Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 04.03.14 |
von Karim Akerma
Ich
bin Karnist*. Dieser Ausdruck kommt von dem lateinischen Wort für Fleisch: caro,
carnis. Karnist zu sein bedeutet, dass ich eine Entscheidung getroffen habe: Obwohl
ich weiß, dass Menschen auch ohne Fisch und Fleisch sehr gut leben können, habe
ich mich dazu entschlossen, weiterhin Tiere zu essen.
Es
gibt da neuerdings einen vornehmen Ton unter Vegetariern: Man dürfe uns
Fleischessern nicht bildhaft vor Augen führen, was wir bewirken, wenn wir
Fleisch kaufen und essen. Die in Vereinen organisierten Vegetarier wollen uns
mit Lammfellhandschuhen anfassen und uns vor allem keine grausamen Bilder aus
den Schlachthöfen zeigen. Damit unsere ach so empfindlichen Seelen keinen
Schaden nehmen. Hat man denn vergessen, dass wir alle gemeinsam im Informationszeitalter
leben? Wir Karnisten sind nicht dümmer oder schlechter informiert als
Vegetarier und wissen recht genau, was wir in Kauf nehmen.
Von
überall her wird es mir zugetragen: Fleischessen sei schlecht. Aber Fleisch
schmeckt mir nun einmal gut. Dieses Gute kompensiert alles Schlechte, weshalb
ich es weiter essen werde.
Ich
erkläre mich:
Zwar
versucht die Fleischindustrie, die Grausamkeit des Schlachtens vor den
Konsumenten zu verbergen. Aber wir wissen doch längst Bescheid: Es steht alles
in den Zeitungen und sogar in den Fernsehnachrichten zeigt man uns, was im
Innern von Schlachthöfen vor sich geht. Bei vier bis neun Prozent aller Rinder
ist die Betäubung vor dem Schlachtvorgang nur mangelhaft oder gar nicht
vorhanden. Von den 58 Millionen getöteten Schweinen sind 10-12 Prozent
mangelhaft oder nicht betäubt. Da ich die entsetzlichen Schmerzen eines
lebendig gekochten Schweins oder eines lebendig zerteilten Rindes nicht fühle, bin
ich nicht betroffen, weshalb eine vegetarische Ernährung für mich nicht in
Frage kommt.
Deutschland
hat sich im Segment der Schweineschlachtung mit knapp 60 Millionen getöteten
Tieren pro Jahr seinen europäischen Spitzenplatz mühsam erkämpft. Und nur in
Frankreich werden mehr Rinder getötet. Ich jedenfalls sorge dafür, dass wir
spitze bleiben!
Da
ich auch in Zukunft Rindfleisch kaufen werde, bin ich damit einverstanden, dass
für die Herstellung von einem Kilo Rindfleisch durchschnittlich 15.000 Liter
Wasser verbraucht werden. So viel Wasser muss nun einmal für die Bewässerung
der Futterpflanzen aufgewendet werden. Mit jedem Fleischkauf begünstige ich
irgendwo „Wasserstress“. Aber leiden wir nicht alle unter Stress? Warum sollte
das Grundwasser hierzulande oder ein Bauer in Fernweg keinen gesunden Stress
bekommen?
Solange
ich mir Flaschenwasser leisten kann, ist es mir relativ egal, dass das
Grundwasser mit Nitraten und Phosphaten belastet wird, die aus Gülle und
Düngemitteln stammen, die in der Massentierhaltung anfallen.
Als
Fleischesser diene ich anderen Menschen sogar als ein gutes Vorbild. Derzeit
sind immer noch ein Drittel oder ein Viertel aller Inder Vegetarier. Aber es
werden weniger, denn sie orientieren sich an den Essgewohnheiten von Personen
wie mir. Gemeinsam werden wir es schaffen, die weltweite jährliche
Fleischproduktion von momentan erst 300 Millionen Tonnen auf 470 Millionen
Tonnen im Jahr 2050 zu erhöhen. Not macht erfinderisch: Auch wenn momentan
niemand sagen kann, womit all die zu schlachtenden und zu verspeisenden Tiere gemästet
werden sollen – im Jahr 2050 werden wir eine Lösung haben. Klar ist schon
jetzt: Die Anbauflächen und das Getreide, das die Milliarden Tiere beanspruchen,
fehlen den Menschen. Selber schuld! Sollen sie sich doch Fleisch kaufen.
Dass
es richtig ist, Fleisch zu essen, sieht man übrigens allein schon daran, dass
es in den meisten Schulen und Kantinen täglich Fleischgerichte gibt und nur
selten oder wenige vegetarische Gerichte. Und als Mensch bin ich nun einmal ein
sehr soziales Wesen: Ich tue das, was die meisten anderen machen, ohne groß zu
fragen, ob es richtig oder falsch ist.
In
den Tiermagen gehören Mais, Hafer, Hirse, Roggen und Gerste. 57% der Welternte
dieser Getreidesorten gelangen momentan in Tiermägen, statt Menschen zu
ernähren. Mit jedem Fleischkauf entziehe ich weniger wohlhabenden Menschen
dringend benötigte Ackerflächen und Ernteerträge. Aber es schmeckt mir nun
einmal, und ich lebe in einer Demokratie, in der ich essen kann, was ich will,
solange ich anderen damit keinen Schaden zufüge.
Weil
ich, meine Kinder, Verwandten und Freunde auch künftig Fleisch essen wollen, ist
es außerdem nur gerecht, dass 70% der Äcker und Weiden weltweit zum Zweck der
Tierfütterung bewirtschaftet werden.
Aus
diesem Grund beteilige ich mich auch künftig aktiv an der Zerstörung des Amazonas-Regenwalds,
damit auf den entwaldeten Flächen Rinder weiden können und möglichst viel Soja
als Kraftfutter angebaut und nach Europa verschifft werden kann. Indem ich
brasilianisches Rindfleisch kaufe oder das Fleisch von Tieren verzehre, die mit
dort angebautem Soja gemästet wurden, helfe ich den dortigen Menschen. Denn der
brasilianische Großbauer, der den Urwald rodet, kann die Erlöse aus dem
Holzverkauf in die Viehzucht stecken, sodass es am Ende nur Gewinner gibt: ihn
und mich.
Meine
Entscheidung für den Fleischverzehr ist zugleich eine Entscheidung für den
Klimawandel, hin zur allgemeinen Erderwärmung: Um ein Kilo Rindfleisch zu
erzeugen, werden circa 25 kg des Treibhausgases Kohlendioxid in die Luft
gepustet; Fleisch aus Südamerika bringt es auf 59 kg. Berücksichtigt man das
verlorengegangene CO2-Speicherpotential gerodeten Regenwaldes, sind
es sogar 330 kg Kohlendioxid pro Kilogramm Rindfleisch. Mein Fernziel ist es,
Grönland vollständig zu enteisen, damit die Insel endlich ihren Namen verdient:
Grünland. Einmal abgetaut, hat die Insel das Potential für vielleicht eine
Milliarde Nutztiere!
Zwar
grasen „meine“ Herden den Boden ab und trampeln ihn fest, sodass er unbrauchbar
wird und sie sorgen für Bodenerosion. Aber Mutter Erde denkt mit: Sie erwärmt
sich, damit wir zur Fleischproduktion mittelfristig nach Grönland und
langfristig auf den Mars ausweichen können, um den Roten Planeten zu begrünen.
Wer
auch nur einen einzigen Punkt dieses karnistischen Manifests nicht
unterschreiben und zu Hause bleiben möchte, der soll doch zu den Vegetariern
gehen!
*(Der
Begriff „Karnismus“ ist ein von der Psychologin Melanie Joy geprägter
Neologismus.)
Literatur
Fleischatlas 2013 und 2014, ein Kooperationsprojekt von Heinrich Böll Stiftung,
BUND und LE MONDE diplomatique.
[Der
Autor dieses Manifests lebt vegan]
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