Erschienen in Ausgabe: No 94 (12/2013) | Letzte Änderung: 10.12.13 |
Thomas Ligotti, The Conspiracy against the Human Race. A Contrivance of Horror, Hippocampus Press, New York 2010, 246 S. ISBN 978-0-9824296-9-3
von Karim Akerma
Nachdem sich der US-amerikanische Autor Thomas Ligotti als
Verfasser tiefsinniger Horrorgeschichten bereits einen Namen gemacht hat, liest
er den Essay „Der letzte Messias“ des kaum bekannten norwegischen Autors Peter
Wessel Zapffe (1899–1990). Offenbar bewirkt die Lektüre bei Ligotti einen
Denküberschuss, der sich nicht mehr im Horrorgenre ausdrücken lässt, sondern
nach philosophischer Verarbeitung verlangt. Bei Zapffe findet Ligotti
bestätigt, woran er als Horrorautor keinen Zweifel lässt: dass das Grauen eine
nichthintergehbare Konstante menschlichen Daseins ist. Zapffes Essay von 1933
entfaltet in Ligottis geistigem Haushalt enzymatische Wirkung, zieht ihn
gleichsam hinunter in die Welt schauderhafter Tatsachen. Zapffe demonstriert
ihm, dass der Horror immer schon in die Welt eingesickert ist und nur unter
Aufbietung erheblicher Kulturleistungen auf Distanz gehalten werden kann. Zumal
folgende Passage aus „Der letzte Messias“ dürfte Ligotti inspiriert haben, da
sie das Grauen in der Conditio in-/humana dingfest macht:
„Eines Nachts in längst vergangenen Zeiten erwachte der
Mensch und sah sich selbst. Er sah, dass er nackt war unter dem Kosmos,
heimatlos im eigenen Leib. Sein hinterfragendes Denken versetzte alles in
Auflösung, stellte ihn vor stets neue Rätsel und ließ immerfort neues Entsetzen
in seinem Gemüte aufkeimen.“
Ligotti baut Zapffes Essay zu einem faszinierenden Buch aus,
dessen Titel, „The conspiracy against the human race“, einiger Erläuterung
bedarf: Mit Zapffe erkennt Ligotti im Bewusstsein das unlösbare Menschheitsproblem
– tierisches Dasein sei vergleichsweise ein Spaziergang am Waldesrand. Vor
dieses Problem habe der Mensch sich nicht selbst gestellt, sondern die Natur
war es, indem sie ihn als nunmehr Fremden aus sich entließ. Indem die Natur uns
zu Wesen mit überschießendem Bewusstsein mutieren ließ, überantwortete sie uns
einem „House of horrors“, aus dem niemand mehr lebend herauskomme. Zumal in der
zweiten Hälfte seines Buches informiert Ligotti umsichtig über das
anspruchsvolle Horror-Genre – mit Autoren wie Poe oder Lovecraft – als
literarische Verarbeitungsform des Anpralls jener unheimlichen Wirklichkeit,
mit der der in unheimlicher Welt unheimisch gewordene Mensch fertig werden
muss.
Sein überschießendes Bewusstsein verurteile den Menschen zum
Alptraum des Daseins, weshalb eine permanente Begrenzung der naturgegebenen
Wachheit geboten sei. Mit Zapffe ermittelt Ligotti vier naturwüchsige
Dispositive der Entsorgung, die uns den Anprall eines sinnlosen Kosmos, die
Unerträglichkeit des Daseins, vom Geiste fernhalten: Isolation (unerträgliche
Daseinszumutungen werden in den Dachboden unseres geistigen Haushalts
ausgelagert), Verankerung (Metaphysik und Institutionen wirken zusammen, um uns
Halt zu geben), Ablenkung (um über den Horror der Welt nicht nachsinnen zu
müssen, sehen wir fern), Sublimierung: So sei es etwa eine Sublimierung der
Kosmophobie, dass er, Ligotti, das Buch „The conspiracy against the human race“
schreibe.
Aber warum „Conspiracy“, wer hat sich hier gegen uns
verschworen? Die Verschwörung gegen die Menschheit besteht für Logotti darin,
dass die vier Dispositive der Daseinsberuhigung dafür sorgen, dass auch in
Zukunft Menschen geboren und leiden werden, dass es zu keiner bewussten
Einsicht in die Notwendigkeit des Aussterbens mittels Nachkommenlosigkeit
kommt. Dahingehend nämlich lauteten in Zapffes Essay die letzten Worte des
fiktiven letzten Messias: „Erkennt euch selbst, seid unfruchtbar und lasst
die Erde nach euch schweigen.“
Was die Einschätzung der Realisierbarkeit dieser pessimistischen
Zielvorgabe angeht, ist Ligotti mit Zapffe Pessimist, da der Optimismus nun
einmal unser Naturerbe sei und es ihm immer wieder gelinge, uns Menschen
mittels positivem Denken leidens- und zukunftsfähig zu halten. Überzeugend
erläutert Ligotti die große Branche psychologisch-lebensberatender Literatur
als Bemühung, das von zahlreichen anderen Horrorautoren mit ihren spezifischen
Mitteln geschilderte Unheimliche auf Abstand zu halten, als einen
Schutzmechanismus, der den Durchbruch des Weltwahnsinns bannen soll.
Auf theoretischer Ebene sieht Ligotti – anders als etwa
Hermann Vetter oder David Benatar (siehe „Vom Schaden des Existenzbeginns“
unter http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_594/) – eine ewige
Pattsituation zwischen Optimismus und Pessimismus. Keine Partei werde die
andere jemals mit rationalen Argumenten überzeugen können. Seine Ausführungen
zu Horror und Metaphysik erinnern in manchem an Überlegungen Blumenbergs, wo
dieser den Mythos als symbolische Anschauungs- und Lebensform zur Entängstigung
vor dem Anprall der Wirklichkeit auslegt.
Wie haben wir uns nun jenes Bewusstsein vorzustellen, von
dem Ligotti einerseits sagt, es sei unser Verhängnis und für die Tragik unseres
Daseins konstitutiv, das aber andererseits als Steigeisen unverzichtbar sein
muss, wenn es darum geht, aus dem die Wirklichkeit weichzeichnenden Optimismus
heraus nach oben in die dünne Luft zu klettern, wo der letzte Messias haust?
Deuten wir es als bloßes Bewusstsein (im Unterschied zu
Selbstbewusstsein), so stehen wir vor dem Problem, dass Menschen schon immer
über sich und andere redende, künstlerisch tätige und somit selbstbewusste
Wesen waren. Interpretieren wir Ligottis (und Zapffes) Bewusstsein hingegen als
Selbstbewusstsein, so fragt sich, was der mutative Sprung noch bezeichnen sollte,
von dem er redet. Vielleicht können wir uns den Sachverhalt so zurechtlegen,
dass es sich um einen Sprung zu reflektierterer Bewusstheit handelt, wofür etwa
die von Karl Jaspers so genannte Achsenzeit 800–600 vor der Zeitrechnung steht,
als Menschen ihr Dasein in Asien, Europa und dem Nahen Osten im Taoismus,
Buddhismus, der griechischen Philosophie und durch die Propheten des Alten
Testaments auf ganz neue Weise problematisierten und auf neuartige Weise Sinn
stifteten. Hierzu passt, dass Ligotti die spirituellen Lehrer für die Tragödie
der Menschheit verantwortlich macht. Ganz offenbar wäre es ihm nur zu recht,
wenn der Welt der Sinntreibstoff ausginge, weil allein in einer solchen
Atmosphäre ein letzter Messias mit seiner Botschaft Gehör finden könnte.
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