Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 07.03.14 |
von Anna Zanco-Prestel
Ausdruckstarke S/W Fotos mit Gruppenbildern ernst blickender
oder mal auch fröhlicher Kinder vor einer heute schwer identifizierbaren
Kulisse.
Kinder unterschiedlichen Alters in ihrem Wägelchen
sitzend nebst Halbwüchsigen im schulischen Alltag, auf der Straße, beim
Basketballspiel oder wartend auf eine warme Mahlzeit. Kinder, deren bloße
„Existenz eine heroische Tatsache“ war, denn sie– so die Schriftstellerin Lea
Fleischmann auf einer der informationsreichen Begleittafel –, den Beweis dafür
lieferten, dass „die Nazis ihr Werk nicht vollendet hatten...“
Eine von Kirsten Jörgensen und Dr. Sybille Kraft aus
internationalen Archiven und aus Privatbesitz zusammengetragene Dokumentation
bringt in der Jüdischen Gemeinde am Jakobsplatzeinen noch nicht gründlich
erforschten Kapitel der Shoah und deren Folgen ans Licht. Sie bietet Einblicke
in die Lebensumstände im so genannten „Lager Föhrenwald“ nahe Wolfratshausen,
das zum größten und am längsten bestehenden Sammelplatz für DPs – Displaced
Persons -in Nachkriegsdeutschland wurde. DPs – Displaced Persons – wurden
„heimatlose Ausländer“ genannt, die oft nur durch ein Wunder oder seltsamen
Glücksfall der Shoah entronnen waren. Die meisten kamen aus den befreiten KZs,
aus Verstecken oder Wäldern in den Ostgebieten. Sich selbst definierten sie als
„She'erit Hapleh“, was „Rest der Geretteten“ bedeutet. Für etwa 200.000
jüdische Überlebende war die amerikanische Zone im besetzten Deutschland eine
Zwischenstation vor der Ausreise in den erst 1948 gegründeten Staat Israel oder
nach Übersee. Die Mehrzahl von ihnen kam nach Bayern, wo niemals so viele
jüdischen Menschen lebten wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Das
DPs-Lager Föhrenwald gilt als das„letzte jüdische „Schtetl“ (Prof. Michael
Brenner) in Europa. Die Erinnerung an seinem Da-Sein bietet zum ersten Mal die
Gelegenheit, die Geschichte der DPs an einen „authentischen Ort zu verankern“.
Zwischen 1947 und 1957lebten im Lager Föhrenwald zeitweise 6.000 heimatlos
gewordene Juden, die vorwiegend aus Polen, Litauen, Russland, Rumänien und
Ungarn stammten, wo in der Zeit „Pogromstimmung“ herrschte. Die meisten von
Ihnen hatten Unsägliches im Zuge von Vertreibung und Verfolgung erlitten. Im
Föhrenwald bildete sich dank der Unterstützung amerikanisch-jüdischer
Hilfsorganisationen wie das JOINT (American Jewish Joint Distribution Comittee)
eine Gemeinschaft, die abgeschirmt von der Rest der Welt und von ihrer
feindseligen Umgebung in Selbstverwaltung lebte. Untergebracht wurden die Überlebenden
in eine Siedlung, die bis Kriegsende als nationalsozialistische Wohnstätte für
Dienstverpflichtete und ausländische Zwangsarbeiter aus 16 Ländern einer
Pulver- und Munitionsfabrik im benachbarten Geretsried diente. Solide gebaute
Reihenhäuser mit hohen Dächern boten den Ankömmlingen und den neuen Familien,
die sich allmählich bildeten, einen provisorischen Zufluchtsort, an dem sie
sich langsam an ein Leben ohne Angst wieder gewöhnen konnten. Während die
Erwachsenen sehnsüchtig auf die Ausreise nach Israel warteten oder von einem
Visum für die USA oder Kanada träumten, verbrachten die vielen Kinder eine
trotz vieler Entbehrungen und widriger Verhältnisse unbeschwerte Kindheit und
Jugend. Föhrenwald bot Sicherheit und Geborgenheit jenseits von Vorurteilen und
„abfälligen Bemerkungen“, jenseits des nach Jahren des Haßes und der Hetze in
den Köpfen schwer ausrottbaren Antisemitismus. Neben einer großen Anzahl von
Kindern und Jugendlichen, die nach Föhrenwald ohne Eltern kamen und in ein
Waisenhaus aufgenommen wurden, gab es viele, die dort geboren wurden. In
Föhrenwald war die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden Europas zu
verzeichnen, was als Zeichen des wieder gewonnenen Mutes und der Hoffnung, als
Sieg des Lebens über die Kräfte der Zerstörung zu deuten war. Die Kinder –
liest man in der Ausstellung – wurden „verwöhnt und bei jeder offiziellen
Gelegenheit hoch gelobt“, man versuchte, sie nicht unmittelbar mit den
schrecklichen Erfahrungen zu konfrontieren, die die meisten Lagerbewohner
hinter sich gebracht hatten. Trotzdem sollten diese Erfahrungen Teil ihrer
Existenz bleiben. „Die Erwachsenen im Lager waren gezeichnet von der
Vergangenheit und was in der Zukunft aus ihnen werden sollte, wußten sie nicht.
Wir alle waren sozial Entwurzelte und Deplazierte im Lande der Täter“ –
schreibt Rachel Salamander – „Nichts war selbstverständlich, nicht die Sprache,
nicht die Heimat.“
Gesprochen wurde in Föhrenwald English, Hebräisch und
Jiddisch. Dominierend war aber das Jiddische, das allen Kindern als
Muttersprache, als „Erbe der osteuropäischen Heimat“ mitgegeben wurde.
Dr. Rachel Salamander, die mit der von ihr 1982
gegründeten „Literaturhandlung“ in der Fürstenstraße (heute im Jüdischen Museum
am Jakobsplatz), mit ihren Lesungen und Vortragsreihen die große Tradition der
jiddischen Kultur und die jüdische Literatur überhaupt in München wieder
„salonfähig“ gemacht hat, verbrachte ihre früheste Kindheit in Föhrenwald. Die
Straße, in der sie mit ihrer aus Polen stammenden Familie und ihrem älteren
Bruder Beno wohnte, hieß New-Jersey-Street. Wie alle anderen Straßen der
Siedlung trug sie den Namen eines amerikanischen Bundesstaates. In derselben
Straße soll die Adresse eine der Schulengewesen sein, in denen unfangreiches
Wissen vermittelt und in Berufsbildungskursen auf die Auswanderung nach Israel
vorbereitet wurde. Neben Sportplätzen und einem Kino gab es Synagogen und
religiöse Lehrstätten, eine Talmud-Thora-Schule für Jungen und eine
Beth-Jakov-Schule für Mädchen.
Am Independance Place – bis 1945„Danziger Freiheit“
genannt – befand sich der mit Warmwasser versorgte Sanitärbereich des Lagers,
den Frauen am Donnerstag, Männer am Freitag nutzen durften. In dem neulich vom
Abbruch geretteten„Badehaus“ befand sich auch ein jüdisches Ritualbad (Mikwe),
wo nun ein Begegnungs- und Dokumentationszentrum entstehen soll. Die Initiative
zum Aufbau der Gedenkstätte geht auf den Verein „Bürger fürs BADEHAUS
Waldram-Föhrenwald e.V.“ mit Sitz am Kolpingplatz in dem Wolfratshauser
Stadtteil Waldram zurück. Nach Auflösung des Lagers mit dem poetischen Namen
Föhrenwald im Jahre 1957 ging die Liegenschaft in den Besitz der Katholischen
Kirche über, die sie 1955 erworben hatte und anschließend renovieren ließ. Im
Zuge einer „Re-Katholisierung“ des Ortes wurde sie nach dem Benediktbeuerer
Gründungsabt Waldram umgetauft. Sämtliche Straßen wurden auch umbenannt,
während die Häuser zum Teil an Kriegsopfer, Heimatvertriebenen u.a. aus dem
Sudetenland sowie an kinderreiche Familien verteilt und verkauft wurden. Dies
erklärt, weshalb die Geschichte dieses größten, mit Unterstützung der UNO
errichteten Auffanglagers für jüdische Überlebende Jahrzehnte lange verdrängt
wurde und vielen der späteren Einwohner weitgehend unbekannt blieb. Die
geplante Gedenkstätte ist Teil einer auch von der Bayerischen Regierung
unterstützten „Regionalisierung des Erinnerns“, die in einer sich anbahnenden
Zukunft„ohne Zeitzeugen“ neue Formen des Gedenkens vorsieht. Sie sollen helfen,
ins Bewußtsein der Nachgeborenen einzuprägen, dass die Shoah sich nicht nur an
bestimmten Schauplätzen wie Auschwitz oder Treblinka, sondern auch lokal,
sozusagen „vor der Haustür“, abspielte.
Die Kinder vom Lager Föhrenwald - Fotodokumentation
Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
13. Februar bis 13. März 2014- Mo mit DO 15-19 Uhr
www.ikg-m.de
Begleitprogramm
Dienstag, 18. Februar 2014, 19.30 Uhr-„Befreit & Vergessen“ , Film und
Gespräch
Vorführung des gleichnamigen Dokumentarfilms von Henriette Schroeder, Joachim
Schroeder und Werner Kiefer (1995, Preview Productions)
Dr. Rachel Salamander, Inhaberin der Literaturhandlung und Publizistin,
erinnert sich im Gespräch mit Schülern des Gymnasiums Geretsried an ihre
Kindheit in Föhrenwald.
Montag, 24. Februar 2014, 19.30 Uhr -„Draußen waren die anderen“,
Gesprächsrunde
Die ehemaligen „Föhrenwalder“ Abraham Ben, Jacques Cohen, Leibl Rosenberg, Icek
Surovicz und Majer Szanckower erzählen über das Lebensgefühl„Weiterleben!
Jüdischer Neuanfang in Deutschland nach dem 2. Weltkrieg“ nach dem
gleichnamigen Dokumentarfilm von Henriette Schröder (2009, Preview
Production).Moderation: Dr. Sybille Krafft
Eintritt frei
Veranstaltungsort aller Veranstaltungen: Jüdisches Gemeindezentrum,
St.-Jakobs-Platz 18
Links:
Initiative Bürger fürs Badehaus
Waldram- Föhrenwald
info@BadehausWaldram.de
www.BadehausWaldram.de
Publikation:
Beno Salamander, Kinderjahre im Dispaced-Persons-Lager Föhrenwald, München 2011
Eine Veröffentlichung der Bayerischen Landeszentrale für Politische
Bildungsarbeit und vomJüdischen Museum München
Bild unten:
Die Zwillinge Sonja und Rosa
Moczydlower, 1953/54 . Die Familie, die später in die USA auswanderte, wohnte
in der Auerbachstraße (vor 1945 Ostmark Straße, heute Bettingerstraße). Während
alle anderen Straßen im DP-Lager die Namen von amerikanischen Bundesstaaten
trugen, wurde diese Straße nach dem jüdischen Rechtsanwalt Philipp Auerbach
benannt.
© Verein "Bürger fürs BADEHAUS Waldram-Föhrenwald“
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tabea 25.07.2014 15:35
„... ein noch nicht gründlich erforschtes Kapitel der Shoah und deren Folgen ans Licht. Sie bietet Einblicke in die Lebensumstände im so genannten „Lager Föhrenwald“ nahe Wolfratshausen, das zum größten und am längsten bestehenden Sammelplatz für DPs – Displaced Persons -in Nachkriegsdeutschland wurde.“ Föhrenwald gilt als sehr gut erforscht, siehe hierzu insbesondere das schon 1994 erschienene Buch „Lebensmut im Wartesaal" von Angelika Königseder und Julian Wetzel, Fischer Verlag. Die beiden Autorinnen legten zudem weiter Veröffentlichungen zu diesem Thema vor. Mittlerweile liegen auch über andere jüdische DP-Camps mehrere wissenschaftliche Dokumentationen vor. Föhrenwald war nicht das größte DP-Lager im Nachkriegsdeutschland! Es gab außerdem zahlreiche nichtjüdische DP-Camps für Polen, Balten, Ukrainer etc. Föhrenwald war auch nicht das größte jüdische DP-Camp. Pocking und Bergen Belsen hatten mehr Bewohner!“ „... in Föhrenwald war die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden Europas zu verzeichnen...“ Falsch! Die DP-Community insgesamt verzeichnete die höchste Geburtenrate aller jüdischen Gemeinden weltweit.