Erschienen in Ausgabe: No 98 (04/2014) | Letzte Änderung: 06.04.14 |
von Heike Geilen
Es ist erst wenige Jahre her, da machten
amerikanische Wissenschaftler aus Harvard mit einem sensationellen
Forschungsergebnis auf sich aufmerksam. Ihnen war es bei Mäusen gelungen, deren
Alterungsprozess aufzuhalten und ihn sogar umzukehren. Die entscheidende Rolle
dabei spielt das sogenannte "Untsterblichkeitsenzym" Telomerase, für
dessen Entdeckung es im Jahr 2009 sogar den Medizin-Nobelpreis gab.
"Forever young"! Sollte der Song von Alphaville aus dem Jahr 1984
bald kein Wunschtraum mehr sein? Bis dies allerdings auch für den Menschen
Wirklichkeit wird, müssen wir uns "wohl oder übel" mit dem
Alterungsprozess "abfinden".
Doch warum tun wir uns so schwer mit dem
Alter? Warum ist unser Bild, das wir davon haben, so negativ aufgeladen? Warum
wird es zuweilen gar als Bedrohung angesehen? Wir verknüpfen das Älterwerden
und Altsein mit Krankheit, Vergesslichkeit, Schmerzen, Einsamkeit, grauen Haare
oder Glatze, Falten, Gebrechlichkeit oder Pflegebedürftigkeit. Laut neueren
Untersuchungen spuken sogar schon in den Köpfen von sechsjährigen Kindern
negative Fantasien von den bedauernswerten senilen und in die Jahre gekommenen
Alten herum. "Ein Aspekt der Wahrheit des Älterwerdens ist, dass dieses
Werden mehr als jedes andere mit der Vergänglichkeit konfrontiert ist.",
stellt Wilhelm Schmid fest. Das ist zwar schon seit Menschengedenken so,
"aber in moderner Zeit wurde ein Ärgernis daraus, denn alles ist technisch
machbar, warum nicht auch die ewige Jugend?", so Schmid.
"Der Mensch wird von allein alt. Aber
ob sein Altern gelingt, hängt von ihm ab. Es ist eine hohe Kunst, in guter
Weise älter zu werden.", stellte schon der Benediktinerpater Anselm Grün
fest. Gelassenheit ist das "Zauberwort", dem schon in der Antike eine
große Bedeutung beigemessen wurde. In der Moderne aber geriet gerade sie in
Vergessenheit. Sie wurde zum Opfer des modernen Aktivismus, des
wissenschaftlich-technischen Optimismus. Warum diese Tugend nicht einfach
wieder kultivieren? "Art of Aging statt Anti-Aging", so Schmids
Slogan. Das kleine, schmale Büchlein des Philosophen und Glücksforschers zeigt,
wie man durch mehr Gelassenheit seine Einstellung zum Älterwerden und zum Alter
beeinflussen, damit gesünder alt werden und so dem Alter abgeklärter und
entspannter entgegensehen kann.
In tiefgehenden, aber verständlichen
philosophischen Disputen, gegliedert in zehn kurze Kapitel, stellt er Überlegungen
zur schrittweisen Erlangung von mehr Gelassenheit beim Älterwerden an. Grob
zusammengefasst umfassen sie Gedanken:
1. zu den einzelnen Zeiten des Lebens
2. zum "Erwerb eines Wissens von den
Eigenheiten dieser Lebensphase, eine Aufgeschlossenheit für das Werden, das sie
ermöglicht und ein Verständnis für die Herausforderungen, die sie mit sich bringt"
3. zum Pflegen und Kultivieren von
Gewohnheiten
4. zur Erlangung einer bewussten Fähigkeit
zum Genuss, sei es im Reisen, der Erinnerung, des Gesprächs, der Gartenlust
oder auch der Lust zur Muße
5. zur Stärkung der Hinnahmefähigkeit,
"um mit kleineren Malaisen und größeren Problemen zurechtzukommen"
6. zu Berührungen, egal ob aktiven oder
passiven wie dem Gespräch oder der stillem Form während einer Lektüre
7. zum vielfältigen Netz aus Freund-, aber
auch Feindschaft
8. zur Besinnung, der Suche nach Sinn und
Zusammenhang
9. aber auch zum Finden einer Haltung
"zur Grenze des Lebens" - dem Tod
sowie schlussendlich
10. zu einem möglichen Leben nach dem Tod.
Statt das Alter als eine Bedrohung, können
wir es auch als eine Bereicherung und eine Chance ansehen. Oder wie es der
Autor ausdrückt: "Das Einverständnis mit dem Leben kann alle Beschwernisse
des Alters überwinden. Es geht mit der Gelassenheit einher, die nicht schwer
ist, da sie vom Lassen kommt, das wiederum von selbst leichter wird, wenn das
Tun schwerer fällt: Dinge einfach geschehen lassen und sie nicht komplizierter
zu machen, als sie sowieso schon sind." In knappen, klaren, fast
stichwortartigen Sequenzen gibt der Berliner Philosoph Gedankenanstöße und regt
an, in sich zu gehen, das eigene Leben und auch sein Umfeld zu hinterfragen.
Entstanden ist ein wunderbar-geistvolles, belebendes-besinnliches, ja schönes Büchlein,
das zum Nachdenken ermuntert, zum In-sich-Hineinhorchen, zum Sinnieren. Ein
Text, nicht opulent und ausschweifend, sondern wortweise und prägnant, der dazu
verleitet, Gedanken spielen zu lassen: sehr sinnvoll! Manchmal kann weniger
durchaus mehr sein.
Wilhelm Schmid
Gelassenheit. Was wir gewinnen, wenn wir älter
werden
Insel Verlag (März 2014)
119 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3458176004
ISBN-13: 978-3458176008
Preis: 8,00 EUR
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