Erschienen in Ausgabe: No 99 (05/2014) | Letzte Änderung: 09.05.14 |
von Jörg Bernhard Bilke
Der aus dem Sudetenland stammende DDR-Schriftsteller Franz
Fühmann (1922-1984) ist vor 30 Jahren, am 8. Juli 1984, an einem Krebsleiden
verstorben. Geboren am 15. Januar 1922 als Sohn eines nationalgesinnten
Apothekers in Rochlitz/Riesengebirge, besuchte er nach der Volksschule für vier
Jahre das Jesuitenkonvikt Kalksburg bei Wien, aus dem er aber 1936 floh, um das
Gymnasium im nordböhmischen Reichenberg zu besuchen, das Abitur legt er 1941 in
Hohenelbe ab. Unmittelbar danach wurde er zur „Wehrmacht“ eingezogen, war
Nachrichtenoffizier in Griechenland und an der Ostfront, 1945 geriet er dort in
russische Gefangenschaft. Aus dem Lager wurde er 1946 zur „Antifa-Schule“ nach
Noginsk bei Moskau geschickt und drei Jahre später, inzwischen
„umerzogen“,in die gerade gegründete
DDR entlassen. Seitdem lebte er in Ostberlin und in Märkisch Buchholz, zunächst
als Kulturfunktionär der „Nationaldemokratischen Partei“, aus der er 1972
austrat, und seit 1958 als freier Schriftsteller. Für sein lyrisches, episches
und essayistisches Werk wurde er mehrfach ausgezeichnet: mit dem
„Heinrich-Mann-Preis“ 1956, dem DDR-Nationalpreis 1957 und 1974 und dem
westdeutschen „Geschwister-Scholl-Preis“ 1982.
Franz Fühmann hat 1984 ein reich gefächertes Werk
hinterlassen, das ausvier Lyrikbänden
1953/62 besteht sowie aus elf Kinder- und Jugendbüchern, die zwischen 1959 und
1990 (Nachlass) veröffentlicht wurden. Seine erzählende Prosa für erwachsene
Leser setzte mit den beiden Novellen „Kameraden“ (1955) und „Böhmen am Meer“
(1962) ein, worin er die Austreibung seiner sudetendeutschen Landsleute aus
ihrer Heimat denunzierte. Seine Reportage „Kabelkran und blauer Peter“ (1961)
war ein unwillig erbrachtes Zugeständnis an die staatliche verordnete
Literaturbewegung „Bitterfelder Weg“, der er sich danach verschloss. In einem
„Brief an den Minister für Kultur“ erklärte er 1964, warum. Insgesamt hat er
elf Prosabände veröffentlicht, darunter auch das höchst aufschlussreiche
Tagebuch „Elf Tage oder Die Hälfte des Lebens“ (1973).
In seinen letzten Lebensjahren wurde seine politische
Einstellung zum SED-Staat immer kritischer und unerbittlicher. Er förderte
Nachwuchsautoren wie Wolfgang Hilbig (1941-2007) und Uwe Kolbe (1957), die
wegen ihrer Veröffentlichungen in politische Schwierigkeiten geraten waren, er
setzte sich mit der Lyrik Georg Trakls (1887-1914) in seinem Essay „Vor
Feuerschlünden“ (1982) auseinander, und er beschäftigte sich ausführlich mit
der Bibel.
Die Werkausgabe in acht Bänden erschien 1993 im Rostocker
Hinstorff-Verlag, 1994 folgte ein von Hans-Jürgen Schmitt edierter Band
„Briefe. 1950-1984“ (608 Seiten). Die Biografie „Franz Fühmann. Ein deutsches
Dichterleben“ des Jenenser Germanisten Hans Richter erschien 1992, die des
Berliner Literaturkritikers Gunnar Decker „Franz Fühmann. Die Kunst des
Scheiterns“ 2009.
Das Doppelheft 202/203 der Münchner Literaturzeitschrift
versammelt im 30. Todesjahr des Autors 15 Aufsätze zu Leben und Werk des
Autors, ergänzt durch eine umfangreiche Bibliografie von Jürgen
Krätzer/Universität Halle, der noch zu DDR-Zeiten eine Dissertation über ihn
geschrieben hat. Auch in den literarischen Arbeiten Franz Fühmanns findet man,
was auch anderen DDR-Autoren wie Peter Hacks (1928-2003), Heiner Müller (1929-1995), und Stefan Heym (1913-2001) geläufig war:
der Rückgriff auf antike Stoffe, um in historischer Verkleidung Kritik an
DDR-Zuständen vorbringen zu können; auch Bibelstoffe wurden von Franz Fühmann
aufgegriffen, worüber der Theologe Christian Lehnert in diesem Heft schreibt.
Ein weiterer Aufsatz, verfasst von Klaus Rek/Universität Halle, ist der 1973
einsetzenden Auseinandersetzung mit dem in Königsberg/Preußen geborenen
Juristen, Komponisten und Schriftsteller E.T. A. Hoffmann (1776-1822) gewidmet,
während sich Martin Straub/Jena einer anderen Rezeption zuwendet, der des im
„Dritten Reich“ verfolgten Bildhauers Ernst Barlach (1870-1938) in der
Erzählung „Barlach in Güstrow“ (1963).
Weiterhin gibt es zwei Aufsätze zur Georg-Trakl-Rezeption
und einen von Matthias Braun/Berlin über das Schicksal einer Anthologie mit
Texten junger DDR-Autoren, die aus politischen Gründen nie erscheinen durfte.
Das hätte, da hier auch die „Staatssicherheit“ involviert war, den Zugang
eröffnen können zum „operativen Vorgang Filou“, der elf Bände umfasst. Unter
diesem Karteinamen ist der Dichter, einer der wichtigsten Autoren der
DDR-Literatur, von 1977 bis zu seinem Tod Tag und Nacht observiert worden.
>> Kommentar zu diesem Artikel schreiben. <<
Um diesen Artikel zu kommentieren, melden Sie sich bitte hier an.