Erschienen in Ausgabe: No 114 (08/2015) | Letzte Änderung: 06.08.15 |
von Heike Geilen
"Ohne Liebe bin ich nichts.
Selbst wenn ich in allen Sprachen der Welt,
ja mit Engelszungen reden könnte,
aber ich hätte keine Liebe,
so wären alle meine Worte hohl und leer,
ohne jeden Klang,
wie dröhnendes Eisen oder ein dumpfer Paukenschlag."
Die beste "Definitionen" zum Thema Liebe findet
sich tatsächlich in der Bibel im 1. Korinther 13. Ansonsten ist dieses
psychische Phänomen nicht nur im eigenen Erklären, sondern auch den
spezifischen und heute bekannten naturwissenschaftlichen Forschungsmethoden
äußerst schwer zugänglich. Das bedeutet im Umkehrschluss allerdings nicht, dass
über die Liebe deshalb nichts Allgemeingültiges ausgesagt werden könnte. Die
Trefferquote bei einer Google-Suche liegt im Millionen-Bereich. Jeder hat
offensichtlich darüber seine ganz eigene Meinung, die sich aus dem eigene
Erleben speist. Erlebnisse lassen sich nun mal sehr schlecht im Labor mit
Instrumenten messen. Aber man kann über sie beschreibend berichten. Und das tun
wir Menschen schon seit Jahrhunderten. Vor allem in der Literatur nimmt ihre
Interpretation einen großen Stellenwert ein. Es gibt kaum einen Autor, der die
Liebe nicht zum Sujet seiner Beschreibung herangezogen hat. Doch wie und vor
allem wo nahm alles seinen Ursprung?
Marilyn Yalom, Professorin für Französische Literatur an der
Stanford University, die bereits vielfältige Beiträge und Bücher zur
Kulturgeschichte der Frau, mit besonderem Fokus auf Frauen in Frankreich und in
den Vereinigten Staaten, geschrieben hat, nimmt sich in ihrem jüngsten Werk
diesem großen Thema an. Dabei stellt sie eine interessante, wenn auch
vielleicht nicht ganz ernst zu nehmende These auf: Die Liebe wurde in Frankreich
erfunden. Ob nun Wahrheit oder Mythos, eines ist sicher: die anscheinend
liebesbegeisterten Französinnen und Franzosen haben es im Laufe von
Jahrhunderten geschafft, dass Frankreich als das Land der Liebe schlechthin
gilt. "Die Amerikaner meiner Generation hielten die Franzosen für die
Stifter der Liebe. Aus ihren Büchern, ihren Chansons, ihren Zeitschriften und
Filmen fabrizierten wir uns ein Bild davon, wie aufregend Liebe sein kann - und
das war weit entfernt vom aseptischen amerikanischen Modell der Fünfzigerjahre.
Die Frage also lautet: Wie sind die Franzosen geworden, wie sie sind? Dieses
Buch möchte eine Antwort darauf geben."
Auch
wenn man durchaus der Meinung sein könnte, "die Liebe, wie wir sie heute
kennen, habe es schon immer gegeben", entstand damals in Frankreich
"etwas historisch gesehen Neues, eine kulturelle Explosion, die für
Liebende das Recht einforderte, ihre Leidenschaft entgegen allen
gesellschaftlichen und religiösen Widerständen auszuleben.", so Yalom.
Chronologisch versucht sich in ihrem Werk herauszufinden, wo sich in der
französischen Geschichte die Ursprünge finden lassen und zwar am Beispiel ihres
Fachgebietes - der Literatur. "Wie die Franzosen die Liebe erfanden"
ist also keineswegs eine trockene wissenschaftliche Abhandlung, sondern ein
höchst amüsantes und für jeden Literaturbegeisterten erhellend zu lesendes Buch
über die Liebe in ihrer kulturellen Form.
Marilyn
Yalom beginnt im Frankreich des 11./12. Jahrhunderts, alsder Ehebruch als
literarisches Thema erstmalig in Mode kam. Franzosen erfanden damals die Ideale
der Minne und sorgten für deren Verbreitung. Die Dame bekam eine Starrolle in
dem Kult der 'fin'amor', die sich schließlich zu einem Modell für alle
westlichen Männer und Frauen entwickeln. "Heute sagen wir romantische
Liebe dazu." Die amerikanische Autorin beginnt mit dem französischen
Pendant zu Romeo und Julia: Abaelard und Heloise, den Schutzheiligen der
französischen Liebespaare und Märtyrern der Liebe. Ihnen folgt im 12.
Jahrhundert der 'galanterie' (eine Reihe verfeinerter Sitten im Umgang mit dem
anderen Geschlecht, die sich zuweilen bis in die Jetztzeit gehalten hat), als
herausragendes Beispiel "Die Prinzessin von Cléves" von Madame de La
Fayette, einer der ersten "psychologischen" Romane überhaupt. Weiter
geht es mit der Komödie und Tragödie im 17. und dem vorrevolutionäres
Frankreich des 18. Jahrhundert. Namen wie Molière ("Der
Menschenfeind"), Racine ("Phädra") und Prévost mit seiner femme
fatale "Manon Lescaut" tauchen genauso auf wie Rousseaus "Julie
oder Die neue Héloïse", "Gefährliche Liebschaften" von de Laclos
oder die Liebesbriefe der Julie de Lespinasse.
Yalom
betrachtet die republikanische Liebe (Élisabeth Le Bas, Madame Roland),
untersucht sozioerotische Variante selbiger bei Constant, Stendhal ("Rot
und Schwarz") und Balzac, wo zumeist ein junger Mann in eine ältere Frau
verliebt ist oder umgekehrt, schwenkt ein in die Bahn der französischen
Romantik und der Belle Époque. "Madame Bovary" von Gustave Flaubert
sowie die Heldenkomödie "Cyrano de Bergerac" von Edmond Rostand
nehmen dabei einen besonderen Stellenwert ein. Aber auch der
gleichgeschlechtlichen Liebe zollt sie ihre Aufmerksamkeit, deren Vertreter
Verlaine, Rimbaud, Wilde und Gide sowie Colette, Gertrude Stein und Vilette
Leduc ausführlich "untersucht" werden. "Auch hier setzten die
Franzosen eine sexuelle Revolution in Gang, die im restlichen Jahrhundert noch
mehrfach hohe Wellen schlagen sollte." Natürlich dürfen auch die
neurotische Liebe bei Marcel Proust sowie die verliebten Existenzialisten
Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre nicht fehlen, die sie während ihrer
Studienzeit noch persönlich in Paris erlebte. Letztendlich schwenkt die Autorin
auf der Zielgeraden noch bei Marguerite Duras und letztendlich der Liebe im 21.
Jahrhundert ein. Auch wenn heute der französische Roman wohl nicht mehr der
privilegierte Ort der Liebe ist. Am ehesten hat er sich wohl noch in den
stillen, leisen französischen Filmen gehalten.
Marilyn
Yaloms sehr persönlich gehaltenes und mit vielen individuellen und eigenen
Bonmots aus ihrem großen (französischen) Bekanntenkreis gewürztes Buch, hält
eine Fülle an Historischem und natürlich auch Literaturwissenschaftlichem
bereit. Geschrieben in einem lockeren, sehr gut lesbaren Stil, ist ein äußerst
amüsantes, aber trotzdem hochinteressantes Buch entstanden, das vor allem dem
Literaturliebhaber eine Fülle an neuem Lesestoff bietet. Letztendlich sehen
Franzosen, so Yalom, "die Liebe lieber als ein Spiel, bei dem man sich
nicht in die Karten schauen lässt". Sie haben "mit ihrer
jahrhundertelangen höfischen Kultur ihre Vorstellungen über die Liebe von oben
her entwickelt. Könige und Königinnen, adlige Damen und Herren, Minnesänger und
Schriftsteller haben Loblieder und Gedichte auf die Liebe ersonnen und diese
Liebe in einer Welt von ihresgleichen ausgelebt." Die Tradition des
galanten Liebesgeplauders ist in Frankreich jedenfalls nie ausgestorben. Auch
wenn sie feststellt, "dass sich die Regeln für das Zusammenleben
kontinuierlich ändern. (...) Aber die Liebe ist deshalb keineswegs
verschwunden. Wie seit jeher ist sie in Frankreich auf eine geradezu obsessive
Art allgegenwärtig." Auch wenn sie in ihrer bezaubernden Tour durch die
Jahrhunderte sicherlich ein paar gewagte Verallgemeinerungen anbringt, über die
sich trefflich streiten lässt, so stellt man nach der Lektüre eindeutig fest:
Wer will schon streiten, wenn es um die Liebe geht. Denn: "Votre passion pour la littérature française nous honore. Et le
plaisir?" (Ihre Leidenschaft für die französische Literatur ehrt
uns. Und das Vergnügen?)
Marilyn Yalom
Wie die Franzosen die Liebe
erfanden.
Neunhundert Jahre Leidenschaft
Aus dem amerikanischen Englischen
von Michaela Meßner
Titel
der Originalausgabe: "How the French Invented Love. Nine Hundred Years of
Passion and Romance"
Graf
Verlag (Dezember 2013)
443
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3862200388
ISBN-13:
978-3862200382
Preis: 22,99 EUR
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