Erschienen in Ausgabe: No 94 (12/2013) | Letzte Änderung: 10.12.13 |
von Beate Sturm
Vorwort
Leben und Wirken von Pfarrer Dr. Paul Sturm(zum
90. Jahrestag der Verkündung der Thesen zu einer neuen Reformation in Weimar)
Paul Sturm wurde am 19. 1. 1891
in Bad Liebenstein bei Meiningen geboren. Der Vater Ernst Berthold Sturm war
Bergwerkbesitzer und u. a. Mitbegründer der Handelsschule in Thüringen. Sturms
Elternhaus war geistig und musisch geprägt und so hatte Paul Sturm schon in
früher Kindheit ein 'Bündnis auf Lebenszeit' vor allem mit Dichtung und Musik
geschlossen, wie er von sich selbst schreibt. Als Kind genoss er eine
Ausbildung in Klavier- und Orgel-Spiel, das von Zeitzeugen als meisterhaft
bezeichnet wird, und er trat auch früh mit Kompositionen an die Öffentlichkeit.
Als Schüler erschienen erste Gedichte in Zeitungen, 1910 der Band „Schatten und
Sonne“, dann die „Kriegsgebete“. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Nordhausen
folgten das Einjährig-Freiwillige[1] und ab 1910 die Jahre des
Studiums. Auf Wunsch des Vaters immatrikulierte sich Paul Sturm zuerst für Jura
in Erlangen. Nach dem Tod des Vaters wechselte er sofort an der Universität
Göttingen zur Philosophie, zur Theologie und Medizin, später erfolgte noch ein
autodidaktisches Studium der Komposition. Zu seinen Professoren der Philosophie
gehören Maier, Husserl, Nelson, Katz u. a. Schon früh haben Sturm religiöse
Fragen wie das Frömmigkeitsproblem beschäftigt und bereits in der Zeit seines
Studiums schwebte ihm der Entwurf einer neuen Glaubenslehre vor. In einer
Autobiographie spricht er davon, dass er vor 1914 ein Lehrbuch über Dogmatik
geschrieben hatte, dem er den Untertitel „Genie und Masse“ gab [heute verschollen].[2]
Er war der
erste Student, der das von seinem Vorfahren mütterlicherseits, Professor
Christian Beyreiß [1730-1809, Universität Helmstedt, mit Goethe und Friedrich
dem Großen bekannt], ausgesetzte Beyreiß-Stipendium erhielt, das für vielseitig
begabte Studenten ausgeschrieben war.
Noch vor Abschluss des Studiums
wurde Paul Sturm 1914 eingezogen, schwer kriegsverletzt durch einen
Lungendurchschuss mit rechtsseitiger Armlähmung und lebenslangen Folgen. Mit
seiner Gesundheit hat Sturm auch einen Großteil seiner für seine Idee
mitkämpfenden Freunde verloren. Er setzte sein Studium fort und legte 1918
beide theologischen Examina in Meiningen ab. 1919 übernahm er dann das Pfarramt
in Hochdorf bei Weimar, Thüringen.
Im Jahr 1921 wurde er in Erlangen
mit dem Thema des Antinomien-Problems bei Prof. Hensel in Philosophie
promoviert und erwarb die Fakultas in den Nebendisziplinen Deutsch, Pädagogik
und Geschichte. Eine umfangreiche zweite Arbeit über die „Kritik der
Gottesbeweise“ wurde von Prof. Grützmacher an der Theologischen Fakultät
Erlangen, später von Prof. Lincke, Universität Jena angenommen. Vom Abschluss
der Promotion und dem Anerbieten Prof. Hensels bei ihm mit dem Thema: „Die
Antinomien – ein Sophisma“ für eine akademische Laufbahn zu habilitieren machte
Paul Sturm keinen Gebrauch, da durch die wirtschaftlichen Kriegsfolgen und den
frühen Tod seines Vaters der Amtsantritt 1919 notwendig wurde, was zugleich dem
Wunsch, in der Stille auf dem Lande arbeiten zu können, entgegenkam.
Paul Sturm trug sich Zeit seines
Studiums mit dem Wunsch, einen Anstoß zu einer religiösen Neuerweckung des
Christentums aus seiner Sicht zu geben. So setzte er unter all seine Schriften
in dieser Zeit: „Mein Ziel ist, das neu reformierte Christentum zur
Weltreligion zu erheben“ und gründete 1923 in Hochdorf bei Weimar das „Institut
für Weltreligion“ mit der Herausgabe der „Thesen einer neuen Reformation“ und
seiner „Richtlinien für eine neue Reformation“. Die Hyperinflation dieser Jahre
brachte auch den Mäzen Sturms, Herrn Konsul Christian Lassen, um sein Vermögen
und sein Mäzenatentum.
In dieser Zeit hatte Thüringen
den Ruf, besonders liberal und offen für modernes Denken zu sein, was Paul
Sturm veranlasste, sich dort in der Nähe der Kulturstadt Weimar niederzulassen.
Er glaubte innerhalb der freien Thüringer Volkskirche, ungehindert seine
reformatorischen Bestrebungen verwirklichen zu können. Am 31.10. bzw.
14.11.1923 leitete er dann auch in Weimar sein Vorhaben eines Reformanstoßes
mit einem Gottesdienst in der Herderkirche Weimar und einem Aufruf zur
Reformation ein. Es folgten in den folgenden Jahren darauf zahlreiche
reformatorische Vorträge in vielen Städten Thüringens als „Sturm-Abende“
[Dichtung, Religionsphilosophie und eigene Kompositionen, selbst vorgetragen
oder mit anderen Künstlern zusammen], die durch die Presseüber Thüringenhinausreichten. Als Beispiele sollen hier 2
Vorträge aufgeführt werden: am 1. 11. 1930: „Religion und Religionsersatz“ im
Stadthaus-Saal Weimar und ein Nietzsche-Abend am 1. 4. 1930 im Schauspielhaus
Mühlhausen/Thüringen.Dazu entbrannte er, dem
Hörer Friedrich Nietzsche, den Thüringer Philosophen, Künstler und
Kirchenkritiker in seiner geistigen und künstlerischen Größe in öffentlichen
Vorträgen nahe zu bringen. Später erfolgte von der Schwester Nietzsches, Frau
Förster-Nietzsche, zweimal ein Antrag auf einen Nietzsche-Lehrstuhl an der
Universität Jena, wofür Paul Sturm vorgeschlagen war, was sich allerdings durch
verschiedene Umstände zerschlug.
Oberhofprediger D. Paul Graue,
mit dem er in dieser Zeit in der Presse in regem geistigen Austausch stand,
formulierte: „Es lebt in Sturm ein ganz ursprünglicher, mit elementarer Wucht
sich geltend machender Sinn für echte Frömmigkeit.“[3] Und der Schweizer Dichter
Carl Spitteler [Nobelpreisträger 1919] bezeichnet Paul Sturm als: „religiöse
Erscheinung individueller, persönlicher Art“[4]. Den Ruf als Pfarrer nach
Gera, nach Berlin und 1928 an den Dom nach Bremen hat er nicht angenommen, um
konzentriert an seinem Lebenswerk arbeiten zu können, was er auch bis zur
Todesstunde tat.
In den Jahren in Hochdorf sowie
den 1928 folgenden Jahren in Ulla bei Weimar und ab 1949 in Jena ist ein
umfangreiches religionsphilosophisches Werk entstanden, das bis heute
unveröffentlicht vorliegt. In der Zeit des Nationalsozialismus endete für Paul
Sturm mit einem Presseverbot sein öffentliches Wirken, was ihn aber nicht davon
abhielt, auf der Kanzel Hitler und seine Statthalter scharf anzugreifen und zu
verurteilen. Das endete dann mit einem Prozess gegen ihn und machte ein darauf
folgendes Untertauchen in der letzten Phase des 2. Weltkriegs notwendig. Sturm
war sowohl in Sachen Politik als auch in seiner selbst übernommenen Mission als
Erneuerer des Christentums immer Einzelkämpfer. Das war auch in der Jenaer Zeit
des diktatorischen Regimes der DDR bis zu seinem Tode 6. 6. 1964 nicht anders.
Zwei Weltkriege, die dazwischen liegende Inflation, zwei Diktaturen haben bis
1949 und auch danach in Jena an der Universität ein öffentliches Wirken oder
Veröffentlichungen unmöglich gemacht. Posthum erschien 1991 die
Aphorismensammlung „Bilder-Klavier“.
Sein umfangreicher Nachlass
umfasst neben dem religionsphilosophischen Werk, das aus mehr als 70 Schriften
besteht, ein schriftstellerisches Werk mit einer Fülle von Gedichten, Aphorismen,
2 Theaterstücke und auch ein kompositorisches Werk mit Liedern, Chorälen,
Tempelhymnen, Musik für Blasorchester, Kammermusik usw.
Er schreibt über sich:
Es
schuf mich Gott mit heißen Gluten
Und
mit dem Lichte der Vernunft,
Doch
leider nicht nach den Statuten
Der
Fakultäten und der Zunft.(Ende der „Inschrift für den Welttempel“)
In der Traueransprache von
Amtsbruder Rausche [damals Superintendent mit Pfarrstelle in Rittersdorf bei
Blankenhain] kommt zum Ausdruck, wie im Leben von Paul Sturm, „ein großer
Mensch“ mit seiner Frau Gertrud, Gehilfin und Mitarbeiterin, mit viel Kampf,
Anfechtungen und Sorgen, ihm auch viel Segen, Gewinn und Freude erwachsen
waren. Das ländliche Pfarrhaus, das zu einem „Tempel des Geistes und der Künste,
aber auch zu einer Stätte liebevoller Hilfsbereitschaft geworden war, in dem
sich der Dichter, der Künstler, der Musiker ebenso wohl fühlte wie der hilfe-
suchende Arbeiter oder die trostbedürftige Bauersfrau“.
Paul Sturm war ein Pfarrer und
ein Mensch, der Liebe lebte, den der Menschheit ganzer Jammer anfasste und der
immer helfen wollte. Liebe zur Menschheit veranlasste ihn zu seiner
Religionsphilosophie, dem Hauptthema aus seinem großen und reiche Schaffen.
Im Gegensatz zu einer
erwerbsmäßigen Theologie, die wohl Lehrsätze und Geleise des Lebens, aber keine
Rätsel kennt, lehrte er das stille große, ehrfürchtige Staunen. Er vermochte
nicht Lehrsätze zu predigen, die eine Gemeinde nicht verstand, gleichgültig
ließ und der „Glaubenssubstanz unseres Volkes ernstlich Schaden brachte“. Es
sollte keiner etwas nachplappern, was er nicht sofort begriff. Das liebevolle
Bemühen, den Menschen vom Wunder der Schöpfung zum Gotteswunder zu führen, das
eigene Gottsuchen durch Anschauung und Gefühl zu erwecken, war ihm Auftrag.
Religiöse Erziehung beginnt für ihn nicht mit dem Gottwunder, sondern mit dem
Weltwunder. Und der Künstler ist ihm Priester in der künstlerischen Steigerung
des Weltwunders als Vorgefühl und Zeugnis für das Gottwunder. So werden auch
Künstler zu Priestern wenn sie in ihren Werken fragen: Künden euch nicht
Weisheit, Ordnung, Stärke und Schönheit vom Herrn der Welt? Es kommt darauf an,
dass der Mensch selbst Augen bekommt Gottes Herrlichkeiten zu sehen.“[5].
Der Sprengelpfarrer Hermann
betonte in seiner folgenden Traueransprache: Paul Sturm sei ein Sucher Gottes
und ein Kämpfer für die Wahrheit gewesen, dazu sei sein größtes Anliegen der
Frieden gewesen, der Frieden im Kleinen und der Frieden in der Welt.[6]
Zu den Lehrern Sturms, die ihn
maßgeblichbeeinflusst haben, soll er
selbst zu Worte kommen:
„Carl Stange, [1870-1959] mein von mir hochverehrter Lehrer (später
Abt in Lokkum und Professor der Theologie in Göttingen), der eine streng
positive Theologie vertritt, hielt einmal eine Predigt, in der er nicht müde
wurde, zu zeigen, wie man Gott in der Natur und in den großen Werken der Kunst
erleben an.“ Dies Erlebnis war Sturm ein Gegenentwurf zur „erschreckenden
Nüchternheit des Protestantismus“[7]. Es verband beide Männer eine
lebenslange Freundschaft.
Von Heinrich Maier [1867-1933, 1. deutscher Lehrstuhl für Philosophie
in Göttingen] berichtet Paul Sturm, dass er keine seiner Veranstaltungen in all
den Jahren des Studiums der Philosophie ausließ, er Sturm als Neukantianer [den
kritischen Realismus vertretend] in Kant, Spinoza, Fichte, Schopenhauer
einführte und durch diese prägte.
Rudolf Otto [1869-1937], Religionswissenschaftler und Professor für
Systematische Theologie in Göttingen,hieltschon 1913 im Weltkongress für „Freies
Christentum und religiösen Fortschritt“ in Paris den Hauptvortrag zum Thema:
„Möglichkeiten einer Universalreligion der Menschheit“.[8] Dies mag seinen Schüler Sturm
angestoßen haben, den Gedanken Weltreligion weiterzuentwickeln. Wenige Jahre
nach dem Vortrag trat Otto mit seinem berühmt gewordenen Hauptwerk „Das
Heilige“, Untertitel: „Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein
Verhältnis zum Göttlichen“ an die Öffentlichkeit, das in alle Hauptsprachen der
Welt übersetzt wurde. Hier geht es Otto um das Gotteserlebnis, die Erfahrung
des Erhabenen über das Gefühl mit dem Heiligen, das für ihn das Zentrum aller
Religionen ist. Otto ist der erste, der differenziert religiöse Erfahrung des
Menschen analysiert und betrachtet, was auf die damalige Theologie eine
öffnende Wirkung hatte. Die Idee des Irrationalen der Gottheit, die sich dem
begreifenden Vermögen entzieht, kann nur im Menschen „erweckt“ werden. Alle
religiösen Empfindungen von der Berührtheit bis zu tiefer Erschütterung kennt
Paul Sturm aus eigenem Erleben, sie durchziehen sein großes lyrisches Werk.
Jesus verkündet das „Evangelium
vom Reich“, das „Ganz andere“. Sturm nimmt seinerzeit dazu und zu Ottos Werk
Stellung und schreibt: „Das Heilige, das Objekt der Religion, ist nicht wie von
Otto behauptet das jenseitige im Gegensatz zum diesseitigen Sein, sondern das
Sein im Gegensatz zum Nichtsein.“[9] Für Sturm ist das Sein
[zuerst das Diesseits] das „Wunder“, und diesesnimmt bei ihm einen zentralen Punkt in der Religiosität, der Frömmigkeit
ein. An dieser Differenz wird dann der jahrelange geistige Austausch zwischen
Otto und Sturm abbrechen.
Bei Otto erhielt Sturm auch die
erste Einführung in Schleiermacher
[den „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“] zum Thema: „Was ist Religion“ aus
dessen erster Schrift: „Über die Religion, Reden an die Gebildeten unter ihren
Verächtern“ [10].
Für Schleiermacher besitzen Religion, Metaphysik und Moral denselben
Gegenstand: das Universum und das Verhältnis des Menschen zu ihm und einem
höchsten Wesen, dessen Werk alles ist. Schleiermacher klagt: Der Mensch wird
durch die Theologie nicht als ein Teil des Universums und als etwas Heiliges
empfunden, sondern dem Universum entgegengesetzt. Das Universum offenbart sich
uns in ununterbrochener Tätigkeit in jedem Augenblick, ... alles Einzelne als
Teil eines Ganzen – das ist Religion.[11] „Religion haben heißt das
Universum anschauen“, denn Gott ist nicht Alles in der Religion, sondern Eins,
das Universum ist mehr. Und der Kunstsinn, der für ihn 'heilige Ehrfurcht'
hervorruft, könne übergehen in Religion.[12]
„Was ist ein Wunder?“[...Es ist]
die unmittelbare Beziehung einer Erscheinung auf's Unendliche, auf's
Universum.“[...] „Je religiöser ihr wäret, desto mehr Wunder würdet ihr überall
sehen.“ […] „Was heißt Offenbarung? Jede ursprüngliche und neue Anschauung des
Universums ist eine [solche].“[13] Das „Wunder des Seins“ nimmt
bei Sturm eine Schlüsselrolle ein und die Erfahrung dessen führt zu seinem
Frömmigkeits-Begriff. Dieses, sein Verständnis von Frömmigkeit bedarf auch bei
Sturm keines Gottesbeweises, wie er in seinem Entwurf darlegen wird.
Schleiermacher setzt fort, dass die „Anschauung“ dazu führt, dass sich die
scharfen Umrisse unserer Persönlichkeit erweitern und sich ins Unendliche
verlieren können, dass wir „durch das Anschauen des Universums so viel als
möglich eins werden sollen mit ihm.“[14]
Dies macht auch verständlich,
dassReligion haben für ihn nichts mit
Dogmen, Lehrsätzen und einer heiligen Schrift zu tun hat, dieihm nur ein Mausoleum, ein Denkmal der Religion
ist, was daran erinnert, dass ein „großer Geist da war“. [15] Die Gottheit, fährt
Schleiermacher fort, sehen die meisten als einen Genius der Menschheit und den
Menschen wiederum als ein „Urbild“ ihres Gottes. Für Schleiermacher ist das
höchste Wesen, „der Geist des Universums, der es mit Freiheit und Verstand
regiert“, aber von dieser Idee hängt für ihn die Religion nicht ab. „Religion
haben heißt das Universum anschauen“, wie oben schon zitiert. Und er
kritisiert, das Ziel der Religion war seinerzeit, „ein Universum jenseits und über
der Menschheit zu entdecken.“ [16]
Sturm grenzt sich auch hier
scharf gegen konservativen Zeitgeist ab und schreibt, bezogen auf seinen
Zeitgenossen und Religionsphilosophen Friedrich Gogarten: „Bei Gogarten fängt
das große Wunder mit dem Tode an, bei mir mit der Geburt.“[17] Sturm setzt sich zeitlebens
mit Schleiermacher auseinander und schafft 120 Jahre nach Erscheinen von
Schleiermachers „Über die Religion“ einen
geschlossenen Religionsentwurf, der hier vorliegt und heute ebenso aktuell ist
wie damals. Schleiermachers Kritik an der Kirche seiner Zeit betrifft das
Glauben und das Vollziehen von Gebräuchen anstelle von Anschauen und Fühlen. Er
vermisst 'wahre Priester', eine 'wahre Kirche' für das 'wahre Prinzip der
Religion' und nennt die Kirche 'Anstalt für die Lehrlinge in der Religion' oder
'Gesellschaft' und ersehnt ein goldenes Zeitalter der Religion nach von ihm
angekündigten bevorstehenden Umwälzungen.[18]
Die Kritiker des liberalen
Schleiermacher sind Karl Barth,
Friedrich Gogarten, Rudolf Bultmann, Rudolf Otto, letzterer findet den
Begriff „fromme Abhängigkeit“ für Andacht und Ergriffenheit als treffend
gewählt, unterwirft ihn allerdings einer kritischen Analyse. Sturm nimmt in der
folgenden Hauptschrift mehrfach zu dem von Otto so bezeichneten „Gefühl der
Abhängigkeit“ kritisch Stellung .
Schleiermacher und Kant haben mit ihrer Kritik
entscheidenden Einfluss auf die Theologen, insbesondere auf Paul Sturm
genommen. 1793 erschien von Kant „Die Religion innerhalb der Grenzen der
Vernunft“ im Rahmen der allgemeinen Aufklärung und der Dialoge in
literarischen, philosophischen und theologischen Fragen. Für Kant ist Gott als
„Schöpfer der Naturdinge“ auch oberster Gesetzgeber und es kann für einen
„göttlichen Staat“ mit Menschen guten Lebenswandels nur eine ethische, eine
moralische Gesetzgebung gemäß Vernunft, Herz und Gewissen geben. Das ist für
ihn reine Vernunft. Die Annäherung zum höchst möglichen Guten im Lebenswandel
und der moralischen Gesinnung auf Erden, der Liebe als innerstem Gesetz und der
Liebe als Pflicht sind ihm Maß und führen für Kant unweigerlich zur Religion.[19] Kant grenzt „Kirchenglauben“
[Bereich der Theologie], der für ihn auf historischen Statuten, Lehren aus
göttlicher Offenbarung beruht, verknüpft mit einem Kultus, klar gegenüber einem
„reinen Vernunftglauben“ [Bereich der Philosophie] ab. Der Vernunftglaube
gründet sich gänzlich auf Verbesserung des Menschen innerhalb der Freiheit
eines jeden und in Achtung des Sittengesetzes.[20] Für Kant möge Kirchenglauben
allmählich zur allgemeinen Vernunftreligion übergehen und so zu einem
[göttlichen], ethischen Staat auf Erden werden,[21] ohne Aberglauben,
Sektenspaltung, sondern mit moralischer Herzensgesinnung und „Liebe als innerem
Gesetz“. „Die Idee eines höchsten Gutes in der Welt“ [Gott] ist für Kant das
höchste in uns lebende Ideal für unser Streben.[22] Die Öffnung für einen
ethischen Staat auf Erden mit einer von der Vernunft geleiteten Religion
bedeutet auch eine Öffnung für Toleranz gegenüber anderen Religionen, womit in
der Zukunft ein Fundament für eine allgemeine Weltreligion gelegt werden kann,
die Frieden stiftet statt Kreuzzüge und Wissenschaftsfeindlichkeit. Kants
Kritik führte zu einer „Moralphilosophie“, wie Sturm sie bezeichnet. Sturm geht
auch begrifflich über den „Vernunftglauben“ hinaus, sein Weg ist der „vom
Glauben zum Wissen“ und dieses Wissen stammt aus einer umfassenden
Gotteserfahrung, einem Gott-erleben, das bei Kant in der Weise, wie es bei
Sturm entwickelt wird, noch nicht zu finden ist.
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich [1770-1831]
darf hier nicht ungenannt bleiben. Mit seinem unmittelbar nach dem
Theologiestudium 1795 24-jährig fertiggestellten „Leben Jesu“ im Range eines
Kandidaten der Theologie in Württemberg, das damals als „protestantisches
Spanien“ bezeichnet wurde. Die Veröffentlichung erfolgte nicht zu Lebzeiten,
sondern erst 1907 aus dem Nachlass. Die Entstehung dieses Werkes war seinerzeit
von Kants kritischer Philosophie und der Fanzösischen Revolution gesäumt. Hegel
hat aus dem Leben Jesu alles Übernatürliche, jeden Mythus getilgt, Jesus endetohne Wundertaten,
Prophezeiung und Himmelfahrt am Kreuz.[23] Der „vernunftbegabte Mensch“
erfüllt allein durch den Glauben an die Vernunft seine hohe Bestimmung. Er wird
von der Vernunft geleitet und veredelt. Der unvergängliche Schatz in einem
jeden Menschen ist für Hegel der Reichtum an Moralität und das führt zum
höchsten Ziel des Bestrebens, dem „Reich Gottes“, dem Reich der Sittlichkeit.
Gottes Wille ist nur durch die Gesetze der Vernunft erfahrbar.[24] „Gott verlangt Liebe, nicht
Opfer.“[25] Das finden wir auch bei Kant
und werden es bei Sturm in der „Vernunftreligion“ wieder finden.
Kant, Hegel und Schleiermacher
gehören für Sturm zu den wesentlichen geistigen Vätern und führen ihn zu Friedrich Nietzsche, den er seinen Vorläufer nennt. Sturm charakterisiert
Nietzsches Vorgehen in seinem Artikel im „Thüringer Land“ als „bedingungsloses
Niederreißen des alten Tempels christlicher Religion,“ Nietzsche, der auch
„Götzenbilder erzittern lässt“. „Dieser Angriff ist allerdings nur gegen eine
'bestimmte Art der Religionsauffassung' gerichtet und will nicht den
'Gottesglauben schlechthin' bekämpfen, sondern nur einen ganz bestimmten
Gottesbegriff.“ Das Weltbild des idealistisch ausgerichteten Philosophen ist
ohne ein göttliches Prinzip nicht denkbar. Sturm sieht Nietzsche als einen
geistigen Revolutionär, der in seinem „Zarathustra“ als der „große
Moralprediger beseelt von heißer Wahrheitsliebe der Welt einen Spiegel vorhält.
Dies tut er mit rücksichtsloser Schärfe, indem er bestehende Institutionen und
Ordnungen geißelt. Mit prophetischem Hellblick begabt, wird er zum Verkünder
eines neuen Ethos. […] Als Ausdeuter alter ewig unverbrüchlicher göttlicher
Gesetze mahnt er zu Tugend, zu Reinheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit, Opfermut.“[26] Sturm: „Nietzsche ist mehr
als ein großer Dichter Thüringens, er ist ein überragendes Genie, ein Prophet,
der mit klarem Blick die Zukunft des Weltbildes erahnt.“[27]
Sturm schreibt in seinen „Gesammelten Blättern“ 1923:
„ Mag einer den Namen Nietzsches nicht
richtig schreiben,
wenn er ihn
nur–g r o ßschreibt.“Paul Sturm
Er setzt in den Gesammelten
Blättern fort: „Aber wie – Nietzsche, der Atheist und Kirchenfeind in der Reihe
der Gottesmänner? Ja: denn weder ihm, noch irgend einem der vielen anderen als
Ketzer verschrieenen Dichtern und Denkern ist es je eingefallen, Gott zu
leugnen. Wie solltensieauchdas leugnen, wasein ganzes Lebenhindurch vorihren Augen war! Dem Dasein, d. i. G o t twandten sie vielmehr ihr ganzes Interesse und
ihre Liebe zu. Sie haben vielleicht nur einen anderen Namen für ihn.
Keinesfalls aber gilt ihr Leugnen und ihre Absage Gott, sondern immer nur einer
bestimmten Auffassung von Gott, der sie ihre eigne entgegensetzen. [Sie sind]
erfüllt von allzu großer Menschenliebe und Demut, mit Achtung auch vor der
Überzeugung anderer hat, abgestoßen von der selbstherrlich-intoleranten Art,
[die man in Sachen Religion] … am allerwenigsten erwarten sollte. Darum standen
sie der jeweils gültigen Volksreligion und ihrem Dogma gleichgültig – oder wie
Jesus – feindlich gegenüber. Ja, auch Nietzsche gehört hierher. Luther, Kant,
Nietzsche heißen unsere deutschen Propheten. Sie sind die wahren Nachfolger
Jesu, nicht seine Nachahmer und Nachbeter, sondern ganz und in allem Eigene wie
er. Er [Jesus] war ihr großer Lehrmeister. Wir streiten nicht darüber, ob er
ein menschlicher Gott oder nur ein göttlicher Mensch gewesen ist. Wir brauchen,
wenn wir ihm nacheifern wollen, ja nicht zu wissen wer, sondern nur wie er
war.“ [28]
Karl Jaspers begreift
Nietzsche ebenso wie Sturm und schreibt: „Sein Kampf gegen das Christentum
will keineswegs das Christentum einfach preisgeben, [...] sondern er will es
überwinden und überbieten und zwar mit Kräften, die das Christentum, und in der
Welt nur dieses entwickelt hat.“[29] „...er will aus Moral mehr
als Moral“ und stellt sich aus christlichen Antrieben gegen das Christentum.“[30]„Das Christentum als Glaubensinhalt und
Dogma ist ihm von Anfang an fremd; nur als eine menschliche Wahrheit in
Symbolen bejaht er das Christentum (1862)“ führt Jaspers weiter aus [31]ebenso wie Paul Sturm in seinen Schriften.
Nietzsche selbst sagt: „...Dass Gott Mensch geworden ist, weist darauf hin,
dass der Mensch nicht im Unendlichen seine Seligkeit suchen soll, sondern auf
der Erde seinen Himmel gründe. […] Was mich abgrenzt, das ist, die christliche
Moral entdeckt zu haben [...] – die bösartigste Form des Willens zur Lüge...“[32]
„Gott ist tot“ für die Welt. Das
heißt für Nietzsche nicht: „Es gibt keinen Gott“ und auch nicht: „Ich glaube
nicht an Gott.“ Jaspers nennt dies eine psychologische Feststellung oder
„Seins-Wahrnehmung“ Nietzsches hinsichtlich der wachsenden Glaubenslosigkeit.[33]„Wir
haben ihn getötet.“[34]Jaspers erklärt: Die Ursache des Todes
Gottes ist für Nietzsche das Christentum. Denn vom Christentum wurde einst alle
Wahrheit zerstört, aus der der Mensch vordem lebte: die Wahrheit des Lebens
vorsokratischer Griechen und diese wurde durch Fiktionen ersetzt wie: Gott, moralische Weltordnung, Unsterblichkeit, Sünde, Gnade und Erlösung.[35] Nietzsche beschreibt Jesu
Grundhaltung dieses wahren, dieses ewigen
Lebens so, dass es keine Gegensätze mehr gibt, man nirgends Widerstand
leistet, weder im Wort noch im Herzen, dass man nichts verneint, alles bejaht –
Jesus nennt diese Haltung Liebe[36].
Er fährt fort: „Das Christentum ist von Anfang an eine vollständige Verkehrung
dessen, was Wahrheit für Jesus war.“ „Im Grunde gab es nur einen Christen und
der starb am Kreuz.“[37]Jaspers:
„ … das letzte Wort ist von ihm nie und nirgends gesprochen.“„Er führt uns ständig in seinen
Denkprozessen zu Zwei- und Mehrdeutigkeiten, zur Gegeninstanz. Alles wird auf
uns gelegt. Wahr ist nur, was durch Nietzsche aus uns selber kommt.“[38]Schreibt ein
Gott-Verächter ein solches Gedicht wie dieses: „Dem unbekannten Gott“?!
Die theologischen Debatten im Protestantismus in Deutschland um die
Jahrhundertwende des 19. zum 20. Jahrhundert
wurden von verschiedensten
Vertretern, Richtungen und Bewegungen geprägt. Das „praktische Christentum“ z.
B. trennte sich von dem„Seligkeits-Christentum“, das nur vom Himmel redet. Christlich soziale
Ideen suchen ein Podium, Anhänger eines freien Christentums finden sich zur
Diskussion der wichtigsten religiös-theologischen Probleme der damaligen Zeit.
Der deutsche Theologe Martin Rade [1857-1940] pflegt schon 1907 den Kontakt zu
den Religiös-Liberalen, den sogenannten Unitariern[39] in den USA zu deren
Kongress, die damals dort schon 450 Gemeinden zählten.[40] Die erste „Freie unitarische
Religionsgemeinschaft“ in Deutschland entstand schon 1845 in Frankfurt. Sie
betrachten sich kirchengeschichtlich als konsequenten Flügel der Reformation
und im Sinne der Bergpredigt Jesu als Christen mit strikter Toleranz allen
anderen Glaubensformen gegenüber. Ihre religiösen Erkenntnisse schöpfen sie aus
inspirierten Schriften alle Religionen, aus eigener innerer Erfahrung und der
Betrachtung der Welt. Wissenschaftliche Erkenntnis kollidiert nicht mit
Religiosität, neue Erkenntnisse können auch Religiosität wandeln.1963 übernahm
Albert Schweitzer (Theologe, Philosoph, Arzt, Musiker) die Schirmherrschaft über
die „Unitarische Kirche in Berlin“. Ihn nennt Paul Sturm meinen „geistigen
Zwillingsbruder“[41].
Geistig war Sturm den Unitariern ganz nah, ohne bedauerlicherweise einst
Kontakt zu ihnen bekommen zu haben.
Die Spanne der theologischen
Ausrichtungen reicht von der lutherischen Orthodoxie eines Theodosius Harnack,
Vater von Adolf Harnack, über die Vermittlungstheologie [Protestanten-verein],
die mit der politisch liberalen Bewegung in Verbindung zu sehen war, bis zur
kritischen Theologie der Tübinger Linken.
Albrecht Ritschl [1822-1889] soll
hier erwähnt werden, der um 1860 eine Neuorientierung der evangelischen
Theologie mit eingeleitet hat im Einklang mit der allgemeinen Kulturentwicklung
der Zeit in nationaler und liberaler Aufbruchstimmung (Kulturprotestantismus
vorzüglich in Städten).[42] Er forderte eine kirchliche
Restauration zu einerneuen „strammen
protestantischen Kirche“, gereinigt vom Katholizismus und Pietismus als
„geistige Macht“, kritisch den bestehenden Dogmen gegenüber. Der Kern seiner
Lehre ist die Person Jesus Christus, in religiöser Sicht ist er von
Schleiermacher und im ethischen Handeln von Kant geprägt. Dies gilt auch für
seine Mitstreiter.[43] Adolf Harnack, Ernst
Troeltsch und Martin Rade wurden Schlüsselfiguren dieser Entwicklung, besonders
Harnack als Wortführer der liberalen
Theologie. Sie gründeten und leiteten mit anderen ab 1887 den Verlag die
„Christliche Welt“, ein „Evangelisch-Lutherisches-Gemeindeblatt für die
gebildeten Glieder der evangelischen Kirchen“. Dieses war ein liberales Organ
(erschien bis 1941) und war die angesehenste Zeitschrift der deutschen
Protestanten, in der man über dem Streit aller theologischen Richtungen und
politischen Parteien stehen und neutral berichten wollte. Trotz der großen
Meinungsverschiedenheiten auf theologischem wie kirchlichen Gebiet war es ein
gegenseitiges Tragen und ein sich einig Wissen, was Jahrzehnte hindurch etwas
ganz Besonderes im deutschen Geistesleben bedeutete. U. a. gehörten Rudolf
Bultmann und Friedrich Gogarten zu den „Freunden der Christlichen Welt“, Karl
Barth aus seinem Studium bei Harnack liberal beeinflusst, war sogar einige Zeit
Hilfsredakteur, um nur einige zu nennen.[44]
Johannes Rathje beschreibt in
seinem Buch, dass es seinerzeit in den großen deutschen Kirchengebieten mit
lutheranischer Grundlage eine Schwierigkeit gewesen sei, in eine Aktion für
„freies Christentum“ in Deutschland einzutreten. Er begründet die Notwendigkeit
dieser Aktion damit, dass die Reformation hier keine „Revolution“ gewesen sei,
sondern nur eine „reformierte katholische Kirche“ entstanden sei - im Gegensatz
zu den Reformierten außerhalb Deutschlands, den Calvinisten, die er als „neue
Kirche“ bezeichnet.[45]
In der „Vereinigung der Freunde
der Christlichen Welt“ wurden folgende Beschlüsse gefasst:
1unbedingte Freiheit der theologischen
Wissenschaft und das Recht öffentlicher Aussprache,
2Freiheit der Überzeugungsbildung für
die künftigen evangelischen Geistlichen und Lehrer, Schutz der im Amte
stehenden gegen Engherzigkeit, willkürliche Zensur bei ihrer Wirksamkeit,
3Bekämpfung starrer, uniformierter
Regeln bei Gottesdienst und kirchlichem Gemeindeleben,
4dem
Bedürfnis der Gemeindemitglieder nach Klärung und Vertiefung religiöser
Erkenntnis muss entsprochen werden, um die Abwendung vieler Mitglieder zu verhindern.[46]
Zu den alljährlichen Eisenacher
Zusammenkünften von Protestanten fanden sich hunderte gesinnungsverwandter,
offener Theologen aus ganz Deutschland ein, um den Kampf gegen das rettungslos
Veraltete in der Kaiserzeit aufzunehmen, was allerdings nicht immer Ergebnisse
zeitigte. Es war wohl bisher in der Geschichte der evangelische Kirche noch
nicht da gewesen, dass trotz einschneidender Differenzen untereinander versucht
wurde, das Christentum des anderen achten zu lernen. 1910 erfolgte der 5. Weltkongress
„Für freies Christentum und religiösen Fortschritt“ in Berlin, Martin Rade
wurde in das Komitee gewählt und argumentiert: „Wir haben mit einer vertieften
Auffassung unseres kirchlichen Christentums den Kampf für größere Freiheit zu
verbinden.[47]
1913 nahmen 'die Freunde' der „Christlichen Welt“ am 6. Welt-Kongresse „Für
freies Christentum und religiösen Fortschritt“ in Paris teil, von beiden nahmen
die landeskirchlichen Behörden keinerlei Notiz. Rudolf Otto [der spätere Lehrer
Sturms], derzeit Mitglied der „Freunde der Christlichen Welt“, hatte das
Hauptreferat übernommen, dies war ein bedeutender Beitrag auf dem Kongress:
„Ist eine Universalreligion möglich? Und wenn, wie kann man sie erreichen?“
Seine Antwort lautete, sie sei schon längst im Werden und werde sich auch unter
den christlichen Religionen entwickeln können und sie sei wünschenswert, nicht
allerdings in einer Universalorganisation der Menschheit und organisierten
Kulten möglich.[48]
Rade sagte dazu: „Die Weite, mit der dort jeder Religion ihre innere
Entwicklung zuerkannt, und die Entschiedenheit, mit der dasselbe Recht sich
geltend zu machen mit all seinen Zukunftsansprüchen insbesondere für das
Christentum reklamiert wurde, liegt auf der Linie unseres besten Wollens.“[49]
1914 noch vor Kriegsausbruch
begann die kirchliche Freundschaftsarbeit mit England, Irland und den USA zur
Vorbereitung für einen Weltkongress in London. Harnack war Mit-Initiator und
seine Rede in London - ein Denkmal von kirchlicher und politischer Bedeutung -
reichte bis in die USA. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges begann eine
tiefe Spaltung innerhalb der Theologen, die so hoffnungsvoll auf eine
Erneuerung des Protestantismus seit der Jahrhundertwende hingearbeitet hatten.
Sie sahen auch ihre internationalen Bemühungen um gegenseitiges
Religionsverständnis völlig zerstört und waren dazu in ihrem Glauben
erschüttert. Die Aufbruchstimmung in Religion, Kultur und Gesellschaft in
Deutschland brach jäh ab. Das Land war nach dem Krieg wirtschaftlich, kulturell
und geistig am Boden. Dann setzte die Hyperinflation ein und nach einem neuen
kurzen kulturellen und geistigen Aufschwung zugleich die Abspaltung der
dialektischen Theologen unter Karl Barth sowie die politische Differenzierung
vor und in der einsetzenden kirchenfeindlichen Diktatur Hitlers in die
„Deutschen Christen“ - schon 1929 in Thüringen - und die „Bekennende Kirche“
unter dem Widerständler Martin Niemöller.. Das große Ziel einer Erneuerung der
Kirche insgesamt sowie der Neuordnung der 29 Landeskirchen in der Nach-Kaiserzeit
konnte innerkirchlich nicht mehr geschehen.
Hier muss besonders auf zwei
Theologen eingegangen werden, die maßgeblich in dieser Zeit gewirkt haben, das
sind Karl Barth und Rudolf Bultmann. Karl
Barth [1886-1968] genießt unter den Theologen den Ruf des Kirchenvaters des
20. Jahrhunderts. Seine Rolle muss hier kurz beleuchtet werden, da er sowohl
theologisch als auch politisch aus der Gruppe der „Freunde der Christlichen
Welt“ herausragt. Anfangs war er an der liberalen Zeitschrift „Christliche Welt“
Hilfsredakteur, dann aber durch die große Erschütterung, die der Erste
Weltkrieg bei ihm als Pazifisten hervorrief, rang er um ein neues
Welt-Gott-Verständnis für sich als Theologe. Die meisten seiner Kollegen und
Lehrer hatten den Krieg bejaht. Die Zerrüttung der bürgerlichen Werte und der
Kulturvorstellung veranlassten ihn, sich nach dem Versagen der Kirche insgesamt
gegenüber dem selbst verschuldeten Ersten Weltkrieg dem Wort Gottes, d. h. der
Bibel zuzuwenden und besonders Paulus letztem Brief an die Römer.
Die Arbeit daran und das Studium
der Reformatoren Luther und Calvin schlugen sich in einem „Kommentar zum
Römerbrief“ nieder. Dieser erschien 1919, in sehr überarbeiteter Form 1922 noch
einmal. Barth war ein großer Verehrer von Schleiermacher und den „Reden über
die Religion“ sowie von Otto und dessen Hauptwerk „Das Heilige“. Barth gelangt
zu einer radikalen Gegenüberstellung „von Werk und Glauben“ und steht vor dem
Problem, als Theologe über Gott reden zu sollen, es aber als Mensch nicht zu können.
Diese Dialektik führt ihn zu Jesus Christus, der Gott offenbart. Das bedeutet,
er sieht die Transzendenz Gottes nur in Christus, der „Einheit von Gott und
Menschen“. Gott selber ist für Barth nur durch sein Wort aus dem Munde Christi,
also aus der Bibel erfahrbar. Für Barth wird derG l a u b edas Zentrale und dieser Glaube erwächst aus einer gelungenen Predigt,
aus „dem Wort Gottes in Christus“. So bekommt auch das Trinitätsdogma durch
Barth wieder eine stärkere Bedeutung.[50] Auf die Frage, was Barth
unter „religio“ versteht, antwortet er „Glaube und Gehorsam“, an anderer Stelle
aus: Gehorsam folgt Glauben..[51]
Bultmann kritisiert Barth anfangs
heftig, weil dieser sich mit seiner neuen „Wort-Gottes-Theologie“ gegen die
psychologisierende, historisierende Auffassung der Religion oder sogenannten
liberalen Theologie wendet und schreibt: Barth „kämpft gegen allen
Erlebniskult“ und gegen die Auffassung, dass die Religion ein „Kulturphänomen“
sei. Bultmann, Barth und dessen Lehrer Harnack waren zuvorliberaleGleichgesinnte, die damals wie viele liberale Vertreter um Martin Rade
und die „Christliche Welt“ diee i g e n
eG o t t e s e r k e n n t n i soderG
o t t e s e r f a h r u n gsuchten.Ein solcher Sucher in
jener wie auch in der folgenden Zeit war auch Paul Sturm.
Die Debatte zwischen Barth und
Brunner, seinem zeitweiligen theologischen Mitstreiter für diedialektische Theologie und zwischen Barth und
den liberalen Theologen hielt an und wurde allmählich zurKluft zwischen ihnen.[52] Die Diskussion zwischen
Barth und Bultmann, der sich dem Thema der Entmythologisierung des Neuen
Testamentes zuwandte, wie auch mit Gogarten[53], riss bis 1966 nicht ab.[54] Mit der so genannten
„dialektischen Theologie“ war eine neue Epoche der evangelischen Theologie
entstanden. Diese neue Bewegung war ein Schritt zurück in die Orthodoxie. Die
zwei wichtigen Liberalen Ernst Troeltsch
und Paul Tillich, Gegner Barths,
fehlten in der Debatte durch frühen Tod 1923 bzw. Emigration schon 1933 in die
USA. Paul Tillich ist mit Albert Schweitzer nach Gründung des „Bundes für
freies Christentum“ 1948 prägendes Mitglied.
Sturm bezeichnet Barth als extrem
orthodox und äußert erstaunt, dass sich Barth zum Offenbarungsgedanken einmal
dahingehend bekannt hat, dass es auch außerhalb der Bibel Wahrheiten gäbe, also
Offenbarungen.[55]
Barths Rückwendung zur Offenbarungsreligion, die dasChristentum von allen anderen Religionen
trennt, steht nicht nur der Suche nach Erneuerung des Protestantismus entgegen,
sondern auch dem ökumenischen Gedanken einer Weltreligion, der alle Suchenden
Anfang des Jahrhunderts bewegte.[56] Es ist notwendig, Barths
konsequente politische Haltung bei der beginnenden christenfeindlichen Diktatur
in der Gleichschaltung der evangelischen Kirche mit der Nazi-Ideologie zu
würdigen. Er verweigerte den Beamteneid auf Hitler, verlor seine Lehrtätikeit
an der Universität und stand dann Martin Niemöller bei der Gründung der
„Bekennenden Kirche“ geistig zur Seite.[57] Barth wehrte sich 1933 mit
einer Schift „Theologische Existenz heute“ grundsätzlich gegen eine
Reichskirche mit Reichsbischof, er schreibt, eine Kirchenreform sei
ausschließlich Angelegenheit der Kirche selbst.[58] Er verließ Deutschland,
lehrte in der Schweiz und wurde 1940 Soldat im bewaffneten Hilfsdienst für eine
Abwehr gegen eine Hitlerinvasion. Nach 1945 setzte er sich wiederum für die
Versöhnung mit den Deutschen ein.
Über Friedrich Gogarten
[1887-1967] sagt Sturm:“ „Bei Gogarten fängt das große Wunder mit dem Tode an,
bei mir mit der Geburt.“ [59] Und er führt fort über
Gogarten (der Abgott vieler positiver Theologen!), der einmal sagte, „wenn man
den Mythos als Wirklichkeit ausgibt, fügt man der Religion schweren Schaden zu.
Anerkennend Sturm dann: So weit sind wir heute schon!“ [60] Gogartens Generalthema war
„Der Mensch zwischen Gott und Welt“.
Rudolf Bultmann [1884-1976] gehört in den 20-er Jahren zu dem Kreis
der liberalen Theologen um Martin Rade und ist ein Schüler von Adolf von
Harnack, der den Kulturprotestantismus wesentlich vertreten hat. Nach der
seelischen Erschütterung, die der Kriegsbeginn 1914 und damit das Scheitern der
Bemühungen um eine Erneuerung des Christentumsin ihm auslösten, wandte er sich allmählich von der liberalen Theologie
ab und dem Studium der Existenzphilosophie Heideggers zu. Er beschäftigte sich
mit historisch-kritischer Forschung der Bibel im Interesse seines Themas
„Existenz des Glaubens“. Dies hat ihn immer mehr in Opposition zu Barth
gebracht und die Gemeinsamkeiten mit Brunner deutlicher werden lassen.[61] Sein wesentliches Thema ist
die 1941 begonnene „Entmythologisierung“, die Jaspers folgendermaßen erläutert:
„Die mythologische Sprache ist
Chiffrensprache...für die Transzendenz, für den transzendenten Gott.“[62] Bultmann sagt dazu selbst:
„Ziel ist nicht das Entfernen mythologischer Aussagen, sondern ihre Auslegung.
[Entmythologisierung] ist eine Deutungsmethode.“[63] Hinter dem Mythos möchte er
die tiefere Bedeutung des Mythos aufdecken. Bultmann sieht durch das moderne
Weltbild und die Wissenschaftdie
biblischenGlaubensgegenständebedroht oderzerstört und möchte denG l a u -
b e n durch seine existentiale
Interpretation retten.[64] Jaspers Kritik daran ist:
dass der Mythus„Bedeutungsträger“ ist
und eine Deutung rational nicht möglich ist. „Vielmehr geschieht die Deutung
durch neue Mythen...Mythen interpretieren einander.“ „Weil Bultmann den Gehalt
mythischer Sprache als unübersetzbare Wahrheit verkennt, wirkt sein
Denken...fast erstickend auf Jaspers.“[65]
Er glaubt, dass sich hinter
Bultmanns Bemühen der Kampf der Orthodoxie gegen die Liberalität verbirgt.
Orthodoxie herrscht nach Jaspers dort, wo Bewegung im Wissen aufhört, wo
vollendetes Bescheid-Wissen oder Fertigsein herrscht und er schreibt
„Liberalität ist im Bunde mit der echten Aufklärung, der unaufhaltsamen
verantwortlichen Bewegung der Vernunft, ohne je vollendet zu sein...“ Er
mutmaßt, Theologen machen es sich wohl immer wieder zur Aufgabe, den Glauben
gegen die Aufklärung zu retten. Bultmanns Methode hierin ist, die Aufklärung
maximal zu akzeptieren, um denG l a u b
e ndann „um so entschiedener zu
behaupten“, d. h. die Orthodoxie zu stabilisieren.[66]
Am deutlichsten tritt Orthodoxie
zutage, wenn es um den „Glauben an dieOffenbarung“ geht, die „Offenbarung Gottes“ als von Menschen empfangene
Stimme Gottes, Tat Gottes. Jaspers schreibt: „Diese Offenbarung wird in der
Liberalität nicht geglaubt“, … „Orthodoxie verlangt das Bekenntnis des Glaubens
an die Offenbarung“und die Offenbarung durch Menschen bezeugt, aus der Bibel,
über die Kirche vermittelt gebietet Gehorsam „der Stimme Gottes“ und gegenüber
den Aussagenund „diesen Gehorsam
nennen sie G l a u b e n“.[67] Bultmann hält am
Heilsgeschehen fest, seine „Position ist ganz und gar orthodox trotz der
Liberalität des Forschers“ in ihm. Liberalität lässt Offenbarungsglauben „an
ein Heilsgeschehen gelten als mögliche Wahrheit für den, der es glaubt, sofern
der Gläubige nicht durch Tat und Wort“ die Freiheit des anderen zerstört oder
mit Gewalt zwingen möchte.[68]
Sturm wird seine Sicht der
„sukzessiven Offenbarung“ auf allen Gebieten, so auch auf dem Gebiet der
Religion im Folgenden ausführlich darlegen. Zur Entmythologisierung, die er vom
Begriff ausgehend wörtlich auffasst, schreibt er, „dass man dabei nicht stehen
bleiben darf. Wenn Jesus nicht mehr Gott, sondern Mensch und sein Wort nicht
mehr Gotteswort, sondern Menschenwort“ ist, und ein Vakuum entstanden ist, wird
der vorwissenschaftliche Charakter der biblischen Offenbarung deutlich. Man
erkennt, ohne eine neue Offenbarung, nun aber keine vorwissenschaftliche, sondernd i ewissenschaftlicheOffenbarung,
kommt man nicht aus. Und es gibt, wie er zeigen wird, nur einew a h r eOffenbarung.[69] An anderer Stelle fährt er
fort „Die Kirche unterschlägt die gesamte außerbiblische Gottesoffenbarung, sie
vergottet und verabsolutiert die Vergangenheit und schlägt die Gegenwart ans
Kreuz.“ [70]
Bultmann spricht davon, dass
Theologie und Philosophie eins werden müssen[71], was Sturm aufgreift und
Jaspers erinnert daran, dass sie bei Plato, den Stoikern, Origenes, Augustin
und Cusanus schon einmal eine Einheit gewesen sind, nicht aber zwischen R e l i
g i o n und Philosophie. Jaspers versteht unter Religion eine nicht
„begründbare Wirklichkeitsquelle“, mit heiligen Orten, Büchern, Kultus und
Gebet und in ihrer Weise von der Philosophie nicht zu erreichen. Jaspers
fürchtet, dass Philosophie nur einzelne Menschen erreicht, während Religion
sich an alle wenden soll und eine „philosophische Religion“ alle Merkmale einer
lebendigen Religion entbehren würde.[72]
Diesen Widerspruch löst Sturm
auf, er schafft mit einem neuen Seinsbegriff und einer erweiterten
Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis seinen „philosophischen Religionsentwurf“
und er legt in seinen Ausführungen dar, dass man mit Hilfe der Philosophie
nicht zue i n e rbestimmten Religion gelangt, sondern
letztendlich zu „allen Religionen“. Als Philosoph und Theologe ist für ihn auch
die Intention einer möglichen „Weltreligion“ eingeschlossen.
Paul Sturm hat sich intensiv mit Karl Jaspers [1883-1969] beschäftigt
und fühlte sich ihm geistig sehr verbunden. Ist er doch der einzige Philosoph
seiner Zeit, der sich so intensiv mit dem der Theologie und dem Christentum
auseinandersetzt. Zu einem geistigen Austausch mit ihm ist es
bedauerlicherweise wegen der Isolation in der DDR nicht gekommen. An einer
Stelle schreibt er: „Karl Jaspers,
du hast der Welt ein monumentales Werk geschenkt und durch deine Schriften mir
und vielen tausend anderen erbauliche Stunden bereitet. Ich danke dir im Namen
aller dafür. Ich bewundere deine große Phantasie auf dem Gebiet der Philosophie
und deine enorme Einfühlungskunst auf dem der Psychologie.[73] Sturm nimmt auch intensiv
zur Debatte derEntmythologisierung
Stellung, besonders zur Schrift von Jaspers und Bultmann und kritisiert auch
Jaspers ob der Verteidigung der Gültigkeit des Mythos für besondere Bereiche.
Im Zwiegespräch mit Heinz Zahrnt[74] begründet Jaspers, warum er
sich so stark mit den Kirchen der biblischen Religionen auseinander setzt und
formuliert: „Was aus Kirchen wird, entscheidet vielleicht das Schicksal des
Abendlandes.“ Er sorgt sich, dass der allgemeine Zweifel an der Wahrhaftigkeit
des Glaubens die immer wiederkehrende Forderung nach „Wandlung und Erneuerung
des Christentums von seinem Grunde her“ immer wieder laut und immer lauter werden
lässt. Die Furcht der Kirche, sie könne mit der Preisgabe des Glaubens an den
„Gottmenschen“ Jesus Christus zusammenbrechen, mag ihre Widerstände erklären.
Die aktuellen Wandlungen der gesamten Weltsituation und die individuellen
Entwicklungen der Menschen geschehen schon zu Jaspers Zeit außerhalb und neben
der Kirche.[75]
Unter den Bedingungen des technisch-wissenschaftlichen Zeitalters kann auch das
Christentum so nicht bleiben, wie es ist.
Die notwendige Wandlung wird
tiefer sein müssen als alle früheren Wandlungen oder es stirbt ab. Es wird eine
Neugeburt sein, wodurch das Versinken des Menschen, das wir heute [1963]
beobachten,aufgehalten, überwunden
werden. Glaube, Verkündigung, Lebenspraxis werden eine radikale Verwandlung
erfahren und die „Gehäuse kirchlicher Dogmen und Institutionen“ eingeschmolzen
werden, so auch der Mythus „Jesus Christus als Gottmensch“. Es muss anerkannt
werden, dass „Gott durch viele Menschen spricht“, nicht nur durch einen und
dass die Philosophie auf die Religion zugeht. In der Kirche und von der Kirche
selber ausgehend müsste die Wandlung geschehen.[76] Ist der „philosophische
Glaube“ eine Lösung?“[77] Es ist eine Verwandlung der
Religion in Philosophie zu erwarten. Aber wird dies eine „philosophische“
Religion sein können? Wird es ein Weg einer Minderheit werden? Wenn nicht die
„ewige Wahrheit der biblischen Religion“ verloren gehen soll, muss die
„Wiederherstellung der ewigen Wahrheit“bis in die letzten Ursprünge gehen, um diese Wahrheit in „neuer Sprache“
zur Erscheinung bringen. Der Philosoph Karl Jaspers sagt, er kann dem Theologen
nicht sagen, wie er es machen muss, er kann nur den Boden mit bereiten.[78]
„Der Kirchenmann“ Paul Sturm hat
als Theologe und Philosoph ein Leben lang um die Wiederherstellung ewiger
Wahrheiten gerungen.
Einführung in das Werk von Paul
Sturm
„Seit Schleiermacher und dem auf
ihm fußenden Rudolf Otto wissen wir: Religion oder, was dasselbe ist: das
Religiöse, das Heilige sind das Schöne, das Wahre und das Gute, wie das Ästhetische,
das Philosophische und das Ethische etwas ganz Bestimmtes. Es ist „ein Problem“
und wer das Problem gelöst hat, wer die Frage, was ist Religion (?) richtig und
vollständig beantwortet hat und alle damit in Verbindung stehenden
weltanschaulichen Fragen, der hat nichte i n eReligion, sondern der
hatd i eReligion geschaffen, die Religion auf (wissenschaftlicher)
philosophische Grundlage, die objektive und für alle Menschen und alle Zeiten
Gültigkeit besitzt.“[79]
Gott ist nicht die Ursache des Seins, sondern das Sein ist
die Ursache von Gott. Dieses Sein teilt die Welt mit Gott. Daher ist das Sein
wie Gott ein Mysterium. Und das Vale aluid, das Heilige ist dieses Sein, diese
diesseitige Welt (vom Jenseits wissen wir nichts).
Daraus folgt ein anderer Frömmigkeitsbegriff:
Das Gotterleben im Seinswunder,
Gotterleben wird in der Natur und der Kunst (das Buch der Natur ist die Bibel)
und in religiösen, philosophischen und anderen Schriften Inspirierter erfahren,
d. h. Gegenstand frommer Erbauung sind: das Leben, die Natur, die Kunst und die
Philosophie.
Wie die Aspekte des Göttlichen seit der Antike: das Schöne,
Wahre und Gute ist das Göttliche nur in Gottes Werken erlebbar: in den Sinnen
(im Ästhetischen),
in dem Verstand (im Philosophischen),
im Willen (im ethischen Handeln).
Die Gotteserkenntnis aus Gottes
Werken führt zur Gottesgewissheit: weg vom „Glauben an Gott ohne
Gottes-Gewissheit“ - zum„Wissen von
Gott“.
Gott als Prototyp des
Schöpferischen: initiiert Propheten, Denker, Dichter, Künstler, die mit jeder
neuen Erkenntnis der religiösen Wahrheit näher kommen: die ist eine sukzessive,
nie abge-schlossene Offenbarung.
Die Gotteserkenntnis über Gottes
Werk schafft eine neue Form des Betens, eine immerwährende Gottverbundenheit
anstelle ritualisiertem Beten oder an Dogmen festgemachte Zeremonien.
Religion wird von Schopenhauer
als Popularphilosophie bezeichnet und sie muß nach Sturm Philosophie werden
dadurch, dass sie in zeitgemäße Form übersetzt und philosophisch begründet
wird, denn Jesus ist für Sturm Mensch, Philosoph, Dichterphilosoph von höchster
Inspiration (Gott gleichgeschaltet) und von einmaliger Sprachgewalt.
In der jetzigen
wissenschaftlichen Epoche wird schon lange nicht mehr
mythisch-vorwissenschaft-liches, sondern wissenschaftlich-mythusfreies
(philosophisches) Denken inspiriert. Da der moderne Mensch erkennt, es gibt nur
eine Wahrheit, wird es auch nur eine wahre Religion geben können.
Es soll keine „neue Religion“
geschaffen werden, sondern die „Menschheitsreligion“ soll auf der Basis der
Lehren Jesu wieder zu einer Jesuslehre erhoben werden heute als philosophische
Religion, eine Vernunftreligion im wissenschaftlichen Zeitalter, ohne die
Verirrungen des Paulus in die Dogmatik. Denn jedes Dogma hält an längt
überkommenen fest und lässt keine neuen Offenbarungen zu.
Zur Unsterblichkeit hat Sturm einige logische Erklärungen:
Der Trieb
nach Vollkommenheit ist ein Beweis für die Unvergänglichkeit unseres Wesens: die Natur hätte diesen Trieb nicht in
uns gelegt, wenn dies mit dem Tode ausgelöscht wäre.
Alles Leben
entspringt aus dem Nichts, um von da wieder zurückzufließen ins Sein.
Fürchtet
euch nicht vor dem Tod! Das Land des Todes ist uns ja vertrauter und
heimatlicher als das Leben; denn wir
waren schon einmal tot: ehe wir lebten.
Das einzige vernünftige Weltziel
des Seins ist die Vollkommenheit, die Vervollkommnung aller Wesen. Der Himmel,
die ewige Seligkeit liegt erst am Ende, nicht am Anfang unseres Hier-Seins. Und
das Wunder unserer persönlichen Wieder-Geburt ist nicht größer als das Wunder
der Geburt.
Zur neuen Gottesdienstgestaltung
für ein: Gott-erleben, Gott-schauen, Gott-leben hat Sturm künstlerische und
philosophische Vorschläge.
Die Erziehung der jungen Menschen
hat im Wesentlichen die metaphysische Grundlage: das höchste Ziel muss der
fromme, ethische Mensch sein.
Die popularphilosophischen
religiösen Systheme können sich gegenseitig ergänzen und Sturm formuliert: im
Streite der Meinungen wird die Wahrheit offenbar. Dies ist die Chance für das
Christentum – die Jesusreligion – zur Weltreligion zu werden. Eine Weltreligion
ist für ihn eine notwendige Voraussetzung für den Weltfrieden.
+
Zur Herausgabe
zum 90. Jubiläum der Gründung des
„Instituts für Weltreligion“ in Hochdorf bei Weimar und zur Verkündung der
„Thesen einer neuen Reformation“ von Paul Sturm 1923 in der Herderkirche Weimar
entschlossen,
In Paul Sturms
religionsphilosophischem Nachlass befinden sich Schriften von 1920-64, in denen
er alle hier vorgestellten Gedanken sehr differenziert behandelt, oft in
aphoristischer Form und beliebiger Reihenfolge. Einige Kapitel konnten komplett
übernommen werden, andere wurden aus verschiedenen Dokumenten zusammengestellt,
die Kapitelüberschrift stammt oft vom Hrsg. wie auch die vorliegende
Gliederung. Kürzungen, Teilung längerer Sätze mit Einfügungen für besseres
Leseverständnis sind mit [ ] gekennzeichnet, ( ) stammen vom Autor selbst.
Vorarbeiten leistete der älteste Sohn Eckart Sturm. Großer Dank gilt dem
Religionsarchäologen M. Sturm-Berger und dem Enkel Antonio Badinski für die
Mitarbeit.
Zum Herausgeber
Beate Sturm, StR'n, als jüngste
Tochter studierte in Jena und Berlin Mathematik, Geographie, an der TU Berlin
Philosophie und Kunstwissenschaft. Kontakt: beate.sturm1@gmx.de.
[1]Für Wehrdienstpflichtige mit höherem
Schulabschluss war der Wehrdienst auf ein Jahr verkürzt.
[2]In Biogr. 73-Seitiges. S.15.
[3]Sturm, Paul: Gesammelte Blätter.Aus Urteilen über Sturm. Institut für
Weltreligion Hochdorf bei Weimar 1923, S. 16 und 17.
[4]Ebenda.
[5]Vgl. Traueransprache für Paul Sturm, 16. 6.
1964, Jena-Nordfriedhof, Manuskript im Archiv Sturm.
[6]Vgl. ebenda. Briefbeilage.
[7]Neue Religion oder neue Religionsepoche, S.
VII.
[8]Rathje, Johannes: Die Welt des freien Protestantismus. Stuttgart 1952.
S. 230.
[9]Sturm, Paul: Nachbemerkung zum Neuen Tempel.
S. 2.
[10]Erste anonyme Veröffentlichung 1799 nach einem
Anstoß von Friedrich Schlegel.
[11]Vgl. Schleiermacher, Friedrich: Über die
Religion, Stuttgart 1969, S. 35, 37, 39 und 40.
[12]Vgl. Ebenda. S. 97 und 111.
[13]Ebenda. S. 79.
[14]Vgl. Ebenda. S. 87.
[15]Vgl. Ebenda. S. 78 und 81.
[16]Vgl. Ebenda. S. 83, 84 und 88.
[17]Aphorismensammlung. Archiv.
[18]Vgl. Ebenda. S. 37, 39 und 40.
[19]Vgl. Kant, Immanuel: Die Religion innerhalb
der Grenzen der bloßen Vernunft. Leipzig 1974. S. 189-194 undS. 7.
[20]Vgl. Ebenda.S. 150, 151 und 155.
[21]Vgl. Ebenda. S. 161.
[22]Vgl. Ebenda. S. 5 - 7.
[23]Vgl. Ackermann, Frank. Hrsg. und Einleitung
zu: Hegel, G.W.F: Das Leben Jesu. Stuttgart 2011. S. 10.
[24]Vgl. Ebenda. S. 34, 37, 39.
[25]Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Das Leben
Jesu. Stuttgart 2011. S. 41.
[26]Vgl. Sturm, Paul: Friedrich Nietzsche. In:
Thüringer Land, H. 12, 1930. S. 24.
[27]Sturm, Paul: Über Friedrich Nietzsche.Lose
Sammlung Nietzsche. Archiv.
[28]Sturm, Paul: Gesammelte Blätter. Hochdorf bei
Weimar 1923. S.15 und 16.
[29]Jaspers, Karl: Nietzsche und das Christentum.
Hameln 1938. S. 9f.
[30]Vgl. Ebenda. S.10f.
[31]Vgl. Ebenda. S. 12.
[32]Nietzsche, Friedrich: Ecce homo, Hrsg. G.
Colli, M. Montinari, München 1988. VI. S. 347.
[33]Vgl. Jaspers, Karl: S. 14 und 15.
[34]Nietzsche, Friedrich: Hrsg. G. Colli, M.
Montinari, München 1988, III, S. 480.
[35]Vgl. Jaspers, Karl: Nietzsche und das
Christentum. Hameln 1938. S. 15 und 16.
[36]Vgl. Ebenda. S. 18. Nietzsche, Friedrich:
VIII. S. 256 und 252.
[37]Ebenda. VIII, S. 265 in K. Jaspers, S. 25.
[38]Ebenda. S. 82, 85 und 83.
[39]Unitarier distanzieren sich vom
Trinitätsdogma., das erklärt auch ihren Namen, den Glauben ane i n e nGott.
[40]Vgl. Rathje, Johannes: Die Welt des freien
Protestantismus. Stuttgart 1952. S. 161 und 165.
[41]Vermischtes. Jena 1955.
[42]Vgl. Gangolf Hübinger: Kulturprotestantismus
und Politik. Tübingen 1994. S. 1.
[43]Vgl. Ebenda. S. 105.
[44]Vgl. Ebenda. S. 35 – 38, 294, 298-303.
[45]Vgl. Ebenda. S. 164 und 165.
[46]Ebenda. S. 125 und 126.
[47]Ebenda. S. 163.
[48]Ebenda. S. 130.
[49]Ebenda. S. 229.
[50]Vgl. Rathje, Johannes: Die Welt des freien
Protestantismus. Stuttg. 1952. S.298-303.
[51]Barth, Karl:Mit dem Anfang anfangen. Zürich 1985. S. 30.
[52]Vgl. Rathje, Johannes: Die Welt des freien
Protestantismus. Stuttg. 1952. S.298-303.
[53]Vgl. Ebenda. S. 278.
[54]Siehe: Karl Barth – Rudolf Bultmann:
Briefwechsel 1922 – 1966. Hrsg. Bernd Jaspert, 2. Aufl. Zürich 1994.
[55]Sturm, Paul. Das Ende des alten Tempels und
der dogmatischen Theologie. S. 4.
[56]Vgl.Sturm, Paul: Das Ende des alten Tempels.
[57]Vgl. Barth, Karl: Der deutsche Kirchenstreit
als Frage an den schweizerischen Protestantismus. In:Theologische Existenz
heute; Neue Folge 49. München 1956. S. 64.
[58]Vgl. Denzler, Georg, Fabricius, Volker:
Christen und Nationalsozialisten. Frankfurt a. M. 1993. S. 40, 41 und 44.
[59]Sturm, Paul: Aphorismensammlung.
[60]Sturm, Paul: Grundgedanken. Jena 1950. S. 15.
[61]Vgl. Barth, Karl, Bultmann, Rudolf. S. 320.
[62]Jaspers, Karl, Bultmann, Rudolf: Die Frage der
Entmythologisierung. München 1981, S. 87.
[63]Bultmann, Rudolf: Jesus Christus und die
Mythologie. Hamburg 1964. S. 16 und 17.
[64]Vgl. Jaspers, Karl, Bultmann, Rudolf: Die
Frage der Entmythologisierung. München 1981, S. 34 und 35.
[65]Vgl. Ebenda. S. 42 und 58.
[66]Ebenda. S. 61-68.
[67]Vgl. Ebenda. S. 66 und 69.
[68]Vgl. Ebenda. S. 66, 69, 74, 72.
[69]Vgl. Sturm, Paul: Gibt es in der Frage der
Offenbarung die letzte Klarheit? S. 3.
[70]Sturm, Paul: Das Ende des alten Tempels und
der dogmatischen Theologie. S. 4.
[71]Vgl. Sturm, Paul: Das Ende des alten Tempels
und der dogmatischen Theologie. S. 5.
[72]Jasper, Karl, Bultmann, Rudolf: Die Frage der
Entmytologisierung. München 1981. S. 74 und 75, 77.
[73]Sturm, Paul: Gibt es in der Frage der
Offenbarung eine letzte Klarheit. S. 5.
[74]Jaspers, Karl , Zahrnt, Heinz: Philosophie und
Offenbarungsglaube. Hamburg 1963. S. 73.
[75]Vgl. Ebenda. S. 74, 94 und 34.
[76]Vgl. Ebenda. S. 75 und 76.
[77]Ebenda. S. 84.
[78]Vgl. Ebenda. S. 83.
[79]Sturm, Paul: Nachbemerkung zum Neuen Tempel.
S. 1.
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