Erschienen in Ausgabe: No 97 (03/2014) | Letzte Änderung: 04.03.14 |
von Nathan Warszawski
Thilo Sarrazins Buch über die Meinungsfreiheit ist erschienen.
Ich habe bei kindle die ersten beiden gebührenfreien Kapitel gelesen. Sarrazin
schreibt wie er spricht. Über den Inhalt kann ich nur eine Aussage machen:
Themaverfehlung!
Es geht nicht um die Meinungsfreiheit in Deutschland, die Sarrazin
bedroht glaubt, sondern um die eingeschränkte Freiheit, Fakten zu
veröffentlichen. Meinung und Wissen schließen sich seit den Vorsokratikern, die
vor 2.500 Jahren gewirkt haben, gegenseitig aus.
Meinung ist Nicht-Wissen, eine unbewiesene Behauptung. Im
Gegensatz zur Hypothese beabsichtigt die Meinung nicht, wahr zu werden. 2 + 2 =
4 ist Wissen, 2 + 2 = 5 ist Meinung.
Es gibt kein Land auf unserem Erdball, in dem absolute
Meinungsfreiheit herrscht. Zur Meinungsfreiheit gehört nicht nur die
Formulierung und die Fixierung, sondern auch die Veröffentlichung. Mir fallen
keine überzeugende Gründe ein, warum mein Leserbrief mit der Meinung, dass 2 +
2 = 5 veröffentlicht werden soll. Würde absolute Meinungsfreiheit in
Deutschland herrschen, dann wäre das Lokalblatt gezwungen, meine Meinung zu
publizieren.
Die Demokratie schützt die Meinungsfreiheit, die Verbreitung
falschen Wissens. Schützt die Demokratie auch die Freiheit, Wahrheiten zu
verbreiten? Der Staat windet sich aus dem Dilemma, indem er vorgibt, dass zur
Meinung auch das Wissen, die wahre Meinung gehört, was jedoch bereits vor 2.500
Jahren widerlegt worden ist.
Ich darf also ungestraft die Meinung vertreten, dass in genau
24 Stunden die Temperatur in der Eifel, wo ich lebe, genau 2°C höher sein wird
als jetzt. Ebenfalls darf ich behaupten, dass in 200 Jahren die Temperatur um
4° - 6°C ansteigen wird, wenn wir weiterhin nicht-erneuerbare Energie
verbrauchen, auch wenn es außer Uran keine nicht-erneuerbaren Energien in
unserem Planeten gibt. Die zweite Meinung hat die größere Wahrscheinlichkeit,
publiziert zu werden. Solch eine Aussage geben internationale Experten aus, die
im Gegensatz zu mir dafür gut bezahlt werden. Ihre Meinung muss nicht falsch
sein! Zufällig kann sie stimmen. Wahrscheinlich ist es nicht.
Wenn nun ein anderer, weniger gut bezahlter Experte seine
Gegenmeinung zum Besten geben und behaupten würde, dass egal wie viel CO2
wir auch produzieren, die Temperatur davon unbeeinflusst bleibt, dann würde er
in seiner Meinungsfreiheit beschnitten werden, obwohl dies keine unbewiesene
Meinung, sondern fundiertes Wissen ist. Nicht die Meinungsfreiheit ist bedroht,
sondern die Wissensfreiheit!
Ich unterlasse es, ein weiteres Beispiel aus der Sexualität
des Menschen mit noch höherer Beweiskraft zu liefern, da ich die Publikation dieses
Artikels nicht gefährden will.
Zu Beginn der Neuzeit wurde Galileo Galilei gezwungen, eine
wissenschaftliche Tatsache zu widerrufen, die der Kirche nicht behagte. Er musste
nicht widerrufen, weil es damals in Italien keine Meinungsfreiheit gab, sondern
weil sich die Kirche der Verbreitung von bestimmtem Wissen widersetzte. Viel
hat sich seitdem nicht geändert. Der demokratische Staat garantiert die
Freiheit der Meinung. Die Freiheit des Wissens wird, wenn es dem Staat
politisch opportun erscheint, durch Entzug von Geldmitteln und Rechtssicherheit
eingeengt, letztendlich verboten. Aktuelle Beispiele liefern Gentechnik und Atomkraftwerke.
Noch schlimmer ergeht es der Wahrheit versessenen Menschen in undemokratischen
Staaten. Die Verbreitung von Falschwissen, welches dem Regime zu seinem Erhalt
dient, wird fürstlich entlohnt. Selbst ehemalige westliche Regierungsmitglieder
erliegen der Macht des Geldes. Die Verbreitung unbequemer Wahrheiten wird hingegen
in Diktaturen immer verfolgt.
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Warszawski 28.02.2014 22:25
Es geht um die Frage, ob geforscht wird, ob ein Zusammenhang zwischen Sexualpräferenz (ICD10 F65) und sexuelle Orientierung besteht.
AFKovacs 26.02.2014 18:21
Hochinteressant. Und das ("..eingeschränkte Freiheit, Fakten zu veröffentlichen..") ist ja auch, was unter "political correctness" gemeint ist: Etwas sachlich Richtiges darf nicht gesagt oder publiziert werden, weil es jemanden (Staat? Leitmedien?) stört. Mit dem unterschlagenen Beispiel aus der Sexualität des Menschen, für das meine Fantasie leider nicht ausreicht, haben Sie mich neugierig gemacht.