Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 05.03.09 |
von Robert Lembke
Seit einigen Wochen und Monaten nun verfolgt uns das
Schicksal des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus, der am
Neujahrstag mit einer Skifahrerin und vierfachen Mutter zusammengestoßen war,
die bei dem Unfall verstarb. Althaus selber befindet sich zur Stunde noch immer
in Rekonvaleszenz, wurde aber in dieser Woche in einem gerichtlichen
Eilverfahren zu einer Geldstrafe im fünfstelligen Bereich verurteilt, zu der er
– offenbar von sich aus – noch ein Schmerzensgeld von 5000 Euro für die Hinterbliebenen
der verstorbenen Amerikanerin hinzufügte. (Prompt titelte die „Bild“: „5000
Euro für tote Frau“, was zwar im üblichen Tiradenstil geschrieben, sachlich
aber durchaus richtig ist.)
Das mediale Hin und Her kreist nun im Wesentlichen um die Frage, ob Althaus als
Spitzenkandidat der CDU in die im Sommer anstehenden thüringischen
Landtagswahlen gehen kann. Dabei geht es eigentlich um zwei Fragen, die
getrennt behandelt werden sollten, nämlich erstens: Wird Althaus rechtzeitig
gesundheitlich erholt sein, um den anstrengenden Wahlkampf überhaupt
durchzustehen? Und zweitens: Ist Althaus nach dem Unfall, an dem ihm eine
Mitschuld trifft, für die er jetzt verurteilt wurde, überhaupt noch tragbar als
Kandidat? Die erste Frage zu beantworten ist müßig, denn sie muss sich im
Dunkel medizinischer Spekulationen verlieren. Verwundern könnte man sich
höchstens darüber, warum – rein physisch gesehen – die Genesung so lange
dauert: Entweder ist Althaus’ geistiges Vermögen durch den Unfall dauerhaft
geschädigt worden oder eben nicht – das müsste doch nach so langer Zeit den
Ärzten klar sein. Interessanter ist aber die zweite Frage, ob ein der
fahrlässigen Tötung schuldig gesprochener Mann weiterhin als Spitzenkandidat
seiner Partei und Landesvater von Thüringen tauge. Aus den bisherigen
Ereignissen entsteht dabei der Eindruck, dass viele der Verantwortlichen sich
diese Frage entweder nicht stellen oder sie absichtlich beiseite schieben. Aus
den Kreisen der Thüringer CDU vernimmt man seit dem Unfall ein fast trotziges
Festhalten an Althaus, dessen Grund offenbar darin liegt, dass sich niemand in
der Partei die kommenden Aufgaben im Wahlkampf und danach zutraut, am wenigsten
Birgit Diezel, Althaus’ momentane Stellvertreterin. Hat Deutschland etwa ein
Nachwuchsproblem, was politische Führungskräfte angeht? Nach dem
Ypsilanti-Desaster bot die SPD den völlig unbekannten Torsten Schäfer-Gümbel
auf, der schon vor Amtsantritt Zielscheibe derber Angriffe wurde; Glos‘
Amtsmüdigkeit führte zum jüngsten Minister in der Geschichte der Bundesrepublik,
und das auch noch im Ressort Wirtschaft mitten in der größten Depression seit
Kriegsende.
Was den Fall Althaus angeht, arbeiten die Beteiligten offenbar mit Nachdruck
darauf hin, dass der ehemalige Lehrer seine erfolgreiche Politkarriere fortsetzen
kann. Das gerichtliche Eilverfahren, über das sich österreichische Juristen
dahingehend echauffierten, dass es eine vollkommen außer Gebrauch gekommene
Praxis darstelle, mithin praktisch „totes Recht“ sei, kann nur den einen Sinn
gehabt haben: ‚schnell entschieden, schnell vergessen‘. Ein tage- oder gar
wochenlanges Gezerre um Gerechtigkeit im Gerichtssaal wäre für den alten wie
zukünftigen Chef der Thüringer CDU nämlich nur eines gewesen: schlechte
Publicity – und damit eine schwere Hypothek im bevorstehenden Wahlkampf. Zu
diesem strategischen Vorgehen passt die Kaltblütigkeit, mit der sich die
Verantwortlichen auf einen kleinen geographischen Unterschied berufen: De facto
nämlich ist Althaus vorbestraft, de jure aber nur in Österreich, da sich dort
der Unfall ja ereignete. Was wäre aber gewesen, wenn Althaus sein für einen
Spitzenpolitiker ohnehin zweifelhaftes Hobby nicht hinter der Grenze, sondern
in einem bayrischen Skigebiet ausgeübt hätte?
Dann wäre es für die Politik nur noch etwas schwieriger, das zu tun, was sie
zumeist tut und was offenbar zu ihrem Wesen gehört: zur Tagesordnung
überzugehen. Umgekehrt scheint sich, inmitten jenes unverwüstlichen
Pragmatismus, aber auch niemand ernsthaft die Frage zu stellen, ob ein – und
sei es vollkommen genesener – moralisch anfechtbarer Dieter Althaus der
richtige Mann ist, um seine momentan im Umfragetief festhängende CDU zum
nächsten Erfolg zu führen.
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