Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 04.03.14 |
von Anna Zanco-Prestel
Als der 1933 ausgewanderte jüdische Komponist Werner Heymann
sich 1957 nach seiner Rückkehr in die BRD um Wiedererlangung der deutschen
Staatsangehörigkeit bewarb, wurde er von der Einbürgerungsbehörde in Bayern
gefragt, seine Kenntnisse über deutsche Kultur nachzuweisen. Darauf hin stimmte
er die Melodie vom Lied „ Das gibt's nur einmal“ an und erreichte prompt sein
Ziel. Dabei versäumte er zu erwähnen, dass er, der Remigrant, der eigentliche
Autor des populären Liedes war. Diese Anekdote und viele anderen flossen in das
Konzert Piano und Film – Eine musikalische Reise von der UFA bis nach
Hollywood“ ein, dass am 22. Januar 2014 im Jüdischen Gemeindezentrum am
Jakobsplatz präsentiert wurde.
Mit spontaner Verve und großem Können führte durch den Abend die - wie Werner
Heymann - auch in Königsberg geborene und über Israel nach München
eingewanderte junge Pianistin Elena Gurevich, die 23 weltberühmte
Filmkompositionen aus beinah 8 Jahrzehnten am Flügel bravourös spielte. Die
Palette reichte von Friedrich Holländers „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe
eingestellt“ aus dem Blauen Engel in der Interpretation des ebenso
jungen Soprans Talia Orbis hin zum Tara's Thema aus „Vom Winde
Verweht und zu Ernst Golds Titelmusik zum Film Exodus in einer
mitreißenden Folge von Evergreens, die die Seele baumeln ließen. Einfühlsam
sang Talia Or auch aus Gershwins Repertoire das unvergängliche Summertime, dem
Leonhard Bernsteins Tonight aus dem zunächst als reine Komposition
entstandene Musical West Side Story folgte, der ganze 10 Oscars - mit
Ausnahme des wohlverdienten Oscars für Musik! erhielt. Mit Motiven von Jerry
Goldsmithund James Horner respective aus der Serie „Star Treck“ und aus „A
beautiful Mind“ setzte sich die musikalische Reise bis in die Neunziger Jahre
fort, nicht zuletzt mit dem Thema aus Spielbergs Meisterwerk „Schindlers List“
von John Williams, der - als sein Stück fertig wurde - Spielberg zugeraten
hatte, sicheinen besseren Komponisten zu suchen, worauf der Regisseur
antwortete: „Ich kenne keinen. Sie sind alle tot!“.
Mit Schindlers List und der verträumten Barcarole aus Hoffmans
Erzählungen aus Roberto Benignis auch Oscar-gekrönten Film Das Leben ist
schön wurde in einem eigenständigen „Block“ das Thema „Shoah im Film“
behandelt. Chopins Nocturne in C-Moll aus dem aufwühlenden Film „Der
Pianist“ von Roman Polanski ergänzte stimmungsvoll die Reihe.
Der Abend war zu verstehen als ein Hommage an die vielen jüdischen Talente, die
in der NS-Zeit gezwungen wurden, das bedrohte Europa zu verlassen, wo sie
wahrhaftig eine nicht mehr schließbare Lücke hinterlassen haben, woran unsere
Kultur heute noch laboriert. In der Traumfabrik fanden sie aber eine neue
Wirkungsstätte und ein Sprungbrett zugleich, dass sie in die große Welt projizierteund Ihre Kompositionen unsterblich machte.
Hollywood und seine Stars sowie auch viele namhaften Protagonisten des
internationalen Showbizz leben auch in den Farbbildern der in Israel
geborenen und in München aufgewachsenen Fotografin Gabriella Meros wieder auf,
die bis zum 2. Februar im Foyer der Jüdischen Gemeinde zu sehen
sind. Auch hier wird eine hochinteressante Zeitreise geboten, die mehrere
Jahrzehnte erfasst und einen tieferen Einblick in die Traumfabrik erlaubt. Die
international bekannte und für ihre Aktivitäten mehrmals auszeichnete Gabriella
Meros wurde bei der von der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München
& Oberbayern Frau Dr. h.c. Charlotte Knobloch eröffneten Werkschau vom
Chefredakteur der „Zeit“ Giovanni di Lorenzo interviewt, der – wie man im Laufe
des locker-unkonventionell geführten Gesprächs erfahren durfte – ein
Jugendfreund der Fotografin ist. Ausstellung und Konzert fanden im Rahmen der
5. Edition der „Jüdischen Filmtage“, deren Organisation in den bewährten Händen
von Ellen Presser lag, der langjährigen Leiterin der Kulturabteilung der
Israelitischen Kultusgemeinde München. Dazu gehörten ein Vortrag von Brigitte
van Kann über das GOSET, das legendäre, aus der russischen Revolution
hervorgegangene Moskauer Jüdische Theater, dessen Eröffnungspremiere von
keinem geringeren als Marc Chagall gestaltet wurde, der für die Gelegenheit
seine Wandbilder der Russischen Periode zur Verfügung stellte. Als Pendant dazu
war der Stummfilm „Jiddische Glikn“ von 1925 mit dem ebenso legendären Solomon
Michoels zu sehen, eine für Amerika bestimmte filmische Transponierung der
dramatisierten Version der „Menachen-Mendel-Geschichten“, mit der Regisseur
Alexander Granowski die Arbeit des von ihm geleiteten Moskauer Jüdischen
Theaters weltweit vorstellen wollte. Dabei handelte es sich um den ersten
sowjetisch-jüdischen Film, der in den 1920er Jahren in den Vereinigten Staaten
freigegeben wurde. Die Live-Musik lieferte das Stummfilmtrio Tempo Nuovo des
Pianistenclubs.
Zwei Premieren standen schließlich auf dem Programm: die des neuen Films der
bekannten Regisseurin Julia von Heinz Hannas Reise, der Begegnungen zwischen
jungen Deutschen und jungen Israelis, zwischen Nachgeborenen und
Holocaust-Überlebenden vor dem Hintergrund des heutigen Israels auf die
Leinwand bringt und – als Highlight der ganzen Veranstaltungsreihe – die
Präsentation des deutsch-schweizer-französischen Films „Der letzte Mentsch“ von
Pierre-Henry Salfati. In dem bewegenden Road Movie begibt sich ein von den
Jahren gezeichneten Mario Adorf, ein Überlebender des Konzentrationslagers
Theresienstadt, auf die Suche nach den Spuren seiner Vergangenheit in der
Absicht, sich am Ende seiner in der „Lebenslüge“ verbrachten Existenz zurück zu
seiner wahren jüdischen Identität zu finden.
Der Film, der im überfüllten Gemeindesaal mit großem Beifall begrüßt wurde,
kommt im April in die Kinos.
DER LETZTE MENTSCH: Zur Filmpremiere in München
von Angelika Weber
Die Münchner Filmemacherin Angelika Weber, die bei der
Filmpremiere anwesend war, kommentiert ihn für Tabula Rasa. Das
Zusammenspiel von Mario Adorf und Hannelore Elsner gewinnt für Kino-Insider
noch einen besonderen Reiz, nachdem beide Schauspieler einen gemeinsamen
Auftritt im Spielfilm Marie Ward - Zwischen Galgen und Glorie aus dem Jahre
1985 hatten. Bei der historischen Produktion mit der Filmmusik des großartigen
Hollywood Komponisten Elmer Bernstein hatte Angelika Webernämlich selbst Regie
geführt. Der Bogen zur Gegenwart lässt sich also mit „Der letzte Mensch“
facettenreich spannen.
Wenn die heutige Kommunikation einen öffentlichen Charakter hat, ob per Handy
in den öffentlichen Verkehrsmitteln, über Facebook oder überhaupt in der Ära
der zeitgleichen digitalen Verständigung, umso unverständlicher und fremd
erscheint einem zunächst die Zeitreise von Mario Adorf in seine Vergangenheit
als Marcus Schwartz. Wie Identität sich in einem Beziehungsgeflecht entwickelt
und wie diese durch den Wahnsinn von Auschwitz vollkommen zunichte gemacht
wurde, beweist dieser mitreißende Film. Was auch immer man vorab über das
NS-Regime gelesen, gehört und gesehen oder in einem Lager Jahrzehnte später als
Besucher empfunden haben mag, hier ist es von der Wirkung zweifellos anders:
Der Zuschauer wird intimer Zeuge einer Vereinsamung auf Raten,
unwiederbringlich. Er kann den Schattenseiten nicht mehr entfliehen; denn
selbst die humorvollen Szenen fächern nur etwas Luft in die absterbenden
Flammen. Gräulich-schwarze Asche prägt das dramaturgisch-ästhetische Design,
was sich in den meisten Sequenzen, Innen wie Außen, spiegelt.
Wenn die junge Deutsch-Türkin Gül (Katharina Derr) als Szenegirl die Reise nach
Ungarn mit dem geklauten Wagen ihres Bruders antritt, dann ist der Gegensatz
zwischen dem alten Juden auf der Suche nach Erinnerungen an seine einstige
Heimat und allen widerspenstigen Äußerungen und emotional hoch geladenen
Ereignissen beinahe unerträglich. Wo langsam jede Hoffnung stirbt, gibt es eine
unerwartete, höchst spannende Kehrtwende. Wie die junge Frau als nervige
Begleiterin eine mitfühlende und aktive Rolle - Schritt für Schritt- einnimmt,
verkörpert eine menschliche Entwicklung von höchster Brisanz: Zeigt sie doch
exemplarisch eine Lebensgeschichte, in der wir das Leiden unseres Protagonisten
miterleben und die Motivation geweckt wird, ihm beizustehen, mehr von ihm zu
erfahren, unbedingt Hilfe leisten zu wollen. Wenn Hannelore Elsner als blinde alte
Frau voller liebevoller Hingabe und Eleganz sich Marcus-Mario ganz und gar
widmet und ihn vollkommen überraschend auch noch heiraten möchte, dann haben
diese Szenen eine symbolische Kraft, die als Aufforderung aktuelle Züge in sich
trägt. Erst wenn Dokumente und Dokumentationen zum Leben erweckt werden, wie in
diesem Film, gewinnen sie einen nachhaltigen Wert.
Und so leistet „Der letzte Mentsch“ und alle, die mit und um ihn herum diesen
Film ermöglicht haben, einen ganz großen Beitrag zur Verständigung zwischen
Juden und Nicht-Juden. Wie der Rosenkranz im Wagen von Güls Bruder bei der
Autofahrt nach Ungarn ständig hin und her schaukelt und den Blick des
Zuschauers auf sich lenkt, so schafft der Film eine immanente Bewegung, die
keinen Stillstand mehr erlaubt. Verdrängen und Vergessen, was Adorf als
Hauptfigur in „Der letzte Mentsch“ schlussendlich prägt, genau das hat der
großartige Schauspieler persönlich in der nachfolgenden Gesprächsrunde mit
Hannelore Elsner als Weg abgelehnt.
Armand Presser hat in einer meisterhaften Moderation diese Lebendigkeit aus den
Charakteren auf der Bühne herausgearbeitet, so dass der Eindruck entstanden
ist, als wären Mario Adorf und Hannelore Elsner nach ihrem filmischen Tod
wieder zu uns zurückgekehrt. Solch ein Werk - jenseits der Quotenmanie - hat
ganz großen Erfolg verdient!
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