Erschienen in Ausgabe: No. 92 (10/2013) | Letzte Änderung: 27.09.13 |
von Anna Zanco-Prestel
500ein Meter hohe Wagner-Figuren in Dirigentenpose des
bekannten Nürnberger Künstlers Ottmar Hörl in der Farbskala zwischen purpurrot,
violett und blau empfangen mit offen-erhobenen Armen die Besucher in Bayreuth.
Die witzige und zugleich nachdenklich stimmende Großrauminstallation ist in der
ganzen Stadt und verstärkt am so genannten „Grünen Hügel“ präsent, wo sich
jährlich die elegant-mondäne Gesellschaft inklusive Politprominenz mit Scharen
von Wagnerianern vermengt, die aus der ganzen Welt anreisen. Neu auf dem Programm in diesem Jubiläumsjahr die mit Spannung erwartete
Inszenierung des Ring des Nibelungen für die Regie von Frank Castorf unter
der Leitung von Kirill Petrenko.
Neben dem russischen Star betritt zum ersten Mal das
Bayreuther Podium auch ein „heimischer“ Dirigent, der Franke Axel Kober, der Tannhäuser
mit großer Sensibilität und träumerisch-romantischem Elan souverän leitet und
auch dank der Sänger -insbesondere Michael Nagy als Wolfram von Eschenbach
sowie Michelle Breedt als Venus und Camilla Nylund als Elisabeth - jubelnden
Beifall erntet. Anders die Inszenierung des Berliner Sebastian Baumgartner, die
auch in der aktuellen, bearbeiteten Fassung, mit Buhrufen empfangen wurde.
Zweifelsohne stellt die Tannhäuser-Inszenierung der Bayreuther
Festspiele 2013 des Berliner Regisseurs, seit kurzem Professor für Regie an der
Hochschule für Musik und Theater in München, sehr hohe Anforderungen an das
elitäre Publikum. Und als „schwer lesbar“ wird sie bereits im Programmheft 2013
von Dramaturg Carl Hegemann in seinen lehrreichen Erläuterungen, die - u.a.
anhand eines ausklappbaren 2011 entstandenen Tafelbildes - , in die Struktur
der Inszenierung einführen soll. Von „komplementären“ und „symmetrischen Orten“
ist dabei die Rede, respective von der „Wartburg“, wo sich der berühmte
„Sängerkrieg“ abspielt, im hinteren Teil der Bühne und vom „Venusberg“, ganz
vorne nahe dem Orchestergraben. „Wartburg“ und „Venusberg“ stehen jeweils im
Sinne Nietzsches für das „Apollynische“ und das „Dionysische“: Gegensätze, die
hier allerdings als „zusammenhängend“ begriffen sind, denn Kunst schlussendlich
aus der Synthese zwischen „Formtrieb“ (Apollynische) und „Stofftrieb“
(Dyonisische) entsteht. Von Gegensätzen gezeichnet ist auch die Gestalt des
Titelhelden, mit deren inneren Zerrissenheit Wagner sich völlig identifizierte.
Wie der Komponist befindet sich auch Tannhäuser auf „Irrfahrt“, auf eine
Wanderschaft – oder Flucht -zwischen zwei Welten, der Welt der
mittelalterlichen „höfischen“ und der Welt der sinnlichen Liebe -wie Lacan in
seiner psychoanalytischen Deutung suggeriert - die sich die Autoren zu eigen
gemacht haben. Schiller, Nietzsche, Lacan sind in dem erwähnten Tafelbild als
Quellen genannt. Neben ihnen Heine, dessen „Tannhäuserlied“ - und nicht
„irgendwelches Volkslied“-Wagner die „Initialzündung“ gegeben haben soll. Eine
weitere genannte Quelle ist die Musik der Rockgruppe Rammstein, die in den
dramaturgischen Absichten mit ihrem Lied „Hier kommt die Sonne“ das „zu
konventionelle“ Venus-Lied hätte ablösen sollen: ein Plan, der zum Scheitern
verurteilt war, waseine weitere „Grenzverletzung“ auch in musikalischer
Hinsicht verhindert, die das Publikum mit Sicherheit nicht befürwortet hätte.
Vieles hätte Wagner an dem in einer
Biogasanlage-Installation angesiedelten Bühnenbild des Holländers Joep van
Lieshout auszusetzen gehabt. Gestoßen hätte er sich gewiss an der Entscheidung,
einige Zuschauer mit ihren Stühlen rechts und links auf der Bühne zu plazieren.
Eine Idee, die sich mit dem Brechtschen „Verfremdungseffekt“ eher assoziieren
lässt als mit Wagner, der sein Orchester in den „mystischen Abgrund“ verdeckte,
um die Illusion auf der Bühne vollkommen werden zu lassen. Somit entwickelt
sich Baumgartens Tannhäuser zum eigenständigen Werk, das sicherlich zur
Reflexion in philosophisch-ästhetischen Kategorien zwingt, aber nicht leicht
nachvollziehbar bleibt. Reizvoll und qualitativ hochwertig ist Michael Höppners
neue Inszenierung unter der Leitung von Boris Schäfer der Kinderoper Tristan
und Isolde, die in einer eigenen eineinhalbstündigen Fassung für ein
kleines Orchester mit Sängern zum Anfassen – darunter die gewaltige, tonsichere
„offizielle“ Bayreuther Isolde Irene Théorin - , witzigen Einlagen und
opulenten Kostümen die jungen Zuschauer zu begeistern weiß. Die Oper ist Teil
des2009 von Katharina Wagner initiierten „Vorzeigeprojekts“ Richard Wagner
für Kinder.
Draußen inmitten der herrlichen mit Blumen geschmückten
Gartenanlage vor dem Musiktempel stolpern die Besucher über die
Freiluftinstallation „Verstummte Stimmen. Die Bayreuther Festspiele und die
‚Juden’ 1876-1945“, die noch bis Ende 2013 verlängert wurde und am besten als
Dauerinstallation zu erhalten wäre.
Auf Stellwänden wird an die zahlreichen Musiker jüdischer
Herkunft erinnert, die bei den Bayreuther Festspielen mitwirken durften, bis
sie dem gnadenlosen Antisemitismus der Wagner-Dynastie zum Opfer fielen.
Lebenswege werden akribisch rekonstruiert, die fast ausnahmslos in ferne Länder
oder in ein Niemandsland enden, das den Namen Auschwitz, Buchenwald oder Lódz
trägt. Vergegenwärtigt werden Etappen der Karrieren von 9 Mitgliedern der
Künstlerischen Leitung,23 Solisten, 17 Orchester- und 5 Chormitgliedern.Über
viele von ihnen erfährt man, dass sie meistens in Ermangelung eines „deutschen
Ersatzes“ engagiert wurden. Denn Juden wurden keine wahre Talente
zugeschrieben, sondern nur die Fähigkeit, andere „nachzuahmen“. Wagners Witwe
und Liszts Tochter Cosima – liest man auf den Begleittafeln – hielt Deutschland
für einen „judaisierten Staat“. Dem wollte sie Bayreuth als „ein deutsches
Theater mit allen Nationen“ entgegensetzen. Daraus sollten die in ihren Augen
„Bevorzugten“ – d.h. die ‚Juden’ – ausgeschlossen bleiben. Beleuchtet wird u.a.
Cosimas ambivalente Beziehung zum Hermann Levi, dem genialen Musiker, der
Wagner von König Ludwig II. als „Parsifal“-Dirigenten regelrecht aufgezwungen
worden war. Nach Wagners Tod hatte ihm Cosima die Leitung der Bayreuther
Festspiele übertragen. Nachdem er diese zu internationalem Ruhm geführt hatte,
bat Wagners Witwe schließlich um seine Entlassung mit dem Argument „Levis
Größe... sei zwar sein „individueller Verdienst“, das ‚Schlechte’ gehöre aber
seinem Stamm an.“„Ich bin Jude“ -liest man auf der ihm gewidmeten Tafel - „ so
beurteilt man Alles…von diesem Gefühlspunkte aus und findet deshalb auch in
Allem, was ich thue und sage, etwas Anstößiges oder zum mindesten
Fremdartiges…“.
Die Freiluftinstallation ist eine „Fallstudie“ über die
Rolle des bekannten Festivals in der Verbreitung antisemitischen Gedankenguts
bereits ab dem Zeitpunkt seiner Gründung im Jahre 1876.Sie hilft zu verstehen,
wie sich - zeitgleich mit der Entstehung der deutschen Nation - der
Antisemitismus wie ein Krebsgeschwür wucherte und in bürgerlich-gebildeten
Kreisen salonfähig wurde. Diese unter dem Kuratorium u.a. von Klaus von
Donhanyi, Hans-Dietrich Genscher, Antje Vollmer, Gerhard Baum, Charlotte
Knobloch, Ulrike Hessler und Gerhard Richter realisierte Doku-Schau ist ein später,
überfälliger Versuch, die Leidtragenden eines unglaublichen „Kulturkampfes“ aus
der Versenkung zu holen und ihre Leistung endlich gebührend zu würdigen. Eine
direkte Verbindung zwischen Wagner und Hitler – so die erklärte These der
Ausstellung – existiere zwar nicht, Wagner selbst sei allerding seiner der
wichtigsten „Stichwortgeber“ gewesen. Durch „Diffamierung und Ausgrenzung
jüdischer Künstler wie durch Mitwirkung an allen wichtigen antisemitischen und
antidemokratischen Organisationen ab 1914 haben Wagners Erben den Boden für die
im Dritten Reich durchgeführte Vertreibung jüdischer und politisch untragbarer
Künstler vorbereitet.“
Die Schicksale der in der NS-Zeit in Deutschland
diffamierten und aus Theatern vertriebenen Komponisten, Dirigenten und Sänger
jüdischer Herkunft sowie weiterer Andersdenkenden, die für ‚Juden’ gehalten
wurden, werden in 44 Biographien mit Tonbeispielen in der parallel dazu
laufenden Ausstellung im Bayreuther Rathaus fokussiert.
Autoren des 2006 unter dem Titel „Verstummte Stimmen. Die
Vertreibung der ‚Juden’ aus der Oper 1933 bis 1945“ für die
Axel-Springer-Galerie in Hamburg konzipierten und von der
Axel-Springer-Stiftung finanzierten Ausstellungsprojekts sind der Historiker
Hannes Heer, der Musikpublizist Jürgen Kesting und der Bayreuther Designer
Peter Schmidt. Gezeigt wurde sie bereits u.a. in der Oper Unter-den-Linden zu
Berlin und in der Semper Oper in Dresden sowie in Stuttgart und Darmstadt.
www.verstummtestimmen.de
An Hermann Levis Verdienste im Dienste Wagners und der
Bayreuther Festspiele knüpft auch eine großformatige Tafel an, die wenige Meter
davon entfernt, in einer König Ludwig II. gewidmeten Ausstellung im Haus
Wahnfried gezeigt wird. In Wagners letzter Wohnstätte und Museum, das z.Z.
durch einen angrenzenden Bau erweitert wird, ist eine kompakte Fassung der
Sonderausstellung „Götterdämmerung“ zu sehen, die 2011
zum 150. Todesjahr des visionären bayerischen Monarchen auf Schloss
Herrenchiemsee zum Publikumsmagnet wurde. Auf der neuen Tafel wird auf einen
besonders wichtigen Aspekt im Leben und Wirken Ludwig II. eingegangen, nämlich
auf sein sehr positives Verhältnis zum Judentum, das anhand seines Besuchs der
Synagoge in Fürth und am Beispiel seiner konsequenten Durchsetzung Hermann
Levis beim glühenden Antisemiten Wagner.
Das Thema „Wagner und die Juden“ wird auch in der
Doku-Schau Liebe ohne Glauben fokussiert, die das Heinrich- und
Thomas-Mann-Zentrum Haus Buddenbrooks in Lübeck der komplexen Beziehung Thomas
Manns zur Wagnerschen Musik widmet. Mit Gemälden, Bühnenbildentwürfen,
Installationen, Plakaten und wertvollen Manuskripten werden Thomas Manns Liebe
und Leiden an Wagner dank einer elegant-aufwendigen Ausstellungsarchitektur im
Neuen Rathaus rekonstruiert, in der sich u.a. auch ein von Thomas Manns Schwiegervater
Alfred Pringsheim 1872 erworbenes Patronat-Schein des Richard-Wagner-Vereins
befindet. Seines immensen Besitzes beraubt, durfte der 90.jährige Mäzene, der
zu den frühestem Förderer der Bayreuther Festspiele gehörte, auf Vermittlung von Winifried Wagner, die sich direkt beim
Führer einschaltete, mit seiner Frau Hedwig Dohm in
letzter Minute in die Schweiz ausreisen, in das Land, das auch Wagner Asyl
geboten hatte.
Neben Wagners 200. Jubiläum feiert das barocke Bayreuth
in diesem Jahr auch den 250. Geburtstag eines zum Teil vergessenen Klassiker
der deutschen Literatur: Jean Paul. Sein Leben und Schaffen werden wieder
lebendig in der vom Münchner Florian Raff nach einem innovativen Konzept von
Frank Piontek neu gestalteten Kleinmuseum an der Wahnfriedstraße. Im ehemaligen
Hause von Wagners Tochter Eva und dessen Schwiegersohn, dem britischen
„Germanophilen“ und Rassentheoretiker Houston-Stewart Chamberlain, gewinnt die
liebevolle Humanität des Dichters eine sichtbare Dimension, die als Sieg des
Geistes über die Dummheit gedeutet werden kann.
Der ausgewiesene Wagner-Experte Frank Piontek stellte
auch mit einem brillanten Vortrag über Wagners Bezug zu Venedig den
Dokumentarfilm“ Richard Wagner .Venezianisches Tagebuch der wiedergefundenen
Symphonie“ (http://wagnerinvenice.com) des italienischen Regisseurs Gianni Di
Capua (Kublaj Film, Venedig) vor. Organisiert wurde die Vorführung am 30. Juli
2013 im Cineplex von der Tiven Group-Verona in enger Zusammenarbeit mit
dem Team aktiver Festspielförderer (Taff- www.wir-sind-festspiele.de),
das damit sein Festspiel-Begleitprogramm 2013 startete. Die Filmpräsentation durch
Taff-Vorstandsmitglied Markus Spona ist Teil der in Abstimmung mit den neuen
Leiterinnen der Bayreuther Festspiele Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner
entwickelten Erneuerungsstrategie, die u.a auch die spezielle Förderung von
Multi- und Crossmedia-Projekte, Web-Streaming sowie die Organisation von
Live-Übertragungen vom Opernrepertoire in Kinosälen vorsieht. Im Zeichen vom
Crossover auch die flächendeckende Licht- und Video-Mapping-Installation, die
der Berliner Multimedia-Künstler Philip Geist am 40 Abenden während der
Festspiele (20.07. bis 28.8.) direkt auf die Fassade des Neuen Rathauses
projizieren lässt. Ein „synergetisches“ work in progress, worin
unzählige mit Wagner verbundenen Bilder, Begriffe, Zitate und Assoziationen
hineinfließen und in der eigenen Bildersprache neu interpretiert werden. Wie in
Wagners Werk werden hier auch die Grenzen der verschiedenen Künste
überschritten, während aus Texten Bilder entstehen und sich Analoges mit
Digitalem vermischt, indem der Künstler mit Licht und mit dem Computer malt.
www.videogeist.com
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