Erschienen in Ausgabe: No 93 (11/2013) | Letzte Änderung: 21.10.13 |
von Rainer Westphal
Es
dürfte bekannt sein, dass die neu gegründete Partei „Alternative für
Deutschland“ bei der Bundestagswahl am 22. September d. J. nur knapp an der 5 %
Hürde gescheitert ist. Wer gedacht hatte, dass es sich bei dieser Neugründung
um eine Partei handeln würde, wo sich einige alte Männer um einen verwirrten
Professor aus Hamburg versammelt haben, um aus deutschnationaler Verärgerung in
Sachen Euro ihren Protest auszuleben, der dürfte sich gründlich getäuscht
haben.
Offensichtlich
macht man wieder einmal den Fehler, diese Partei mit Schlagworten in eine
rechtspopulistische Ecke zu drängen, ohne sich mit der Ideologie auseinander zu
setzen. Diese Partei vertritt offensichtlich, ähnlich wie in den USA, die
Tea-Party, eine fundamentalistische neoliberale Politik. Diese Ideologie greift
die Vorstellungen eines Adam Smith aus der Zeit um 1750 auf, um diese auf das
21gste Jahrhundert zu übertragen.
Adam
Smith gilt als der Erfinder der Nationalökonomie. Smith vertrat die so genannte
„Laissez-faire“- Strategie, welche eine freie Wirtschaft, was dem Gesetz von
Angebot und Nachfrage folgen sollte, zum Ziel hat. Er war der Meinung, dass
allein egoistische Aktivitäten das wirtschaftliche Geschehen beschleunigen
würden, was zu einer vom Schöpfer gewollten „natürlichen“ Ordnung führen solle.
Eine derartige Marktwirtschaft sollte von einer derartigen Ordnung, auch als
„unsichtbare Hand“ bezeichnet, beherrscht werden. Um das Werk von Smith
würdigen zu können, bedarf es der Fähigkeit, sich in die Zeit um 1750 versetzen
zu können. Der heutige Wissensstand ist ein anderer.
Der
Ökonom Joseph Schumpeter beurteilte das Werk dahingehend, dass es keine neuen
Ideen enthalten würde, sondern lediglich die Zusammenfassung des damaligen
ökonomischen Wissens. Es trifft
demnach nicht zu, dass Adam Smith seiner Zeit vorausgeeilt sei. Smith`s
Theorie einer unsichtbaren Hand wird heute dahingehend ironisch interpretiert,
dass wohl eine „göttliche Hand“ für unangenehme Folgen ökonomischer
Fehlhandlungen herzuhalten hat.
Die
so genannten „Chicago Boys“, die Vertreter der geistigen Strömung des
Neoliberalismus, griffen jedoch die Thesen eines Adam Smith wieder auf. Es
entstand die „Österreichische Schule“, deren einflussreichsten Vertreter Ludwig
von Mises, Friedrich August von Hayek und Milton Friedman waren.
Es
würde im Rahmen des Kommentars zu weit führen, die Lehrmeinung der Neoliberalen
im Detail darzulegen (Literaturhinweise befinden sich am Ende dieses Kommentars).
Auf eines wird jedoch hingewiesen, dass die Lehrmeinung des Neoliberalismus
einen totalen Marktradikalismus beinhaltet, der offensichtlich falsch interpretiert
wird, was gerade die heutige Zeit bewiesen hat. Offensichtlich haben deren
Vertreter völlig die Erkenntnisse des deutschen Ökonomen Heinrich von
Stackelberg ignoriert, welcher eine eigenständige Marktkonformlehre entwickelte,
und die Thesen heutiger selbsternannter Ökonomen schon in den 30er Jahren des
20gsten Jahrhunderts widerlegte.
Des
weiteren ist festzustellen, dass der Neoliberalismus der „Österreichischen
Schule“ alle Lebensbereiche der Marktideologie unterwirft. Der Staat ist für
deren Vertreter ein Feindbild, und soziale Autoritäten wie Familie und Kirche
sollen das Individium vor diesen schützen. Man nennt derartige Vorstellungen
auch „paläolibertär“. Die Tätigkeit des Staates hätte sich nach dem Leitbild
der Neoliberalen lediglich auf die Landesverteidigung sowie der Rechtssprechung
zu beschränken, welche natürlich die neoliberalen Vorstellungen zu schützen
hätte, und auch zum Ziel hat, den Freien die Freiheit zu erhalten, diese
anderen vorzuenthalten.
Um
deutlich zu machen, um welche Weltanschauung es sich beim Neoliberalismus der
„Österreichischen Schule“ handelt, werden einige Kernaussagen der Leitfigur
dieser „geistigen Strömung“ wiedergegeben:
-Maximierung der Bedürfnisbefriedigung
oder Maximierung des Sozial- produktes ist nicht das Ziel einer freien Marktwirtschaft.
-Soziale Gerechtigkeit ist nicht
definierbar.
-Sozialstaatlichkeit wird durch eine
institutionalisierte Armenpflege abgelöst.
-Wettbewerbsbeschränkungen durch
Unternehmensmonopole sind weitgehend durch die Regierungen verursacht und
vergleichsweise unschädlich.
-Die gravierenden
Wettbewerbsbeschränkungen gehen von den Gewerk-schaften aus.
-Die Verfolgung individueller Ziele ist
der einzige gesellschaftliche Zweck der Wirtschaft.
Einen
gewissen Höhepunkt stellen die Aussagen Friedrich August von Hayek in nachstehenden
Interviews dar:
"Eine
freie Gesellschaft benötigt eine bestimmte Moral, die sich letztlich auf die Erhaltung
des Lebens beschränkt, nicht auf die Erhaltung allen Lebens, denn es
könnte notwendig werden, das eine oder andere individuelle Leben zu opfern
zugunsten der Rettung einer größeren Anzahl anderen Lebens. Die einzig gültigen
moralischen Maßstäbe für die »Kalkulation des Lebens« können daher nur sein:
das Privateigentum und der Vertrag." - Interview in: El Mercurio, 19.
April 1981 Santiago de Chile.
"Ungleichheit
ist nötig. [...] Wenn wir garantieren, dass jedermann am Leben gehalten wird,
der erst einmal geboren ist, werden wir sehr bald nicht mehr in der Lage sein,
dieses Versprechen zu erfüllen." - Interview 1981 in der Wirtschafts-
woche.
Wie
menschenverachtend eine derartige Weltanschauung ist, zeigen unter anderem auch
die Aussagen der heutigen Vordenker. So plädiert zum Beispiel Peter Oberender
von der Universität Bayreuth dafür, dass Hartz IV-Empfänger zur Verbesserung
ihrer Finanzen ihre Organe verkaufen dürfen sollten. Das AfD Vorstandsmitglied
Roland Vaubel, VWL-Professor an der Universität Mannheim, plädiert dafür, den
„untersten Klassen“ das passive Wahlrecht zu entziehen. Im Jahre 2006 plädierte
bereits das Vorstandsmitglied Konrad Adam in einen Welt-Kolumne mit dem Titel
„Wer soll wählen“ für eine derartige Vorgehensweise.
Der
menschenverachtende „Paläoliberalismus“ der beschriebenen Form stellt keine
Seltenheit in der „Akademischen Welt“ dar. Es ist davon auszugehen, dass eine
gewisse „elitäre Wahnvorstellung“ Grundlage für Derartiges darstellt. Der
Kolumnist der Springer Presse, Henryk M. Broder, ist zum Beispiel häufiger Gast
bei der Friedrich August Hayek-Gesellschaft und wurde auf einer Wahlparty der
AfD gesehen.
Eine
besondere Paradoxie stellt der Fortschrittsbegriff von Hayek dar, der
offensicht- lich dazu führte, dass die Vertreter dieses „Denkers“ in der
Neuzeit ständig mit Plagiaten in Verbindung zu bringen sind:
Nach
Hayek beginnt die Zivilisation nämlich dann, wenn der Einzelne in der
Verfolgung seiner Ziele mehr Wissen verwerten kann, als er selbst erworben hat.
Zusammenfassend
ist festzustellen, dass sich hier eine Partei entwickelt, welche die gleichen
Thesen wie die Tea-Party in den USA vertritt um die Interessen gewisser
Schichten durchzusetzen. Gewisse Schichten deshalb, da offensichtlich wie nach
indischem Muster die Gesellschaft zerlegt wird. Einer Umfrage zufolge geben
bereits 18 bis 20 % der US-Bürger an, Anhänger dieser „Tea-Party“ zu sein.
Zu
den Hauptfinanzierern der Tea-Party-Bewegung in den USA werden die beiden
Milliardäre David H. Koch und sein vier Jahre älterer Bruder Charles gerechnet.
Ihnen gehören 84 % vom zweitgrößten Privatunternehmen der USA. Es betreibt
Öl-Raffinerien, Kohleversorger, Chemieanlagen und Holzunternehmen und hat im
Jahr einen Umsatz von etwa 100 Milliarden Dollar. Die Süddeutsche Zeitung
folgert: „Die Kochs wollen den totalen Kapitalismus, und sie sind bereit zu
kämpfen – gegen ein staatliches Gesundheitssystem, gegen den Klimaschutz und
alles andere, das sie für Auswüchse des Sozialismus halten.“
Im
Artikel der TAZ mit dem Titel „Die Deutsche Tea Party“ wird folgende Meinung
vertreten:
„Wer die AfD auf Ihren
Rechtspopulismus reduziert, verkennt die eigentliche ideologische Gefahr, die
von dieser Partei ausgeht.“
Dem
Verfasser dieses Kommentars liegen einige Unterlagen vor, die im Prinzip ein
Beweis dafür sind, dass die ideologische Gefahr, welche von dieser Partei
ausgeht, in vielen Fällen vollkommen unterschätzt wird. Insbesondere Ausführungen
der SDS Hochschulgruppe in Hamburg geben Anlass zu der Vermutung, dass die AfD
als eine Randerscheinung angesehen wird.
In
der Bundesrepublik lösen die kurz angerissenen neoliberalen Vorstellungen immer
wieder Unglauben aus, obwohl eine entsprechende Politik der Bundesregierung im Prinzip nicht zu
verkennen ist. Eine neoliberale Politik wird u. a. dadurch erkennbar, dass
diese mit einer ständigen Missachtung von Arbeit in Verbindung gebracht werden
kann. Der so genannte Leichtlohnsektor in diesem Lande ist von der
Größenordnung mittlerweile in Europa als einmalig zu betrachten. Es findet eine
radikale Umverteilung von unten nach oben statt. Bereits 8 Millionen Menschen
befinden sich in diesem Lande am unteren Ende der Einkommensskala. Dass über
ein „Aufstockerunwesen“ Unternehmen subventioniert werden, entspringt offen-sichtlich
der Beratungsleistung eines Bernd Lucke.
Sprechen
wir von Missachtung der Arbeit, so ist ein Blick in die Vergangenheit sehr
hilfreich. Interessanterweise kannten ältere Kulturen, vor allem die antiken
Sklavenhaltergesellschaften, nicht die hohe Wertschätzung der Arbeit.
Aristoteles unterscheidet zum Beispiel zwei Arten der menschlichen Tätigkeit:
das Herstellen materieller Gegenstände und die diskutierende, öffentliche
Tätigkeit der Bürger, denen es um das Wohl und um das gute Leben geht. In
seiner Ethik stellt er eine Hierarchie der Tätigkeitsarten auf, an deren Spitze
die Tätigkeit der Vernunft steht. Die körperliche Arbeit in Verbindung der
Herstellung von Gegenständen wurde den Arbeitssklaven überlassen.
Die
positive Wertschätzung der Arbeit im Sinne des Herstellens von Gebrauchs-
werten wurde durch das Christentum vermittelt und von mittelalterlichen Mönchs-
orden mit ihrer Forderung: „ora et labora“ propagiert. Die von Klöstern
betriebene Kultivierung von Brachland und Wildnis trug demnach zur Förderung
des Arbeits- ethos bei und gilt als eine wichtige Voraussetzung für die
Entfaltung eines bürger- lich-kapitalistischen Arbeitsethos, der aber immer
mehr unterlaufen wird.
Abschließend
bleibt festzustellen, dass eine neoliberale Wirtschafts- und Finanz- politik
dazu angetan ist, die gesellschaftlichen Verhältnisse des 18ten Jahrhunderts
wieder herzustellen. Die Argumentation, dass eine Umverteilung von unten nach
oben letztendlich den abhängig Beschäftigten zu Gute kommt, da die
UnternehmenArbeitsplätze schaffen, ist an
intellektueller Unredlichkeit nicht mehr zu übertreffen. Es ist unbestreitbar
der Fall, dass es sich beim Neoliberalismus um eine Theorie handelt, welche als
abstrakt und außerordentlich gefährlich zu bezeichnen ist. Die Umsetzung
einer derartigen Lehrmeinung bewirkt soziale Verwerfungen, bewirkt Fremdenfeindlichkeit
und Ghettobildung. Kurz, sie gefährdet den gesellschaftlichen Zusammenhalt durch
die Aus- und Abgrenzung breiter Bevölkerungsschichten auf das Äußerste.
Offensichtlich
dient eine neoliberale Politk dazu, eine Umverteilung zu Gunsten derjenigen
herbeizuführen, welche dem so genannten Finanzadel und den Begüterten
angehören, und begünstigt demnach eine Kastenbildung nach indischem Muster.
Im
Prinzip kann die Lehrmeinung der Neoliberalen bereits als gescheitert angesehen
werden. Aber die Behauptung von Keynes, dass kein wirtschaftswissenschaftliches
Konzept jemals tot sei, ist bis heute nicht widerlegt. Gerade die Deutschen
müssten aus der Geschichte und dem Nationalsozialismus gelernt haben, was
pseudowissenschaftlich begründete Weltanschauungen an Unglück hervorbringen
können.
Literaturhinweise:
Die
Verfassung der Freiheit, Friedrich August von Hayek
Der
Weg zur Knechtschaft, Friedrich August von Hayek
Friedrich
August von Hayek, Hans Jörg Henneke
http://www.youtube.com/watch?v=t3n-9eMA2nE
(1)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3005/
(2)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3021/
(3)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3027/
(4)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_4658/
(5)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3058/
(6)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_3646/
(7)http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_4324/
(8)http://www.taz.de/Debatte-Alternative-fuer-Deutschland/!115108/
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