Erschienen in Ausgabe: No. 35 (1/2009) | Letzte Änderung: 30.08.11 |
von Annegret Balogh
Anti-Aging-Medizin was ist das? Der Kampf gegen das
Altwerden? Will diese Medizin den ewigen Wunsch der Menschheit, jung zu
bleiben, mit wissenschaftlicher Methodologie bewahrheiten? Oder steigen
Menschen mit dem äußeren Habitus des Alters in ein Bad und verlassen es in der
äußeren Gestalt der Jugend, so wie Lucas Cranach d.Ä. (1546) in einem Gemälde
der Nachwelt überliefert hat? Was die Haut anbelangt, so ist die moderne
Dermatologie diesem Ziel schon ein Stück näher gerückt. Aber es wäre viel zu
eng gesehen, wenn die Anti-Aging-Medizin nur die Erhaltung der äußeren Gestalt
als wünschenswert sich zum Ziel setzen würde, und sie hätte wohl auch die
Ideologie der Eitelkeit zum Inhalt. Es ist der Blick in die Statistik, der den
Anlass und den tieferen Grund für die Etablierung dieses neuen Medizin-Zweiges
uns aufzeigt. Die Menge an Arzneimittelverordnungen in Deutschland steigt mit
dem kalendarischen Alter exponentiell, der steile Anstieg beginnt mit dem
45sten Lebensjahr. Im Jahre 2003 war der Verordungsumfang in der
Bevölkerungsgruppe der 65 bis 69-jährigen zehnfach höher im Vergleich zu der
Menge, die für die Altersgruppe der 20 bis 26-jährigen verordnet wurde. Für die
Gruppe der 85 bis 90-jährigen betrug die Menge immer noch das 2,6fache der eben
genannten jungen Altersgruppe, obwohl die Anzahl der Versicherten nur noch ein
Sechstel betrug.
Warum steigt der Arzneimittelverbrauch mit zunehmendem Alter so stark an?
Auch hier hilft uns wieder ein Blick in die Statistik. Es sind im Wesentlichen
zwei Gruppen von Krankheiten, die dies verursachen. Zu einem die
altersassoziierten - typisch für das hohe Lebensalter, weil physiologische
Altersveränderungen, Lebensstil und Kontakt mit potenziellen Toxinen über
längere Zeit als Ursachen verantwortlich sind – zum anderen die chronischen
Erkrankungen. Diese sind heute gut behandelbar und erhöhen somit die
Lebenserwartung (z.B. Dysbalance des Immunsystems mit bevorzugten
Manifestationsorten: Lunge, Haut, Darm, Gelenke).
Die enormen Erfolge der wissenschaftlichen Medizin in den letzten 200 Jahren
haben die Lebenserwartung verlängert, nicht aber die Gesamtmorbidität
verringert. Das heißt, ein längeres Leben ist auch häufig mit Krankheitsleid
verbunden. Dieses Leid zu mindern und die damit natürlich verbundenen Kosten zu
reduzieren, hat sich die Anti-Aging-Medizin zur Aufgabe gestellt. Das ethischen
Ziel dieses „neuen“ Medizin-Zweiges ist, beschwerdefrei gesund zu bleiben und
somit Lebensqualität und damit verbunden Lebenslust optimal zu erhalten bis zum
letzten Atemzug. Man könnte deshalb besser – wenn schon neuhochdeutsch – von
einer Happy-Aging-Medizin sprechen.
Die Erkenntnis, dass derzeit das Hauptrisiko für Krankheit und Tod
(Arteriosklerose, Osteoporose, Tumorerkrankungen, Demenzen) die
Altersveränderungen selbst sind, zeigt uns, wie wichtig es ist, diese Prozesse
zu analysieren. Neben den zahlreichen Theorien dazu scheint die „Free Radical
Theory of Aging“ erfolgversprechend zu sein und bietet Ansätze für Prophylaxe
und Therapie. Alles was man unter dem Begriff „Oxidativer Stress“ versteht,
bedingt kumulative Schäden des Alterns und altersbedingte Erkrankungen. Der
Körper besitzt ein vielseitiges antioxidatives Schutzsystem, dessen Ausstattung
und Funktion genetisch determiniert ist. Schon lange ist bekannt: Lebensspanne
und angeborene Effizienz antioxidativer Schutzsysteme korrelieren. Dem hohen
Schädigungspotential der reaktiven Sauerstoff-Spezies (ROS) und der freien
Stickstoffradikale stehen neben dem endogenen Arsenal auch exogene
Antioxidantien gegenüber, die unter normalen Bedingungen einen weitgehenden
Schutz für die Zelle und ihre Organellen gewährleisten. Diese antioxidativen
Schutzmechanismen können durch Umweltfaktoren wie UV-Strahlen, Ozon,
Chemikalien und Schwermetalle, durch Rauchen und übertriebene körperliche
Belastung, welche die Entstehung von ROS begünstigen, beeinträchtigt werden.
Diese wirken durch Oxidation von Proteinen, Nukleinsäuren oder Lipiden in ihrem
unmittelbaren Umfeld. Oxidative Schäden an der DNA, geschätzt werden bis zu
10.000 pro Tag und Zelle, werden unter normalen Bedingungen effizient durch
DNA-Repairenzyme beseitigt. Dieses Gleichgewicht, verändert sich mit
fortschreitendem Alter, so dass sich Schäden kumulieren. Diese korrelieren
invers mit der maximalen Lebensspanne. Die Peroxidation von Lipiden erfolgt
vorwiegend durch Reaktion mit mehrfach-ungesättigten Fettsäuren. Werden
Membranbestandteile so verändert, führt dies zu funktionellen Einschränkungen,
wie der Fluidität und Permeabilität. Die Kommunikation mit anderen Zellen z.B.
des Immunsystems wird erschwert. Betrifft dies lösliche Fette wie z.B. das
LDL-Molekül, so fördern die oxidierten Produkte die Bildung von Schaumzellen
(fettbeladenen Zellen) im Rahmen des atherosklerotischen Umbaus von
Gefäßwänden. Vor allem ist die Oxidation von Proteinen mit einer
Funktionseinbuße von Enzymen, Signalmolekülen oder Rezeptoren verbunden.
Glykoproteine können zu Schiff´schen Basen umgewandelt werden (z.B. das HbA1c
bei Diabetes). Als Folge dieser degenerativen Veränderungen können aus körpereigenen
Proteinen auch Neoantigene entstehen. Die Rolle von Glykierungsendprodukten,
die nicht nur mit Proteinen, sondern auch mit Fettbestandteilen und
Nukleinsäuren auftreten im Alterungsprozess (Bräunungsphänomene menschlicher
Sehnen) und bei Erkrankungen (Diabetes, Arteriosklerose, Demenz) ist Gegenstand
aktueller Forschung. Lösliche Rezeptoren (RAGE) solcher Substanzen binden diese
und bessertenden Gesundheitszustand von Mäusen deutlich, die an Diabetes,
Arteriosklerose, Alzheimer Demenz oder M. Crohn litten. (RAGE-Hypothese des
Alterns.)
Die altersbedingte Zunahme des oxidativen Stresses, verbunden mit
krankheitstypischem ROS-Anfall (z.B. bei Diabetes), führen zu einer
beschleunigten Entwicklung von atherosklerotischen Komplikationen. Oder die
Beeinträchtigung der Clearance modifizierter Proteine fördert die Bildung von
Aggregaten, so dass degenerative Erkrankungen wie Parkinson, Alzheimer oder
amyotrophe Lateralsklerose begünstigt werden. Die Akkumulation oxidativer
Schäden im Laufe des Lebensalters, zusätzliche Schäden durch vermehrten Anfall
von ROS bei Infektionen und die Umwelt-bedingten ROS-Schäden werden für die
wichtigsten altersbedingten Erkrankungen, wie Arteriosklerose und die daraus
entstehenden Folgen (wie KHK und cerebraler Insult), Malignome,
neuro-degenerative Erkrankungen, psychische Dysbalance und Erlöschen der
geistigen Fähigkeit, verantwortlich gemacht. Dies verdeutlicht, wie eng
physiologische Altersprozesse und die Entstehung von krankhaften Veränderungen
verwoben sind, und dass alle Ansatzpunkte, die das Gleichgewicht zwischen
anfallenden freien Radikalen und der Wirksamkeit des antioxidativen Systems
herstellen, äußerst sinnvoll für eine Prophylaxe unter normalen
Lebensbedingungen und unter Stresssituationen (z.B Strahlenbelastung bei
Tumorbehandlung) sowie einer Therapie sind. In Studien nach wissenschaftlichen
Kriterien ist immer wieder versucht worden, durch Zufuhr von exogenen
Komponenten des Schutzsystems, z.B. Vitamin E (wirksamer Oxydationsschutz für
Lipide), Vitamin C oder Carotinoide als Monokomponenten, einen positiven Effekt
auf die Sekundärprävention nachzuweisen. Die Ergebnisse waren widersprüchlich
und zeigten z.T. negative Effekte (z.B. ß-Carotin). Nahezu revolutionär aber
war das Resultat einer prospektiven, randomisierten 7-Länder Ernährungsstudie
bei Patienten nach Myokardinfarkt mit hohem Risiko für Reinfarkte. Verglichen
wurden über einen Zeitraum von 4 Jahren zwei verschiedene Ernährungsweisen:
eine Gruppe erhielt eine mediterrane Diät (reich an Alpha-Linolensäure, Obst,
Gemüse, Ballaststoffen) und die andere Gruppe eine normale, cholesterinarme
Diät. Das kardiovaskuläre Risiko war unter mediterraner Ernährung um 50%
gesenkt. Ein Erfolg, der bislang von keinem Pharmakon erreicht wurde. Neben
einer höheren Konzentration der antioxidativen Vitamine C und E fand sich bei
den Studienteilnehmern auch ein Anstieg der Plasmakonzentration von Omega-3
Fettsäure und Ölsäure, während die der Linolsäure zurückging. Gegenwärtig gilt
deshalb als beste Prophylaxe vor dem oxidativen Stress eine gesunde Ernährung,
die reich an Obst, Gemüse, Ballaststoffen und - ganz wichtig - reich an
ungesättigten Fettsäuren ist, mit einem Verhältnis von Omega-6 zu Omega-3
Fettsäuren von 4,5 (z.B. günstig Rapsöl). Kann dieses Verhältnis mit der Nahrungszufuhr
nicht realisiert werden, ist eine Zufuhr von Alpha-Linolensäure in Form von
arzneilichen Präparationen sinnvoll.
Populäre Diskussionen kreisen um die positive Wirksamkeit von
anderenpflanzlichen so genannten Vitalstoffen, den Oligo- oder Polyphenolen
(Gerbstoffe) mit den beiden großen Gruppen Anthrocyane und Flavonoide. So
werden als Nahrungsergänzung oligomere Proanthrocyanidine (OPC-Extrakt aus dem
Traubenkern), Resveratrol (wichtiger Bestandteil der Traubenschale) oder
Catechin (im grünen Tee) empfohlen. Neben der Eigenschaft als Radikalfänger
werden ihnen vielseitige Eigenschaften auf molekularer Ebene zugeschrieben, wie
Hemmung der Blutplättchenaktivierung, Hemmung der Freisetzung
proinflammatorischer Zytokine u.a., die Alterungsprozesse verzögern können und
zur Reduktion der Morbidität und Mortalität (Arteriosklerose, chron.
entzündliche Erkrankungen, Krebs) und Schutz vor seelischem Stress u.a.
beitragen. Es ist unklar, ob und wenn ja, wann eine zusätzliche
Supplementierung solcher Stoffe nötig ist. Die sogenannte orthomolekulare
Medizin (nach Linus Pauling) – als ein Grundpfeiler der Anti-Aging-Medizin –
hat sich zum Ziel gesetzt, mit Hilfe gezielter Diagnostik, z.B. Bestimmung des
Anti-Oxidantien-Status in der Haut, den individuellen Bedarf zu ermitteln und
unter Beachtung von Risiken, der genetischen Disposition und Umweltbelastung,
den individuellen Bedarf zu ermitteln, um dann den Körper gezielt mit
Vitaminen, Mineralstoffe, Spurenelementen, bestimmten Aminosäuren, Enzymen,
Anti-Oxidantien und anderen Vitalstoffen zu versorgen. Die Bemühungen der
orthomolekularen Medizin auf ein solides wissenschaftliches Fundament zu
stellen, müssen ein wichtiges Anliegen sein, um der Gefahr von
„Geldschneidereien“ vorzubeugen bzw. zu entgehen.
Basierend auf der epidemiologischen Beobachtung der Veränderungen von
Hormonkonzentrationen im Alter beruht wohl die populärste Theorie des
physiologischen Alterns (Endokrine Regulation der Lebenszeit). So nimmt die
Konzentration von Steroiden, Wachstumshormon (hGH) und Melatonin ab. Viele
alterstypische klinische Erscheinungen (Abnahme der Muskelmasse, Zunahme der
Fettmasse, Verringerung der Leistungsfähigkeit) korrelieren mit den Befunden
von definierten Hormondefiziten, z.B. Testosteron-Mangel, Wachstumshormonmangel.
Es ist deshalb nicht unplausibel, mit Supplementierung der Hormone Beschwerden
lindern zu wollen. Der Einsatz von Hormonen gegen Altersbeschwerden hat als
Basisparadigma die Erfahrung mit der postmenopausalen Hormonsubstitution. Diese
als Ersatztherapie bezeichnete Supplementierung mit Estrogen und Gestagen
lindert unbestritten die postmenopausalen Beschwerden (Hitzewallungen,
Schlafstörungen etc.). Die anfängliche Euphorie, damit auch Osteoporose zu
verhindern, die kardiovaskuläre Mortalität zu senken und der Entwicklung einer
Demenz vom Alzheimer-Typ vorzubeugen, ist schnell verflogen. Die gewünschten
Erfolge haben sich nicht eingestellt oder es wurden sogar gegenteilige Effekte
beobachtet. Die epidemiologische Datenbasis für ein erhöhtes Brustkrebsrisiko
bei Frauen unter postmenopausaler Hormontherapie ist eindeutig, die
modulierende Rolle der Gestagene noch Gegenstand der Forschung.
Die Supplementierung von Wachstumshormon bei älteren Männern führte zu
Veränderungen der Körperzusammensetzung (Zunahme der Muskelmasse und Abnahme
des Fettgewebes), bezüglich der Muskelfunktion sind die Aussagen von Studien
aber widersprüchlich. Wegen der insulinantagonistischen (diabetogenen)und der
durch IGF-vermittelten mitogenen Wirkung ist eine unkontrollierte Langzeiteinnahme
nur aus der Indikation heraus, das Altern zu verzögern, nicht vertretbar. Dies
gilt auch für Dehydroepiandrosteron (DHEA), welches als ein Vorläuferhormon für
weibliche und männliche Sexualsteroide gilt. Da seine Konzentration während des
Alterns um bis zu 95 Prozent abnimmt, wird seine Supplementierung als
Anti-Aging-Hormon ganz besonders als einfaches Nahrungsergänzungsmittel
propagiert.
Nicht auf alle Einzelheiten des Für und Wider einer Hormonsupplementierung im
Alter kann an dieser Stelle eingegangen werden, sondern nur die derzeit gültige
Empfehlung zusammengefasst werden. Diese lautet: eine Hormongabe (streng
genommen eine Arzneimitteltherapie und keine Substitutionstherapie) ist nur bei
krankhaften Erscheinungen des Hormonmangels - unter Kontrolle des behandelnden
Arztes (Risikobeurteilung) – ethisch vertretbar. Erniedrigte
Hormon-Konzentrationenallein sind kein ausreichender Behandlungsgrund.
Schwieriger ist, eine Pauschalaussage für die in Deutschland nicht zugelassenen
Hormone wie DHEA und Melatonin zu treffen. So gibt es schon vielversprechende
Studien zur Wirksamkeit von Melatonin bei Schlafstörungen im Alter. Melatonin
ist außerdem ein starkes Antioxidanz, und bedeutende Risiken sind anhand des
bisher Bekannten nicht zu erwarten. Der Prozess zur wissenschaftliche
Etablierung der derzeit als Anti-Aging-Hormon gehandelten Substanzen wird
zeigen, ob und wenn ja welche Alterungsvorgänge sie verzögern können, um dann
nützlich zur Prävention von ungewünschten Störungen zu sein.
Das hier dargestellte Rüstzeug in Einklang mit einem körperlichen Training,
einer psycho-sozial-geistigen Hygiene und dem Ausschalten von diversen
Umweltfaktoren bildet den Inhalt der Anti-Aging-Medizin. Sie ist eine
Präventivmedizin, deren Ziel es ist, die Beeinflussung von Alterungsprozessen
auf den verschiedensten Ebenen und damit die Vermeidung von altersbedingten
Erkrankungen und den Erhalt von Vitalität, Leistungsfähigkeit und seelischem
Wohlbefinden zu erreichen.
Es ist eine Medizin, die in transdisziplinärer Ganzheit gegenwärtig ihre
Dignität beweisen muss und somit die vorwiegend kurative Medizin bereichern und
sich zu einem wichtigen, wenn nicht dem dominanten, Bestandteil der Medizin des
21. Jahrhundert entwickeln wird.
Dr. med. habil. Annegret Balogh ist Privatdozentin am Institut für Klinische Pharmakologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
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