Erschienen in Ausgabe: Ohne Ausgabe | Letzte Änderung: 26.05.14 |
Die AfD dürfte bei der Europawahl mit starken Resultaten überraschen. Vor allem die CDU wird dadurch strategisch geschwächt. Denn fortan gibt es rechts der Union eine relevante Partei. Die Republik verändert sich.
von Wolfram Weimer
Die
konservative Protestpartei AfD erreicht bei den Umfragen immer bessere
Werte. Für den Wahltag am 25. Mai halten Wahlforscher mittlerweile sogar
einen Erdrutsch für möglich. Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung
könnten die Euro-Kritiker die Liberalen abhängen und mit Linken und
Grünen gleichziehen. Schon bei der Bundestagswahl hatten mehr als zwei
Millionen Deutsche der neuen Partei ihre Stimme gegeben. Sollte sich das
nun wiederholen, dann muss man die AfD als eine relevante Neugröße in
der deutschen Parteienlandschaft betrachten – ähnlich wie die Grünen vor
30 Jahren.
Mit einer etablierten AfD auf der konservativen Seite
des Parteienspektrums verändert sich die Republik. Die Achse des
Politischen verschiebt sich nach rechts. Man wird es fortan mit drei
bürgerlichen und drei linken Parteien zu tun haben. Für Grüne und
Liberale dürfte es künftig umso wichtiger werden, wie genau sie ihre
neue Mittigkeit definieren und den kleiner werdenden Platz behaupten.
Und für die Volksparteien werden Mehrheitsbildungen noch komplizierter.
Vor
allem der CDU beschert die AfD eine historische Veränderung ihrer
strategischen Position. Über Jahrzehnte war es für die Union von
herausragender Bedeutung, dass sich rechts von ihr keine demokratische
Partei etablieren konnte. Das garantierte der Union immer und immer
wieder die Mehrheitsfähigkeit als größte Partei Deutschlands. Diese
Konstellation sorgte dafür, dass die Union zur staatstragenden Größe
reifte und sie in 45 von 65 Republikjahren den Kanzler stellen konnte.
Wird diese Schlüsselfunktion nun geschleift, dann droht der Union auf
Dauer eine Erosion wie der SPD mit dem Aufkommen der linken und grünen
Konkurrenz.
Die Wählerschaft und die Funktionärsriege der AfD
sind Fleisch vom Fleische des deutschen Bürgertums. Es tummeln sich dort
langjährige CDU- und FDP-Wähler, die sich der neuen Formation zuwenden,
weil ihnen die CDU unter Angela Merkel einfach zu weit nach links
gerückt ist.
Für Angela Merkel könnte diese Entwicklung zum
größten Fehler ihrer Amtszeit werden. Sie läuft Gefahr, die Union nach
dieser Legislatur strategisch so geschwächt zu hinterlassen, dass sie
ihre Ausnahmestellung in Deutschland für immer verloren hat. Da die
Union nie ideologisch, wohl aber funktional aufgeladen war, verlöre sie
ihr wichtigstes Aktivum – die Selbstverständlichkeit der bürgerlichen
Macht.
Nun zeigt sich die Kehrseite der Merkel-Strategie, sich
und die Union stets so weit nach links zu bewegen, dass von dort keine
Gefahr mehr droht. Die Merkel-CDU ist in den vergangenen Jahren zu einer
schwarz angemalten SPD geworden. Sie hat von Geld- bis Genderfragen
programmatische Raubkopie bei den Sozialdemokraten betrieben, so dass
für diese die Räume zwar eng wurden.
Die deutsche Linke konnte
kaum noch eine Forderung anmelden – von der Abschaffung der Wehrpflicht
über die Sozialstaatsexpansion bis zur überhasteten Abschaltung der
Atomkraftwerke – schon hatte die CDU alles erledigt. Der schwarze Igel
rannte so schnell nach links, dass der rote Hase nur staunte.
Umgekehrt
gibt es seit Jahren kein bürgerliches Projekt mehr. Keine
Steuervereinfachung auf dem Bierdeckel, keine Flexibilisierung des
Rentensystems, keine Bahn- oder Bildungsprivatisierung, keine
Familienentlastung, keine Kultur-, Kirchen-, Kinder- oder
Heimatinitiative, nicht einmal der Schmerz der kalten Progression wird
den eigenen Leuten genommen. Für die Kernwählerschaft der CDU ist die
Politik der eigenen Partei damit zusehends zum Entfremdungsspiel
geworden.
Papst- und Kirchenkritik, Schwulen- und Familienpolitik irritiert
National-
und Heimatkonservative wurden unter Merkel früh marginalisiert, die
Katholiken fühlten sich mit Papst- und Kirchenkritik, Schwulen- und
Familienpolitik zusehends irritiert, der Mittelstand und die
Wirtschaftseliten sind derzeit entsetzt über den Rollback der
Agendapolitik mit Mindestlöhnen, Mietpreisbremsen und Renten mit 63.
Auch das Personal der CDU wirkt mittlerweile durchgemerkelt, alles
variabel mittig, politisch korrekt und linkskompatibel. Knorrige
Konservative, selbstbewusste Unternehmer oder wertorientierte
Haltungsfiguren sind rar geworden.
Die CSU ist da geschickter,
sie pflegt ihre Traditionsbajuwaren und Gebirgsschützen, ihre
Mittelständler und Kirchentreuen, ihre Leistungseliten, Handwerker,
Mütter und Bauern, denn sie weiß, dass das die Kraftquellen der Partei
sind. Die urbane Feelgood-Manufactum-Bürgerlichkeit ist dagegen
politischer Treibsand.
Horst Seehofer hat darum einen Peter
Gauweiler nicht bloß geduldet, er hat ihn zu seinem Vize gemacht. Ein
Friedrich Merz ist hingegen bei der CDU einfach weggemerkelt worden.
Wenn Gauweiler und der bavaristische Staatsintellektuelle Winfried
Scharnagel ein Buch über bayerische Autonomie und Brüsseler Zentralismus
schreiben, dann kommt Seehofer zur Präsentation. Wenn Merz ein Buch
über Deutschlands Marktwirtschaftsdefizit veröffentlicht, dann zieht man
im Kanzleramt die Augenbraue hoch – wenig hilfreich.
Lange Zeit
schien die Merkel-Strategie einer linksgeneigten Weichspülpolitik
aufzugehen und tatsächlich „alternativlos”. Ihr persönliche Integrität,
die weltpolitisch gute Figur und unbestrittene Führungskraft hat alles
überdeckt. Der agendapolitisch gezündete Aufschwung machte es ihr zudem
leicht – solange die Wirtschaft in den Fabriken lief, konnte sie in den
Berliner Salons die Walzer linksherum tanzen.
Doch mit der
Politik der Großen Koalition verrät nicht nur die SPD, sondern eben auch
die CDU just das deutsche Erfolgsmodell der reformierten
Sozialrepublik. Ohne Not werden die Agendareformen revidiert und die
Erfolgsbasis der deutschen Wirtschaft attackiert. Viele Bürgerliche sind
darüber besorgt. Sie hätten nach dem fulminanten Wahlsieg der Union
2013 eine geradlinige Politik erwartet, doch sie werden enttäuscht.
Damit
droht nun der Anfang vom Ende der Ära Merkel. Denn plötzlich gibt es
zur Alternativlosigkeit eine Alternative – und die nennt sich auch noch
so. Der Erfolg der AfD wird daher die Union tiefer erschüttern als das
im Moment zu sehen ist. Er trifft die Bürgerlichen im Kern ihrer
Milieus. Nach dem 25. Mai wird es zu einer großen CDU-Debatte kommen,
dann wird die Union wieder konservative, christliche und
wirtschaftsliberale Gesichter brauchen, um ihre breite Basis zu
behaupten.
Und auch die Nachfolgefrage von Angela Merkel ist mit
Blick auf 2017 eröffnet. Denn Ursula von der Leyen wird die Sehnsucht
der Union nach sich selbst nicht stillen können.
Dieser Kommentar ist Teil der Kolumne "What's right?", die Wolfram Weimer wöchentlich für das Handelsblatt schreibt.
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