Erschienen in Ausgabe: No 102 (08/2014) | Letzte Änderung: 06.08.14 |
von Constantin Graf von Hoensbroech
„Imper German Wilhelmus II Rex Boruss“(Kaiser von Deutschland Wilhelm II. König von
Preußen) lautet in lateinisch abgekürzter Version die Textzeile unter der
Darstellung im malerisch farbenfroh gestalteten Kirchenfenster der
Ålesund-Kirche, das den heiligen Olav zeigt: Mit entschlossenen und
selbstbewussten Blick, gestützt auf sein Schwert, blickt der norwegische
Nationalheilige hinunter in das Kirchenschiff. Ob sich der letzte deutsche
Kaiser Wilhelm II. selbst ein wenig in dieser Pose widerspiegeln wollte?
Schließlich war es Seine Kaiserliche Hoheit, die die drei Kirchenfenster hinter
der Orgelempore der sehenswerten steinernen Ålesund-Kirche gestiftet hat. Auch
das bekannte Wappen mit dem preußischen Adler ist in einem der Fenster von 1909
verewigt worden.
Der Weg von der Kirche in die Innenstadt der malerisch am
Atlantik gelegenen Kleinstadt führt vorbei an zahlreichen Häusern im Stil des
Jugendstils. Auch für hieran hat Wilhelm II. einen erheblichen Anteil - und das
wird ihm in Ålesund bis heute beispielsweise mit folgenden Worten gedankt:
„Auch aus anderen Teilen der Welt wurde Hilfe gesandt, doch die Unterstützung
von Wilhelm II. war derart großzügig, effektiv und stilvoll, dass er andere
Hilfsleistungen damit völlig in den Schatten stellte.“
Rückblende. In der Nacht zum 23. Januar 1904, ein Jahr
vor der Unabhängigkeit Norwegens von Schweden, kippt in einer Margarinefabrik
eine Petroleumlampe um und löst einen verheerenden Brand aus. Rund 850 Häuser
der damals vor allem auf einer Landzunge konzentrierten Kleinstadt werden
zerstört, 10 000 Menschen obdachlos. Nur wenige Tage später erreichen vier
deutsche Schiffe die Stadt am Europäischen Nordmeer und bringen Medikamente,
Baumaterialien und Nahrung. Außerdem dienten die Schiffe als Notunterkünfte für
Obdachlose. Kaiser Wilhelm II. hatte diese Soforthilfe nicht nur persönlich
angeordnet, sondern zudem auch noch aus seiner Privatschatulle bezahlt. Später
schickte er zudem noch Architekten in den Norden, um den Wiederaufbau der Stadt
– Steinhäuser im Jugendstil – zu befördern. Nicht zuletzt dieser Wiederaufbau
mit der in sich geschlossenen Innenstadt macht Ålesund zu einem herausragenden
Reiseziel, das auch als Unesco Welterbe-Stätte eingetragen ist.
Im Stadtpark erinnert eine sieben Meter hohe Stele an den
Einsatz des Monarchen. Von hier sind es nur einige wenige Gehminuten auf die
„Keiser Wilhelms gate“, eine der zentralen Straßen der auf insgesamt vier
Inseln ausgebreiteten Stadt.Auch das
Gefängnis mit seinen Zellen für maximal 27 Insassen fügt sich unaufdringlich in
diese kaiserliche Straße ein, an der sich auch ein kleiner Platz befindet,
dereinen wunderbaren Blick auf den
Fjord und die ehemaligen Postschiffe der berühmten „Hurtigruten“ erlaubt. Die
gab es zu Zeiten von Wilhelm II. zwar noch nicht. Dass heute jedoch vieleTouristen auf einem dieser Schiffe durch die
berühmten Fjorde fahren oder noch weiter nördlich die norwegische Atlantikküste
bereisen, ist auch ein Verdienst von Wilhelm II.Denn mit seinen Nordlandfahrten, die er mit
der „Hohenzollern“ seit den 1880er Jahren regelmäßig im Sommer unternahm, wurde
der Monarch zu einem der entscheidenden Multiplikatoren des Norwegen-Tourismus.
Seinen Besuchen im hohen Norden eiferten seinerzeit viele gut betuchte Familien
nach, und in der Folge wurde nicht zuletzt in der insbesondere für seine
Fjordlandschaft bekannten Region Møre og Romsdal die (touristische)
Infrastruktur des Landes stetig verbessert.
Beispiel Molde: Weil Wilhelm II. die kleine Hafenstadt
nördlich von Ålesund – sozusagen einen Fjord weiter nördlich - mehrmals
beehrte, entstanden zwei großzügige Hotels, um die Gäste angemessen aufnehmen
zu können. Heute befindet sich in der Stadt, die aufgrund der günstigen
Witterung und eines Ausläufers des Golfstroms auch als „Rosenstadt“ für sich
wirbt, ein weiteres exklusives und spektakuläres Hotel: das 82 Meter hohe, der
Gestalt eines Segelschiffes nachempfundene Rica Seilet Hotel. Dieses so
wunderbar in den Moldefjord gebaute spektakuläre und hervorragend geführte Haus
bietet sich als idealer Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region an, in der
sich kulturell, landschaftlich, sportlich sowie sehr individuell so vieles
entdecken lässt.
Besonders aufregend ist ein Ausflug auf den etwas über
400 Meter über der Stadt gelegenen Aussichtspunkt Varden. Bei gutem Wetter
bietet sich eine kaum zu beschreibende, von fast unwirklicher Schönheit
geprägte Aussicht auf den Moldefjord bis hin zum Atlantik sowie auf die 222
teilweise ganzjährig schneebedeckten Gipfel der norwegischen Alpen.Gerade im Juni, wenn die Tage nicht enden
wollen, aber auch insgesamtwährend der
meteorologisch günstigen und relativ stabilen Sommertage bis Ende August in
dieser weltweit als eine der regenreichsten Regionen bekannten Gegend, lässt
sich von hier oben aus das faszinierende Fehlen von Dunkelheit miterleben.
Lohnenswert ist auch der Besuch des Romsdalsmuseums, um sich einen
konzentrierten Überblick zur regionalen Geschichte zu verschaffen.
Eine Autofahrt von Molde– aus der Region stammt auch der Literaturnobelpreisträger Bjørnstjerne
Bjørnson (1832 bis 1910)- in den Süden,
nach Ålesund oder zum berühmten Geirangerfjord (Unesco-Weltnaturerbe) oder noch
tiefer hinein nach ,Fjordnorwegen‘, führt durch die faszinierenden Landschaften,
in denen das Wetter so rasch wechseln kann, dass sich binnen kurzer Zeit die
unterschiedlichsten Naturschauspiele und Landschaftsbilder einstellen.
Majestätisch und steil aufragend erheben sich die Berge rechts und links der
Fjorde, je nach Lichteinfall changiert das Wasser blau-schwarz oder blau-grün,
die Wälder und einzelnen Weiler liegen wie pittoreske Farbteppiche da undFarbteppiche werden immer wieder von
Lichtflecken gestreichelt, am Himmel streiten die unterschiedlichsten
Wolkenformationen. Auf dem Weg zur berühmten Gebirgsstraße Trollstigen mit
ihren elf Spitzkehren auf über 400 Metern Höhendifferenz lassen sich wenige
Kilometer vor den ersten Schneefeldern noch Erdbeeren oder anderes köstliches
Obst oder Gemüse, das ob des langen Tageslichts und Klimas im Sommer ein
einzigartiges Aroma entfalten, verkosten.
Die Fahrt von Molde aus in den Norden sollte unbedingt
über die Atlantikstraße genommen werden, die von sachkundigen Experten mehrfach
als eine der schönsten Straßen benannt worden ist. Auf der Route mit acht
Brücken zwischen den Inseln lassen sich zudem noch einige alte deutsche
Militäreinrichtungen entdecken – Relikte, die an die unheilige Zeit wärend der
deutschen Besatzung des Landes und die Zerstörungen durch deutsche Truppen
während des Zweiten Weltkriegs erinnern. Deutlich spürbar wird dies in
Kristiansund: Die industriell geprägte, aber für eine lebhafte Kulturszene
bekannte Stadt am Atlantik, in der seit 10 000 Jahren Siedlungsgeschichte
nachweisbar ist, wurde durch deutsche Truppen fast vollständig zerstört und
weist seitdem ein sehr uneinheitliches Stadtbild mit alter Fischertradition und
Nachkriegsarchitektur auf. Für das traditionell gute Verhältnis zwischen
Deutschland und Norwegen markiert die Kriegszeit eine tiefe Zäsur und
Belastungsprobe.
Kurz vor Kristiansund lohnt sich ein Abstecher nach
Kvernes, wo sich noch eine der 30 (von ursprünglich rund 750) erhaltenen
landestypischen Stabkirchen befindet. Diese Kirchen entstanden vor allem in der
Zeit der Christianisierung. In der Kirche von Kvernes aus der Mitte des 15. Jahrhundertmit
den beeindruckenden Malereien, die Szenen aus dem Leben Jesu darstellen, hatte
seinerzeit jeder der umliegenden Höfe seine eigene Bank. Nur im hinteren Teil
gab es eine erhöhte Galerie für die Pastorenfamilie. „Sie hielten sich
wahrscheinlich ein bisschen besser als normale Leute“, heißt es dazu im
Informationsblatt an der Eingangstür.
So wie nach Kvernes sind es überhaupt die kleinen
Abstecher rechts und links der ohnehin schon wenigen Hauptstraßen, die die
Fahrten durch dieses Land so unvergesslich machen. Im buchstäblichen Sinne
erfahrbar ist das auf den rund 200 Kilometern von Kristiansund nach Trondheim.
Auf spontanen Wanderungen oder auch Angeltouren lässt sich der stille
Herzschlag der Natur spüren, bevor sich am Stadtrand von Trondheim die
Atmosphäre einer Großstadt einstellt.
Norwegens drittgrößte Stadt mit knapp 200 000 Einwohnern
ist nicht zuletzt wegen des gewaltigen gotischen Doms, in dem sich das Grab des
Heiligen Olav befindet, und der Bischofsresidenz, in der auch die Kronjuwelen
aufbewahrt werden, ein kultureller, geistiger und geistlicher Höhepunkt. Im
Jahr 1030 wurde der bereits 1031 heiliggesprochene Olav II. Haraldsson hier
begraben. Bald darauf erfolgte die Grundsteinlegung für das um 1300 fertig
gestellte Gotteshausmit der markanten
Westfassade und dem mächtigen Vierungsturm. Zumindest in Trondheim kann der
reisende Katholik seiner Sonntagspflicht nachkommen: Die Stadt ist eine
Prälatur und wird von einem Apostolischen Administrator geleitet. Im Land indes
ist es schwierig, denn nur rund 110 000 Katholiken leben unter den fünf
Millionen Einwohnern, die weitestgehend der norwegischen Kirche angehören.
Seit über 50 Jahren finden im Sommer zu Ehren des
Nationalheiligen, der von beiden großen christlichen Konfessionen verehrt wird,
knapp zwei Wochen lang mit einem breit gefächerten Programm die Olavsfesttage
statt. Sein Namenstag ist der 29. Juli. Zudem tragen auch die rund 30 000
Studenten dazu bei, dass sich nicht nur an diesen Tagen Altes und Neues,
Konservatives und Innovatives in den unterschiedlichsten Facetten Bahn brechen
und dazu beitragen, der Stadt ihren unverwechselbaren Charme und ihre
authentische, unaufgeregte Natürlichkeit zu verleihen.
Doch was für Trondheim gilt, mag eigentlich für das Land
und seine Bewohner insgesamt gelten. Vielleicht waren es auch diese Attribute,
die Kaiser Wilhelm II. für Norwegen einnahmen. Den Beginn des Ersten Weltkriegs
1914 erlebte er hier, es sollte seine letzte Nordlandfahrt sein. Der
norwegische Maler Hans Dahl, ein Freund des Kaisers, notierte nüchtern: „Am
Nachmittag des 25. Juli zwischen 5 und 5.30 Uhr verabschiedete sich Kaiser
Wilhelm. Um 6 Uhr fuhr er mit der Hohenzollern weg, als er hörte, dass der
Krieg zwischen Österreich und Serbien ausgebrochen sei.“
Heute, genau einhundert Jahre später, sind es im Schnitt
jährlich etwa 1,3 Millionen Deutsche, die Norwegen besuchen und ihren Teil dazu
beitragen, dass das Verhältnis nicht zuletzt nach der von vielfältiger
Versöhnungsarbeit geprägten Nachkriegszeit nun wieder - laut Auswärtigem Amt -
als „sehr eng und freundschaftlich“ bezeichnet werden kann. Wer Norwegen
besucht, wird dies in den von authentischer Natürlichkeit geprägten Begegnungen
sehr schnell spüren.
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