Erschienen in Ausgabe: No 100 (06/2014) | Letzte Änderung: 01.06.14 |
von Heike Geilen
Ein Traum, ein Traum
ist unser Leben
Auf Erden hier;
Wie Schatten auf den
Wogen schweben
Und schwinden wir
Und messen unsere
trägen Schritte
Nach Raum und Zeit
Und sind, wir
wissen´s nicht, in Mitte
Der Ewigkeit.
Johann
Gottfried Herder
Dieses Gedicht des
Dichters, Theologen und Philosophen hat Christoph Ransmayr auf das
Totenbildchen seines Vaters setzen lassen. Nicht nur jener mochte diese Zeilen
sehr. Das Werk des österreichischen Schriftstellers, wollte man es verdichten,
könnte man in seinem Duktus gleichfalls in diese kurzen Zeilen pressen. Denn
Ransmayrs Oeuvre kommt im Grunde genommen gleichfalls einer Drehung um die
eigene Achse gleich, einem Blicken nach oben und unten aus der Mitte des Raums.
Die Horizontale und gleichfalls die Vertikale sind für ihn immer
Teile seiner komplexen, hingebungsvollen Betrachtungen der Welt und des
Menschen in ihr. "Wir sind mittendrin.", so der Autor, der neben
Philosophie und Ethnologie auch Astronomie studiert hat. Nur im
"Mittendrin" findet er Möglichkeiten zum
"Sichwiederfinden", seine "Erfahrungen zu nutzen, Fäden zu
spannen und miteinander zu verweben. "Sein fragendes und betrachtendes
Erzählen lässt aber auch immer viel Platz für den "Raum des
Verschwindens". Denn nur so kann er "die Umrisse der Sehnsucht nach
Unvergänglichkeit und Bleiben skizzieren".
Zu seinem sechzigsten
Geburtstag am 20. März 2014 machte ihm der S. Fischer Verlag ein besonderes
Geschenkt: ein Band aus Gesprächen, Mails, Telefonaten, Essays und
Werksbetrachtungen unterschiedlichster Couleur. Entstanden ist ein großes mäanderndes
Gespräch "rum um Materialien", ganz im langatmigen Rhythmus seiner
literarischen Sätze oder der "großartigen Ausführlichkeit seiner
erzählerischen Struktur", wie es John E. Woods, der Ransmayrs Werke ins
Englische überträgt, so trefflich ausdrückt. Einen weiteren assoziativen Raum
hat die Herausgeberin Ines Wilke eröffnet, indem sie Zitate aus den Werken des
Österreichers "oft zufällig, auf jeden Fall aber sehr subjektiv"
auswählte und vom linken und rechten Rand der Buchseiten in die Gespräche
hineinlaufen lässt. Hin und wieder in den Text gesetzte Fotos und Aufnahmen -
optische Notizen, von Ransmayr auf seinen Reisen spontan aufgenommen - dienen als
Kontrapunkte oder als Illustration.
"Was
einer erzähle, könne 'nirgends stärker sein als im Inneren seiner Geschichte',
hat Christoph Ransmayr in 'DieVerbeugung des Riesen' geschrieben. Danach kann
er sich nur abwenden und davongehen, immer weiter, bis der Weg ins Innere einer
neuen Geschichte erkennbar wird und er seine Stimme wiederfindet und
zurückkehren kann in die Mitte der Welt." Die in diesem Band vorgefundenen
Gespräche eröffnen einen weiteren Raum. Sie lassen das "unkalkulierbar
Überraschende zu", legen "Blickwinkel frei, die wieder durchlässig
werden lassen, was im schriftlichen Werk so festgefügt schien." Der
Herausgeberin Insa Wilke ist es gemeinsam mit Christoph Ransmayr sehr gut
gelungen, "den Transit-Raum, in dem Literatur entsteht und der so schwer
nur zur Sprache gebracht werden kann, als Wunderkammer der Wirklichkeit zu
entwerfen und begehbar zu machen.", ohne dass etwas von der Dichte und
Eleganz der Sprache, die Ransmayr in seinen Texten zu Tage bringt und die ihm
auch stets bei Interviews und Lesungen zu Eigen ist, verlorengeht.
In
drei Kapiteln ist das Buch untergliedert. Zunächst führt die Herausgeberin mit
dem Autor ein langes persönliches Gespräch, wie seine Werke in alter
Rechtschreibung abgedruckt, dastastend
um das Wort "Material" kreist. Hinzu wurden zwei Essays und Gespräch
mit Christine Abbt und Thomas Wild über das Echo von Ransmayrs Büchern "in
einer jüngeren Generation, vor dem Hintergrund anderer Werdegänge und
Erfahrungen" gestellt.
Im
zweiten Kapitel kommen drei Übersetzer zu Wort. Ihr literarischer Disput
befasst sich mit deren ganz eigenen Vorstellungswelten, die sich "in den
imaginären Reisen mit diesem Dichter des Vergessens und Erinnerns geöffnet
haben und vor welchen persönlichen Hintergründen sie sich so überhaupt erst
öffnen konnten." Gespräche, die von Deutschland nach Österreich, nach
Italien und Frankreich, in die Schweiz und die USA führen, die von den
Schwierigkeiten beim Übertragen des Originalwortlauts und Tons in eine andere
Sprache erzählen und deren schöpferische Arbeit nicht genug gewürdigt werden
kann. Dabei öffnen sich völlig entgegengesetzte aber auch wieder
übereinstimmende Ansichten und Erfahrungen "über die Rätselhaftigkeit der
Materie und die Erkundung der Welt im Schreiben und Lesen." Übersetzer und
Autor finden auf erstaunliche Art und Weise einen gemeinsamen Konsens in der
Definition von gewissen literarischen Schlüsselbegriffen mit der man Stil und
Ausdruck in allen Texten Christoph Ransmayrs definieren müsste.
Der
letzte Teil wiederum setzt sich explizit mit dem Roman "Morbus Kitahara"
auseinander, jedoch stets im Kontext zu Ransmayrs Gesamtwerk - ein
Leseexperiment.
Fazit:
"Gespräche sind Flüsse, die erst im Unterlauf Treibgut anschwemmen, aus
dem wieder etwas gebaut werden kann.", sagt Christoph Ransmayr. Dieses
originelle Buch jedenfalls hat jede Menge Stoffabgelagert und ans Ufer gespült. Nun liegt es am Leser, zu sondieren und
zu sintern. Und vielleicht mit gewonnenen Erkenntnissen, das ein oder andere
Werk des Österreichers (neu) für sich zu entdecken: Kraftvolle Texte, die immer
zwischen Schönheit und Schrecken, Lachen und Grauen oder Zärtlichkeit und
Brutalität changieren und ihren Weg "auf eine stillere Art durch die
Vorstellungskraft und Erinnerung, Köpfe und Herzen der Menschen" nehmen.
Insa
Wilke (Hrgb.)
Bericht am Feuer
Gespräche, E-Mails und Telefonate zum Werk von Christoph
Ransmayr
S.
Fischer Verlag (Februar 2014)
320
Seiten, Broschiert
ISBN-10:
3100629531
ISBN-13:
978-3100629531
Preis:
18,99 EUR
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