Azteken-
und Maya-Reiche nach, die durch zwielichtige Eroberer wie Cortez ihr Ende
fanden; dies allerdings so gründlich, dass wir über Menschen, die vor kaum fünf
Jahrhunderten gelebt haben, weniger wissen als über die Ägypter vor 5000
Jahren.
Zahlreiche,
zum Teil farbige Abbildungen und ein Anhang mit chronologischen Zeittafeln,
Literaturhinweisen, Karten und ein Personen- und Sachregister ergänzen dieses
wunderbare Werk, das in einer neuen Auflage umfassend modernisiert wurde.
Zugegeben, ein Peitschen schwingender
Held, der schöne Frauen aus höchster Gefahr rettet, befindet sich wohl kaum
unter den wirklichen Archäologen. Ebenso wenig werden wir unter den Ägyptologen
Abenteurer begegnen, die alte Mumien durch Beschwörungsformeln zum Leben
erwecken, damit sie die Welt vernichten. Aber aufregend bleibt diese Sparte der
Wissenschaft dennoch. Es gibt genug Entdeckungen und Geschichten, die uns
fesseln können und eben diese Geschichten erzählt "Götter, Gräber und Gelehrte" und endet mit den weisen Worten
des Autors: "Es wird weitergegraben
in aller Welt. Denn wir brauchen die letzten 5000 Jahre, um die nächsten 100
mit einiger Gelassenheit ertragen zu können."
Fazit:
"Götter, Gräber und Gelehrte" ist
ein "Roman der Antike", der trockene Wissenschaft höchst interessant
und spannend verpackt. Geschichten über die Geschichte, deren Entdecker und die
Bedeutung für unsere Zeit.
"Wenn wir als Menschen Bescheidenheit lernen
wollen, so ist es nicht nötig, unseren Blick auf den bestirnten Himmel zu
richten, Es genügt der Blick auf die Kulturwelten, die Tausende von Jahren vor
uns da waren, vor uns groß waren und vor uns vergingen." (C. W. Ceram)
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