Erschienen in Ausgabe: No 96 (02/2014) | Letzte Änderung: 24.01.14 |
von Michael Lausberg
Vor einigen Tagen hat sich der
ehemalige Bundesligaprofi und Nationalspieler Thomas Hitzlsperger in einem
Interview mit der ZEIT als homosexuell geoutet. Er wolle „die
Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen." und
jungen Profifußballern Mut machen, da sie an „meinem Beispiel sehen“ können,
„dass man sowohl homosexuell als auch erfolgreicher Profifußballer sein kann.“[1]
Erst nach dem Ende seiner Karriere sei für ihn „der richtige Zeitpunkt“ des
Outings gekommen. Damit wolle er auch einen Monat vor den Olympischen Winterspielen
in Sotschi ein Zeichen setzen, wo „homosexuelle Propaganda“ ein Straftatbestand
darstellt. Schon vor einiger Zeit erklärte Russlands
Präsident Putin, dass sich die Teilnehmer_innen der Olympischen Winterspiele an
das nationale Anti-Homosexuellen-Gesetz halten müssen, was in einigen Ländern
wie den USA, der BRD und Frankreich zu heftigen Protesten geführt hatte.
Die Verlautbarung
von Hitzlsperger zu seiner Homosexualität ist seit Tagen ein bestimmendes Thema
in den hegemonialen Medien sowie in der Politik. Die Abweichung von der
heterosexuellen Norm wurde vor allem im Boulevard zum Spektakel auserkoren, was
in der ereignisarmen Zeit zu hohen Verkaufszahlen führen soll und
wahrscheinlich auch geführt hat. Der facettenreiche Mensch Thomas Hitzlsperger
wurde auf seine Homosexualität reduziert, das „Andere“ abseits der Norm.
Berichte über den Familienmenschen Hitzlsperger, den Autofahrer Hitzlsperger,
den Fleischesser Hitzlsperger oder den Urlauber Hitzlsperger bergen keine
Sensation, kein Spektakel und damit auch keine Verkaufserlöse.
Der Mut, sich in
der Öffentlichkeit als erster bekannter Profi zu seiner Homosexualität geäußert
zu haben, stieß in der Regel auf Akzeptanz und Respekt. Bundeskanzlerin Merkel,
der britische Premier Cameron, DFB-Präsident Niersbach sowie noch aktive
Fußballprofis wie Lukas Podolski äußerten sich positiv und verbanden damit die
Hoffnung, dass ein Outing anderer Profis nun erleichtert würde.
Im Gegensatz zum
männlichen Profibereich ist die Akzeptanz von Homosexualität im Frauenfußball
schon wesentlich weiter fortgeschritten. Die Direktorin des DFB, Steffi Jones,
tritt in der Öffentlichkeit mit ihrer Freundin Nicole auf. Die aktuelle
Torhüterin der Nationalmannschaft, Nadine Angerer, macht aus ihrer Bisexualität
keinen Hehl. Ursula Holl, frühere Torhüterin in der Nationalmannschaft, und
andere bekannte Sportlerinnen haben sich schon vor langer Zeit geoutet, was zu
einer Normalität im Umgang mit dem Thema vor allem in den Medien geführt hat.
In anderen
Sportarten abseits des Männlichkeitskultes im Fußball ist die Homo-, Bi- oder
Transsexualität eines Sportlers oder einer Sportlerin eher eine Randnotiz.
Bekannte Beispiele sind die Tennisspielerin Martina Navratilova, der
Eiskunst-Olympiasieger Brian Boitano oder der Turmspringer Thomas Daley.
In den Fanprojekten
von Teams aus den ersten drei Fußballligen in der BRD wurde das Thema Homo-,
Bi- oder Transsexualität oder Homophobie erst in den letzten Jahren zu einem
Thema. Es gibt mehr als 20 Fanclubs in der BRD, die auch durch
Öffentlichkeitsarbeit für Akzeptanz und Toleranz werben.[2] Eine Beschäftigung mit dem
Thema Homophobie entwickelte sich beim DFB auch erst in den letzten Jahren. Am
17. Juli 2013 gab der DFB gemeinsam mit der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld
die „Berliner Erklärung“ mit dem Motto „Gemeinsam gegen Homophobie. Für
Vielfalt, Respekt und Akzeptanz im Sport“ heraus. Ob dies eine einmalige mündliche
Erklärung sein wird oder ob Projekte mit Vorbildcharakter folgen werden, bleibt
offen.
Dass Homophobie im männlichen Spitzenfußball
(noch) als stark verankert gesehen werden muss, kann durch viele Beispiele
belegt werden, die in der Öffentlichkeit bekannt wurden. Dies stellt
wahrscheinlich nur die Spitze des Eisberges dar, die Dunkelziffer wird um ein
Vielfaches höher sein. Lothar Matthäus behauptete 1996, dass „Schwule und
Lesben problemlos an Äußerlichkeiten erkennbar“ seien. Christoph Daum brachte
Ende Mai 2008 Homosexualität und Pädophilie in einen Zusammenhang. Der
Kaiserslauterner Stürmer Mohamadou Idrissou sagte Ende April 2013 einem
Schiedsrichter, der sich über dessen Körpersprache mokierte: „Ich bin nicht
schwul. Ich habe eine Männer-Körpersprache und werde auch kein Schwuler sein.
Das ist sein Problem.“ Auch international gibt es zahlreiche Beispiele von
Homophobie, oft auch im Zusammenhang mit rassistischen Äußerungen. Anhänger_innen
des russischen Spitzenklubs Zenit Sankt Petersburg veröffentlichten im Dezember
2012 eine Erklärung mit der Forderung, keine dunkelhäutigen, homosexuellen oder
nichteuropäischen Spieler zu verpflichten oder spielen zu lassen.
Die jetzige Diskussion
um Homosexualität im Fußball kann nicht ohne die gesellschaftlichen
Rahmenbedingungen geführt werden. Heterosexualität wird immer noch als Norm
begriffen; die Homosexualität einer Person wird häufig als Abweichung
von den als geschlechtstypisch geltenden Verhaltens- und Ausdrucksweisen
bestimmt. Die Heteronormativität handelt andere sexuellen Orientierungen als
Randerscheinung ab.[3]
Homophobie reicht von Vorurteilen und Bejahung von individuellen,
institutionellen und staatlichen Diskriminierungspraktiken bis hin zu
körperlicher Gewalt oder Mord. Die staatliche Homophobie ist besonders in
einigen islamischen Ländern ausgeprägt, wo Homosexualität unter Männern mit dem
Tode bestraft wird.
Es gab sogar bis 1969 im postfaschistischen
Deutschland mit dem § 175 des Strafgesetzbuchs ein Sonderstrafgesetz, das
sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte. In der BRD gibt es
Homophobie in allen gesellschaftlichen Gruppen und Klassen, allerdings in
unterschiedlicher Ausprägung. Dies belegen unterschiedliche wissenschaftliche
Umfragen aus den letzten Jahren. Die neueste repräsentative Umfrage im Rahmen der
Universität Jena brachte 2013 folgende Ergebnisse: Der Aussage, homosexuelle
Beziehungen seien unnatürlich, stimmten 29% der Befragten zu, wobei die
Spanne von 14% bei den 18- bis 24-Jährigen bis 41% bei den Über-60-Jährigen
reichte. Männer äußerten sich homophober als Frauen und religiöse Personen
ablehnender als Atheisten.[4]
Besonders bei reaktionären Christen gilt nach
freier Auslegungen einiger Stellen im Alten und Neuen Testament Homosexualität
als Sünde und wird daher vehement abgelehnt. Diskriminierende Äußerungen zum
Beispiel vom Kölner Kardinal Meisner sind kein Einzelfall. Homosexualität wird
meist von der politischen Rechten in einem Zusammenhang mit dem
Demographiediskurs gebracht. Es bestehe ein wie auch immer gearteter
Zusammenhang zwischen Geburtenrückgang und der praktizierten Homosexualität
mitsamt dem als zu liberal empfundenen Umgang in der politischen Praxis. Ein
Bedrohungsszenario vom „Aussterben des deutschen Volkes“ wird konstruiert und
dies mit der Forderung nach repressiven Maßnahmen von Seiten des Staates
kulminiert. Homosexualität wird als Infragestellung zentraler konservativer
Normvorstellungen empfunden und als Ausdruck einer „Dekadenz“ betrachtet, die
seit Jahrtausenden gelebte patriachalische Rollenmuster bedrohen. Die Angst der
Infragestellung des herrschenden Männlichkeitsideals, das durch strikte
Geschlechtsunterscheidungen und starre Rollenverteilungen gekennzeichnet ist, drückt
sich in der Abwertung und Diskriminierung homo-, bi- oder transsexueller
Menschen aus.[5]
Die Annahme, dass mit dem Outing Hitzlspergers
die letzte Bastion der Homophobie in der BRD gefallen wäre, führt ins Leere.
Homophobie ist Bestandteil der gesellschaftlichen Wirklichkeit und wird es auch
noch lange bleiben, wenn die Heterosexualität immer noch als Norm verstanden
wird und sich vor allem weite Teile der katholischen Kirche noch immer an ihren
alten Weltbildern und Vorhaltungen festhalten. Der im Prinzip richtige
Fingerzeig auf die russische Regierung im Vorfeld der Winterspiele in Sotschi
von Teilen des politischen Establishments enthält einen bitteren Beigeschmack,
wenn im eigenen Land Homophobie nicht auf der obersten politischen und
gesellschaftlichen Agenda steht.
[1] www.zeit.de/sport/2014-01/hitzlsperger-video-botschaft
[2]
Aachener Nachrichten vom 9.1.2014, S. 23
[3] Hartmann, J., Klesse, C.,
Wagenknecht, P.: Heteronormativität.
Empirische Studien zu Geschlecht, Sexualität und Macht, Wiesbaden 2007
S.294
[4] Best, H.,Dwars, D., Salheiser, A., Salomo, K.: „Wie leben wir? Wie wollen wir leben?“ –
Zufriedenheit, Werte und gesellschaftliche Orientierungen der Thüringer
Bevölkerung. Ergebnisse des
Thüringen-Monitors 2013, S. 97f
[5] Rubin,
G.: Sex denken. Anmerkungen zu einer
radikalen Theorie der sexuellen Politik, in: Kraß, A. (Hrsg.): Queer denken. Gegen die Ordnung der
Sexualität (Queer Studies), Frankfurt am Main 2003, S.31–79, hier
S. 36f
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Warszawski 19.01.2014 01:08
https://numeri249.wordpress.com/2014/01/14/der-held-thomas-hitzlsperger/