Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 06.03.09 |
Erschienen in: TABVLA RASA, Die Zeitung für Mitteldeutschland. Ausgabe 30. Oktober 2007.
von Notker Gloker
Die Quintessenz: Ehlert ist mit der kritischen
Interpretation der Religion(en) durch die „Neuen Atheisten“ weitgehend
einverstanden, bewertet aber die evolutionistischen Auswirkungen und
„Aggregatzustände“ unter einem nüchternen (objektiveren?) Aspekt. Wo Dawkins
mit sehr viel schärferen Formulierungen den „Nutzen“ der evolutionär
entstandenen Religion in Frage stellt als „Witz von kosmischem Ausmaß“,
bewertet Ehlert Dawkins’ Vorgehen als eine Art von inhumaner Aggressivität, als
typisch instinktgebundene mit dem Intellekt der Moderne nicht mehr zu
vereinbarenden Auseinandersetzung.
Hierzu wäre zu bemerken: Wenn man die „Wohltaten“ der
evolutionär herleitbaren Religion Revue passieren lässt, dann scheint die
dawkinsche Diktion eher zahm und dem historischen Sachverhalt angemessen. In
noch höherem Masse gilt dies noch für die gegenwärtigen religiösen
Phänomene.Ehlert sollte nicht hinter
wissenschaftlich korrekten Grundannahmen als Apologet verschiedener religiöser
Aspekte auftreten und dann seinerseits zu der von ihm beklagten polarisierenden
Argumentation greifen und die Atheisten verteufeln und von „Inhumanität,
Polemik, Konfrontation und Vernichtungswillen“ zu sprechen
Beschönigen hilft hier gar nichts und vom „Nutzen“ der
Religionen zu sprechen, mag in evolutionären Dimensionen, als die frühen
Menschen sich um einen Identifikationsfigur herum zu einer
tribalistisch-homogenen Gemeinsamkeit entwickelten und eine Art Solidaritäts-
und Wir-Gefühl entwickelten, das sich schon damals gegen andere Gruppen
absonderte, angemessen sein, heute aber ist es bestenfalls auf der
Individualebene noch gültig,sofern
sich das gläubige Individuum hier einen Halt für sein individuelles Leben
sucht, aber schon nicht mehr, wenn er sich in „Konkurrenz“ mit einem
andersdenkenden Individuum befindet! Dann endet die Moral und der Rückgriff auf
eine höhere Macht wird Rechtfertigungsgrund für jede (Un)tat.
Ehlert spricht von den Millionen von Menschen, „die sich im
Namen einer Religion ernsthaft umeine
bessere Welt bemühen“. Spricht er hier von monotheistischen Religionen??, die
ihre je eigenen Vorstellungen von einer besseren Welt mit Feuer und Schwert
verteidigen oder in missionarischer Aggression unters Volk bringen?
Mir ist eines in seiner Argumentation nicht klar: wenn
Ehlert akzeptiert, dass Religion und Religiosität ein natürliches Phänomen der
Evolution ist, wie erklärt er dann die Vorstellung der Übernatürlichkeit, die
ja notgedrungen auch Ausfluss der natürlichen Evolution ist. Wo ist denn da der
Sprungin die andere Dimension der
Übernatürlichkeit zu lokalisieren? Es kann doch nur sein, dass das Phänomen der
Übernatürlichkeit aus der Natürlichkeit herauskristallisiert wurde und somit
keinen Anspruch auf ebendiese Übernatürlichkeit haben kann: sie ist ein
natürliches Hirngespinst, durch nichts verifizierbar, schlimmstenfalls von
Institutionen, die daran Interesse haben, dogmatisierbar. Dieses Phänomen
existiert in seinem Kern unabhängig von der weltlichen Vernunft, wie Ehlert
selbst sagt. Und er nimmt Bezug auf die Untaten der Monotheismen: Kreuzzüge,
heilige Kriege u.ä..
Ehlert stimmt den Atheisten in vollem Umfang zu, aber er
stößt sich an der Art ihres Protests. Er bestätigt dem Christentum „die
evolutionär bedeutsamen sozialen Errungenschaften“ der „neuen
völkerübergreifenden Nächstenliebe“. Zugegeben, die standen im Raum, solange
das Christsein nicht, in einer Kirche institutionalisiert, an die Staatsmacht
gelangte (Staatsreligion). Ab dem Moment ist von solchen großartigen Ideen
nichts mehr übriggeblieben. Statt dessen: Kanonensegnende Geistlichkeit, unverhohlene
Aufforderung zum Kampf gegen den Feind (ob Türke, Franzose, Russe oder
Engländer). Da helfen auch Zitate
hymnischer Übertreibungen von Peter Brown nicht, der da faselt: „Wenn das
Almosen den Elenden am äußersten Rande der Gemeinschaft zukam, vergegenwärtigte
der Akt des Almosengebens die allumfassende Sorge Gottes für die gesamte
Menschheit.“
Halten wir fest: Ehlert sieht die Religion als ein
evolutionär entstandenes Denksystem mit großem natürlichem Nutzen (da durch
Evolution entstanden, die ja offensichtlich nach ihm nicht falsch liegen kann)
für die Species humana. Nun scheint mir genau hier Ehlerts Denkfehler zu
liegen. Natürliche Grundlagen der evolutionär entstandenen religiösen
Vorstellungen. Gut. Das stimmt mit unseren wissenschaftlichen Kenntnissen
überein. Die Meinung allerdings, dass Evolution immer die richtige Richtung
geht ist grundfalsch. Evolution ist blind! und hat keine Entelechie. Einen ID
(Intelligent Dessigner) gibt es nicht! Das heißt, dass es in der Evolution
unendlich viele Irrwege gab und heute noch gibt. Manche Erscheinungsformen wird
die Evolution ausrotten oder zumindest dezimieren, um ihren Fehlgriff zu
kompensieren. Das banalste Beispiel dürften die Lemminge sein. Aber auf unsere
Situation bezogen sind die auf Gruppenerleben und Zugehörigkeit gründenden
reproduktiven Vorteile religiöser Gruppen (vgl hierzu Blume, die Bio-Logik des
Glaubens), die zu einem Youth-bulge führen und damit zu einer Übervölkerung
genau die Auslöser der evolutionären „gnadenlosen„Ausdünnung“genau dieser Populationen. Und zwar auch unter gleich- oder fast
gleichgesinnten Glaubensgemeinschaften. Wenn Moslems von Iran gegen Moslems vom
Irak sich blutig reduzieren. Dies gilt natürlich auch für andere, sagen wir
ethnische oder nationale Gemeinschaften. Nur ist hier die Chance größer, dass
wir hier über intellektuelle Steuerung zu lebensverträglichen Bedingungen
voranschreiten, (Beispiel Deutschland – Frankreich), währendreligiöse Grundstimmungen dies absolut
ausschließen. Glauben hat den Primat vor der Moral! Und der Intelligenz! Ehlert
verlangt hier Ehrfurcht vor der Religion als Teil der Evolution.
Wir können den hunderttausendfachen Tod von Lemmingen
relativ gelassen als evolutionäres Schauspiel betrachten. Anders wird es sein,
wenn wir christliche oder islamische Gräuel vor Augen haben. Hier ist in
Gegenwart und Vergangenheit keine Ehrfurcht am Platz, sondern Empörung, weil
unsere Moral und Intelligenz aufs Schändlichste beleidigt werden. Ich weise es
von mir, dass hier „die Unzulänglichkeiten und Fehlfunktionen des religiösen
Glaubens“, die ja evolutionär entstanden sind, quasi verniedlicht werden,
banalisiert werden, indem man meint, eine von archaischen Vorstellungen
geprägte Religion (wie z.B. die christliche) habe sich ja in der menschlichen
Verhaltenssteuerung der damaligen Zeit als sehr „effektiv“ bewährt und müsse
halt jetzt unter den heutigen Maßstäben gesehen, hinterfragt und kritisiert
werden als eine „vollkommen natürliche Verhaltensweise...,die noch bis in die
heutige Zeit...ihren Nutzen hat.“
Es gibt nur drei monotheistische Religionen, die einen
absoluten Wahrheitsanspruch vertreten. Und nur diese haben diesen blutigen
Unsinn in die Welt gebracht. Oder hat man schon einmal von Religionskriegen in
der afrikanischen Bevölkerung gehört? Sofern, ja sofern nicht die christliche
„Army of the Lord“ in Ruanda und Uganda mit Macheten über die Bevölkerung
herfällt. Oder haben die olympischen Götter gegen Jupiter und seinen göttlichen
Anhang gekämpft? Und genau hier setzt Dawkins mit seiner Kritik an, nicht an
den verschiedensten „Privatreligionen“, wo sich Gemeinschaften gebildet haben,
die für sich einen Weg zum Leben suchen, zu einem erträglichen Weg zum Tod.
Dawkins verbeißt sich zurecht an den völkerverderbenden Monotheismen.
Dawkins ist sicher der Letzte, der der Evolution
ehrfurchtslos gegenüber stünde, aber er erlaubt sich, seine Intelligenz und
seine moralischen Grundsätze zu benutzen, um Fehlentwicklungen, auch in der bei
Ehlert offenbar sakrosankten Evolution zu festzustellen. Vielleicht auch in der
Hoffnung, damit einen evolutionären Irrweg mit Intelligenz abzukürzen.Eine Sisyphusidee bei der notorischen
Schafsmentalität und der fundamentalistischen und aggressiven Ignoranz der
Gläubigen, die ihnen von den geistlichen (Ver)führern eingebläut wird. Immerhin
sieht auch Ehlert, dass die Evolution nie etwas hervorbringt , „und (sie)
behält es schon gar nicht längere Zeit bei, wenn es nicht einen ganz konkreten
Sinn und Nutzen in der natürlichen Entwicklung erfüllt.“ Nun lässt sich über
den Terminus „längere Zeit“ trefflich streiten, irgendwann wird die Evolution
diesen Spuk beenden.
Wenn Dawkins’ streitbare Polemik als inhuman angeprangert
wird, dann muss dem Verfasser Wehleidigkeit attestiert werden, denn nirgends
wird mit so harten Bandagen gekämpft wie bei den monotheistischen Religionen.
Und ein moralischer Aufschrei ist nun mal kein Lobeshymnus. Und nicht die
Darlegung eines „objektiven und neutralen naturwissenschaftlichen Standpunkts.“
Dawkins vorzuwerfen, dass seine (oder der neuen Atheisten)
„soziale Aggression“ die Verhaltensweise des religiösen Glaubens übernimmt und
damit quasi Verstand und Vernunft (wie die Religion es tut) über Bord wirft,
wenn er den Zustand der Religionen beschreibt, ist hinter dem Vorhang und Vorwand
der wissenschaftlichen „correctness“ eine heuchlerische Rechthaberei und
Verzeichnung und der Versuch der Exkulpierung monotheistischer Religionen, die
verantwortlich sind für die dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte im
Namen der (erfundenen) Allgüte , Allgegenwart und Allmacht des Eingottes.
Es wäre übrigens verdienstvoll, wenn sich Ehlert auch an
Ernst Topitsch, dem man nun nicht den den„neuen Atheisten“ unterstellten inhumanen Vernichtungswillen vorwerfen
kann, erinnerte: Er hat in„Erkenntnis
und Illusion“ bereits 1988 ein vernichtendes Fazit über religiöse Manipulation
gezogen.
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