Erschienen in Ausgabe: No 59 (1/2011) | Letzte Änderung: 14.02.13 |
von Andreas Beyer
Näher dürfte man der historischen
Person Andrea Palladio kaum kommen, als in dem hier in deutscher Fassung
vorliegenden Buch von Guido Beltramini. Aus den spärlichen Quellen, die sich zu
ihm und seinem nächsten Umfeld erhalten haben, wird das intime Lebensbild eines
Mannes konturiert, der, wie kaum ein anderer Künstler vor oder nach ihm, zur
Signatur einer Epoche und zum Namensgeber eines Baustils geworden ist, der sich
über Jahrhunderte und Kontinente erstreckt. Dabei überrascht umso mehr, dass
ein Werk zu allgemeiner Aufmerksamkeit und so folgenreicher Verbreitung finden
sollte, dessen Realisierung fast ausschließlich auf eine Region beschränkt
geblieben ist, auf die Terra ferma, das
unmittelbare Hinterland Venedigs, und auf die Lagunenstadt selbst.
Und dennoch fand Palladios
Name größeren Widerhall als der vieler anderer Baumeister. Seine klare, strenge
Tektonik, unter Einsatz antikisierender Elemente, wie etwa der Tempelfront oder
der Kolossalordnung, hat seit dem 17. Jahrhundert vor allem in den vom
römischen Barock sich abgrenzenden protestantischen Ländern Verbindlichkeit erreicht
– von den Niederlanden über die skandinavischen Länder bis nach England und in
die Vereinigten Staaten. Palladianismus – der erste wirklich internationale
Stil.
Wie sehr aber bindet sich
dieses Regelwerk an seinen Urheber, wie verhält sich dessen unverkennbare
Einzigartigkeit zu dem unübersehbaren Phänomen seiner Allgemeingültigkeit? Auch
die Architektur ist ja ein Feld künstlerischer Selbstbehauptung, eine Fläche
singulären Autorenstolzes, was anschaulich daraus hervorgeht, dass Baukünstler
immer schon ihre Werke signiert haben. Für die römische Antike sind Hunderte
von Namensinschriften an Bauwerken überliefert, ebenso für das Mittelalter.(2)
Und auch die Renaissance
kennt die Baumeister-Signatur, zumal in Norditalien, wo Gianmaria Falconetto
oder Michele Sanmicheli ihren Werken in Padua oder Verona selbstbewusst den
eigenen Namen eingeschrieben haben.
Für den etwas jüngeren, 1508
geborenen Andrea Palladio hingegen fehlen solche Etikettierungen weitgehend. An
seinen Bauten konnten nur drei Namensinschriften nachgewiesen werden. Eine
findet sich auf der Schmalseite der Loggia del Capitaniato, an jenem
vicentinischen Bau also, der 1571 fertiggestellt worden ist, zu einem Zeitpunkt,
als die Vier Bücher zur Architektur bereits
erschienen waren und in die er folglich nicht aufgenommen werden konnte.
Möglicherweise erklärt das die Anbringung der Signatur, ebenso wie jene am
Tempietto Barbaro in Maser, 1580 errichtet, im Todesjahr Palladios, der
vermutlich über diesem Werk verstorben ist. Möglich ist aber auch, dass diese Inschriften
überhaupt posthum angebracht worden sind, also nicht als Autorensignatur gelesen
werden sollten, sondern als Ausdruck des Bauherrenstolzes, der den Meister noch
nach seinem Tod in den Dienst der eigenen Fama
und Memoria stellt.
Ganz ohne Zweifel posthum
ist jedenfalls die Namensnennung Palladios auf der Schauwand des 1580 von ihm entworfenen, aber erst 1584
nach Erweiterungsplänen Vincenzo Scamozzis fertiggestellten und 1585 eröffneten
Teatro Olimpico. Das Teatro Olimpico ist ein Memorialbau, der vor allem der
Akademie selbst zur Verewigung ihrer in der Wiederauflebung der antiken Theaterpraxis
sich auslebenden Tugendhaftigkeit diente. An Palladio erinnern die Akademiemitglieder
hier, weil er das Instrument, das Medium ihrer Selbstverwirklichung gewesen
ist? (3)
Es geht in diesen
Inschriften daher weniger um eine vom Künstler selbst beglaubigte Autorschaft,
als darum, durch die Aufrufung seines Namens an dessen Wirkkraft teilzuhaben.
Dass diese sich ausschließlich an Palladios Bauten, an sein Werk selbst band,
geht schon aus den Umständen seiner Bestattung hervor, die sein erster Biograph,
der Kleriker Paolo Gualdo, beschrieben hat: »Palladio starb am 19. August des
Jahres 1580 im Alter von 72 Jahren und wurde in der Kirche der
Dominikanermönche Santa Corona beigesetzt«, schreibt Gualdo. Dieses Grab ist
freilich nie verlässlich identifiziert worden, geschweige denn der Leichnam
Palladios. Die von Beltramini geschilderten, geradezu tumultuösen Umstände
hinsichtlich der Identifizierung der sterblichen Überreste des Baumeisters
verwundern schon deshalb nicht, weil Gualdo in seinem Bericht fortfährt: »Über
seinem Grab wurde keinerlei Epitaph angebracht, weil die äußerst vornehmen
Werke, die er geschaffen hat (...), genügen mögen, ihn unsterblich zu machen und
sein Andenken zu bewahren.« (4)
Bedenkt man die Umstände der
Aufbahrung und Bestattung etwa Raffaels oder Michelangelos – im Falle des Letzteren
zieht sich deren Beschreibung durch Giorgio Vasari über Seiten hin –, dann
verwundert diese gleichsam anonyme Bestattung Palladios; es erstaunt aber auch
das Unzeitgemäße, die enorme Modernität der Auffassung, die Werke allein als
anschauliches Exempel und dauerhafte Memoria
dieses Lebens gelten zu lassen.
In Vasaris Vite hat Palladio keine eigene Lebensbeschreibung
erhalten. Als im Jahr 1568 die zweite Auflage der Lebensläufe erschien, musste Palladio, wie nicht wenige andere
Künstler seiner Zeit, feststellen, im kanonischen Vademecum der Zeit nicht
eigens zu figurieren. Dass Palladio in der ersten Auflage von 1550 nicht
erwähnt wird, erstaunt weniger, da er damals noch in seinen Anfängen steckte.
Es ist in diesem Zusammenhang aufschlussreich genug, dass der Titel der ersten
Auflage die Architektur als erste der Künste auflistet (5), während in der
zweiten, erweiterten Ausgabe die Baukunst diesen Rang an ihre Schwesterkünste
abtreten muss. (6) Die Gründe für diesen paradigmatischen Wechsel sind erst
kürzlich von Matteo Burioni analysiert worden, der überzeugend vorschlägt, dass
die zwischen 1550 und 1568 erfolgte Durchsetzung des Primats des disegno zu einer Degradierung der
Architektur geführt habe, oder besser zur Ausbildung des »Künstler-Architekten«.(7)
Darunter ist ein Baumeistertypus zu verstehen, der allein durch seine Teilhabe
am Prinzip des disegno, des
konzeptuellen Entwurfs, den Rang eines wirklichen Künstlers erlangen konnte.
Das jedenfalls scheint hervorzugehen aus der Entscheidung der Florentinischen Accademia del Disegno von 1563, nur noch
sogenannte »architetti artisti« aufzunehmen – und diese somit von Steinmetzen,
Zimmermännern, Ingenieuren und anderen Bauleuten abzugrenzen. (8) Andrea
Palladio selbst, der als Steinmetz begonnen und sich erst zum
Künstler-Architekten entwickelt hat, wurde im Jahr 1566 in die Florentiner
Akademie aufgenommen.
Wahr ist aber auch, dass
Palladio zwar keine selbständige Vita
in Vasaris Buch erhält, aber darin durchaus Erwähnung findet. Tatsächlich wird
er im Rahmen der Lebensbeschreibung des Jacopo Sansovino gewürdigt, und das
auch mehr als nur en passant: »Doch
unter allen Vicentinern verdient der Architekt Andrea Palladio das höchste Lob,
da er ein Mann von einzigartigem Talent und einer ebensolchen Urteilskraft ist.
Dies sieht man an vielen Werken, die er in seiner Heimatstadt und anderswo
geschaffen hat (...), und wenn man seine schönen und merkwürdigen Erfindungen
und ungewöhnlichen Einfälle in allen Einzelheiten hätte aufzählen wollen, wäre
daraus eine äußerst langatmige Geschichte geworden. Und da bald ein Werk
Palladios erscheinen wird (...), werde ich weiter nichts über ihn sagen, da
dies ausreicht, um ihn als jenen hervorragenden Architekten bekannt zu machen,
für den er von jedem, der seine wunderschönen Werke sieht, gehalten wird.« (9)
Indem er zwei Jahre nach
Erscheinen von Vasaris Vite seine Vier Bücher zur Architektur publiziert,
bestätigt Palladio Vasaris Ankündigung, korrigiert die durch diesen begangene
»Auslassung« und reicht gleichsam sein Supplement zu dessen Vite nach, wie das auch andere Künstler,
andere »Refusées«, getan haben: Giuseppe Arcimboldo zum Beispiel, der die
Beschreibung seines Lebens und Werks dem Giovanni Paolo Lomazzo (und anderen)
anvertraut hat, oder Benvenuto Cellini, der seine eigene Vita stehenden Fußes diktierte, wenn sie auch erst 1728 erscheinen
sollte. (10)
Die Vier Bücher zur Architektur des Andrea Palladio sind Teil des
universalen Patrimoniums der Architekturgeschichte, ja, deren substantielles
Element. Sie sind immer wieder Gegenstand der Forschung gewesen, sei es im
Kontext der Kunstliteratur und des Traktatewesens, sei es als Korrelat zu
dessen gebautem Werk. Er hat sich damit in die Reihe der Protagonisten der
Genealogie der künstlerischen und architektonischen Theorie der Moderne
eingeschrieben. Aber mehr noch als sie allein im Zusammenhang mit der
Architekturtheorie der Neuzeit zu würdigen oder, im Abgleich mit Palladios
Bauten, Korrespondenzen und Divergenzen zwischen Entwurf und Realisierung
herauszuarbeiten, wird man dieses Werk auch einer gleichsam anthropologischen
Lesart unterziehen und es deuten dürfen als kapitalen Beitrag zur besonderen
Gattung der Autobiographie, als »Ich-Werk« ganz eigener Art.
Palladio, auch darauf
verweist Guido Beltramini, hat sich grundsätzlich als Autor verstanden und früh
verlegerische Erfahrungen gesammelt. Auch wenn seine Rom-Führer, die L’antichitil di Roma und die Descritione de le Chiese di Roma (1554),
das Resultat umfangreicher Kompilation sind und vielleicht jeder Originalität
entbehren –eine moderne Kategorie, die nicht ausschließen muss, dass die
Autorschaft in vollem Umfang reklamiert wurde –, so ist deren immenser
Verkaufserfolg (sie wurden bis um die Mitte des 18. Jahrhunderts nachgedruckt
und stellen den Prototyp aller neuzeitlichen Guidenliteratur zu Rom dar) doch
durchaus geeignet anzunehmen, dass Palladio, der seither über eine weitere
stetige Einnahmequelle verfügte, sich selbst, und sei es nur in sozio-ökonomischer
Hinsicht, nicht nur als »architectus doctus«, sondern auch als schreibender
Humanist verstand: Beschreiber, Übersetzer und Kommentator einer visuellen
Kultur, der Topographie und Physiognomie des antiken und des zeitgenössischen
Rom. (11) Das gilt auch für seine weiteren Schriften und Studien, die Commentarii des Julius Cäsar (1574/75),
sein Vorwort zu den Discorsi des
Polybios (1579) oder für seinen Beitrag zur Vitruv-Edition des Daniele Barbaro
(1556), allesamt Zeugnisse seiner Tätigkeit als Autor, Illustrator (auch im,
dem Worte nach, »erhellenden« Sinne) und Herausgeber, kurz eines Lebens, das,
in moderner Perspektive, auch als das eines Publizisten betrachtet werden darf.
(12)
Vielleicht sind es ganz
äußerliche Gründe, die Palladio im Jahr 1570 dazu bewegt haben, seine Vier Bücher zur Architektur bei dem venezianischen
Verleger De Franceschi herauszugeben. Der Tod des Jacopo Sansovino im selben
Jahr und die sich dadurch ergebende, gleichwohl unerfüllt gebliebene Chance,
ihm auf der Stelle des »proto«, des obersten Baumeisters von Venedig, zu
folgen, mögen ein entscheidender Auslöser gewesen sein. Den Quattro Libri käme dann so etwas wie die
Funktion eines »Portfolio«, einer offiziellen Bewerbungsmappe, zu. Beltramini
beschreibt, wie es Palladio tatsächlich gelungen ist, sich nach 1570 de facto
die Funktion des ersten Architekten der Republik zu sichern.
Aber die Adressaten der Vier Bücher sind gewiss zahlreich, und
vor allem sind es die Nachfahren, die »posteri«. Das Werk darf vielleicht als
das geglückteste Beispiel einer eigenen Selbstverewigung gelten, die, das
wusste Palladio, allein im Buch gelingen konnte. Er war überzeugt davon, dass
nur das Wort, mehr noch als seine Bauten selbst, in der Lage sei, sein Werk
dauerhaft zu tradieren. Schon im 15. Jahrhundert hat der Humanist Guarino daVerona begriffen, dass das
geschriebene Werk die sicherste und treueste Verbreiterin des Ruhmes ist: »Wenn
man schliesslich die Hilfsmittel des Ruhmes vergleicht, so übertreffen die
schriftlichen Annalen jedes beliebige Bild und jede Statue. Genaugenommen
zeigen die Bilder die Körper, die Annalen aber die Seele und die Sitten. Die
Bilder sind stumm, aber die Annalen erfüllen mit ihrer Stimme Land und Meer.
Die Bilder und Statuen können nur an wenigen Orten aufgestellt werden; die
Annalen aber schweifen leicht über die ganze Welt hin und sind fähig, sich zu
vervielfältigen.« (13)
Auch noch am Ausgang des
Jahrhunderts galt die Schrift als das einzige taugliche Mittel, um die eigene
Fama zu verbreiten, die ja zu den unverzichtbaren künstlerischen Tugenden
zählte. Es waren freilich vermehrt die Künstler selbst, die dieser Aufgabe
nachkommen mussten; der Künstlerbiograph Giovanni Battista Passeri hat gegen
Ende des 17. Jahrhunderts den prekären Umstand beklagt, dass die höchste
Wertschätzung zu Lebzeiten nicht das posthume Vergessen, bis hin zur damnatio memoriae, ausschließt: »Der
Flug der Fama hängt vielfach auch vom Zufall ab, und vor allem bedarf es der
Begleitung jener günstigen und hilfreichen Konjunkturen.« (14)
Palladio hat, anders als es
seine Zeitgenossen vorhatten, nicht beabsichtigt, die eigene Memoria an seine Bauten zu delegieren –
was schon aus der Tatsache hervorgeht, dass er diese eben nicht mit seinem
Namen signiert hat. Ein Name, der im Übrigen nicht sein eigener war. Geboren
als Andrea di Pietro della Gondola, wurde er, wie Beltramini noch einmal
nachzeichnet, sehr wahrscheinlich von seinem ersten Mentor, Giangiorgio Trissino,
auf den Namen »Palladio« getauft, in Anspielung auf eine Engelsfigur aus dessen
Heldenepos L’Italia Liberata dai Goti, welche die Vertreibung der
Barbaren von der Apeninnenhalbinsel anführt – was den artifiziellen Charakter,
die integrale Konstruktion dieser Künstlerpersönlichkeit eindrücklich
unterstreicht.
Von dieser Persönlichkeit
fehlen nicht nur Signaturen, sondern auch Bildnisse. Tatsächlich ist es bis
heute nicht gelungen, eine wirklich verlässliche palladianische Ikonographie zu
etablieren. Sein angebliches Bildnis ist Frucht von Spekulationen, gewagten
Identifizierungen und Zuschreibungen, bis hin zu jenem Gemälde El Grecos, das
erst jüngst wieder als authentisches Bildnis vorgeschlagen wurde und doch in
der Identifizierung des Dargestellten höchst zweifelhaft bleibt. (15) Im
Gegensatz zur Regola delli cinque ordini
des Giacomo Barozzi da Vignola (1572) oder der L’Idea della Architettura Universale
des Vincenzo Scamozzi (1615) trägt nicht einmal das Frontispiz der Vier Bücher zur Architektur das
Konterfei des Autors. Und dass Vignola und Scamozzi ihre Werke mit einem
Bildnis »autorisieren«, scheint auch aus der Erfahrung der besonderen,
posthumen Karriere Palladios erklärbar, der als Person nicht einmal im Format
des Porträts überdauert hat.
Die Tatsache, dass der, der
ohne Bildnis, ohne eigenen Namen, ohne Körper geblieben ist, mehr als jeder
andere Architekt zur Personifikation der Idee und Figur des modernen
Baumeisters avanciert ist, verdankt sich daher vor allem und vielleicht
ausschließlich seinen Vier Büchern zur
Architektur, die als eigentliches Instrument zur Selbstkonstituierung
dieses Künstlers dienten. Die Ära, die zu Recht mit dem Namen Palladios
gleichgesetzt wird, ist zugleich die Epoche der Biographie, der Monographie. An
deren Ende stehen die Vite des
Giorgio Vasari, welche die Entwicklungsgeschichte der Kunst in den monadischen
Existenzen der neuzeitlichen Künstler skandieren. Den Beginn dieser Epoche aber
markiert Petrarca, der es in seinem Brief an die Nachwelt (Posteritati, verfasst um 1371) unternimmt, seine Gegenwart in die
Zukunft zu verlängern, der versucht, den »Dialog«, den er mit den Vorfahren geführt
hat, mit der Nachwelt fortzusetzen. (16) Der Autobiographie des Petrarca kommt
unbedingter Modellcharakter zu. (17) Sie hat ein Selbstbild gefestigt und
verbreitet, das es dem Menschen erlaubte, Gegenstand der eigenen Neugier zu
werden, und formuliert auf paradigmatische und programmatische Weise eine
Analyse der eigenen Existenz, die nach folgenden Kategorien und Topoi argumentiert:
»fortuna«, Glück; »voluntas«, Wille; »propensio«, Begabung, Neigung; »natura/ingenium«,
Talent; »animus«, Charakter und »consuetudo«, Gewohnheiten. (18)
Die Vier Bücher zur Architektur in diesem Kontext zu situieren scheint
überfällig, denn sie sind Spiegel der eigenen Vollendung und Zusammenfassung
des eigenen Lebens im Vollbrachten. Jacob Burckhardt war einer der ersten, der
einen Zusammenhang zwischen den autobiographischen Schriften des Petrarca und
der populären Tradition der Hausbücher, der Libri
de’ conti oder der Libri di famiglia,
erkannt hat. (19) Diese frühen Familienbücher sind zunächst nicht sehr viel
mehr als Ausgaben- und Einnahmenverzeichnisse, Haushaltsbücher also, die aber
in dem Maße, in dem sie Hochzeiten, Geburten oder Todesfälle verzeichneten,
zunehmend persönliche Familiengeschichten festhalten. Die jüngere Forschung zur
Familiengeschichte und Biographik hat, nicht zuletzt in Anlehnung an
Burckhardt, eine gattungsübergreifende Perspektive eingenommen und die Linie
von Petrarcas Brief über die Kommentare des Lorenzo Ghiberti oder Pius II. bis
hin zu Cellini gezogen und darin zumal den Haus- und Familiengeschichten, den Libri de’ Conti, einen herausragenden
Platz zugewiesen. Zwischen volkstümlicher Tradition, praktischer »Buchhaltung«
und humanistischer Selbstreflexion sollte nicht eigentlich unterschieden
werden. (20) Ermuntert fühlen darf sich ein solcher Blick von Goethe, der in
den Materialien zur Geschichte der
Farbenlehre diese Ausgrenzung bereits für hinfällig erklärt hat: Dort
stehen die unterschiedlichsten Autoren und Formate, Cardano oder Cellini und
noch Montaigne nebeneinander, verklammert nur durch die in ihren Schriften
manifeste »Selbstgefälligkeit über das Vollbrachte«. (21)
Auch am Ursprung von
Palladios Vier Büchern wird ein –
nicht erhaltenes – Haus- und Rechnungsbuch gestanden haben, das ihn den Verlauf
und die zentralen Stationen seines Wirkens verlässlich hat nachzeichnen und in
einen Werkkatalog übersetzen lassen – ergänzt um Holzschnitte, die, was nicht
gesagt werden konnte, zeigen. Und fast scheint es so, als habe Palladio
gewollt, dass sich nichts anderes erhielte, als eben die Vier Bücher zur Architektur, als Summe seines Werks und Wirkens und
als einzig gültiges Zeugnis seiner selbst.
In ihnen verweist Palladio
unmittelbar auf sich selbst und verbirgt nicht seine Befriedigung, die »Selbstgefälligkeit
über das Vollbrachte«. Schon in der »Widmung« des Ersten Buches an Giacomo
Angaranno und gleichsam als Introitus des gesamten Traktats spricht er mehrfach
ein »Ich« aus: »Seit meiner Jugend habe ich
mich mit größtem Gefallen der Architektur gewidmet, wobei ich nicht nur in mühevollem, jahrelangem Studium die Bücher jener
Autoren gelesen habe, die mit großer Begabung diese edle Wissenschaft um
vortreffliche Lehrsätze bereichert haben, sondern mich auch wiederholt nach Rom (...) begeben habe, wo ich mit eigenen Augen und mit eigenen
Händen die Reste vieler antiker Bauten gesehen und vermessen habe. (...) Als ich die Eigenschaften dieser römischen
Tugend näher betrachtete, wurde ich
aufs Äußerste erregt und in Begeisterung versetzt. Und da ich mit großer Hoffnung all meine
Gedanken auf sie verwandt hatte, nahm ich mir vor, die notwendigen Ratschläge
niederzulegen, die von allen begabten und verständigen Menschen beachtet werden
müssen, die bestrebt sind, gut und anmutig zu bauen.» Und weiter gesteht er,
bei der Errichtung der eigenen Bauten »vom Schicksal so begünstigt (gewesen zu
sein), dass ich sie, nach großen
Sorgen, die fast unausgesetzt meinen
Körper und meine Seele bedrängten,
und nach der Überwindung einiger nicht geringer körperlicher Schwierigkeiten, endlich
zu größtmöglicher Vollendung habe bringen können. Und nachdem sich all das, was
in ihnen an Frucht langer Erfahrung steckt, als gültig erwiesen hat, wage ich zu sagen, dass ich durch diese Erfahrungen einige Probleme der Architektur so
erhellt habe, dass jene, die nach mir kommen, an meinem Beispiel die Schärfe ihres eigenen Verstandes übend, die
Herrlichkeit ihrer eigenen Bauten leicht zur wahren Schönheit und Anmut der antiken
Gebäude führen können.« (22)
In diesen wenigen Einleitungssätzen
ist, ganz nach Art des immer konzisen Palladio, das gesamte Konzept der
modernen Biographik enthalten. Er rekurriert auf die Kategorien des Petrarca,
indem er die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet, um mit der Nachwelt zu
kommunizieren. Er verweist auf seine eigene Begabung, seine Neigung zur
Baukunst, auf seine »inclinazione« und das »ingenium«, auf seine Praktiken, auf
seinen körperlichen Einsatz, auf das erfahrene Glück. Aber was dann folgt, ist
nicht die Erzählung eines Lebens. Vielmehr folgen seine Rekonstruktionen (antiker
Bauten) und eigenen Erfindungen, die Auflistung seiner baukünstlerischen
Tätigkeit. Es sind also Ricordanze,
ein idealisiertes Register der eigenen Werke, die hier, jenseits der
Kompromisse einer oft widrigen Wirklichkeit, dem Vergessen entzogen werden
sollen. Aber so oft Palladio in seinem Traktat auch »Ich« sagt – ein Bild
seiner Persönlichkeit will nicht entstehen. Alle Individualität verschwindet
hinter dem Werk. Es sind, um den Titel von Hesiods didaktischem Lehrgedicht zu
variieren, »Werke ohne Tage«. Der Autor schweigt von seiner Ausbildung (als
Steinmetz), von seinen familiären oder ökonomischen Bedingungen, nicht einmal
sein Alter wird angegeben. Guido Beltramini versucht in diesem Buch nichts Geringeres
als die Rekonstruktion dieser offenbar bewusst verschwiegenen
Lebenswirklichkeit.
Die palladianische
Selbstkonstitution dagegen erfolgte allein über die Präsentation seines Werks.
In einem merkwürdigen, fast beunruhigenden Sinne antizipiert Palladio das
»Verschwinden«, den »Tod« des Autors, die, in der Folge von Michel Foucaults
Überlegungen zu Diskursivität und Subjektivität, in der jüngeren Vergangenheit
so lebhaft diskutiert worden sind. (23) Das Traktat des Palladio darf daher als
das Epitaph eines Grabmals gelten, das es nicht gibt, als Ekphrasis einer nie
gemalten Baumeisterikone, als »corpus« eines Körpers, der verloren ging, als
Autobiographie eines Lebens unter anderem Namen, das, indem es sich in seinen
Mühen beschreibt, erlischt und sich der diskursiven Erinnerung einschreibt, in
dieser aufgeht und so überdauert.
Anmerkungen
(1) Vgl. auch Andreas Beyer: >Opere senza giorni. I Quattro Libri: un’autobiografia
(2) Michael Donderer: Die Architekten der späten römischen
Republik und der Kaiserzeit: epigraphische Zeugnisse, Erlangen 1996; Peter
Cornelius Claussen: ›Künstlerinschriften
(3) Andreas Beyer: Andrea Palladio: Teatro Olimpico. Triumpharchitektur
für eine humanistische Gesellschaft, Frankfurt am Main 1987.
(4) Siehe dazu Giuseppe Barbieri: >’Non
sono amico di tanti perchi.’ Giuseppe Todeschini e le ceneri di Andrea PalladioLa morte delle arti sorelle. La commedia delle esequie
solenni di Canova, Palladio, Tiziano
(5) Giorgio Vasari: Le vite de’ piu
eccellenti architetti, pittori, et scultori italiani, da Cimabue insino a’tempi
nostri. Descritte in lingua Toscana, da Giorgio Vasari, Pittore Aretino. Con
una sua utile necessaria introduzione a le arti loro, in Fiorenza appresso
Lorenzo Torrentino del mese di Marzo l’anno 1550.
(6) Giorgio Vasari: Le vite de’ piu
eccellenti pittori, scultori, et architettori. Scritte, di nuovo ampliate da M.
Giorgio Vasari Pit. et Archit. Aretino co’ ritratti loro et con nuove vite dal
1550 insino al 1567. Con Tavole copiosissime de’ nomi, dell’opere, e d’ luoghi
ov’elle sono, in Firenze appresso i Giunti 1568. Auf Deutsch: Giorgio Vasari: Lebensläufe der
hervorragendsten Künstler, neu übersetzt und kommentiert, herausgegeben von
Alessandro Nova u.a., Berlin 2004ff. Die signifikanten Änderungen und
Ergänzungen von der ersten zur zweiten Ausgabe sind in
dieser Edition kenntlich gemacht.
(7) Matteo Burioni: Die Renaissance der Architekten. Profession und
Souveränität des Baukünstlers in Giorgio Vasaris Viten, Berlin 2008, S.44
und passim.
(8) Ebenda, S.45.
(9) Giorgio Vasari: Das Leben des Sansovino und des Sanmicheli mit
Ammannati, Palladio und Veronese, hrsg., eingeleitet und kommentiert von
Katja Lemelsen u. a., Berlin 2007, S. 57-64.
(10) Siehe dazu Andreas Beyer: >’...
il gran pittore Giuseppe Arcimboldi’. Zur Konstruktion von Arcimboldos
Ruhm
(11) Siehe dazu Margaret Daly Davis: >Dietro le quinte dell’Antichità di Roma di M. Andrea Palladio
raccolta brevemente da gli Auttori Antichi, et Moderni: quanto Palladio?
(12) Vgl. dazu Andrea Palladio:
Scritti sull’Architettura (1554-1579), hrsg. von Lionello Puppi, Vicenza
1988.
(13) Zitiert nach Eugenio
Garin: Geschichte und Dokumente der abendländischen
Pädagogik, Hamburg 1966, Bd. 2, S. 205.
(14) Giovanni Battista
Passeri: Die Künstlerbiographien.
Nach den Handschriften des Autors herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von Jacob Hess, Wien 1934, S. 72.
(15) Dazu Lionello Puppi: Palladio.
Introduzione alle Architetture e al Pensiero teorico, Venedig 2005, S. 18-25;
ders.: >Ritratto di Andrea PalladioQuattro volti, un corpo senza testa e un
teschio: per una storia dell’immagine dell’architetto nel Rinascimento
(16) Christof Weiand: Domestische und autobiographische Schrift - Zur Poetik der
literarischen Selbstdarstellung in der italienischen RenaissancePetrarcas Augustinismus und die écriture der
Ventoux-Epistel’Ich selbst, Leser, bin also der Inhalt
meines Buchs.’ Subjekt und Stil in Literatur und Philosophie des 16.
Jahrhunderts
(17) Marziano Guglielminetti: Memoria
e scrittura. L’autobiografia da Dante a Cellini, Torino 1977.
(18) Christof Weiand: >Libri di
famigliaHumanistic
Autobiography
(19) Jacob Burckhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien,
hrsg. von Horst Günther, Frankfurt am Main 1989, S. 326ff.
(20) Christof Weiand:
>Domestische und autobiographische SchriftLibri di famiglia
(21) Johann Wolfgang Goethe:
Zur Farbenlehre, hrsg. von Peter
Schmidt, in: Sämtliche Werke nach Epochen
seines Schaffens, Münchner Ausgabe, Bd. 10, München 1989, S. 621.
(22) Andrea Palladio: Vier Bücher zur Architektur. Nach der
Ausgabe Venedig 1570 aus dem Italienischen übertragen und herausgegeben von
Andreas Beyer und Ulrich Schütte, Zürich und München 1983, S. 15f.
(23) Siehe Michel Foucault:
>Was ist ein AutorZum Verhältnis von Diskurs und
Subjekt: von Bembo bis Petrarca
(c)-Vermerk: Dieser Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Wagenbach-Verlages. Einführung zu: Guido Beltramini, Palladio. Lebensspuren. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2009
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