Erschienen in Ausgabe: No 113 (07/2015) | Letzte Änderung: 15.07.15 |
von Heike Geilen
Wann?
Ca. 400 vor Christus
Wo? Ein Marktplatz in Athen
Wer? Ein bärtiger Mann mit zerfurchter Stirn
Wieder einmal hat sich eine Menschenmenge auf dem Marktplatz von Athen um den
wunderlichen alten Mannes in weißer Toga gebildet. Seine angebotenen
"Waren" kosten allerdings keine Drachme. Er wirft sie kostenlos unter
das Volk. "Philo-soph" nennt er sich, was übertragen "Freund der
Weisheit" bedeutet. Sein Handelsprodukt: Gespräche über die Tugend, die
Seele, Gerechtigkeit und Wahrheit. Sein Name: Sokrates.
Auch wenn Sokrates von sich selbst sagt, er wisse nur eines, nämlich dass er
nichts wisse, verwickelt er so manchen Gesprächspartner, der sich für weise
hält, in ein verwirrendes Konstrukt aus vielerlei Fragen, so dass derjenige am
Ende nur noch beschämt seine Unwissenheit eingestehen muss. Das stößt natürlich
nicht bei allen auf Gegenliebe. Für die einen ist er nur ein wunderlicher
Streuner, für andere jedoch ein gefährlicher "Revolutionär", dem man
"Missachtung der Götter" und "Verführung der Jugend" vorwirft.
Hinzu gesellt sich seine Respektlosigkeit allen Autoritäten gegenüber und sein
zielloses Umherschweifen auf dem Marktplatz, ohne offenbar einer geregelten
Arbeit nachzugehen. Also ab mit ihm vor die athenische Volksversammlung. Doch
nicht einmal hier kriecht Sokrates zu Kreuze. Weder eine Entschuldigung, noch
ein Entgegenkommen, vielleicht gar noch ein Bitten um Mitgefühl kommt über
seine Lippen. Im Gegenteil: Erneut entlarvt er bei seinen Anklägern nur hohles
Scheinwissen. Was diese natürlich besonders wütend macht und das Todesurteil
aussprechen lässt. Seine Schüler und seine Familie sind verzweifelt, wollen ihn
retten und zur Flucht überreden. Aber auch hier lehnt er den feigen Versuch ab.
Sokrates glaubt an ein gutes Fortleben seiner Seele und trinkt seinen tödlichen
Schierlingsbecher.
Begleitet von Yann Le Bras' plakativen, farbintensiven Aquarellen, seinen
Figuren mit großen, das Gesicht dominierenden Augen, die trotz ihrer
Einfachheit mit unglaublich mimischer Ausdruckskraft aufwarten, ist dem französischen
Autor Jean Paul Mongin ein anspruchsvolles, aber durchaus verständliches
Kinderbuch über die Grundlagen von Sokrates Philosophie gelungen. Gemeinsam mit
Eltern oder Großeltern finden bereits junge Leser durch den kindgerecht
aufbereiteten Text und die kongenialen Illustrationen einen ersten Zugang zur
Lehre des "Philosophie-Erfinders". Einprägsam wird dem jungen
Leser/Zuhörer vermittelt, dass die Fähigkeit des Menschen zwischen Recht und
Unrecht zu unterscheiden in der Vernunft und Einsicht des Menschen begründet
liegt und nur ein ständiges Hinterfragen, Scheinheiligkeit und Lügen zu Tage
fördert. Nur wenn man weiß, was "gut" ist, wird man auch das Gute tun
und "böse Handlungen" vermeiden können.
"Ich bin wie eine Pferdebremse, die dem Gaul um den Kopf schwirrt und ihn
von seinem Nickerchen abhält! Vielleicht wollt ihr mich ja loswerden, weil ihr
meine Sticheleien leid seid und den Rest eures Lebens verschlafen
wollt..." Hui.... da schwirrt der zum Insekt mutierte Sokrates auch schon
mit einem feuerroten spitzen Nasenstachel los, begleitet von seinem kleinen,
breitgrinsenden Dämon und treibt nicht nur den dicken Meletos zur feuerroten
Weißglut.
Fazit: Ein wunderbares Buch, Kindern Philosophie näher zu bringen. Denn gerade
sie sind es, die in Bezug auf Denkweisen, Lebensansichten und Ideologien noch
eine relativ unverstellte Sicht besitzen. Warum also nicht das
"Wagnis" eingehen, sie mit den Anschauungen eines Mannes vertraut zu
machen, der sich nicht in die Studierstube zurückzog, kein hermetisches
Gedankengebäude errichtete, sondern selbige im Dialog entwickelte, gemeinsam
mit anderen. Und zwar dort, wo Athen sein gesellschaftliches und politisches
Zentrum hat: auf dem Marktplatz. Ein Buch zum gemeinsamen Zweifeln, Anfechten
und Nachfragen stellen - zum Mutig sein im Denken.
Jean Paul Mongin, Yann Le Bras
Der Tod des weisen
Sokrates
Aus dem Französischen
von Heinz Jatho und Sabine Schulz
Titel der
Originalausgabe: La mort du divin Socrate
diaphanes
Verlag (März 2014)
64
Seiten, Gebunden
ISBN-10:
3037346566
ISBN-13:
978-3037346563
Preis:
14,95 EUR
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