Erschienen in Ausgabe: No 101 (07/2014) | Letzte Änderung: 14.07.14 |
von Heike Geilen
Hamlets Ermahnung stellt vielleicht
ein Sinnbild der Verwirrung und Unsicherheit des Universums dar, die auf uns
einstürzt. Und das passiert sehr oft. Immer
wieder führen unsere Schulweisheiten zu
Anomalien. Und mit jeder Tür, die wir in die unendliche Weite und
Größe der Natur aufstoßen, rücken plötzlich viele weitere in den Blick,
"und jede davon hat ihr eigenes, undurchschaubares
Kombinationsschloss.", wie es der Schauspieler und Regisseur Alan Alda so
treffend bezeichnet. Shakespeares Worte sind zugleich Erklärung
als auch Herausforderung. Denn Wissen wird nie Stillstand haben. Es wird immer
ein Mehr hinter der vermeintlichen Grenze geben. Und jedes Neue wird mitunter
wieder Teil unserer Schulweisheit, "die wiederum durch neue neue Dinge in
Frage gestellt wird.", so Alda.
Das Thema spekulative Gedanken hat
auch "Edge", ein Club, der sich mit den Themen des postindustriellen
Zeitalters beschäftigt und in dem spekulative Gedanken
vorgestellt werden, die die vorderste Front des Denkens auf naturwissenschaftlichen
Gebieten repräsentieren, aufgegriffen. "Aus
diesen Beiträgen erwachsen eine neue
Naturphilosophie, neue Wege zum Verständnis physikalischer Systeme und neue
Denkweisen, die viele unserer Grundannahmen in Frage stellen.", so John
Brockman, der Verleger und Herausgeber von "Edge". Jedes Jahr wird
eine sogenannte Edge-Frage geplant, die den Anlass zu unvorhergesehenen
Antworten gibt. Ziel ist es, andere Menschen zu Gedanken zu provozieren, die
ihnen normalerweise nicht kommen. Die Edge-Frage des Jahres 2012, deren
Antworten in einer Auswahl in diesem Buch präsentiert werden, lautete:
"Welches ist Ihre tiefgreifende, elegante oder schöne
Lieblingserklärung?" 148 Beiträge
wissenschaftlichen Denkens aus den Bereichen Physik, Evolutionsbiologie,
Kosmologie, Psychologie, Genetik, Informatik, Mathematik, Wirtschaft,
Geschichte, Sprachen und auch menschlichem Verhalten offerieren ein
hochinteressantes und breites Ideenspektrum. "Der gemeinsame rote Faden
ist das Prinzip, eine einfache, nichtselbstverständliche Idee als Erklärung
für
vielfältige, komplexe Phänomene
zu formulieren.", so Brockman.
Und man wird nicht enttäuscht.
Das Buch ist eine wahr Fundgrube an interessantem Ideenvorreitertum. Es wird über
Einfachheit, Polarisierung in der Gruppe, Einsteins Photonen oder unmögliche
Genauigkeiten referiert, über die Theorie der sexuellen
Konflikte und das Wandern der Meeresschildkröten, über Ozeane und die Sicherheit an Flughäfen
(BER wurde definiert ausgeklammert ;-) ) oder aber über
Sprache und natürliche Selektion, dass Schönheit
Wahrheit ist und über Schwarmintelligenz. Man erfährt,
warum Zitronen schnell sind, Vögel die direkten Nachfahren der
Dinosaurier und die Natur klüger ist als wir. Auch wenn für
den Laien sicher nicht jeder Beitrag absolut schlüssig und verständlich
sein wird, so offenbaren die Texte trotzdem eine Unmenge an Mehrwert. Auf jeden
Fall ist ihnen allen eines zu eigen: "Elegante Erklärungen
sind das Kuhn'sche Lösungsmittel, das den Klebstoff von
alten Lehrmeinungen entfernt und Platz schafft, so dass neue Theorien Fußfassen können.", wie es der
Technologieprognostiker Paul Saffo so treffend postuliert. Ein Buch, das man
immer wieder zu Hand nehmen kann, um sich daran zu ergötzen
und das eigene Denken zu motivieren, es anzufeuern und zu erquicken.
"Mach weiter, aber behalte das,
was funktioniert. Wir brauchen Einstein für GPS, aber zum Mond kommen wir immer
noch mit Newton." (Alan Alda)
John Brockmann
Wie funktioniert die Welt?
Die führenden Wissenschaftler
unserer Zeit stellen die brillantesten Theorien vor
Fischer Taschenbuch (Dezember
2013)
512 Seiten, Broschur
ISBN-10: 3596197422
ISBN-13: 978-3596197422
Preis: 12,99 EURO
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