Erschienen in Ausgabe: No 93 (11/2013) | Letzte Änderung: 21.10.13 |
Immer mehr österreichische Philosophen wollen ihre Kenntnisse der Öffentlichkeit nicht nur in Analysen oder mit akademischen Veröffentlichungen zur Verfügung stellen. Sie wollen Menschen helfen, alltägliche Konfliktsituationen zu bewältigen. Der Verein für philosophische Lebensberatung bereitet in Wien und Graz einige Dutzend auf diese Aufgabe vor. Und hilft der Philosophie, wieder an die Öffentlichkeit zu treten.
von Christoph Baumgarten
Philosophie und Alltag? In der öffentlichen Meinung in Österreich einander
immer und überall ausschließende Begriffe. Dessen ist sich auch Lisz Hirn
bewusst. Die Philosophin und Künstlerin ist Mitglied der Gesellschaft für angewandte Philosophie (GAP)
und Obfrau des Vereins für
philosophische Lebensberatung. "Die akademische Philosopie hat ihre
Meriten, aber viele Vertreter glauben, dass man es nicht nötig hat, mit dem was
man tut, an die Öffentlichkeit zu gehen", sagt sie im Gespräch mit dem
hpd. Der Bereich praktische Philosophie werde hierzulande kaum wahrgenommen.
Das mag auch daran liegen, dass praktische Philosophen vieles tun können.
Nur keine Lösungen anbieten. "Wir helfen unseren Klienten, die Situation
und die eigene ethische oder moralische Position zu hinterfragen", erklärt
Hirn die Vorgangsweise in der so genannten philosophischen Lebensberatung.
"Wir wollen damit Klienten helfen, für sich eine Lösung zu finden, mit sie
umgehen können und die nicht mehr dysfunktional ist." Als Beispiel nennt
sie Mitarbeiter, die in einen Konflikte zwischen der Loyalität mit der Firma
und ihren eigenen Überzeugungen geraten sind.
"Es sind sehr unterschiedliche Konflikte, mit denen die Menschen zu uns
kommen. Die dahinter liegenden Probleme kommen großteils aus dem Privatbereich,
zum Beispiel mit Spuren von religiösen Denksystemen."
Weiterbildung dauert 4 Semester
In solchen Situationen zu helfen, erfordert profunde Ausbildung. Die
versucht der Verein für philosophische Lebensberatung seinen Mitgliedern auf
gemeinnütziger Basis anzubieten.
Vier Semester dauern die Weiterbildungskurse, die in Wien und Graz angeboten
werden. Zielgruppe sind Menschen mit philosophischer Ausbildung. Sie haben
viele verschiedene Lebenswege hinter sich. "Viele haben eine auch
psychologische Ausbildung, sind Lehrer oder sind enttäuscht von der
Theorielastigkeit der akademischen Philosophie", schildert Hirn.
"Vielen geht es im Bildungsideen und -Projekte. Und natürlich ist auch das
Bedürfnis nach öffentlicher Kommunikation da, was Philosophie leistet."
Um die 25 Philosophen haben sich seit Vereinsgründung 2011 in diese Richtung
weitergebildet. Dazu kommen noch einmal so viele Sympathisanten, die zu
Arbeitskreisen und Diskussionsrunden gestoßen sind. Ärzte, Techniker, Juristen.
"Die bemühen sich, die Praxis zum Beispiel in Familien und Firmen
weiterzutragen."
Rechtliche Rahmenbedingungen schwierig
Philosophische Beratungen anzubieten erfordert einiges an Idealismus. Leben
kann man nicht davon in Österreich. Das liegt zum Teil an den rechtlichen
Rahmenbedingungen. Die Bezeichnung "Lebensberater" ist tabu. Die
Lebens- und Sozialberater haben eine eigene Fachgruppe in der Wirtschaftskammer und
achten penibel darauf, dass jeder, der sich Lebensberater nennt, bei ihr einen
entsprechenden Gewerbeschein gelöst hat.
Das macht es für philosophische Berater zweifellos nicht einfacher. Die
penible Abgrenzung kann gleichzeitig als Vorteil gesehen werden. Die
offiziellen Lebensberater haben seit Jahren mit den esoterischen Praktiken zu
kämpfen, die sich in der Branche breit gemacht haben. Zahlreiche Vertreter
führen etwa "Familienaufstellungen nach Hellinger" durch – eine
irrationale Praxis, die Experten wie der deutsche Psychotherapeut und
Esoterikkritiker Colin Goldner als potentiell gefährlich und politisch
bedenklich einstufen.
Mit der philosophischen Lebensberatung, die sich humanistischen Idealen und
dem rationalen Denken verpflichtet sieht, passt das schlecht zusammen. Dass man
sich nicht Lebensberater nennen darf, verhindert, dass man mit den schwarzen
Schafen der Branche in einen Topf geworfen werden kann.
Lisz Hirn sieht das etwas entspannter. "Wir sind keine Konkurrenz aber
eine Ergänzung. Was wir machen, ist kein Vollzeit-Brotberuf, daher gibt es auch
kein Problem mit den offiziellen Lebensberatern."
Mitunter zeigen sich auch Religionsvertreter skeptisch. Umgekehrt ist der
Verein bemüht, nicht als eine Variante von Seelsorge wahrgenommen zu werden.
Man versteht sich als explizit areligiös. "Wir arbeiten um Gegensatz etwa
zu den Seelsorgern mit rationalen Begründungen. Wir sind keine Seelsorger oder
Tröster", erklärt Vereinsobfrau Lisz Hirn.
In religiösen Fragen bemüht man sich um Wertneutralität. "Wir haben
lange gekiefelt, wie wir damit umgehen sollen, wenn ein Klient aus einem sehr
religiösen Umfeld kommt. Uns geht es nicht darum, ihn aus der Religion
herauszulösen. Wenn sich aber herausstellt, dass das Weltbild für seine
Konfliktsituation falsch ist, besteht schon die Möglichkeit, aufzuklären."
Abgrenzung auch zur Psychotherapie
Abgrenzungsbedarf gibt es auch zur Psychotherapie. Das liegt daran, dass die
praktische philosophische Beratung in Österreich relativ neu ist. "Wir
planen für April eine Tagung gemeinsam mit der Sigmund-Freud-Uni, wo es auch um
die Abgrenzung zur Psychotherapie geht", sagt Hirn im hpd-Gespräch.
"Wir verstehen uns als Ergänzung, nicht als Konkurrenz."
Die geplante Tagung soll helfen, ein zweites Ziel des Vereins neben der
Ausbildung von Beratern zu erreichen. Die Philosophie in der Öffentlichkeit
sichtbarer zu machen. Das ist bitter nötig. Die Disziplin führt in Österreich
gelinde gesagt ein Mauerblümchendasein. Für Hirn eine möglicherweise
schmerzhafte allerdings keineswegs überraschende Entwicklung. "Wir haben
in Österreich kein humanistisches Bildungsideal und auch keine Tradition des
Hinterfragens."
"Gibt kein humanistisches Bildungsideal in Österreich"
Im aktuellen Bildungsideal drehe sich alles um die ökonomische
Verwertbarkeit, kritisiert die Philosophin. "Lehrer vermitteln die Basics,
damit die Schüler später irgendwie durchkommen. In der Gesellschaft haben wir
die gesellschaftliche Abwertung der universalen Bildung weitergetragen, das
Ökonomische steht im Vordergrund. Kunst und Philosophie brauchen wir nicht. Das
sind die Bremser, die Spaßverderber, weil Hinterfragen lästig ist."
Die philosophische Fakultäten an den heimischen Unis tragen in ihren Augen
wenig bei, an dieser Situation etwas zu ändern. "Die akademische
Philosophie hat nicht das Bedürfnis, das Ansehen in der Öffentlichkeit zu
steigern. Dabei ist gerade jetzt die Zeit dazu. Wenn es kein öffentliches
Interesse gibt, steht irgendwann auch einmal die Finanzierung der akademischen
Philosophie infrage. Das ist eine Überlebensfrage der Philosophie in Österreich
an sich."
Quelle: http://hpd.de/node/16942
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