Erschienen in Ausgabe: No 101 (07/2014) | Letzte Änderung: 14.07.14 |
von Heike Geilen
Frage: Was haben Harry Potter, das
iPad und die moderne Teilchenphysik gemeinsam?
Antwort: Vor einer Neuerscheinung
bilden sich lange Schlangen und Medienhypes.
Populistische Panikmache geisterte im
Jahr 2008 durch viele Medien, je näher das Datum der Inbetriebnahme des
Large Hadron Colliders (LHC) rückte. Kaum eine Tageszeitung ließim September einen derartigen Artikel
aus. Die Gesprächsthemen in vielen Büros
verlagerten sich weg von "Tatort" oder "GZSZ" in eine
Richtung, von der Physiker noch vor Monaten nur träumten.
Das "dunkle Zeitalter der Desinformation und Ignoranz" (Zitat
Physik-Nobelpreisträger Robert B. Laughlin) schien für
kurze Zeit gebrochen. Man diskutierte über unser Universum, schwarze Löcher
oder über das ominöse
Higgs-Teilchen. Der sonst eher im "Dunklen" agierende
Wissenschaftszweig erfuhr eine nie geahnte Popularität.
Doch nicht immer verliefen diese Gesprächsrunden mit dem verständnisnotwendigen
Wissen.
Bis zu seinem vorläufigen
Abschalten im letzten Jahr lieferte der LHC eine Unmenge an Daten und auch
neuen Erkenntnissen. Seine Experimente geben einen Einblick in eine bisher
unerreichbare Region von Raum und Zeit, der unser Weltbild revolutionieren könnte.
Und: Am 4. Juli 2012 gaben die Physiker die Entdeckung eines neuen Teilchens
bekannt. Es ist aller Wahrscheinlichkeit nach das seit Jahrzehnten gesuchte
Higgs-Boson - "das Quant eines Felds, ohne das es keine Masse gäbe,
keine Atome und kein Leben. Dieses Feld durchzieht alles, auch dieses Buch, und
ist vielleicht der Schlüssel zu einer unbekannten Realität,
zu verborgenen Dimensionen und einer 'Weltformel'." wie Rüdiger
Vaas schreibt. Der Wissenschaftsreporter, Astronomie- und Physik-Redakteur bei
"Bild der Wissenschaft" und versierte Kenner der modernen Kosmologie
begleitet den Leser auf dem langen Weg von der 1964 am Schreibtisch
postulierten Existenz bis zur vermutlichen Entdeckung im CERN. Aber er spannt
den Bogen noch um einiges weiter, von den ersten Spekulationen griechischer
Philosophen über Naturgesetze und Atome bis zum
modernen Standardmodell der Elementarteilchenphysik, von der eigenartigen
Gegenwelt der Materie - der Antimaterie - über das seltsame Schattenreich der
Dunklen Materie, die sich nur über ihre Schwerkraft bemerkbar macht,
bis hin zum Geheimcode der Natur - der Symmetrie. Schlussendlich greift er auch
noch die gleichermaßen exotischen wie faszinierenden
Versuche zur Findung einer Weltformel auf. Superstrings und M-Theorie scheinen
hierbei die führenden Kandidaten einer "Theorie
von Allem" zu sein.
Über
500 Seiten, für den Laien zum Teil schwer verständliche
Materie, versucht Rüdiger Vaas dem physikaffinen
Interessierten fassbar und anschaulich zu erklären. Über große Strecken gelingt ihm das auch gut
bis sehr gut. Allerdings sollte ein gewisses Maßan naturwissenschaftlichen Grundkenntnissen beim Leser
vorhanden sein, sonst geht man im Wust von Fermionen, Quark-Gluonen-Plasma,
Spin und Quantenchromodynamik gänzlich verloren und dürfte
vor allem von den letzten Kapiteln restlos überfordert sein. Immer wieder unterstützen
Grafiken und Illustrationen den nicht einfachen Part oder der Autor flicht
sogenannte Exkurse ein, die ein Thema noch tiefgreifender und ergänzender
betrachten, Entwicklungen erläutern und in einen großen
Zusammenhang stellen. Ganz nach dem Motto des Physik-Nobelpreisträger
von 1979 Steven Weinberg: "Das Bestreben, das Universum zu verstehen, hebt
das menschliche Leben ein wenig über eine Farce hinaus und verleiht ihm
einen Hauch von tragischer Würde."
Fazit: Die Neugier ist eine der stärksten
und konstruktivsten Triebkräfte des menschlichen Handelns. Jeder
sollte sich das Staunen bewahren und immer wieder nach dem "Warum"
fragen. Es gibt eigentlich nichts erfüllenderes für
den Geist, als immer ein Suchender zu bleiben. "Wir sehen uns in einer
befremdlichen Welt leben. Wir möchten verstehen, was wir um uns herum
wahrnehmen, und fragen: Wie ist das Universum beschaffen? Welchen Platz nehmen
wir in ihm ein, woher kommen und wohin gehen wir? Warum ist es so und nicht
anders?", fragte sich einmal Stephen Hawkings. Er hat keine Scheu vor den
großen und grundlegenden Fragen, die alles
andere als bescheiden klingen: "Mein Ziel ist einfach: das vollständige
Verständnis des Universums - warum es ist,
wie es ist, und warum es überhaupt existiert." Diesen
Anspruch wird sich der bekannte Astrophysiker wohl nicht vollständig
erfüllen können. Denn wie bemerkte schon der
britische Biologe und Philosoph Thomas Henry Huxley: "Das Bekannte ist
endlich, das Unbekannte unendlich. Geistig stehen wir auf einer kleinen Insel
inmitten eines Ozeans von Unerklärlichkeiten. Unsere Aufgabe ist es, in
jeder Generation ein bisschen mehr Land trocken zulegen." Das Buch von Rüdiger
Vaas leistet jedenfalls einen kleinen Teil, das Unerklärliche
auch dem interessierten Laien verständlich zu machen.
Rüdiger Vaas
Vom Gottesteilchen zur
Weltformel
Urknall, Higgs, Antimaterie und
die rätselhafte
Schattenwelt
Kosmos Verlag (Dezember 2013)
512 Seiten, Gebunden
ISBN-10: 3440138550
ISBN-13: 978-3440138557
Preis: 24,99 EURO
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